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Ein Tag zum Töten - Thriller (Dewey Andreas 5)

Ben Coes

 

Verlag Festa Verlag, 2018

ISBN 9783865526250 , 100 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

1

YERMAKOVA ROSCHA

PRESNENSKY-VIERTEL

MOSKAU, RUSSLAND

GEGENWART

Mit röhrendem Motor donnerte eine rot-weiße Ducati Superleggera 1199 durch das Stadtviertel Presnensky – verlassen, dunkel und trügerisch ruhig präsentierte es sich an einem milden Moskauer Morgen kurz vor Sonnenaufgang.

Mit über 160 Sachen, gerade noch so unter Kontrolle, als wollte er die Grenzen seines Könnens ausloten, jagte der schwarz behelmte Fahrer das Superbike die Rilsok entlang. Er war ein versierter Fahrer, aber Erfahrung allein reichte nicht, wenn man auf einer Maschine hockte, die das beste Leistungsgewicht aller Serienmotorräder mitbrachte.

Presnensky war ein sauberes Viertel voller Gegensätze. Atemberaubende Villen und Luxus-Apartmenthäuser standen in unmittelbarer Nachbarschaft von Lagerhallen. Das Donnern des wassergekühlten Superquadro-Motors fiel in dieser Umgebung nicht aus dem Rahmen. Niemand schien davon Kenntnis zu nehmen. Mehr als in jedem anderen Bezirk der expandierenden russischen Hauptstadt hatten die Bewohner Presnenskys schon vor langer Zeit gelernt, den Mund zu halten, wegzuschauen und ihre Neugier zu zügeln.

An einer Straße mit dem Namen Velka neigte sich der Biker abrupt nach rechts und legte die Ducati dermaßen schräg, dass sie um ein Haar wegkippte, während er bei 140 km/h in sanftem Bogen durch die 90-Grad-Kurve schoss. Das Knie schrammte über den Boden, doch er wurde nicht langsamer, nein, drehte das Gas sogar noch weiter auf und peitschte die Maschine hindurch. Als seine Handschuhe den Asphalt streiften, drehte er noch einmal am Gasgriff, jagte die Drehzahl in letzter Sekunde noch höher, setzte sich über Logik und Schwerkraft hinweg und kitzelte das Letzte aus dem Motor heraus.

Einen Augenblick später beschrieb der Fahrer eine scharfe Kehre. In einer Aktion, die einem den Atem verschlug, legte er die Ducati abrupt in die entgegengesetzte Richtung – scharf links – und riss mit qualmendem Vorderreifen den Gashahn voll auf. Für einen Sekundenbruchteil schwebte das Hinterrad in der Luft, bevor das Geschoss den letzten Kilometer der verlassenen, unbeleuchteten Straße durchmaß und vor einem dreigeschossigen weißen Backsteinbau mit einem einzigen Fenster mit dunkelrot getönter Scheibe schlitternd zum Stehen kam.

Der Fahrer stellte den Motor ab, klappte den Seitenständer aus, stieg ab, zog den tiefschwarzen Helm vom Kopf und ließ ihn auf der Sitzbank zurück. Die Superleggera traf eine klare, unmissverständliche Aussage. Der Helm auf der Sitzbank bildete das sprichwörtliche Tüpfelchen auf dem i: Unterstehe dich, mich zu klauen. Du wirst schon sehen, was du davon hast.

Presnensky war der Stadtteil, in dem die Moskauer Mafia das Sagen hatte, eine Stadt innerhalb der Stadt. Hier galten eigene Gesetze. Jeder, die Polizei eingeschlossen, wusste das. Einige wenige Privilegierte betrachteten Moskau als rechtsfreien Raum. Und Presnensky lag im Epizentrum dieser Gesetzlosigkeit.

Der Mann trat auf den Eingang des Gebäudes zu. Dumpfe Bässe wummerten im Inneren. Er zog die Tür auf. Mit der Lautstärke einer Bombenexplosion schwappte Musik auf die Straße; ein chaotisches elektronisches Synthesizer-Gemisch, unterlegt mit einem eintönigen, seismischen Beat.

Drinnen tobte die Hölle. Ein wildes, vom Kokain angeheiztes Pandämonium aus Leibern, Musik, Lichtern und Rauch mit einem düsteren, dystopischen Beigeschmack. Unter zuckenden blauen, orangefarbenen und gelben Scheinwerfern tanzten wenigstens 1000 Männer und Frauen wie entfesselt zu donnernden, grotesk und offenbar willkürlich gemixten Synthesizer- und Schlagzeugklängen, die den Boden unter den Füßen erbeben ließen. Ein Geruch nach Schweiß, Rasierwasser, Parfüm und Marihuana schwängerte die Luft.

Er begab sich in den Hexenkessel. Die drogenverhangenen Blicke junger Moskauer streiften ihn beim Spießrutenlauf durch die Menge. Er stieß Leute zur Seite und bahnte sich einen Weg durch die gut gefüllte Tanzfläche. Der blonde Afrolook und die unbändig auf und ab wippenden Locken verliehen ihm ein enormes Charisma und ließen ihn aus der Masse herausstechen. Die Augen jeder Frau im Umkreis von drei Metern hingen an ihm. Das lag nicht zuletzt an seinem schmalen, hageren, aber ungemein einnehmenden Gesicht.

Am Ende des riesigen Dancefloors befand sich ein roter Samtvorhang. Der Mann schritt hindurch. Prompt blickte er in die Mündung einer silbernen MP-448 Skyph 9 mal 18 Millimeter. Der Security-Mann, der die Pistole umklammerte, war allein. Der Kerl war ein wahrer Schrank, sah gefährlich aus. Er trug ein enges, schwarzes, bis zum Nabel aufgeknöpftes Seidenhemd und musterte den Fremden, als dieser durch den Vorhang trat, bewegte sich auf ihn zu und hielt ihm die Waffe an die Stirn.

»Semdesyat dva«, murmelte er.

»Da.«

Der Posten steckte die Skyph ins Holster unter der linken Achselhöhle zurück und tastete den Neuankömmling ab. Ohne Augenkontakt signalisierte er ihm mit einem Nicken, dass er passieren dürfe.

Der Mann stieg eine Treppe in den Keller hinab und ging durch den schwach erhellten Korridor. Am Ende des Ganges versperrte eine Stahltür den Weg. Wie Säulen standen zwei Bewaffnete davor. Beide hielten Maschinenpistolen in den Händen. Als er näher kam, richteten sie instinktiv die Läufe auf ihn.

Falls es ihm etwas ausmachte, sich im Visier zweier MPs zu befinden, ließ er sich nichts davon anmerken.

Der Posten zu seiner Linken suchte ihn erneut ab, energischer diesmal, auf der Suche nach allem, was er vor ihm verbergen mochte. Da er nichts fand, nickte er seinem Kollegen zu. Dieser streckte die Hand nach dem Türgriff aus.

Der Mann trat ein, während die Wache die Tür hinter ihm schloss.

Ein großer, fensterloser Raum, in dem pedantische Ordnung herrschte. Auf der einen Seite stand ein Glasschreibtisch, leer bis auf einen Laptop, einen kleinen Stapel Papier und eine Pistole. Auf der anderen Seite befand sich eine Sitzecke. An der Wand hing ein riesiger Plasmabildschirm und zeigte eine Szene aus einem Videospiel. Ein Schlachtfeld, bemerkenswert lebensecht, fast wie eine dokumentarische Aufnahme aus den Nachrichten. Man verfolgte die Szene aus dem Blickwinkel eines Soldaten, der sich über das Schlachtfeld bewegte und auf Gegner feuerte.

Auf einer schwarzen Ledercouch direkt vor dem Fernseher saß ein Mann mit braunem, nach hinten gegeltem Haar, das er in der Mitte gescheitelt trug. Ein Muskelshirt spannte sich über der trainierten Brust, um den Hals lag eine Goldkette über der anderen. Er starrte auf den Bildschirm und traktierte das Gamepad.

»Hallo, Cloud!« Malnikov, das 34-jährige Oberhaupt der Moskauer Mafia, drehte sich um und strahlte seinen Besucher an. Lächelnd erhob er sich von der Couch. »Was darf ich dir anbieten?«

»Wodka.«

»Aber klar doch!«

Malnikov trat an eine Bar in der Ecke, schenkte zwei Gläser ein und kam damit zurück.

»Bitte!« Malnikov reichte Cloud den Drink und deutete auf eine zweite Couch neben dem Schreibtisch. »Nimm Platz, mein Freund!«

Die Couch war lang, leicht geschwungen, mondsichelartig und mit zartgelbem Leder bezogen. Malnikov und Cloud nahmen an entgegengesetzten Enden Platz, weit auseinander. Beide nippten an ihrem Glas und beäugten sich schweigend.

»Halten wir dieses Treffen möglichst kurz.« Cloud nahm einen Schluck, während sein Blick durch den Raum huschte. »Ich bin nicht besonders gern hier. Wie viel?«

Malnikov lachte. »Was hast du denn?« Er ließ den Blick durch sein Büro schweifen und klang leicht beleidigt. »Gefällt dir mein Büro etwa nicht?«

Cloud bedachte Malnikov mit einem verächtlichen Blick. Auch das Oberhaupt der Moskauer Mafia konnte ihm keine Angst einjagen. »Ich habe deine Spielchen satt, Alexei«, blaffte er. »Wenn du mich umlegen wolltest, hätte mir einer deiner Männer längst eine Kugel in den Kopf gejagt. Du hast eine Atomwaffe. Es gibt genau einen einzigen Menschen auf diesem Planeten, der dir diese Last von den Schultern nehmen kann, ohne dass die CIA Wind davon bekommt. Wie viel, du raffgieriger Wichser?«

Die Röte schoss Malnikov ins Gesicht. »Wie kannst du es …?«

Cloud schnitt ihm mitten im Satz das Wort ab. »Wie viel?«, brüllte er, hob den Zeigefinger, deutete damit auf Malnikovs Gesicht, das sich zunehmend dunkelrot färbte.

Malnikov lehnte sich zurück. Die Nasenflügel bebten, er ließ die Zähne aufblitzen. In seinem Blick lag ein mörderischer Ausdruck, so als würde er mit sich ringen, Cloud nicht auf der Stelle umzubringen.

Die Tür flog auf. Einer der Bewaffneten trat in den Raum, die Maschinenpistole auf Cloud gerichtet.

Malnikov hob die Hand und bedachte den Posten mit einem strengen Blick. »Raus, verdammt noch mal!«

Nachdem die Tür zugeschnappt war, wandte er sich Cloud zu. Malnikov schwieg sekundenlang, kämpfte darum, sich zu beruhigen und die Fassung zurückzugewinnen. Gerade in dieser Situation durfte er auf keinen Fall die Nerven verlieren.

Dank seines Vaters führte Malnikov ein privilegiertes Leben. Zwei Jahrzehnte lang hatte sich dieser um eine Vormachtstellung im Bereich des organisierten Verbrechens in Russland bemüht. Alles, was innerhalb einer Generation durch Erpressung, Bestechung, Schutzgeld und Mord angehäuft worden war, floss in Alexei Malnikovs Taschen. Yuri Malnikovs Verhaftung hatte Alexei zum Boss der russischen Unterwelt gemacht. Seine erste Amtshandlung bestand darin, sich ein nukleares Druckmittel zu...