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Der Schafe Tod - Kriminalroman

Jutta Gerecke, Uwe Jark, Werner Kunst

 

Verlag CW Niemeyer Buchverlage GmbH, 2018

ISBN 9783827183422 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

7,99 EUR


 

Kapitel 2

Der Opel Zafira mit den Fotoamateuren war um vier Uhr in der Früh vor dem Oldenburger Hauptbahnhof gestartet. Achim, der erste Vorsitzende des Vereins „Blitzlicht Oldenburg“, hatte bei einem der letzten Vereinsabende vorgeschlagen, doch einmal das erste Sonnenlicht über der niedersächsischen Heidelandschaft für eine Wanderung mit der Kamera auszunutzen. Sie verfolgten seit Wochen den Wetterbericht. Heute sollte es passen, und so hatten sie sich diesen Samstag frei gehalten, am Abend würden sie in Oldenburg zurück sein.

„Das fantastische Licht wird euch für das frühe Aufstehen entschädigen“, sagte Achim, als drei recht müde ausschauende Frauen mit ihren Rucksäcken und schweren Kamerataschen in den Van stiegen.

Nach zwei Stunden waren sie am Ziel in der Nähe von Eschede angekommen. Achim hatte vor der Vereinsreise eine etwa zehn Kilometer lange Wanderroute ausgearbeitet. Es waren einige Pausen und die Einkehr in einem typischen Heiderestaurant eingeplant. Die morgendliche Heidelandschaft war perfekt ausgeleuchtet für ihr Vorhaben. Die Sonne war vor Minuten aufgegangen, ein leichter Bodennebel umschloss die Vegetation etwa bis zur Hälfte der Höhe der Kiefern, die neben Birken und Wacholder zu den häufigsten Baumarten dieser Gegend gehörten. Die Verbindung aus Sonnenstrahlen und der hohen Luftfeuchtigkeit in Bodennähe ergab ein wunderbares, warmes und weiches Licht mit zahlreichen Spiegelungen.

Anne, ein junges Vereinsmitglied, erkannte diese Stimmung sehr schnell und hoffte auf ein paar schöne Schnappschüsse, war doch auch für diesen Ausflug ein interner Fotowettbewerb eingeplant. Auf die Weichzeichnerlinse konnte sie in den nächsten Minuten, bis die Sonne an Kraft zunehmen und den Bodennebel vertreiben würde, verzichten. Wenn sie dort an den Waldrand ginge, müsste sich doch ein schönes Motiv finden, dachte Anne. Inmitten der Heide- und Wacholderlandschaft war ein Kiefernwäldchen eingebettet. Anne ging ein paar Meter in das Waldstück hinein, drehte sich um und erkannte, dass es sich lohnen würde, gegen die Sonne ein paar Fotos zu machen. In Verbindung mit den in Nebel eingehüllten Stämmen der Kiefern, dem großen Spinnennetz und dem Kleiber, der gerade einen Baumstamm kopfüber herunterlief, würde sie hier schöne Motive finden. Sie musste sich dazu nur ein wenig Zeit nehmen. Nach ein paar ersten Fotos legte sie sich bäuchlings mit ihrer wasserabweisenden Cargohose und ebenso präparierter Jacke auf den feuchten und weichen Waldboden. Sie erwischte den Kleiber mit dem Teleobjektiv und robbte langsam weiter, als der zunächst kaum wahrnehmbare süßliche, moschusartige Geruch deutlich intensiver wurde. Als vor ihrem Sichtfeld eine Schuhsohle auftauchte und sie dann ein Hosenbein erkannte, erahnte sie die Quelle des Geruchs.

Das Entsetzen bei Anne Schumann war unbeschreiblich. Sie hatte solche Situationen schon erlebt, im Fernsehen, freitags und samstags im ZDF, aber das hier war real. Sie kam auf die Knie, und um ganz aufzustehen, musste sie sich an einem kleinen Baum festhalten. Und dann sah sie, was sie niemals wirklich sehen wollte, den Körper eines Mannes, offenbar im besten Alter, die Augen weit aufgerissen, der Mund offen, tot.

Sie hatte schreien wollen, aber sie konnte nicht. Sie wich einige Schritte zurück, ohne dabei den Blick von dem Toten abwenden zu können. Sie griff instinktiv in die linke Brusttasche ihrer Jacke, zog das Handy heraus und wählte Achims Nummer.

„A..., A..., Achim“, stammelte sie, „ein Toter.“

„Lass die Scherze“, hätte jeder geantwortet, doch Achim war sensibel, er hörte die Panik in ihrer Stimme und fragte zurück: „Wo bist du?“

„Ich ..., ich ..., ich weiß nicht“ antwortete sie. In Achim regte sich Beschützerinstinkt. Er hatte zu dieser Fototour eingeladen, er fühlte sich verantwortlich für die Teilnehmer.

„Du kannst noch nicht weit von unserem Ausgangspunkt weg sein“, sagte Achim, „was siehst du vor dir?“

„Einen toten Mann!“

„Nein, hebe deinen Blick, schildere mir die Landschaft.“

„Ich sehe Birken, Wacholder, Kiefern, Heidekraut …“

„OK, so kommen wir nicht weiter. Du weißt sicher den Weg zurück zum Ausgangspunkt? Nimm den Plan aus deiner Tasche und komm zurück zum Treffpunkt!“

„Ich kann nicht … es ist so fürchterlich …“

„Anne, du bist alt genug, Du stehst mit beiden Beinen im Leben, du bist eine toughe Frau, bitte benimm dich jetzt auch so.“

Anne Schumann kam langsam in die Realität zurück. Sie orientierte sich in der Landschaft und wusste, dass sie sich vom Startpunkt der Wanderung noch nicht weit entfernt hatte. Sie wandte den Blick ab von dem Toten, drehte sich um und lief zurück. Schon nach kurzer Zeit fiel sie Achim in die Arme.

„Ruf die Polizei“, stammelte sie, und Achim wählte die bekannte Notrufnummer.

„Wir haben in der Heide einen Toten entdeckt“, teilte Achim dem diensthabenden Polizisten mit.

„Sagen Sie mir bitte, wer Sie sind und wo Sie sich gerade aufhalten.“ Polizeioberkommissar Holzmüller hatte Dienst an diesem Wochenende. Achim machte die gewünschten Angaben. „Können Sie den Ort beschreiben, an dem Sie den Toten gefunden haben?“, fragte Holzmüller weiter.

„Wir sind beim Eiscafé Florenz in Eschede gestartet mit unserer Wanderung, Celler Straße Ecke Bahnhofstraße, und noch nicht sehr weit gekommen“, antwortete Achim und fügte hinzu: „In etwa einer halben Stunde können wir dort wieder zurück sein, wir können uns dort treffen und Ihnen den Weg zeigen.“

„Die Polizeistation Eschede ist direkt gegenüber“, antwortete Holzmüller, „bitte finden Sie sich dort ein. Ich rufe dort an, und man wird Sie erwarten.“ Dann rief er die Polizeikommissarin Niedorf, und die beiden machten sich von Celle aus mit dem Streifenwagen auf den Weg. Achim und Anne waren bereits dort, als sie ankamen.

Von der Polizeistation Eschede aus fuhren sie mit dem Streifenwagen bis zum Ortsrand und noch ein kleines Stück einen Feldweg entlang, bevor sie zu Fuß weitergehen mussten. Anne Schumann erinnerte sich gut an den Weg. Am Ort des Geschehens angekommen, bot sich Holzmüller das grausige Bild. Er hatte gleich erfasst, dass hier ein Mensch in eine Falle geraten war, mit der Tiere gefangen werden sollten. Und er sah den qualvollen Tod, den der Mensch in dieser Falle erlitten haben musste, vor sich.

„Das ist eine Nummer zu groß für mich“, gestand Holzmüller sich ein, „ich werde den Ort weiträumig absperren und alles Weitere dem Landeskriminalamt überlassen.“

Er wählte die eingespeicherte Nummer des LKA in Hannover und schilderte kurz, worum es ging. Der Diensthabende sagte zu, die Kripo sofort zu informieren, bat Holzmüller um die Rufnummer seines Mobiltelefons und versprach ihm einen schnellen Rückruf. Dann informierte Holzmüller die Kriminalrätin.

„Lüschen, was gibt’s?“, meldete sich eine energische Stimme auf Holzmüllers Handy.

„Polizeioberkommissar Holzmüller, Polizeiinspektion Celle“, antwortete er irritiert, war er sich doch nicht sicher, ob es sich am anderen Ende der Leitung um eine Alt- oder eine Tenorstimme handelte, und fügte hinzu: „Ich melde einen Leichenfund.“ Dann schwieg er.

„Geht’s etwas genauer?“, kam prompt die Rückfrage.

„Wanderer haben in der Heide nahe Eschede einen Toten entdeckt, der nach meinem ersten Eindruck in eine illegal aufgestellte Falle geraten und dann verstorben ist, weil er sich daraus nicht wieder befreien konnte. Es könnte sich um ein Tötungsdelikt handeln, zumindest um fahrlässige Tötung. Ich habe den Fundort mit Absperrband gesichert und nicht weiter betreten. Es hat ja in der ganzen Woche nicht geregnet, und ich dachte, es könnten noch verwertbare Spuren gefunden werden.“ Holzmüller hatte zu seiner Selbstsicherheit zurückgefunden.

„Wie viele Beamte sind Sie vor Ort?“, war Lüschens nächste Frage.

„Nur Polizeikommissarin Niedorf und ich.“

„Gut, wo können Sie mich in Empfang nehmen und mich zum Fundort der Leiche führen?“, fragte Lüschen.

„Ich schlage die Polizeistation in Eschede vor.“

„Es ist jetzt Viertel vor neun, ich werde in einer Stunde dort sein“, bestimmte Lüschen, „Ihre Kollegin soll derweil den Fundort bewachen.“

„Wer da wohl aus Hannover kommt?“, fragte sich Holzmüller und war gespannt, was nun auf ihn zukommen würde. Eine Leiche hatten sie in der Heide auch nicht alle Tage, und mit geregelter Dienstzeit würde es an diesem Wochenende wohl erst einmal vorbei sein, der heutige Feierabend schien in weite Ferne zu rücken.

Kriminalrätin Lüschen war tatsächlich fast genau eine Stunde später in der Polizeistation in Eschede eingetroffen, begleitet von einem Pathologen und einem Mitarbeiter der Spurensicherung. Die drei stellten sich kurz vor. Holzmüller war angenehm überrascht vom sportlichen, schlanken Äußeren der Kriminalrätin. Ihr kaum angreifbares Selbstbewusstsein hatte sie sich während ihres Scheidungsverfahrens zulegen müssen. Ihr Exmann, Vater ihrer Tochter, war als Bauingenieur immer wieder in Geschäfte am Rande der Legalität verwickelt, für Sabine Lüschen ein unhaltbarer Zustand. Der Rosenkrieg war heftig, und für Sabine war es schwer, die Geschäfte ihres Mannes hinzunehmen und nicht zur Anzeige zu bringen. Doch er drohte damit, das Sorgerecht für die Tochter einzuklagen, und hätte vielleicht auch damit Erfolg gehabt, da sie beruflich sehr eingespannt war und unvorhersehbar lange Arbeitstage hatte. Er dagegen konnte sich seine Arbeitszeit einteilen und auch im häuslichen Büro arbeiten. Die...