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Die Berge der Rache - Karl Mays Magischer Orient, Ban 4

Alexander Röder

 

Verlag Karl-May-Verlag, 2017

ISBN 9783780214041 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

Erstes Kapitel


Das schwarze Schiff


Über dem Schwarzen Meer tobte ein Sturm und peitschte die finsteren Fluten unter den düsteren Wolken einher. Es ging auf Mitternacht zu und die Blitze sandten ihren irrlichternden Schein auf das Deck des Dampfschiffs, welches durch die Dünung stampfte. Der Sturm war noch um einiges entfernt, doch die Regungen der Elemente wirkten bereits kraftvoll auf den eisernen Rumpf ein, ließen ihn wanken und schwanken, aber die mächtige Maschine hielt das Schiff auf Kurs, und Bug und Kiel schnitten schnell durch das dunkle Wasser.

Ich stand an der Reling und atmete die von Gischt durchsprühte Luft ein, während der Wind an meiner Öljacke zerrte. Es war ein herrliches Gefühl! Nach den staubigen Landstraßen des Balkan, den trockenen Schründen der Berge, den von Sommersonne durchglühten Tagen im Sattel genoss ich diese Überfahrt, die mich und meine Gefährten von Istanbul aus an die östliche Küste jenes Binnenmeers bringen sollte, welches auf Türkisch Karadeniz hieß, was eben Schwarzmeer bedeutet und somit mit jenem Namen korrespondiert, welchen ich auf meinen Reisen im Orient zu tragen pflege.

Mein Gefährte Halef, der sich neben mir an Stangen und Taue klammerte, hatte jedoch gar nichts Schwarzes an sich, zumindest oberhalb des dunkelnass glänzenden Ölzeugs: Sein Gesicht war fahl und bleich im dann und wann aufgrellenden Gewitterlicht, und seine Miene zeigte nichts von dem, was ich empfand, sondern nur Unwohlsein und Ungemach.

Ich selbst und meine Leser hätten nun erwartet, von Halef einen launigen, vielleicht etwas klagenden Satz zu hören, der mit „O Sihdi“ beginnen würde; allein, Halef schwieg, weil er sich nicht getraute, den Mund zu öffnen, und dies lag nicht daran, dass er etwa befürchtete, mit der Gischt einen aus dem Meer geschleuderten Schwarzmeerfisch zu verschlucken. Nein, der gute arme Halef war ein wenig seekrank und schlaflos noch dazu, weswegen er sich um diese späte Stunde zu mir an Deck gesellt hatte. Ich wusste, dass er Haschim beneidete, der in seiner Kabine selig schlief. Ob diese Ruhe im Sturm dem edlen und klugen Mann, der unser Freund war, nun gegeben sein mochte, weil er als Scheik mit seinem Körper und seiner Seele im Einklang war, oder ob es doch daran lag, dass er ein Zauberer, ein Magier war, das mochte ich kaum entscheiden. Es gab schließlich auch sehr irdische Mittel, um sich einen gesunden und tiefen Schlaf sogar bei widrigen Umständen zu ermöglichen. Selbst ich, der ich kein Arzt oder Apotheker war, wenngleich ich auf meinen Reisen oft für einen solchen gehalten worden war, wegen meines kleinen Vorrats an Heilmitteln und weil der Orientale einen Europäer, insbesondere einen Franken, einen Deutschen, gern für einen Arzt hält – aus welchen Gründen auch immer – selbst ich also kannte genug Pülverchen und Tinkturen und Kräuter, die einen erholsamen Schlummer befördern. Manche greifen natürlich zu einem tüchtigen Schluck eines jener starken Getränke, die man auch geistige nennt – doch ist dies dem frommen Moslem, wie mein Freund Halef einer ist, ja durch seinen Glauben verwehrt, was nichts weniger als klug ist. Jene Männer jedoch, die der Religion der Seefahrt anhängen, trinken allzu gerne ihren Rum, vielleicht mit etwas heißem Wasser als Grog, und so schlafen sie stets prächtig, wenn sie es denn dürfen, also auf Freiwache. Was nicht heißt, dass jene, die Dienst versehen müssen, nicht auch einen ordentlichen Trunk zu sich genommen hätten, zumal in einer kühlen Gewitternacht auf dem Schwarzen Meer.

Die Matrosen, die ich als schwarze Schemen zwischen den Schatten der beiden Masten und des Schlotes erkennen konnte, hatten sich allerdings nicht mit karibischem Rum von innen gewärmt, sondern mit russischem Wodka; denn jenes Schiff, die „Knjas Korowjew“, also Fürst Korowjew, war ein Parochod der Russischen Gesellschaft für Dampfschifffahrt und Handel, im russischen Faible für Abkürzungen auf Russisch auch ROPiT genannt. Diese Reederei aus Odessa ist erst vor knapp zwanzig Jahren auf Betreiben Zar Alexanders gegründet worden, stellt aber mit ihren über sechzig Schiffen bereits ein äußerst wichtiges Unternehmen im Seehandel zwischen den Reichen Russlands und der Osmanen dar. Die Frachter selbst entstammen englischen und französischen Werften, was davon zeugt, dass selbst ein solch schreckliches Ereignis wie der Krieg auf der Krim rasch vergessen ist, wenn es um internationale Geschäfte geht. Aber ich will nicht moralisieren. Auch wenn ich ein Mann des Sattels bin und einen geschwinden Ritt schätze, so war ich doch zufrieden, die Strecke zwischen Bosporus und Kaukasus nicht auf dem Landweg zurücklegen zu müssen, denn es eilte durchaus. Meine Gefährten und ich hatten zwar unseren alten Feind, den Schut besiegt und sein Reich des Unrechts und der Ausbeutung zerstört, doch nun waren wir auf der Jagd nach jener Frau, die dem Schurken gedient und uns alle getäuscht und betrogen hatte: der Hexe Qendressa. Diese war vor uns geflohen, oder nein, ich will ehrlich sein: Sie hatte uns geschmäht und war ihrem weiteren Plan gefolgt, den Lohn für ihre Dienste und ihren Verrat einzufordern, und zwar bei des Schuts Bruder, dem Schwarzkünstler Al-Kadir, welchen sie aufzusuchen gedachte. Dass dieser tot war und nun in jenen überirdischen Gefilden herrschte, die von Anhängern der Magie das Geisterreich genannt wurden, war eine andere Sache. Mir waren diese Dinge allzu suspekt, zu nahe am Aberglauben und gauklerhaftem Geraune. Dennoch hatte ich in den vergangenen Monaten bei meinen jüngsten Reisen und Abenteuern so manches erlebt und geschaut, das sich nicht mit dem nüchternen Verstand eines modernen, von Wissenschaft und Technik geprägten Menschen erklären ließ. Nun aber, nach den Erlebnissen mit Al-Kadir, vor allem aber dem Schut und seinen Helfershelfern, war ich mir nicht mehr sicher, ob ich damals nicht auf eine gewisse Weise blind gewesen war – und nicht hatte sehen wollen, an was ich nicht glauben mochte. Doch mein kluger kleiner Freund Halef hatte einmal weise gesagt:

„Man muss an das glauben, was man sehen will, Sihdi.“

Ich meinte damals, dass sich dies nur auf den religiösen Glauben beziehe, obwohl man auch sagen könnte, dass es sich mit der Wissenschaft ähnlich verhält. Doch dass es auch auf Magie und Zauberei zuträfe und auf die Wesen und Gestalten der Fabeln und Märchen, das hätte ich kaum für möglich gehalten. Aber haben frühere Generationen nicht auch Blitz und Donner für ein Spektakel der Überirdischen gehalten? Heute wissen wir, um was es sich wirklich handelt: um elektrische Entladungen in den Dunstkreisen des Himmels, also dem, was der Meteorologe eine Atmosphäre nennt. Vielleicht verbarg sich hinter der Magie und Zauberei ja auch etwas anderes, so wie das vormals göttliche Donnergrollen am Ende nur die Elektrizität des Himmels war.

Deshalb stand ich an Deck des Dampfers und spürte mit Genugtuung das Stampfen der Maschinen im Leib des Schiffs und das Bäumen und Gieren des Rumpfes im Kampf mit den Wogen, und den Wind und den Regen. Diese Dinge trogen nicht, sie waren wahr und wahrhaftig und ließen sich weder auslegen noch diskutieren oder hinterfragen. Mochte die von uns Gejagte eine Hexe sein, mochte der, den sie finden wollte, ein Magier in der Geisterwelt sein – am Ende verfolgten wir eine ganz menschliche Verräterin. Und ich will nicht selbstgerecht und grausam klingen. Ich wusste wohl, dass diese Frau mich und uns zwar betrogen hatte, aber von den Verbrechern ihrerseits betrogen worden war und für sich selbst wiederum Rache und Gerechtigkeit forderte – jedoch nicht gegenüber uns. Wir würden mit unseren eigenen Ansprüchen auf Gerechtigkeit und Rache sehr weise umgehen müssen. Und so war ich froh, dass uns Abdi auf dieser Reise nicht begleitete, sondern in Istanbul geblieben war. Er war von der Hexe entführt und verletzt worden – und hatte ihr blutige Rache geschworen. In den Wochen danach war sein Zorn auch durch unsere besänftigende Gegenwart verraucht, doch ich wollte nicht, dass er sich zu unbedachten Taten hinreißen ließ. Mit einem allzu wütenden Gefährten ist schlecht reisen und kämpfen. Deshalb hatte er mein ernstes Versprechen angenommen, dass wir für Sühne sorgen würden. Ich glaubte ohnehin, dass Abstand zu all jenen Geschehnissen für den jungen Koch heilsamer wäre, als wenn er sich die Hände mit Blut und die Seele mit Sünde befleckte.

Warum reisten wir also gen Osten, mit Ziel Kurdistan? Weil Haschim Kunde davon hatte, dass sich in dieser Weltgegend der vom Balkan aus gesehen nächstgelegene Ort befand, an dem ein Portal in die Welt der Geister führte, und dieser somit das Ziel der Hexe sein musste, die Al-Kadir aufsuchen wollte. Doch es hatte sich noch eine andere Sache herausgestellt, die mich, der ich auf meinen Reisen mit glückhaften Begegnungen und Wendungen des Schicksals so meine Erfahrungen gemacht habe, nun wahrlich wenig verwunderte. Haschim hatte von einer weisen, alten Frau gesprochen, die im Lande der Kurden lebte und die wohl wissen müsste, wo genau sich das Portal befinde. Bei dieser...