Suchen und Finden
Service
So etwas wie Asyl
Tamsin Kate Walker
Verlag epubli, 2018
ISBN 9783745082029 , 57 Seiten
Format ePUB
Kopierschutz frei
I. Akt
1. Szene
Licht. Eine hypermoderne Küche/Esszimmer/Wohnzimmer-Einheit, in der AMANDA eine Zeitschrift liest und einem Pop-Song aus dem Radio zuhört, dem die Nachrichten folgen.
NACHRICHTENSPRECHER
Da weiterhin Flüchtlinge nach Europa strömen ...
AMANDA
Langweilig.
Sie sucht nach einem anderen Sender, bis sie wieder einen 80er Jahre Song findet und dreht ein bisschen lauter.
AMANDA
Oh, ich liebe diesen Song!
Sie holt eine Weinflasche und schenkt sich ein Glas ein, als sie den Schlüssel im Haustürschloss hört. Ihre 17jährige Tochter EMILY kommt herein. Schnell schaltet Amanda das Radio ab.
AMANDA
Ach, du bist’s …
EMILY
Hab dich auch lieb, Mum!
AMANDA (schaltet das Radio wieder ein, weiterhin 80er Jahre Pop)
Ich dachte, es wäre dein Vater. Wie war dein Tag?
EMILY
Ziemlich beschissen. Wie kannst du dir solches Zeug anhören? (verstellt den Sender um elektronische Musik zu suchen, dabei hören wir Wort- und Musikfetzen, darunter „Weitere Zusammenstöße”, „Flüchtlinge“ und „Mittlerer Osten”)
AMANDA
Lass das bitte.
EMILY
Was gibt’s zum Abendessen? Ich hoffe, keinen Fisch, ich esse nämlich keinen Fisch mehr.
AMANDA
Gestern hast du ihn gegessen.
EMILY
Heute esse ich ihn nicht.
AMANDA
Weshalb nicht?
EMILY
Weil er voller Plastik ist.
AMANDA
Nicht der Fisch, den ich kaufe.
EMILY
Also gibt es Fisch?
AMANDA
Nein, es gibt Hühnchen. Und bevor du fragst: Es wurde mit Mais gefüttert. (trinkt einen Schluck Wein) Ehrlich gesagt, wegen mir könnten wir auch eins aus der Legebatterie nehmen, die schmecken doch genauso.
EMILY
Es geht nicht darum, wie sie schmecken, Mum. Es geht um die Art und Weise wie sie gehalten werden. Kannst du dir vorstellen in einem Käfig zu leben, wo ständig alle auf dir herumhacken?
AMANDA
Kein Kommentar. (Pause) Hast du Hausaufgaben?
EMILY
Warum fragst du mich das immer. Ich bin keine fünf. Wann ist denn jetzt das Abendessen mal fertig, ich muss weg.
AMANDA
Du bist doch gerade erst gekommen.
EMILY
Na und? Ich gehe heute Abend mit den spanischen Austauschschülern aus.
AMANDA
Aber du nimmst doch gar nicht am Spanischaustausch teil.
EMILY
Danke, dass du mich daran erinnerst.
AMANDA
Guck nicht mich an.
EMILY
Du bist die einzige, die hier ist.
AMANDA
Du wirst ihm noch dankbar dafür sein, dass du die Möglichkeit hast, nach China zu gehen.
EMILY
Ich will nicht nach China, ich will nach Spanien.
AMANDA
Du warst doch schon so oft in Spanien.
EMILY
Nicht in Málaga. Es wird so deprimierend sein, wenn nächsten Monat alle weg sind.
AMANDA
Du wirst auch weggehen.
EMILY
Ja toll, nach Peking! Weißt du, was die da essen?
AMANDA
Frühlingsrollen?
EMILY
Entenfüße und Affenhirn. Und es gilt als schwere Beleidigung, wenn du nicht isst, was dir angeboten wird. Was bedeutet, dass ich jeden beleidigen werde. Was wahrscheinlich heißt, dass ich aus der Familie geworfen und an die Sklaverei oder Prostitution verkauft werde …
AMANDA
Oder dass du verhungerst. Sei nicht so hysterisch.
EMILY
Ich hasse einfach Chinesisch! Es ist so schwierig. Und langweilig. Und ich stehe nicht auf Chinesische Jungs.
AMANDA
Du gehst da ja nicht wegen der Jungs hin.
EMILY
Würde ich, wenn ich nach Spanien ginge.
AMANDA
Sag das nicht, wenn dein Vater zuhört.
EMILY
Warum nicht? Ich steh auf spanische Jungs. Die haben so dunkle, mysteriöse Augen.
AMANDA
Haben chinesische Jungs nicht auch dunkle Augen? (sucht anderen Radiosender) Ich kann das nicht hören.
Bei der Sendersuche hören wir wieder einzelne Wort- und Musikfetzen, darunter „kämpfen“ und „Flüchtlinge“. Sie bleibt bei einem 90er Jahre Indie Pop Sender hängen.
AMANDA
Oh, den Song liebe ich. Ewig nicht gehört.
EMILY
Lass doch den anderen Sender. (greift nach dem Radio)
AMANDA
Hey, Hände weg, ich bin dran.
EMILY
Okay. Ich biete dir einen Deal an. Ich lasse dich das hier jetzt hören, wenn du mir versprichst, dass du mit Dad über China redest.
AMANDA
Nein. Abgesehen davon würde es gar nichts nützen. Wir beide wissen, was er sagen würde.
EMILY
Ich werde nicht gehen. Er kann mich nicht zwingen.
AMANDA
Da wäre ich mir nicht so sicher.
EMILY
Kann er nicht. (schaut in die Töpfe auf dem Herd) Ich verhungere. Ist das bald mal fertig?
AMANDA
Bald. Du kannst schon mal den Tisch decken. Dein Vater wird jeden Augenblick von seiner Demo zurückkehren.
EMILY
Schon wieder eine Demo? Du solltest übrigens nicht „Demo“ sagen. Für solche Wörter bist du zu alt. (ein weiterer Song aus dem Radio) Das hier, das ist ein guter Song. (stellt ihn lauter)
AMANDA
Den mag ich auch.
EMILY
Wir können ihn nicht beide mögen.
AMANDA
Möchtest du mit deiner Mutter tanzen?
EMILY
Sei nicht peinlich.
AMANDA
(während sie mit ihren Pfannen hantiert, nippt sie an ihrem Wein)
Hmmm. (schaut auf die Flasche) Von dem hier sollte ich mehr besorgen.
EMILY
Du hast schon einen Keller voll davon.
AMANDA
Wenn du erst mal in meinem Alter bist, wirst du ein gutes Glas Wein am Ende eines anstrengenden Tages zu schätzen wissen.
EMILY
Anstrengend? Du solltest mal versuchen, Chinesisch zu lernen.
AMANDA
Vielleicht mache ich das sogar. Ich würde schrecklich gerne mal nach China.
EMILY
Die haben dort keinen Wein, Mum!
AMANDA
Nein?
EMILY
Weiß ich nicht. Wenn sie einen haben, wird der aus irgendeinem komischen Zeug gemacht sein. Wogegen demonstriert er diesmal überhaupt?
AMANDA
Ach, du weißt schon, diese Sache mit den Flüchtlingen, die in einem Einkaufszentrum einquartiert werden sollen.
EMILY
Und wo ist das Problem? Es ist ja nicht so, als würden die dadurch obdachlos.
AMANDA
Dein Vater sagt, wenn man die Leute an die Stadtränder verfrachtet, wird es für sie zu schwierig, sich zu integrieren, oder so ähnlich.
EMILY
Wie auch immer. (versucht einen Finger in Amandas Essen zu tauchen) Hat er einen neuen Spruch drauf? „Learn to swim, don’t be a fool, join the fight to save our pool.”
AMANDA
Sei nicht so. Immerhin tut er etwas.
EMILY
Wenn das eine so gute Sache ist, warum bist du nicht dort und grölst mit ihm zusammen?
AMANDA
Ich kümmere mich ums Abendessen. Würdest du jetzt bitte mal den Tisch decken?
Die Tür geht auf. JOHN ALLEN, ein gut angezogener Mann mit grauen Schläfen kommt herein. Ihn umweht der Hauch von Autorität.
AMANDA
Na endlich! Hab mich schon gewundert, wo du bleibst.
JOHN
Wo ich bleibe? Ich bin stundenlang marschiert. (dreht sich um)
Stimmt’s, Khalil?
Ein jüngerer, attraktiver Mann von arabischem Aussehen, KHALIL HALABI, betritt hinter JOHN den Raum. Er hat ein großes zusammengerolltes Banner auf seine Schulter gewuchtet.
JOHN
Wir haben einen ganz schön langen Marsch hinter uns.
AMANDA (zu JOHN)
Willst du uns nicht deinen Freund vorstellen?
(zu KHALIL) Kommen Sie herein.
KHALIL
Vielen Dank.
AMANDA
Ich bin Amanda, Johns Frau und das ist unsere Tochter Emily.
JOHN (schaltet das Radio aus)
Man versteht ja sein eigenes Wort nicht …
AMANDA
Entschuldige, ich wollte nur gerade mal den Wetterbericht …
JOHN
Das ist Khalil.
KHALIL...