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Revanche - Der zehnte Fall für Bruno, Chef de police

Martin Walker

 

Verlag Diogenes, 2018

ISBN 9783257608809 , 416 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

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Bruno Courrèges, Chef de police der französischen Kleinstadt Saint-Denis, erwachte wenige Sekunden vor sechs, kurz bevor es hell wurde. Sein Hahn Blanco, benannt nach einer französischen Rugbylegende, begrüßte den neuen Tag, als Bruno in seinen Trainingsanzug schlüpfte und sich die Laufschuhe schnürte. Er freute sich auf seine allmorgendliche Joggingrunde durch den Wald hinter seinem Haus. Heute strahlte die Sonne durch das matte Grün der jungen Knospen und Blätter der Bäume, der Morgen war knackig und frisch, aber doch warm genug, dass er auf Handschuhe verzichten konnte, als er mit Balzac, seinem Basset, loslief.

Als er zurückkam, schimmerten die alten Steinmauern seines Hauses im frühen Sonnenlicht. Bruno fütterte seine Gänse und Hühner, wässerte den Gemüsegarten und schaute sich in dem neuen Treibhaus, das er als Bausatz gekauft und selbst aufgestellt hatte, die Setzlinge an. Danach stellte er den Wasserkessel für seinen Kaffee auf den Herd und ließ in einem Stieltopf zwei frische Eier garen, während er seine E-Mails checkte und dann das Radio einschaltete, das auf den Sender France Bleu Périgord eingestellt war. Er toastete die vom Vortag übriggebliebene Baguettehälfte, gab Balzac ein Stück davon ab und schnitt seines in {8}pommes-große Stäbchen auf, mit denen er das noch flüssige Eidotter auftunkte. Als die wichtigsten überregionalen Meldungen verlesen worden waren, schaltete er auf den lokalen Nachrichtensender um. Die dritte Meldung ließ ihn aufhorchen.

»Madame Marie-France Duteiller, Psychologin aus Périgueux, kritisiert die Staatsanwaltschaft wegen schleppender Ermittlungen in den rund dreißig Jahre zurückliegenden Fällen mutmaßlicher sexueller Übergriffe auf Kinder in einem von der Kirche geführten Waisenhaus in der Gemeinde Mussidan. Sie bezeichnete die von Chefermittler Jean-Jacques Jalipeau geleiteten Untersuchungen als ›unsensibel und nachlässig‹ und wirft ihm vor, den Opfern nicht gerecht zu werden, die ihrerseits mehreren namhaften Persönlichkeiten vorwerfen, sie zur Zeit ihres Heimaufenthaltes missbraucht zu haben. Von Commissaire Jalipeau war gestern Abend zu hören, dass die Nachforschungen fortgesetzt würden, obwohl nur vage Verdachtsmomente vorlägen, da alle Anschuldigungen ausschließlich auf Erinnerungen basierten, die von Psychologin Duteiller in Hypnosesitzungen erfasst worden seien.«

Was Bruno da hörte, versetzte seiner guten Stimmung einen Dämpfer. Er seufzte voller Mitgefühl für seinen Freund Jean-Jacques, der schon seit Monaten an diesem Fall arbeitete und offenbar nicht weiterkam. Und das war ungewöhnlich. Bruno mochte durchaus einräumen, dass Jean-Jacques mitunter recht unsensibel sein konnte, aber Nachlässigkeit war das Letzte, was sich dem bulligen und etwas ungepflegten Mann vorwerfen ließ, mit dem er, Bruno, immer wieder gern zusammenarbeitete. Solche Kooperationen endeten für gewöhnlich mit einem Restaurantbesuch, zu dem {9}Jean-Jacques als spendabler Gastgeber einlud, nicht nur zur Feier des Tages, sondern auch, um sich für die vielen Male zu revanchieren, die er an Brunos gastlichem Tisch hatte sitzen dürfen. Jean-Jacques’ heitere Persönlichkeit passte zu seiner Leibesfülle, und wie Bruno hatte er ein ausgeprägtes Faible für gutes Essen und guten Wein. Ihr freundschaftliches Verhältnis hatte auch keinen Schaden genommen, als nach einer noch nicht lange zurückliegenden terroristischen Straftat in einer Zeitung eine bissige Karikatur erschienen war, die Bruno als Asterix den Gallier und Jean-Jacques als seinen großen beleibten Freund Obelix darstellte, beide mit einer Flasche Bergerac-Wein in der Hand als Ersatz für den Zaubertrank, mit dem sich Asterix gegen römische Legionäre wappnete.

Anders als die meisten seiner Kollegen von der Police nationale schaute Jean-Jacques auf städtische Polizisten wie Bruno nicht herab. Im Gegenteil, er schätzte Brunos umfangreiche Kenntnisse der kommunalen Besonderheiten von Saint-Denis, die er als aktives Mitglied des Tennis-, des Rugby- und des Jagdvereins seiner Stadt über Jahre gesammelt hatte. Er akzeptierte dessen ganz eigene Art, mit der er seinen Aufgaben nachging, und konnte neidlos Brunos Anteil daran anerkennen, dass Saint-Denis die niedrigste Kriminalitätsrate im ganzen Département der Dordogne aufzuweisen hatte. Bruno seinerseits respektierte Jean-Jacques als strengen und gesetzestreuen Kriminalbeamten, der sich mit verblüffender Leichtigkeit im Dickicht der französischen Strafverfolgung zurechtfand. Egal, was im Radio über ihn kolportiert wurde – für Bruno gab es keinen Zweifel daran, dass Jean-Jacques Manns genug war, sich in {10}allen Lebens- und Berufslagen zu behaupten. Und wenn er Brunos Hilfe brauchte, wusste er, dass er einfach nur darum bitten musste.

Bruno hatte sich vorgenommen, zur Reitschule seiner schottischen Freundin Pamela zu fahren, um Hector, sein Pferd, zu bewegen, und erst dann sein Büro in der mairie aufzusuchen. Vielleicht würden ihm im Sattel Ideen für die Rede einfallen, die er am Wochenende halten sollte. Und vielleicht wäre auch ein neuer Anzug fällig, dachte er, als er in Gedanken an die bevorstehende Hochzeit seinen Kleiderschrank durchforstete.

Zwei Drittel des Schranks nahm seine Berufsbekleidung in Anspruch: Polizeiuniformen für Sommer und Winter, dazu eine komplette Paradeuniform und ein Überzieher. Vor der Rückwand hing ein separater Kleidersack, in dem er seine Reservistenuniform mit dem Rangabzeichen als Sergeant der französischen Armee aufbewahrte. Damit hatte er anzutreten, wenn er dazu aufgerufen wurde. In der Abstellkammer stand neben der Waschmaschine ein verschließbarer Spind, in dem zum einen seine Jagdgewehre untergebracht waren, zum anderen seine tarnfarbene Kampfmontur, die er auch für die Jagd nutzte, sowie der alte Trainingsanzug aus seiner Militärzeit, den er nach seiner frühmorgendlichen Joggingrunde zum Lüften nach draußen gehängt hatte.

An ziviler Kleidung hatte Bruno nicht viel. Es gab einen Anzug aus dunkelblauer Schurwolle, den er sich gekauft hatte, nachdem er von einem Scharfschützen in Bosnien an der Hüfte verletzt und aus dem Militärdienst ausgemustert worden war. Die während des monatelangen Krankenhausaufenthaltes zugelegten Pfunde hatte er längst wieder {11}abgespeckt, so dass ihm der Anzug mindestens eine Nummer zu groß war. Ein dunkelblauer Blazer und eine graue Tuchhose teilten sich einen weiteren Holzkleiderbügel. Daneben hingen Khaki-Chinos und eine dunkelrote Windjacke, die Bruno über seinem Uniformhemd trug, wenn er in Zivil auftreten wollte. Eine ähnliche Jacke in Schwarz hatte er in seinem Dienstwagen dabei, einem Kleintransporter. Auf dem Einlegeboden seines Kleiderschranks lagen zusammengefaltet ein Paar Jeans, mehrere Polohemden und Sweater, seine Polizei-képis sowie ein zerkratzter und verbeulter Blauhelm der UN-Friedenstruppe, den er aus sentimentalen Gründen aufbewahrt hatte.

Das Innenleben dieses Schranks, dachte Bruno, erzählte auf einen Blick die Geschichte seiner beruflichen Laufbahn mit den Stationen im Militär- und Polizeidienst. Außerdem machte er deutlich, dass sein Besitzer sehr viel häufiger Uniform trug als Zivil und sparsam mit seinem Geld umging, zumal sich in puncto Kleidung der Staat um fast alles kümmerte, was er brauchte. Der dunkle, einzige Anzug war von zeitloser Eleganz und unabhängig von den Launen der Mode, die die Hosen mal eng, mal weit sehen wollte und die Krawatten oder Revers im einen Jahr breit, im nächsten schmal.

Bruno war klar, dass seine Garderobe selbst für einen Polizisten vom Lande recht bescheiden ausfiel. Selbstkritisch befand er, dass er ein Mann war, dem es an Phantasie und Stilbewusstsein mangelte, hielt sich aber zugute, womöglich nur andere Prioritäten zu setzen. Er hasste Kaufhausbesuche, konnte aber stundenlang in Katalogen blättern und sich über Jagdgewehre informieren, die er sich ohnehin {12}nicht leisten konnte, oder über Angelruten, wenn er wieder einmal mit dem Baron Forellen fangen wollte.

Das Gute an Hochzeiten war, dachte er, dass die Gäste normalerweise nur Augen für die Braut hatten. Niemanden würde interessieren, was er anhatte, und der dunkelblaue Anzug wäre durchaus angemessen. Die Trauung sollte in der mairie stattfinden und anschließend im engeren Freundeskreis im Nationalmuseum für Vorgeschichte in Les Eyzies gefeiert werden. Mit dessen lebensgroßen Modellen steinzeitlicher Menschen, die, in Tierhäute gehüllt, Speere in den Händen hielten oder Flintsteine bearbeiteten, bildete dieser Ort einen eher ungewöhnlichen Rahmen für eine Hochzeit. Bruno aber fand ihn durchaus geeignet, da sowohl die Braut als auch der Bräutigam hochangesehene Archäologen waren. Clothilde leitete das Museum als Chefkuratorin, während Horst, ein emeritierter Universitätsprofessor aus Deutschland, ihr als Assistent zur Seite stand und für archäologische Grabungen zuständig war. Auch die meisten Hochzeitsgäste stammten aus ihrem beruflichen Umfeld.

Bruno fragte sich, ob vielleicht paläolithische Kost auf dem Speiseplan stehen würde statt einer neuzeitlich-zünftigen Speisefolge. Wohl eher nicht, glaubte er. Horst hätte wahrscheinlich sein Vergnügen an Früchten, Nüssen und angekohltem Fleisch, aber Clothilde war eine vernünftige Französin. Ihr war natürlich bewusst, dass sich Gäste, die zu Besuch ins kulinarische Herzland Frankreichs kamen, auf Spezialitäten aus dem Périgord freuten.

Als Horsts Trauzeuge war Bruno ein bisschen nervös wegen der Tischrede, die er zu halten hatte, zumal er nicht umhinkommen würde, mit ein paar Worten auch auf die {13}akademische Vita seines...