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Brooklyn Brothers

Jason Starr

 

Verlag Diogenes, 2018

ISBN 9783257609035 , 464 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

{5}I


{7}1


Am Tag, als Jake Thomas nach Brooklyn zurückkam, spannten seine Eltern (die noch immer in Canarsie lebten, nur drei Häuser neben den Rossettis) ein riesiges Banner quer über die Straße, von Baum zu Baum:

WILLKOMMEN DAHEIM, JAKE! UNSER HELD!

Auf dem Weg zur Arbeit musste Ryan Rossetti unter diesem Banner hindurchfahren. Normalerweise hätte ihn das nicht sonderlich gestört, aber bereits seit mehr als einer Woche grassierte im gesamten Viertel das ›J.T.-Fieber‹: Auf einmal lief jeder mit einem ›Thomas 24‹-Trikot oder einer Pirates-Baseballcap herum. Hunderte Autofahrer kurvten stolz mit dem ›Brooklyn liebt Jake‹-Aufkleber durch die Gegend, den das Autohaus an der Ralph Avenue an seine Kunden verteilte. Einige Geschäfte hatten ihre Schaufenster mit Plakaten dekoriert, die Jake in Lebensgröße zeigten, und Pete, der Herrenfriseur in der Avenue N, rasierte jeden kostenlos, der eine Jake-Thomas-Baseballkarte vorzeigen konnte. Pizzerien, Restaurants, Bars, Feinkostläden und selbst ein Nagelstudio warben mit Jake-Thomas-Sonderangeboten. Der Canarsie Courier titelte: ›Brooklyns Sohn kehrt heim.‹ Wohin Ryan auch schaute, aus allen {8}Zeitungsauslagen grinste ihm Jake mit strahlend weißen Zähnen entgegen.

Ryan drehte den CD-Spieler im Impala voll auf und sang lauthals zu Nellys Hot in Herre mit. Kurz darauf parkte er in zweiter Reihe vor dem Deli in der Flatlands Avenue, um sich wie gewohnt ein Brötchen mit Schinken und Ei und einen schwarzen Kaffee mit vier Stückchen Zucker zu holen. André, der noch in die Highschool ging, jobbte dort an der Kasse. »Und? Jake Thomas schon eingelaufen?«, fragte er Ryan.

»Keine Ahnung.« Ryan schüttelte den Kopf und suchte in seiner Hosentasche nach Geld, dabei hatte er längst einen Fünfer auf die Theke gelegt.

»Haste schon gehört? Die schmeißen ’ne Straßenparty für ihn.«

»Ach ja?« Ryan tat, als wüsste er von nichts, dabei bereitete Jakes Mutter dieses Fest seit Wochen vor, und seine eigene Mutter hatte gestern die halbe Nacht damit zugebracht, Unmengen ihrer berühmten Lasagne zu kochen.

»Jep, die Einundachtzigste wird gesperrt, Essen gibt’s für umme und außerdem Musik, Disco, das volle Programm.«

»Ja, ja«, sagte Ryan, »hab so was läuten hören.«

»Ich geh hin, auf jeden Fall«, erklärte André. »Will den Champ der National League mal ganz aus der Nähe sehen, ihm die Hand schütteln und mich mit ihm zusammen ablichten lassen. He Mann, was meinste? Schreibt der mir ’n Autogramm auf ’nen Baseballschläger, wenn ich einen mitbring?«

»Warum nicht?« Ryan steckte das Wechselgeld ein und verließ den Laden. Kurz darauf bog er in Mill Basin in die {9}Auffahrt eines Hauses im Withman Drive ein. Er ließ die Musik an und machte sich über sein Frühstück her. Als er aufgegessen hatte, blieb er noch einen Augenblick sitzen. Er war fest davon überzeugt, dass es Unglück brachte, wenn er den CD-Spieler oder das Radio mitten in einem Lied abschaltete. Darum wartete er die letzte Strophe des Mobb-Deep-Songs ab und zog dann zeitgleich mit der letzten Note den Schlüssel aus dem Zündschloss.

 

Carlos und Franky legten im Erdgeschoss schon die Abdeckplanen aus, als Ryan ins Haus kam. Er ging erst einmal ins Bad und wechselte die Straßenkleidung – ein ärmelloses Basketball-Trikot über einem schwarzen Kapuzenpulli, Baggy-Jeans von Pepe, eine Baseballcap der San Antonio Spurs, die er seitlich über einem schwarzen Durag trug, und nicht mehr ganz neue, aber blitzsaubere Nikes Zoom LeBron II  – gegen weiße Malerklamotten und alte, farbverkleckste Turnschuhe. Dann gesellte er sich zu den anderen im Wohnzimmer und half Carlos und Franky beim Ausbessern der Wände.

Sie arbeiteten nun schon den zweiten Tag an diesem Auftrag, und es war eine ziemliche Plackerei. Das Haus war zwar nicht sonderlich groß, mit den drei Schlafzimmern und den beiden Bädern. Aber die ehemaligen Eigentümer hatten wohl seit Ewigkeiten nicht mehr renoviert, überall blätterte die Farbe von den Wänden, und sie mussten viele Unebenheiten glattschleifen. Ryan und die anderen hatten gestern den ganzen Tag damit zugebracht, Farbe von den Wänden zu kratzen und Löcher zuzuspachteln, und trotzdem hatten sie nur die Hälfte der Zimmer im Erdgeschoss {10}geschafft. Im ersten Stock sah es nicht ganz so schlimm aus, vielleicht konnten sie also noch heute den Voranstrich auftragen.

Ryan machte sich mit dem Spachtel an die Arbeit. »Jake schon eingelaufen?«, fragte Carlos.

Carlos war vierundzwanzig, genauso alt wie Ryan. Er hatte sich einen schmalen Schnurrbart und ein kleines Bartrechteck am Kinn stehenlassen. Die ganze Woche schon hatte er Ryan wegen Jake gelöchert, obwohl Ryan nicht groß auf seine Fragen einging.

»Keine Ahnung«, sagte Ryan, ohne Carlos anzusehen.

»Aber heute kommt er doch, oder?«

»Schätze schon«, grummelte Ryan.

»Was?«

»Ich glaube schon«, sagte Ryan nun lauter.

»Wenn ich morgen ’nen Baseball mitbringe, kannste mir dann ein Autogramm von J.T. besorgen?«

»Sonst noch ’n Wunsch?«, mischte sich da Franky ein, ein großer, kräftiger Typ, der fünf Jahre älter war als Carlos und Ryan.

»Ist nicht für mich, Mann«, sagte Carlos. »Für meinen kleinen Cousin. Der fährt voll auf Baseball ab. Ich hab ihm erzählt, dass ich mit einem Kumpel von Jake zusammenarbeite. Jetzt will er die ganze Zeit, dass ich ein Treffen organisiere.«

»Heute gibt’s ’ne Straßenparty für ihn bei mir um die Ecke«, sagte Ryan. »Komm doch einfach vorbei und hol dir das Autogramm selbst.«

»Nee, ich kenn Jake doch gar nicht. Null Bock, da hinzugehen und mich hinten anzustellen: ›Könnte ich wohl bitte {11}ein Autogramm haben?‹ Komm schon, Ryan, tu mir den Gefallen. Für meinen kleinen Cousin. Der ist gerade mal acht.«

»Ryan kann doch nicht jedem ein Autogramm besorgen«, warf Franky ein. »Bestimmt haben ihn schon tausend Leute gefragt, stimmt’s, Ry?«

»Schon gut«, sagte Ryan, der gerade mit einem Spachtel die Wand malträtierte. »Bring den Ball, dann frag ich Jake.«

»Voll cool, Mann, danke«, sagte Carlos und dann, an Franky gewandt: »Siehste? Ist ja keine große Sache.«

Schweigend arbeiteten sie weiter. Carlos’ Radio, das in der Ecke stand, spielte die Top forty – gerade lief Avril Lavignes neuester Hit.

»Von wo kommt er jetzt eigentlich?«

»Wer?«, fragte Ryan, obwohl er genau wusste, dass Franky von Jake sprach.

»J.T.«

»Ach so, von Pittsburgh, schätze ich.«

»Hat er dort eine Wohnung oder so?«

»Ich glaub, er hat ein Haus gemietet«, nuschelte Ryan.

»Was?«

»Er hat ein Haus gemietet«, wiederholte Ryan lauter.

»Bestimmt so ’ne richtige Villa. Der Mann scheffelt garantiert mehrere Millionen im Jahr, und wenn demnächst sein Vertrag ausläuft, kassiert er noch mal richtig ab. Die Pirates haben es dieses Jahr gründlich vergeigt, aber Jake war sensationell. Was war noch mal sein Schlagdurchschnitt? 35,3 %?«

»35,1«, korrigierte Carlos.

»Dann eben 35,1. Ich finde, das hört sich verdammt nach {12}DiMaggio an. Jake hat um die fünfundzwanzig Home Runs hingelegt und hundert Runs ins Ziel geschlagen.«

»Zweiundzwanzig, es waren zweiundzwanzig«, sagte Carlos.

»Dann eben zweiundzwanzig Home Runs«, sagte Franky. »Und wie viele waren es im letzten Jahr? Zwanzig?«

»Siebzehn.«

»Na, die Kurve zeigt nach oben. Der Junge ist sauschnell und hat ’nen Arm aus Stahl. Haste den Wurf gesehen, mit dem er den einen Läufer, der vom ersten Base vorrücken wollte, beim dritten erwischt hat? Sie haben’s letzte Woche auf ESPN gezeigt.«

»Jep«, sagte Carlos, »hab ich gesehen, das war gegen die Chicago Cubs.«

»Der Ball kam wie aus der Kanone geschossen. Ich schwöre, der flog die ganze Strecke höchstens eins fuffzig über dem Boden, wie an der Schnur gezogen. Wenn Jake wollte, könnte er auch als Pitcher spielen.« Er wandte sich zu Ryan um. »He, Ry, war J.T. in eurer Highschool-Zeit auch mal Pitcher?«

»Hin und wieder.«

»Wer war besser im Werfen? Du oder er?«

»Ich«, antwortete Ryan, ohne eine Sekunde zu zögern.

»Haste mal als Pitcher gegen ihn gespielt?«

»Klar, im Highschool-Team und in der Jugendliga.«

»Und? Haste Strikes gegen ihn gelandet, ihn mal vom Schlagmal gefegt?«

»Manchmal.«

»Und er? Hat er dir auch mal den Ball um die Ohren geschlagen?«

{13}»Ist vorgekommen.«

»Was meint ihr, wird J.T. in die Hall of Fame aufgenommen?«

»Wenn er so weitermacht, kann es nicht mehr lange dauern«, sagte Carlos.

»Guck dir doch seinen Schlagdurchschnitt an«, meinte Franky. »Das sind Hall-of-Fame-Zahlen, das musst du zugeben. Was hat er in der letzten Saison gemacht? 35,1? Voll krass, Mann.«

Carlos und Franky schwärmten weiter von Jake. Ryan versuchte, die Stimmen auszublenden, er dachte an Christina. Sie hatte wunderschön ausgesehen, gestern Abend auf dem Rücksitz seines Autos, als sich das Licht der Laterne in ihren Augen spiegelte. Aber als er sie zu Hause absetzen wollte, war sie in Tränen ausgebrochen. Er beschloss, sie kurz anzurufen, um zu hören, ob es ihr wieder besserging.

Franky riss ihn aus seinen Gedanken: »He, Ry, was meinste, wann wird J.T. endlich mal für ein New Yorker Team...