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Totenlust - Thriller

Edward Lee

 

Verlag Festa Verlag, 2018

ISBN 9783865526366 , 400 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

1

»Ja, Chief, Kurt hier.«

»Heilige Scheiße. Darauf wäre ich ja nie gekommen.«

»Die Einsatzzentrale hat mich gerade angefunkt und gesagt, ich soll dich über Festnetz anrufen.«

»Hm. Das war vor einer halben Stunde.«

»Nicht meine Schuld, wenn die so lange warten, bis sie sich melden.«

Bards Worte waren auf einmal undeutlich, schmatzend. Es war bekannt, dass er während Unterhaltungen häufig den Mund voll hatte. Tatsächlich hatte er fast zu jeder Gelegenheit etwas im Mund.

»Ich behaupte nicht, dass es deine Schuld ist. Das ist der Preis, den wir dafür bezahlen, im Kommunikationsnetz des Bezirks eingebunden zu sein. Was taugt eine Polizeidienststelle ohne eigenes Kommunikationssystem, kannst du mir das sagen? Vielleicht werden diese Geizkragen von der Verwaltung irgendwann mal die Gelder rausrücken, damit wir unsere eigene Einsatzzentrale samt Frequenz bekommen. Der beschissene Bezirk tut so, als wären wir absolut unwichtig.«

»Okay. Also, was ist so wichtig?«

»Du musst mir auf dem Rückweg zur Wache eine Packung Donuts besorgen. Die mit Schokoglasur, die großen.«

»Das nenne ich mal wichtige Polizeiangelegenheiten, jawohl, Sir.«

»Nun, es ist wichtig. Ich habe Hunger. Ich habe den ganzen Tag noch nichts gegessen.«

»Aber du isst gerade. Ich kann es hören.«

»Halt einfach die Klappe und besorg die Donuts. Und bring mir auch gleich die neue Ausgabe des Hustler mit.«

»Ich werde in Uniform bestimmt keine Pornomagazine kaufen.«

»Das wirst du, es sei denn, du willst die Uniform einer anderen Wache tragen. Baltimore City sucht gerade Leute, wenn dir das niedrigste Startgehalt und die höchste Mordrate des Staates nichts ausmachen. Oder, verdammt, ich bin sicher, jemand mit deiner Erfahrung könnte einen bequemen Posten in Südost D. C. abstauben.«

»Ich hab’s kapiert, Chief.«

»Gut. Wenn es keinen Hustler gibt, bring mir eine High Society mit.«

Kurt wünschte sich, er wäre mit Eiern gesegnet, um Bard zu sagen, wo genau er sich seine Donuts und Magazine hinschieben könne. Drei Monate auf der Polizeiakademie für das hier? Dad wäre stolz auf mich. »Ist das alles, was ich bin, Chief? Ein bewaffneter Laufbursche?«

»Genau, aber bevor du dich daranmachst, lass ich dich zur Abwechslung mal Polizist spielen. Ich habe eine Beschwerde eines Anwohners für dich, möglicherweise einen 7P. Das bedeutet unbefugtes Betreten von Privateigentum, falls du deine Codeliste vergessen hast.«

»Ich weiß, was ein 7P ist, Chief. Ich bin der Einzige hier, der sich überhaupt die Mühe macht, darauf zu reagieren. Also, wie lautet die Adresse?«

»Belleau Wood. Der Anruf kam von der Ehefrau des Grundstückinhabers. Glen kommt erst in ein paar Stunden rein, darum hat sie sich bei uns gemeldet.«

»Das ist das Grundstück von diesem reichen Typen, oder? Doktor Willard? Ich wusste nicht mal, dass er verheiratet ist.«

»Na, jetzt weißt du es. Sie hat gesagt, jemand hat die Kette an einem der Tore geknackt. Wahrscheinlich nur ein paar Jugendliche, die sich gegenseitig in den Arsch ficken oder so was.«

»Soll ich sie festnehmen?«

»Mir scheißegal, benutz deinen gesunden Polizistenverstand. Soweit es mich angeht, kannst du ihnen auch die Schwänze abreißen. Nur kümmer dich darum.«

»Okay, Chief. Bin auf dem Weg.«

»Und nicht vergessen: die mit Schokoglasur, die großen.«

Streifenpolizist erster Klasse Kurt Morris hängte den Hörer des Münztelefons im Spirituosengeschäft ein und ging zu seinem Dienstwagen zurück, einem heruntergekommenen weißen Dodge Diplomat mit eingedrückter Heckstoßstange und einer fehlenden Lampe im Blaulicht. Das Auto sah aus, als hätte man es seit dem Tag seiner Fertigstellung nicht mehr gewaschen, was sehr gut möglich war. Letztlich hatte ihn Glen Rodz gefragt: »Denkst du nicht, es wäre Zeit, die Karre mal zu waschen?«, und Kurt hatte recht logisch geantwortet: »Wieso? Ich sitze beim Fahren nicht auf der Motorhaube.«

Jetzt verließ er den Parkplatz mit quietschenden Reifen, aber nicht, weil er es besonders eilig hatte, sondern weil die abgefahrenen Schlappen mehr Lärm machten, als dass sie Strecke hinter sich brachten. Die Meldung aus Belleau Wood war keine große Sache; über die Jahre hatte er sich um viele solcher Anrufe gekümmert, wenn der Sicherheitswachmann der Gegend, Glen Rodz, nicht im Dienst war. Die Gegend zog die Jugendlichen von Tylersville an. »Genau wie ein Eimer voll Scheiße die Fliegen«, pflegte Chief Bard zu sagen. Häufig waren es nur Bier trinkende Jugendliche, aber meistens gingen sie sich gegenseitig an die Wäsche. Dank 7Ps hatte Kurt so einiges erlebt, und was er auf den Rückbänken einiger dieser Autos gesehen hatte, hätte selbst John C. Holmes aus den Latschen gehauen.

So allmählich machte sich der April bemerkbar. Zum ersten Mal dieses Jahr bemerkte Kurt, wie alles um ihn herum lebendiger und farbenfroher wurde. Der hässliche graue Schnee war geschmolzen und offenbarte darunter den sauberen, schwarz schimmernden, sich dahinwindenden Asphalt der Route 154. Bäume, die vor einem Monat noch kahl gewesen waren, trugen mittlerweile ihr grünes Blätterkleid. Links leuchtete kupferfarben das riesige Maisfeld der Mersels. Das fruchtbare Braun der frisch umgepflügten Erde würde schon bald voller mannshoher Maisstauden stehen, die das ganze Gebiet grün färbten. Die Farben wirkten kräftiger, intensiver und die Luft roch geradezu nach Leben. Das war mehr als ein Wechsel der Natur; es war wie eine Wiederherstellung seiner eigenen Seele – Frühlingsfieber und die näher rückenden langen Tage, endloser Himmel und die Wärme, von der er bereits befürchtet hatte, sie würde nie kommen. Das Ende eines weiteren tristen Winters in Maryland.

Tylersville war rückständig, kompromisslos und eigentlich gar keine Stadt; es war eine Straße – Route 154 –, und das, was sich auf den beiden Straßenseiten befand, nannte man Tylersville. Die Route 154 schnitt eine mehrere Dutzend Kilometer lange, gewundene Schneise durch die schlimmsten Wälder, Hügel und Sümpfe, die Maryland zu bieten hatte, und verband Bowie im Süden mit einem Randbezirk von Annapolis im Norden. Es waren nicht einmal 100 kleine verstreute Häuser und Wohnwagen, die sich entlang der Route verteilten, und ohne das Einkaufszentrum und die Wohnkomplexe am Südende gäbe es nicht genug Einwohner, um es als Stadt zu bezeichnen. Tylersville hatte nur deswegen eine eigene Polizeiwache, weil es die notwendige Bevölkerung hatte und zwischen zwei größeren Städten lag. Die Wache selbst war klein und es gab kaum Verbrechen, wenn man von den Säufern, den Bauerntrampeln und den Rasern absah, die die Route 154 als Teststrecke für ihre Hot Rods betrachteten.

Kurt hatte die Schicht von vier Uhr nachmittags bis Mitternacht und nahm an, das würde er für den Rest seines Lebens tun. Die Arbeit war stinklangweilig, die Gegend alles andere als erbaulich und die Bezahlung hatte ihn noch nie zu Freudensprüngen animiert; aber er glaubte, der Beruf passte zu ihm. Abgesehen von der Langeweile hatte er eine Daseinsberechtigung, klein, aber vorhanden. Jemand musste die Arbeit machen, und dabei konnte man sogar Leuten helfen; und im allerschlechtesten Fall war es immer noch besser, als sich vor dem Büro eines Arbeitsvermittlers anzustellen.

Manchmal hatte er das Gefühl, seine Schichten bestanden nur daraus, die Route entlangzufahren, von einem Ende zum anderen, immer wieder. Das hatte er Hunderte, vielleicht Tausende Male getan. Dieselben Kilometer abgrasen und dabei immer dieselbe langweilige Umgebung vor Augen. Die Polizeiarbeit in Tylersville befasste sich hauptsächlich mit Verkehrsdelikten. Raser bretterten die Route entlang, die mit ihren engen Kurven und den langen freien Geraden die Herden schneller Autos im Prince George’s Bezirk geradezu nachdrücklich dazu aufforderte. Die Radarmesspistole war Kurts Lieblingsentspannungstherapie. Die einzigen anderen regelmäßigen, nicht verkehrsbezogenen Verbrechen waren die wöchentlich stattfindenden Wochenendschlägereien im Anvil (eine neben der Straße gelegene Oben-ohne-Bar) und gelegentliche Ausbrüche häuslicher Gewalt, bei deren besoffene Ehemänner ihren ebenfalls besoffenen Ehefrauen die Scheiße aus dem Leib prügelten. Allerdings kannte Kurt auch einen oder zwei Fälle, bei denen es andersherum gelaufen war.

Ich frag mich, welche Zufahrt?, dachte er. Abwesend kratzte er sich im Nacken, drückte sein dunkelblondes Haar glatt und runzelte dann die Stirn, weil er genau wusste, bald würde ihm Chief Bard wieder in den Ohren liegen, er solle sich die Haare schneiden lassen. »Zum Hippietreff geht es da lang« und »Wann lassen Sie den Rest Ihrer Geschlechtsumwandlung vornehmen?« waren zwei von Bards lustigeren Andeutungen. »Lassen Sie sich das beschissene Haar schneiden, sonst werde ich Sie verflucht noch mal feuern« war eine weniger lustige. Auch die Koteletten waren länger, als sie sein sollten, aber die würde Kurt auch ohne Aufforderung abrasieren; ausufernde Koteletten waren das Markenzeichen der ortsansässigen Bauerntrottel von Tylersville. Er wollte zumindest nicht mit diesen Hinterwäldlern verwechselt werden, wenn er nicht in Uniform war.

Je weiter er nach Norden fuhr, desto ärmer schienen die Anwohner zu sein – ihre Autos waren älter, rostiger, ihre Behausungen verfallener, ein paar davon sollte man wahrscheinlich am besten abreißen. Er wusste, abseits der Straße, zwischen den Hügeln, gab es auch Wohnwagen, die nicht einmal ans Stromnetz angeschlossen...