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Das Kreidekreuz - Historischer Roman

Ulrike Schweikert

 

Verlag Edel Elements - ein Verlag der Edel Verlagsgruppe, 2017

ISBN 9783962150112 , 640 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

KAPITEL 1


Seht ihr nicht die Zeichen? Wie die Schafe lasst ihr euch scheren und gebt ihnen dann noch klaglos eure Haut dazu! Blind lauft ihr hinter dem Wolf im Schafspelz in den Abgrund, ohne auch nur ein Mal innezuhalten. Seht ihr denn nicht die Zeichen? Eisige Stürme und Schnee im Sommer, knospende Bäume mitten im Winter, Wassermassen, die die Ernten verschlingen. Die weisen Männer haben eine Sintflut aus Wasser geweissagt, ich aber sage euch, es wird eine Sintflut aus Blut werden! Es steht in den Sternen, die Zeit ist gekommen! Was oben ist, wird unten sein, und was unten ist, wird obenauf schwimmen. Und alles wird im Blut zugrunde gehen! Dort, wo ich herkomme, ist es schon in aller Munde: Wer im 1523sten Jahr nicht stirbt, 1524 nicht im Wasser verdirbt und 1525 nicht wird erschlagen, der mag wohl von Wundern sagen.«

Zwei Mägde waren vor dem Bettler stehen geblieben, um seinen Worten zu lauschen, nun aber schüttelten sie die Köpfe, nahmen ihre Körbe voller Gemüse wieder auf und setzten ihren Weg fort.

»Oh, ihr Blinden! Ihr denkt, ihr habt Augen, doch ihr seht noch weniger als der arme Bettler vor euch«, rief er ihnen hinterher. Er kratzte sich an dem schmutzigen Verband, der seine Augen bedeckte. Plötzlich hielt er inne und drehte sich langsam zur Seite. Er schnüffelte laut.

»Nun, gnädige Frau? Was starrt Ihr so auf einen alten, blinden Bettler herab? Ich weiß, dass Ihr mich misstrauisch beäugt, darum lasst Euch sagen, ich erkenne den Geruch einer ehrbaren Frau. Gebt mir ein paar Heller aus Eurem Beutel. Lange werdet Ihr Euch eh nicht mehr an Eurem Reichtum erfreuen können. Der Welten Ende ist nah. Habt Ihr es nicht vernommen?«

Ein Lachen erklang und das Rauschen edler Röcke, die sich näherten. »Das ist eine gute Rede, alter Mann, auch wenn sie ebenso wenig wahr ist wie deine Blindheit!«

»Ha!«, rief er erbost und schob sich die Binde ein wenig hoch, um die Spötterin besser betrachten zu können.

»Ist die Ernte nicht die letzten beiden Jahre verdorben? Hungern die Bauern nicht neben ihren leeren Scheunen? Hat das Wetter nicht verrückt gespielt, als würden tausend Hexen im Himmel ihre Kessel rühren? Hört die wandernden Prediger und Propheten, und Ihr werdet erkennen, dass der alte Jodokus Recht hat!«

Ein nachdenklicher Schimmer legte sich über die lebhaften, braunen Augen der Frau. »Ja, das stimmt. Es waren seltsame Jahre, und der Preis für Brot drückt selbst uns, die wir uns zu den ersten Familien der Stadt zählen können. Ans Ende der Welt mag ich jedoch nicht recht glauben. Es sind schwere Zeiten, wie es sie schon oft gegeben hat. Das Volk läuft gern den Schwärmern hinterher. Nicht lange, und es widmet sich wieder still und ernst seinen Feldern.«

»Um das Brot zu bauen, das die Herren ihm dann entreißen«, krächzte der Bettler und grinste, so dass die Frau in seinen fast zahnlosen Mund sehen konnte.

»Noch sind die Herren verstockt und wollen ihren Augen und Ohren nicht trauen. Sie warten, bis die Schrift aus Blut und Feuer über sie kommt, dann erst werden sie verstehen.«

»Wir werden sehen«, sagte die Frau und nickte dem Alten zu.

»Die Heller!«, rief er empört. »Denkt an die Heller, die schon bald nichts mehr wert sind, mir heute jedoch noch einen satten Bauch bescheren könnten! Habt Mitleid, gnädige Frau.«

Die Bürgerin lächelte, nahm ihren Beutel vom Gürtel und löste das Band. »Ich hoffe noch immer, dass deine Worte nur Lug und Trug sind, die wilden Träume eines Elenden. Dennoch lehrt uns die Kirche, barmherzig zu sein und unser Gut mit den Armen zu teilen.«

Sie ließ vier kleine Münzen in die vorgestreckte Männerhand gleiten. Mit einer flinken Bewegung steckte der Alte sie unter seine Lumpen.

»Die Kirche«, knurrte er und spuckte auf den Boden. »Ich hoffe, Ihr redet nicht von der Kirche des räudigen, römischen Wolfes, der seine Kinder aussaugt und sich und seinen Bischöfen die Taschen füllt. Die Kirche, die die Armen erpresst, ihre letzten Münzen für Ablassbriefe auszugeben, weil sie ihnen mit dem Fegefeuer droht.«

Die Frau wandte sich noch einmal zu ihm um. »Nein«, sagte sie zögernd, »hört die Lehre des neuen Predigers. Gott ist gnädig, er schenkt uns alles. Wir brauchen nur an ihn zu glauben.»

Der Bettler schob seine Augenbinde hoch und sah die Bürgerin aus hellblauen, klaren Augen an. »Ja, Gott ist gerecht. Er ist auf unserer Seite und wird uns helfen! Seht in die Heilige Schrift, dort werdet Ihr die Worte finden.«

 

 

Nebelschwaden zogen vom Kocher herauf und krochen träge in jeden Winkel. Der Morast auf der ungepflasterten Gasse überzog sich mit feinen Kristallen. Die Kerfengasse lag verwaist unter der sich herabsenkenden Nacht, und auch auf dem Salzmarkt und in der Haalgasse schien niemand mehr unterwegs zu sein.

Ein Scheunentor knarrte leise, als es von einer Hand gerade so weit aufgeschoben wurde, dass eine schlanke Person durch den Spalt schlüpfen konnte. Ein in ein schwarzes Tuch gehüllter Kopf erschien, dann glitt der ebenfalls dunkel verhüllte Leib auf die Gasse hinaus und schob die Tür behutsam hinter sich zu. Einen Korb eng an den Leib gedrückt, stand die Gestalt bewegungslos da, nur ihr Blick huschte rasch die Gasse hinauf und hinunter. Irgendwo bellte ein Hund, aus dem Haus an der Ecke zur Blockgasse erklang Gelächter, doch es war keine Menschengestalt zu sehen. Die freie Reichsstadt Hall schien sich bereits zur Ruhe begeben zu haben.

Anne Katharina Seyboth, die unter dem Namen Vogelmann geboren war, zog mit klammen Fingern ihren Umhang enger um sich. Die feuchte Kühle kroch unter ihre Röcke und wand sich an ihren Beinen empor. Sie schauderte, dass ihr ganzer Körper bebte. Mit einer ungeduldigen Bewegung schüttelte sie nicht nur die Kälte ab; auch die Gedanken, die ihr Gemüt beschwerten, suchte sie hier im Schatten der hinter ihr aufragenden Scheune zurückzulassen.

War es richtig, was sie da tat? Noch einmal schüttelte sie energisch den Kopf. Später wäre immer noch Gelegenheit genug, sich darüber Gedanken zu machen. Nun war es Zeit, zu ihren Kindern zurückzukehren, die sicher schon sehnlich auf sie warteten. Ob Michel seine Ratssitzung bereits beendet hatte? Die Sitzung vermutlich ja, nicht jedoch den anschließenden Umtrunk.

Anne Katharina tastete sich die nebelige Gasse entlang. Obwohl sie jedes Haus und jede Scheune genau kannte, schien der Weg in der nächtlichen Dunkelheit heute viel länger zu sein. Den Kienspan zu entzünden, den sie am Grund ihres Korbes trug, scheute sie sich. Selbst zu dieser fortgeschrittenen Stunde hätte es sie nicht überrascht, hier in der Unterstadt einem der wohlbekannten Gesichter der Ehrbarkeit über den Weg zu laufen. Die grell geschminkten Weiber des Frauenhauses lebten schließlich nicht nur von den Münzen der Handwerker aus den Vorstädten!

Eigentlich sollte das Haus, das dem Prediger Brenz ein schmerzender Dorn im Auge war, schon seit einem Jahr geschlossen sein, aus irgendwelchen Gründen jedoch schoben die Ratsherren die Ausführung des Beschlusses immer wieder hinaus. Anne Katharina grübelte noch darüber nach, als das Licht einer Fackel vom Salzmarkt her auf sie zukam. Sie überlegte kurz, ob sie sich in die Schatten des Hofs zu ihrer Rechten zurückziehen sollte, doch da hatte der Lichtschein sie schon erfasst. Anne Katharina wandte das Gesicht ein wenig ab, murmelte einen Gruß und beeilte sich, den Mann, der ihr entgegenkam, rasch zu passieren. Sie erhaschte einen Blick auf blaue Pluderhosen, deren rotes Futter durch die zahlreichen Schlitze blitzte, und eine Jacke mit glänzenden Knöpfen, deren Oberstoff ebenfalls an den Ärmeln aufgeschnitten war. Unter dem Barett lugte braunes, nackenlanges Haar hervor, ein Schwert schlug beim Gehen mit leisem Klirren gegen sein linkes Bein.

Einer der umherziehenden Landsknechte, dachte Anne Katharina und beschleunigte ihren Schritt, doch dann zögerte sie. Sie konnte nicht sagen, warum sie innehielt und sich umwandte. War es der Klang seines Schrittes, die Haltung seines Körpers?

Auch der Landsknecht war stehen geblieben und drehte sich nach der Frau um. Beide schwiegen und sahen einander prüfend und ein wenig ungläubig an. Der Mann trat näher, bis der Lichtschein seiner Fackel die Szenerie erhellte.

»Jungfrau Anne Katharina?«, presste er hervor. Erstaunen schwang in seiner Stimme.

Sie sah ihm ins Gesicht. Seine Haut war gebräunt, und er hatte sich schon einige Tage nicht mehr rasiert. In seinen Augen spiegelte sich das rötliche Licht der Flamme. Der Klang seiner Stimme ließ die Zeit zerrinnen. Er hatte sich kaum verändert in den fünfzehn Jahren. Fünfzehn Jahre? War es wirklich schon so lange her? Wie von fern drangen die Worte an ihr Ohr.

Sie lachte. »Anne Katharina, ja das bin ich, die Jungfrau aber habe ich schon seit vielen Jahren nicht mehr gehört.« Ein leichter Schwindel erfasste sie, und es war ihr plötzlich, als könne sie wieder seine Lippen auf den ihren spüren. Der erste Kuss der Jugend, die erwachende Leidenschaft ungekannter Liebe. Wie süß dieser einzige verbotene Kuss noch immer schmeckte!

Der Landsknecht verbeugte sich vor ihr. »Verzeiht, gnädige Frau, ich wollte Euch nicht beleidigen. Ich wollte damit nicht andeuten, ich meine …«

Zwei Grübchen vertieften sich in ihren Wangen. »Andeuten, ich könne vielleicht als alte Jungfer sitzen geblieben sein?«

Leichte Röte überzog sein Gesicht. Er stotterte noch eine Entschuldigung, dann jedoch schien er das Blitzen in ihren Augen zu bemerken und brach ab.

»Ihr habt Euch nicht verändert«, sagte er und...