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Geschichte(n) der Lüge - Amüsantes und Skandalöses rund ums 8. Gebot

Harald Specht

 

Verlag engelsdorfer verlag, 2013

ISBN 9783869011288 , 462 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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2. Warum Gottes Geschöpfe lügen


Wer überleben will, der lüge!


„Das Schlimmste ist das falsche Wort, die Lüge,

Wär’ nur der Mensch erst wahr, er wär auch gut.“

(Franz GRILLPARZER)

Mit seiner einseitigen Betrachtung der Lüge entspricht der österreichische Schriftsteller und Dramatiker Franz GRILLPARZER (1791-1872) „genau der landläufig naiven Meinung, daß Lügen im moralischen Sinne schlecht sei.“ /64/ So ganz ist aber der erhobene Zeigefinger gegen die hinter dem Rücken gekreuzten Finger nicht berechtigt. Denn ob Lügen per se moralisch zu verurteilen ist, bleibt noch zu hinterfragen.

Verurteilt wird Lügen besonders dann, wenn dadurch die Normative einer Gesellschaft so weit außer Kraft gesetzt werden, daß Schaden für viele oder den einzelnen entsteht. „Wer einmal (in dieser Form) lügt, dem glaubt man nicht“. Das notwendige Verrauen fehlt, und „auch wenn er dann die Wahrheit spricht“, wird man bei wichtigen Entscheidungen nicht mehr auf diesen Lügner hören. Sicher kennt jeder das pädagogisch orientierte Märchen von dem Lügner, der wiederholt ein Dorf rebellisch machte, weil angeblich ein Wolf in die Schafherde eingedrungen sei. Mit dem Ruf „Der Wolf ist da, der Wolf ist da“ gelang es dem hochstaplerischen Lügenbold, mehrfach das Dorf zu foppen. Als dann wirklich eines Tages der Wolf seine Schafe riß, nützte natürlich sein Hilfeschrei nichts mehr. Keiner kam zu Hilfe, man glaubte seinen Beteuerungen verständlicherweise nicht mehr. Lügen auf existenziellem Gebiet wird also zu recht stark von uns Menschen verurteilt. Daher sollte man sich auch mit der Unwahrheit zurückhalten, wenn es um Leben und Tod geht. Falsche Hilferufe werden dann nicht mehr ernst genommen. Daß es solcherart vermeintlicher Witz-Lügen nicht nur im Märchen vom Wolf, sondern auch in unserer Wirklichkeit gibt, zeigt eine Episode, die Nigel BLUNDELL dokumentierte: /70/

„Der Fahrer einer Straßenwalze auf der M 5 war stolz auf das Sprechfunkgerät in seinem Führerhaus.

Eines Nachmittags stürmte es, und er funkte an die Zentrale seiner Baufirma: ‚SOS … schreckliches Wetter … ich mach’ jetzt ’ne Notlandung.’ In dieser Nacht wurde mit Schiffen und Flugzeugen in einer großangelegten Rettungsaktion im Kanal von Bristol nach den Überlebenden eines Flugzeugunglücks gesucht. Alle Schiffe, die die mutmaßliche Unglücksstelle passierten, wurden alarmiert, die Küstenwachen setzten zusätzliche Patrouillien ein, Rettungsmannschaften wurden auf ihren Schiffen in Alarmbereitschaft versetzt, und die Luftwaffe machte eine Maschine startklar.“

Menschen lügen im wesentlichen aus drei Gründen, die jedoch in unübersehbar großer Zahl verschiedener Situationen vielfältig und facettenreich ausfallen wie dann die Lügen selbst.

Die drei Urgründe sind:

  • dem Gegenüber zu schaden oder sich an ihm zu rächen, es ist ihr Gegner oder Feind
  • dem Gegenüber zu helfen oder abzuschirmen, es ist ihr Schutzbefohlener oder Freund
  • dem Gegenüber im Vorteil zu sein, es ist ihr Gegenspieler oder Mitbewerber.

In allen Fällen ist die Lüge für sie eine Vorteils-Strategie. Eine in der Natur und im sozialen Umfeld erworbene Technik und Taktik und ein am Mitmenschen erprobtes Kalkül der Übertölpelung, vom immer mehr aufrecht gehenden Menschen als immer mehr gängige Unaufrichtigkeit genutzt und nach und nach vervollkommnet. Auch dies also ein Ergebnis der Evolution: Die Lüge als „der Wetzstein, an dem sich unsere Intelligenz schärfte“. /56/

Wie sich das Lügen vom Niederen zum Höheren entwickelte, mag man angesichts der Lügner auf vier Beinen erkennen, die sicher schon lange vor uns Menschen entdeckt hatten, das man länger lebt, wenn man nur geschickt zu täuschen weiß.

Nehmen wir einen näheren Verwandten von uns: den in Süd- und Mittelamerika beheimateten Brüllaffen der Gattung Alouatta. Wenn man seine weit aufgerissenen erstaunten Augen und den kreisrunden Brüllmund sieht, mag man um sein Leben fürchten. Scheinbar wirkt die evolutionär erworbene Lügenmaske sogar auf unsere Art homo sapiens, obwohl sie doch exakt auf die Mitaffen seiner Art modelliert wird. Herzzerreißend schreit da einer, als risse man ihm die langen Arme und Beine gleichzeitig aus. Ein unübersehbares und unüberhörbares Signal, optisch wie akustisch ausgefeilt und häufig dazu genutzt, um deftig zu täuschen und zu trügen. „Viel Geschrei und nichts dahinter: der Brüllaffe, ein Meister des Bluffs“, so die entlarvende Bildunterschrift in einem Artikel über Tierlügen. /42/ Die etwa 60 cm großen Neuweltaffen haben ihren Namen zurecht, ist doch ihr „unvermutet zu jeder Tageszeit hervorbrechendes Brüllkonzert …“ noch „etwa 2 – 5 km weit hörbar“. /43/Andere berichten sogar von Hörweiten bis zu 20 km, /42/ aber vielleicht übertreibt hier die Säugetier-Gattung der Homonidae nicht weniger als das kapuzinerartige Säugetier und somit der Berichterstatter Homo sapiens nicht weniger als der Brüllaffe.

Der markerschütternde Schrei der Affen dient nicht nur dazu, entfernter lebende arteigene Affentrupps vor der eigenen Gruppe zu warnen, sondern auch dazu, sich andere Nahrungs-Konkurrenten vom Hals zu halten. Man täuscht lautstark Stärke vor, und niemand würde es wagen, auch nur in die Nähe der brüllenden Herde zu kommen.

„Die Motive für die alltäglichen kleinen Unwahrheiten und Übertreibungen sind dabei die gleichen wie beim superschlauen Homo sapiens. Da müssen Feinde, Konkurrenten oder Beuteltiere ausgetrickst werden. Wer besonders gut schwindelt und blufft, kann sich das Leben erleichtern und in vielen Fällen sogar retten. Kooperation und Täuschung sind eng verschwistert. Wer nicht lernt, Signale zu erkennen und zu befolgen, geht in der Evolution unter. Sobald es jedoch anerkannte Signale gibt, können diese auch betrügerisch genutzt werden.“ /42/

Und die Brüllaffen nutzen ihr Schreck-Geschrei, um nicht vorhandene Stärke akustisch vorzutäuschen. Nicht nur ihr Schrei geht jedem in Mark und Bein. Sie sehen beim Brüllen auch besonders gefährlich aus. Dabei wiegen diese Kelchen nur 5 bis 10 Kilogramm, ernähren sich nur von Blättern und Früchten und tun niemanden etwas zuleide.

Schon entwicklungsgeschichtlich weit unten angesiedelte Tierarten haben ihre spezifischen Täuschungsmanöver entwickelt. „So führen Glühwürmchenweibchen der Art Photinus versicolor mit gefälschten Blinksignalen die Männchen der Photinus auf den Leim, die ihnen daraufhin eine nahrhafte Mahlzeit kredenzen.“ Nicht nur ihre landläufige Bezeichnung als “Würmchen“ entspricht nicht der (biologischen) Wahrheit, sondern auch dieses Gebaren ist eine glatte Täuschung. Denn es gibt rund 2000 Arten dieser Leuchtkäfer, wobei jede ihr charakteristisches, eigenes Leuchtsignal in den Nachthimmel schickt.

Neben den in unseren Breiten bekannten Großen Glüh- oder Johanniswürmchen Lampyris noctiluca und dem Kleinen Glühwürmchen Phausis splendidula, deren weibliche Vertreter mit ganz ehrlichem Glühen nur ihre eigenen Männchen zum Sex locken, gibt es aber auch die amerikanischen Vertreter der oben genannten Gattung Photinus. Hier senden die Männchen während des Fluges Blinksignale aus, auf die ihre paarungsbereiten Weibchen dem Drang ihrer Natur folgend reagieren. Auf diese Signale antworten aber auch Weibchen der Gattung Photuris. Nähert sich ihnen nun ein lustgesteuertes Photinus-Männchen, wird es vom betrügerischen gattungsfremden Weibchen eiskalt verspeist.

Wer lügt, überlebt, wird sich die speisende Photuris-Dame denken und dabei genüßlich ihr erschwindeltes Nachtmahl verzehren. Schon Charles DARWIN (1809-1882) begriff den Betrug „als evolutionäre Strategie: Käfer knacken geheime Codes von Ameisen, um in deren bevorzugten Nahrungsrevieren zu wildern“, wie ein Text mit dem schönen Titel „Die ganze Wahrheit über die Lüge“ am schlichten Beispiel nahe legt. /175/

Während es sich im Fall der Leuchtkäfer-Lügen und Käfer-Kniffe ähnlich wie bei unserem heimischen Kuckuck und seinen Miet-Betrügereien in fremden Nestern um genetisch vorveranlagte Täuschungsmanöver handelt, haben andere Tiere das Tricksen und Täuschen einfach von anderen abgeschaut, von ihren Eltern gelernt oder per Zufall herausgefunden. So stößt der Hahn bewusst einen irreführenden Futterruf aus, auch wenn der Lustmolch mit den herbeilaufenden Hennen etwas ganz anderes vor hat. /169/ Schneehasen täuschen die Umwelt, indem sie einfach ihre Farbe wechseln und so besonders geschickt die Tarnung beherrschen. Daß dies auch Chamäleons tun, ist schon wieder eine Lüge und Legende. Sie können zwar auch ihre Farbe wechseln, aber nicht um andre zu täuschen. Sie tun dies aus Hunger oder Angst, bei zuviel Kälte oder enorner Wärme. Aber ein Tarneffekt ist ihre Farbveränderung auf keinen Fall. Nachts wird ihre Färbung sogar heller. /199/

Während jedoch die bisherigen Beispiele kaum mit unseren moralischen Maßstäben gemessen werden können und daher nur bedingt unter Lug und Trug einzuordnen sind, hat man an den uns näher stehenden Menschenaffen schon echtes Lügen und Betrügen nachgewiesen. Besonders rangniedere Tiere verschweigen ihren Artgenossen häufiger einen köstlichen Nahrungsfund, um ihn solange zu verstecken, bis sie ihn in aller Ruhe genüßlich allein verspeisen können. Und dies im vollen Bewusstsein, gegen den artgemäßen Gruppen-Kodex zu handeln. Also Lug und Trug mit Vorsatz; für sich entdeckt, geplant und raffiniert zum eignen Vorteil ausgenutzt. (Tiere sind halt auch bloß Menschen!)

Wissenschaftler, wie der Londoner Anthropologe...