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Soul Mates, Band 2: Ruf der Dunkelheit (Unvergessliche Romantasy von SPIEGEL-Bestsellerautorin Bianca Iosivoni)

Bianca Iosivoni

 

Verlag Ravensburger Buchverlag, 2018

ISBN 9783473478910 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

Kapitel 1

Als Kind hatte ich Angst vor den Ungeheuern, die in der Dunkelheit lauerten. Doch was, wenn sich die Dunkelheit in Wahrheit vor mir fürchten musste? Zumindest mieden die Männer und Frauen, die jetzt aus den Schatten traten, meinen Blick und kamen mir keinen Schritt zu nahe. Diese Reaktion hatte ich in den letzten Wochen im Hauptquartier der Dunkelseelen öfters erlebt.

Der kühle Nachtwind wehte mir ein paar Haarsträhnen ins Gesicht. Trotz meiner Nervosität zitterte meine Hand nicht, als ich sie mir hinters Ohr schob. Nach außen hin wirkte ich völlig ruhig, auch wenn mein Herz so laut hämmerte, dass ich sicher war, jeder könnte es hören.

Vor uns erstreckte sich das Fabrikgelände am Rande Chicagos, das die Lichtseelen als Notfall-Stützpunkt nutzten, wie nach dem Angriff bei der Hütte im Wald. Grau und düster erhob das Gebäude sich in den Nachthimmel. Scheiben waren eingeschlagen, Efeu rankte sich an den Steinen empor und Unkraut wucherte in jeder Ecke. An den Wänden prangten Graffiti. Bunte Schmierereien, die kaum noch zu entziffern waren, weil Regen und Wind ebenfalls ihre Spuren an den Mauern hinterlassen hatten. Selbst im Licht des Mondes wirkte es verlassen – zumindest für die Dunkelseelen und Gray, der jetzt an meine Seite trat. Sein hellbraunes Haar war in den letzten Wochen länger geworden. Wie die Männer und Frauen um uns herum war er in Schwarz gekleidet, nur trug er zu seinem Langarmshirt eine Jeans, die genau wie meine eigene schon bessere Zeiten gesehen hatte. Als er den Kopf drehte und mich ansah, wirkten seine grauen Augen beinahe so dunkel wie die Wolken, die sich hin und wieder vor den Mond schoben.

»Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?«, fragte er skeptisch. Er sah wieder nach vorne und ich folgte seinem Blick.

Ich wusste, was er wahrnahm – die Illusion, die Jeff und ich damals erschaffen und mit unserem Blut hier verankert hatten. Es war eine Art Momentaufnahme des Fabrikgeländes: leer, verlassen und dunkel. In der nächsten Sekunde erkannte ich das Gebäude hinter dem Trugbild ebenso wie die Lichter im obersten Stockwerk und die Bewegungen, wenn jemand drinnen an den Fenstern vorbeiging.

»Sie sind hier«, erwiderte ich knapp. Ich konnte nur hoffen, dass auch meine Zielperson anwesend war – oder schleunigst hier auftauchen würde, damit diese ganze Aktion nicht umsonst war. »Geht durch die Illusion hindurch, dann seht ihr es.«

Gray nickte der Dunkelseele zu, die ihm am nächsten stand. Der Mann gab den anderen ein Zeichen, dann verschmolzen sie wieder mit der Finsternis. Für einen kurzen Augenblick waren Gray und ich allein.

»Alles in Ordnung?«, fragte er leise.

Ich presste die Lippen aufeinander und nickte, ohne ihn anzusehen. Aber ich hätte wissen müssen, dass er mich besser kannte.

Behutsam legte er seine Hand an mein Gesicht und drehte es zu sich, sodass ich seinem Blick nicht länger ausweichen konnte. »Sicher?«

Wieder ein Nicken.

»Du weißt, was du zu tun hast?«

Diesmal zwang ich mich zu einer Antwort: »Ja.«

»Gut.« Er strich mir über die Wange, dann ließ er seine Hand sinken. »Halte dich an den Plan und keiner wird verletzt. Wir wollen niemandem schaden, wir brauchen nur diese Information.«

Er hatte leicht reden, er musste ja nicht im Kopf eines anderen herumwühlen. Und trotz allen Trainingsstunden mit Lauren fiel es mir nach wie vor schwer … Sie hatte es mich wieder und wieder üben lassen, bis ich so viele Erinnerungen der Dunkelseelen gesehen hatte, dass ich mich erbrach. Sie hätte weitermachen können, mich dazu zwingen können, mit meinem Training fortzufahren. Stattdessen hatte sie mich beiseitegenommen und die fremden Erinnerungen aus meinem Kopf gelöscht, damit ich wieder frei atmen konnte, ohne das Gefühl zu haben, an der Last der Bilder zu ersticken. Wie sie selbst mit all den Erinnerungen von anderen Leuten leben konnte, würde ich nie begreifen.

»Es ist so weit«, murmelte Gray und sah von seinem Handy auf. »Wir lenken sie ab und geben dir Rückendeckung.«

Wir waren den Plan so oft durchgegangen, bis ich ihn im Schlaf aufsagen konnte. In der Theorie war alles klar. Es war die Praxis, die mir Sorgen bereitete.

Beinahe gleichzeitig setzten Gray und ich uns in Bewegung und durchbrachen die Illusion, die das Gebäude schützte, während ich eine neue aufbaute, die uns mit unserer Umgebung verschmelzen ließ. Wir kamen gerade mal ein paar Schritte weit, als die Tür im Erdgeschoss aufging und eine junge Frau heraustrat. Mit ihrer dunklen Haut und der schwarzen Kleidung war sie im ersten Moment kaum auszumachen. Nur das Blitzen der beiden Klingen in ihren Händen verriet sie.

Augenblicklich setzten sich die Schatten in Bewegung und stürzten auf sie zu. Gray verschwand von meiner Seite, und einen Moment lang sah ich dem Nebel nach, der über den Boden Richtung Eingang kroch. Ich folgte ihm langsam, nutzte meine Illusionen, um mich vor den Blicken aller zu verbergen, und schlich an der Hauswand entlang, bis ich die Tür ebenfalls erreicht hatte.

Ein feuchter, modriger Geruch schlug mir entgegen und weckte längst vergessene Erinnerungen.

Der Moment, in dem ich hier aufgewacht war, orientierungslos und verletzt, nachdem ich einen Teil von Colts Wunden auf mich genommen hatte, um ihm das Leben zu retten.

Colt …

Licht blitzte auf und riss mich aus meinen Gedanken. Schatten wirbelten herum. Kampfgeräusche drangen an mein Ohr. Aber ich konnte mich nicht umsehen, da ich meine ganze Konzentration benötigte, um meine Illusion aufrechtzuerhalten und vorwärtszukommen.

Ohne Zeit darauf zu verschwenden, die ersten Etagen abzusuchen, nahm ich die Treppe nach oben. Nach dem, was ich von draußen gesehen hatte, hielten sich die Lichtseelen hauptsächlich im obersten Stockwerk auf. Als ich dort ankam, ließ ich meine Illusion verschwinden und rannte den Gang hinunter. Ab jetzt zählte jede Minute. Mein Brustkorb schmerzte von den schnellen Atemzügen, aber darauf konnte ich keine Rücksicht nehmen. Diese Mission in die Länge zu ziehen, würde unweigerlich Verletzte auf beiden Seiten bedeuten.

Als ich Jeff endlich entdeckte, seufzte ich erleichtert. Er stand am Rande des Gefechts in der großen Halle, in der ich einst verwundet aufgewacht war. Sein Haar war verstrubbelt, er hatte die Stirn in Falten gelegt, die Arme gehoben und versuchte, die Gegner mithilfe von Illusionen zu verwirren. Erstaunlich, dass niemandem auffiel, dass die Dunkelseelen Jeff mieden. Stattdessen griffen sie alle anderen an, vor allem die Krieger der Lichtseelen.

Ich blendete meine Gedanken aus, bevor sie zu Colt wandern konnten, bevor ich meinen Blick durch den Raum schweifen lassen und nach ihm suchen konnte. Obwohl sich alles in mir dagegen wehrte, wandte ich mich ab. Meine Aufgabe war es lediglich, Lauren die Information zu beschaffen, die sie benötigte. Nicht mehr und nicht weniger.

Leise schlich ich in einem großen Bogen um Jeff herum. Er war zu beschäftigt damit, den Lichtseelen zu helfen, um mich zu bemerken, denn die Sicherheit seiner Freunde war ihm wichtiger als seine eigene. Und diese Loyalität sollte ihm jetzt zum Verhängnis werden.

Ich trat hinter Jeff und legte die Fingerspitzen an seine Schläfen. Er versteifte sich im selben Moment, in dem ich in seinen Geist eindrang. Bilder zuckten an mir vorbei. Ich versuchte, sie zu ignorieren und so vorzugehen, wie Lauren es mir beigebracht hatte. Zuerst suchte ich nach der betreffenden Person in seinem Gedächtnis, dann folgte ich dieser Erinnerungsspur wie einem roten Faden. Leider hegte Jeff eine Menge Erinnerungen an William, den ehemaligen Anführer der Lichtseelen, aber ich hatte lange genug trainiert, um sie eine nach der anderen mit derselben Gelassenheit fortzuwischen, als würde ich auf einem iPad die Seiten eines Buches weiterblättern.

Meine Fingerspitzen begannen zu kribbeln. Mein Herzschlag beschleunigte sich. Ich hatte es fast geschafft. Obwohl ich spürte, wie sich uns jemand näherte, wagte ich es nicht, die Augen zu öffnen. Die Verbindung zu unterbrechen, bevor ich fertig war, konnte großen Schaden anrichten. Ich hatte es gesehen, hatte es selbst getan. Lauren zufolge lernte man nur aus Fehlern.

Ich ging weiter, grub noch tiefer. Erinnerung um Erinnerung zog vor meinem inneren Auge vorbei. Ich sah, wie Jeff mit William sprach, wie er seine Sorgen über Livs Zustand während der ersten Zeit bei den Lichtseelen mit ihm teilte, wie er von ihm unterrichtet wurde und sich gemeinsam mit William, Colt und den anderen Jungs ein Spiel der Chicago Bulls anschaute. Ich prüfte jede einzelne kurz und ließ sie dann über mich hinwegspülen wie die Wellen eines Ozeans, die ich genauso wenig festhalten konnte wie diese Bilder. Doch der frische Geruch des Meeres blieb bestehen und wurde von einem holzigen Duft ergänzt, der nicht so recht ins Bild passte. Bevor ich einen klaren Gedanken fassen konnte, packte mich jemand an der Taille und riss mich mit sich.

Ich landete hart auf dem Boden. Ellbogen und Rippen schmerzten, meine Handkante war aufgeschürft, aber ich nahm all das nur als dumpfes Pochen wahr. Viel stärker war das plötzliche Hämmern in meiner Brust, denn ich wusste instinktiv, wer mich von Jeff weggerissen hatte. Ich spürte seine Präsenz, noch...