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Die Kreuzfahrer

Wladimir Kaminer

 

Verlag Wunderraum, 2018

ISBN 9783641223403 , 224 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

Teneriffa

Dieses Mal hatten wir auf Teneriffa Glück mit dem Wetter. Jeden Tag schien die Sonne, und gleich nach dem Frühstück saßen wir am Ufer und beobachteten, wie schnell die Finnen rot wurden. Auch Engländer wurden schnell rot, doch bei ihnen stach es nicht so ins Auge, weil sie in der Regel viele Tattoos hatten. Manche hatten sich die Symbole ihrer Heimat eintätowieren lassen und trugen die britische Flagge und die Königin auf ihrer Schulter. Andere hatten lange Texte auf dem Rücken, damit ihre Frauen und Kinder unterwegs immer etwas zu lesen hatten.

Urlaub auf Teneriffa bietet eine besondere Art der Langeweile. Die Tage vergehen hier wie im Flug, Frühstück, Kaffee und Abendessen werden zu den wichtigsten Erlebnissen des Tages, und täglich grüßt der Hoteldirektor im roten Anzug bei seinem morgendlichen Spaziergang durch die Anlage.

Die meisten Restaurants in unserem Ort trugen pathetische Namen, die auf eine imperiale Vergangenheit deuteten, und lockten mit ausgefallenen Spezialitäten. Das British Empire bot »heißes schottisches Ei in indischer Curry-Hülle« an, das Imperial Tai-Pan kochte pan-asiatisch: japanische Teigtaschen mit chinesischer Füllung und thailändischen S0ßen. Nur das deutsche Wirtshaus hatte keine imperialen Ansprüche und warb bescheiden mit einer großen weißen Wurst aus Plastik, die vor der Tür im Wind flatterte wie ein Segel ohne Schiff.

Im British Empire sprachen alle Mitarbeiter gut Russisch, sie kamen aus Litauen. Meine Frau hatte lange in dieser ehemaligen sowjetischen Republik gelebt, und wir haben einander gut verstanden. Beim Italiener Das alte Rom arbeiteten Kubaner, und in dem asiatischen Restaurant haben wir eine exotische Migrantengruppe – Mongolen – kennengelernt. Auch sie konnten noch Russisch.

Abends lockten die Lokale mit Livemusik. Die meisten Sänger kamen von weit her, sangen aber nicht viel besser als die Touristen. Überhaupt war diese spanische Insel ein erstaunlich klares Abbild unserer Realität: Alle Menschen um uns herum waren geflüchtet – entweder vor dem schlechten Wetter oder weil sie mit ihren Heimatländern grundsätzlich unzufrieden waren. Alle suchten ihr Glück anderswo. Die einen fuhren weg, um sich von den Strapazen des Festlandes zu erholen, und die anderen, um etwas zu verdienen oder um zu überleben. Abends saßen sie vor den Lokalen in der untergehenden Sonne und gaben zusammen im Chor einen kollektiven Frank Sinatra ab: »I did it my waaa-y!«, schmetterten sie, alle kannten den Text. Jeden Samstag kamen neue Musiker und neue Touristen, nur das Meer und die Wellen blieben die gleichen wie vor hundert Jahren.

Olga und ich beobachteten, wie unterschiedlich sich die Einwohner der Vereinigten Staaten von Europa anzogen, wenn sie an den Strand gingen. Die Kinder des Südens trugen modische Badeanzüge, die Frauen hatten Badetaschen und Hüte, manche schleppten sogar Sonnenschirme mit, sie gönnten sich ihren eigenen tragbaren Schatten. Ihre Männer hatten bunte Hemden und Sonnenbrillen. Bei den Kindern des Nordens ließ es sich nicht immer feststellen, ob sie unter der dicken Schicht Sonnencreme 50+ überhaupt noch etwas anhatten. Viele sahen aus wie Stückchen von Eiscreme, die geschmolzen in den Sand gefallen waren.

Die Russen trugen Ketten. Breite, dicke goldene Halsketten – Männer wie Frauen. Bestimmt litten sie darunter, denn die Ketten waren schwer und wurden in der Sonne schnell zu Brenneisen. Aber die Russen hielten durch, sie legten ihre Ketten niemals ab. Bereits Marx und Engels hatten in ihrem »Kommunistischen Manifest« die Proletarier angespornt, sie hätten nichts zu verlieren, außer ihren Ketten. Seit der Großen Oktoberrevolution passen die Russen auf ihre Ketten auf, sie wollen sie auf keinen Fall verlieren. Das machte ihnen das Schwimmen allerdings schwer. Die meisten gingen daher nur bis zur Kette ins Wasser und sofort wieder zurück. Junge Leute trugen diesen Schmuck nicht. Sie wirkten wie von der Kette gerissen, liefen am Strand hin und her, spielten Ball, sprangen ins Wasser und kämpften sich den Wellen entgegen – man merkte ihnen an, dass sie überhaupt keinen Halt mehr hatten.

Meine Frau ist ein Kind des Nordens, sie kann Kälte nicht leiden und friert schon beim leisesten Wind. Aber auch Sonne kann sie nicht ertragen, ihre Haut reagiert allergisch auf Sonnenstrahlen. Deswegen verbrachten wir die meiste Zeit unseres Urlaubs an der Bar. Abends gingen wir auf der Promenade spazieren, vorbei an den Ständen mit Karikaturisten, die für ihre Kunst mit lustigen Bildern berühmter Politiker warben. Jeder Zeichner hatte einen bösen Putin mit gefährlichen Raketen, die ihm statt einer Krawatte um den Hals gebunden waren, einen Trump mit einem toten Eichhörnchen auf dem Kopf, einen Obama mit unnatürlichem Riesenlächeln, sie hatten den traurigen Franzosen Hollande, sogar den unberechenbaren Berlusconi aus der Vorjahreskollektion. Nur Frau Merkel war bei keinem Karikaturisten zu sehen, nirgends. Wir suchten die ganze Promenade nach einem Porträt von ihr ab, aber von keinem wurde Frau Merkel verspottet. Vielleicht hatten die Karikaturisten vor der deutschen Kanzlerin so viel Respekt, dass sie die Frau nicht verspotten wollten? Doch nicht etwa wegen ihrer Flüchtlingspolitik?, überlegten wir. Vielleicht waren die Zeichner selbst von weit her geflüchtet?

Neben den Karikaturisten verkauften dunkelhäutige Männer sehr günstig Luis-Vitton-Frauentaschen und andere Markenartikel, asiatische Frauen handelten mit akkubetriebenen Plüschtieren – bellende Katzen und grunzende Tiger, die sie jedem vorbeigehenden Kind unter die Füße warfen. Das Kind stolperte und fiel vor Begeisterung beinahe um, und schon mussten die Eltern den Quatsch kaufen. Gott sei Dank sind unsere Kinder erwachsen, dachten wir und machten um die bellenden Katzen einen großen Bogen.

Wir wussten, worauf unsere Kinder Lust hatten. Für unsere Tochter hatten wir gleich am ersten Tag einem Althippie am Strand ein romantisches Armband abgekauft. Bei unserem Sohn war es etwas komplizierter. Jungs nehmen ihr Aussehen heutzutage sehr ernst, ernster als Mädchen. Bei der Mode hört der Spaß auf. Und sie legen großen Wert auf Markenartikel. Sebastian hatte bei uns eine schwarze Mütze von Ralph Lauren bestellt. Seine Lieblingsmütze mit dem kleinen Reiter darauf war aus Versehen bei zu hoher Temperatur gewaschen worden und hatte ihre Kopfform verloren. Sie sah aus, als würde man ein Rührei auf dem Kopf tragen.

In dem teuren Modegeschäft, in dem wir Ersatz für das Rührei suchten, begrüßte uns die Verkäuferin äußerst herzlich. Sie hatte uns sofort als Russen erkannt, obwohl wir keine Ketten trugen. Wahrscheinlich gingen nur Russen in diesen teuren Läden einkaufen. Die Verkäuferin gratulierte uns überschwänglich dazu, dass wir unbewusst die richtige Wahl getroffen und den einzigen Laden auf der Insel betreten hatten, der nicht mit Fälschungen, sondern mit zertifizierter Ware handelte. Sie hatte auch die gesuchte Mütze für uns, wollte aber vierzig Euro dafür haben. Nirgendwo würden wir eine solch tolle Kopfbedeckung so günstig finden, meinte sie. Natürlich nicht, lächelten wir und gingen zu den Afrikanern.

Die gut gelaunten Menschen in der dunklen Gasse um die Ecke boten uns für das gleiche Geld gleich fünf Mützen an, in allen Farben und Kombinationen, mit Reiter auf der linken oder auf der rechten Seite, oder auch gleich mit zwei Reitern hinter den Ohren. Wir kauften zwei Mützen, setzten sie auf und schickten Sebastian Fotos, um ihm eine kleine Vorfreude auf das tolle Geschenk zu bereiten. Unser Sohn war entsetzt. Das seien Fälschungen, schrieb er uns in einer E-Mail voller Empörung zurück. Alle Welt wisse, dass bei dem echten Ralph Lauren der Reiter IMMER in der Mitte sei. Er würde niemals eine Mütze mit einem falschen Reiter tragen, da würden ihn doch alle seine Freunde auslachen.

Was für ein Schnösel!, dachten wir und gingen zurück zu der zertifizierten Russenfreundin. In ihrem Laden ritten alle Reiter streng mittig. Wer hätte das gedacht? Also kauften wir den wahren Reiter für den lieben Sohn, die Fälschungen behielten wir für uns. Wir hatten zum Glück keine Freunde, die uns wegen einer solchen Kleinigkeit auslachten.

Am nächsten Tag war es sehr windig. Die Palmen beugten sich tief zur Erde, und die Wassertropfen flogen durch die Luft. Die Urlauber versteckten sich in ihren Hotels, saßen auf den Balkonen und spielten Karten. Wir saßen fast allein an der Bar, modisch angezogen – mit Reiter links und Reiter rechts –, und beobachteten die Eidechsen unter der Palme: zwei kleine und eine große. Ein alter Aberglaube sagt, wenn dir eine Eidechse zuzwinkert, wird dir ein Wunsch erfüllt. Du musst nur an etwas wirklich Wichtiges denken und den Augenkontakt mit den Viechern suchen. Leider zwinkern sie sehr selten und nur dann, wenn man mit leerem Kopf und vollkommen wunschlos an einer Bar sitzt. Trotzdem macht es Spaß und kostet überhaupt keine Mühe, die Eidechsen zu beobachten, denn sie bewegen sich nicht. Sie sitzen bei jedem Wetter auf den Steinen und starren vor sich hin.

Eidechsen sind große Philosophen. Sie haben vielleicht nur einen Gedanken, aber den wollen sie unbedingt zu Ende denken. Sie diskutieren nicht, sie springen nicht wie blöd herum, und sie schwitzen nicht – genau wie Immanuel Kant: Es gibt zahlreiche Aussagen seiner Zeitgenossen darüber, dass Kant nie geschwitzt habe.

Eine große schneeweiße Insel fuhr an uns vorbei. Dabei trompetete sie so leidenschaftlich, als wollte sie für immer Abschied von der schmutzigen Welt nehmen und auf ewig den Horizont bügeln. Queen of the Seas stand am Bug. Schon früher hatten wir diese...