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Der Schmetterlingsjunge - Psychothriller

Max Bentow

 

Verlag Goldmann, 2018

ISBN 9783641219741 , 400 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

ZWEI

Trojan stürmte in die fremde Wohnung. Die Waffe am Anschlag sicherte er die erste Tür und stieß sie dann mit dem Fuß auf. Er ging hinein, scannte das Zimmer mit Blicken. Niemand. Auf der anderen Seite des Flurs ein weiteres Zimmer. Auch hier war die Tür nur angelehnt. Ein Tritt dagegen, ein Schritt nach vorn, und er war drin. Die Waffe mit beiden Händen umklammert, die Arme ausgestreckt. Lage checken. Nichts.

Da vernahm er das leise Rauschen am Ende des Flurs. Langsam näherte er sich der verschlossenen Tür. Wasser plätscherte dahinter. Er atmete ein paarmal durch, dann drückte er die Klinke und machte einen Satz hinein.

»Kriminalpolizei! Keine Bewegung!«

Der alte Mann stand vor der Badewanne, bloß mit einem Handtuch bekleidet, das locker um seine Hüften geschlungen war. Er wandte sich langsam zu ihm um. Silbriges Brusthaar, hängende Haut. Ein dichtes Muster von Leberflecken.

Grimmig lächelnd sah er Trojan an.

»Schon mal was von Anklopfen gehört? Ich möchte ein Bad nehmen.«

Der Wasserhahn war aufgedreht, die Wanne zur Hälfte gefüllt. Die Hand des Alten glitt zur Seifenflasche hin.

»Ich sagte: keine Bewegung!«

Unbeirrt schnappte er sich die Flasche und schraubte sie auf. »Ist mit Rosmarinöl. Gut für meinen Rücken.«

»Beide Hände hinter den Kopf!«

Der Alte ließ ihn nicht aus dem Blick, während er die Seife in das Wasser laufen ließ.

»Was wird mir denn vorgeworfen, Kommissar?«

»Der Mord an einer jungen Frau. Sie war eine Nachbarin.«

»Diese alte Geschichte. Ist doch Jahre her.«

»Mord verjährt nicht.«

»Und wenn es nun ein Totschlag war?«

Trojans Mundwinkel zuckten.

Der Alte grinste. »Ich steig jetzt erst mal in die Wanne.«

»Keine Tricks!«

Langsam schraubte er die Flasche zu und stellte sie auf den Wannenrand. Danach nestelte er an seinem Handtuch.

»Vielleicht bin ich ja unschuldig.«

»Klären wir auf dem Revier.«

Er grinste nun so breit, dass seine Goldkronen aufblitzten. »Mir kommt da gerade eine bessere Idee.«

»Ach ja?«

»Erschieß mich, Bulle. Dann ist der Fall für dich erledigt.«

Trojan richtete den Lauf der Waffe erst auf seine Knie, dann auf seine Brust.

»Na los doch. Puste mir den Schädel weg.«

Trojan zielte auf den Kopf. Nur nicht provozieren lassen. Doch die Wut begann in ihm zu kochen. Der Zorn beschleunigte seinen Puls.

»Traust du dich nicht?«

»Hände hinter den Kopf!«

»Ach, komm schon. Drück einfach ab. Oder bist du ein Feigling? Na los, Bulle! Nur zu!«

Eine Schweißperle kroch über seine Wange. Sein Finger am Abzug war gekrümmt.

Das Wasser sprudelte in die Wanne. Wo der Strahl auf die Oberfläche traf, bildeten sich schillernde Blasen und zerplatzten.

»Worauf wartest du noch? Mach mich weg. Mach mich einfach weg.«

Sie sahen sich reglos an.

Da öffnete der Alte sein Handtuch.

»Hier. Ich zeig dir was.« Er ließ das Tuch auf den Boden gleiten und schob die Hüften vor. »So sieht ein Mann aus! Beeindruckt?« Er schnaufte verächtlich. »Du bringst es einfach nicht. Hast es nie gebracht.«

»Ein letztes Mal, und ich …«

Er streckte beide Arme zur Seite aus. »Komm schon! Drück ab.«

Ein Schmerz hämmerte hinter Trojans Schläfen. Bloß nicht provozieren lassen. Seine Kiefer malmten.

»Schwächling! Versager! Ich hab’s immer gewusst.«

»Sie kennen mich doch gar nicht!«

»Und wie ich dich kenne. Du bist ein verdammtes Weichei, Nils!«

Trojan sog die Luft zwischen den Zähnen ein. »Woher kennen Sie meinen Namen?«

Der alte Mann hob höhnisch das Kinn. »Kein Wunder, dass dir die Frau weggelaufen ist!«

Ein letztes Zögern. Trojan kniff die Augen zusammen. Lichtflecken explodierten hinter seinen geschlossenen Lidern.

Er riss die Augen auf und drückte ab. Einmal, zweimal, dreimal. Er zielte direkt auf die Stirn. Das Blut spritzte an die Kacheln. Er feuerte immer weiter. Viermal, fünfmal, sechsmal. Hirnmasse rann über die Fliesen. Der Alte krümmte sich auf dem Wannenrand zusammen. Ein letzter Blick zu ihm hin, voller Verachtung. Dann brachen seine Pupillen, und er klatschte ins Wasser.

Trojan trat näher heran und starrte auf den Leichnam im blutgetränkten Seifenschaum.

Mit entsetzlicher Verzögerung begriff er, wen er soeben erschossen hatte.

»Vater!«, schrie er.

Er schreckte hoch. Sein Bettzeug war zerwühlt.

War das wirklich sein Vater gewesen, dem er gerade mehrere Kugeln in den Kopf gejagt hatte?

Kein Zweifel, er war es.

Ruhig, ganz ruhig, dachte Trojan, nur ein Traum.

Atemlos fingerte er nach dem Handy auf seinem Nachttisch. Er sollte seinen Vater sofort anrufen.

Ihm war, als müsste er sich auf der Stelle für das entschuldigen, was er in seinem Albtraum angerichtet hatte.

In diesem Moment rief Emily von draußen.

»Paps, alles in Ordnung?«

»Ja, Em, ich bin gleich bei dir.«

In T-Shirt und Boxershorts schwang er sich aus dem Bett, öffnete die Tür und ging in die Küche, wo es nach frisch aufgebrühtem Kaffee duftete.

Er gab seiner Tochter einen Kuss auf die Wange. »Hast du gut geschlafen?«

»Ja. Und du?«

»Mäßig.«

Sein Dienstplan hatte es endlich wieder erlaubt, dass seine Tochter bei ihm übernachten konnte.

»Tut mir leid, Paps. Ich muss jetzt los.«

»Ist es schon so spät?

Sie nickte. »Viertel nach sieben.«

»Wir wollten doch zusammen frühstücken.«

»Hab schon vor einer Weile an deine Tür geklopft.«

»Verzeih. Nichts gehört.«

Er lächelte sie an. Das Haar trug sie wieder lang. Er bewunderte ihre blonden Locken, ihre strahlenden Augen.

»Gut siehst du aus.«

»Danke, Paps. Und ist bei dir wirklich alles okay?«

»Hab komisch geträumt. Von deinem Großvater.«

»Ach ja? Wie geht es ihm eigentlich?«

»Keine Ahnung.«

»Ruf ihn mal wieder an.«

»Das hatte ich gerade vor.«

»Also, ich muss mich beeilen. Grüß ihn von mir, wenn du mit ihm sprichst, ja?«

»Mach ich, Emily.«

Sie zog sich Schuhe und Jacke an, winkte ihm noch einmal zu und verschwand aus der Wohnung.

Trojan goss sich Kaffee ein und trank einen Schluck. Danach duschte er, zog sich an und griff erneut zum Telefon.

Sein Vater hob nach dem dritten Klingeln ab.

»Ich bin’s. Nils.«

»Welch seltene Überraschung. Und das am frühen Morgen.«

»Ich dachte, ich sollte mich mal wieder bei dir melden. Was machst du gerade?«

»Ich frühstücke. Danach lasse ich mir ein Bad ein.«

Trojan schluckte. Erneut sah er die Blutspritzer auf den Fliesen vor sich.

Woher nur der Hass in seinem Traum?

Die Vergangenheit war ungeklärt. Woche um Woche hatte er das Gespräch mit ihm aufgeschoben, Monat um Monat.

Und nun platzte es aus ihm heraus: »Wir müssen über Susanna Halm reden.«

Es entstand eine Pause.

»Du weißt schon. Unsere Nachbarin vor vielen Jahren. Als ich noch ein kleiner Junge war. Ihre Ermordung. Wir müssen das endlich klären.«

»Ja.«

»Wann kann ich zu dir kommen?«

Er schwieg.

»Geht es vielleicht noch heute?«

»Warum hast du es mit einem Mal so eilig?«

»Es duldet keinen Aufschub mehr. Ich brauche von dir eine Aussage. Du musst mir alles genau erzählen, von Anfang bis Ende. Und wenn ich weiterhin Zweifel an deiner Unschuld habe …«

»Ich weiß, Nils. Ich weiß, was du vorhast. Du willst deinem eigenen Vater an den Kragen.«

»Bedenke mal, welchen Beruf ich habe.«

»Du bist ein Bulle geworden. Das konnte ich dir leider nicht ausreden.«

»Mag ja sein, aber es würde auf deine Verhaftung hinauslaufen. Ich selbst müsste das veranlassen.«

»Ich bin weit über siebzig.«

»Mord verjährt nicht.«

»Das ist mir vollkommen klar.«

Nach einer Pause sagte Nils leise: »Du hast Susanna Halm erschlagen, nicht wahr? Damals. Ich hab es doch beobachtet. Ich war fünf Jahre alt. Ich hockte auf dem Baugerüst. Ich sah zum Fenster herein. Und du hast sie erschlagen.«

Richard Trojan schwieg. Danach sagte er knapp: »Du erledigst also nur deinen Job, ja? Was du dabei für mich empfindest, spielt wohl keine Rolle.«

»Vater, hör mal … Es fällt mir ganz und gar nicht leicht. Natürlich bin ich in der Angelegenheit befangen. Aber sollte es wahr sein, bin ich zumindest verpflichtet, es meinem Vorgesetzten zu melden. Andererseits trifft mich eine Mitschuld. Und ich riskiere … ja, ich riskiere meinen Job.«

Die Stimme seines Vaters war schneidend. »Ich habe verstanden.«

»Vater, ich …«

Ein Signalton gab an, dass jemand in der Leitung wartete. Trojan sah aufs Display. »Ich rufe gleich zurück. Es ist was Dienstliches.«

»Natürlich. Lass dir Zeit, mein Junge. Lass dir einfach Zeit.«

»Nur eine Sekunde. Okay?«

»Ich lege jetzt auf.«

»Vater, bitte …«

Es klickte. Richard Trojan hatte das Gespräch beendet.

Mit einem Seufzer tippte Nils auf das Display und empfing den anderen Anruf.

Es war Steffie.

»Nils? Du musst kommen. Es ist dringend.«

Sie nannte ihm die...