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Strandbudenzauber - Angermüllers zehnter Fall

Ella Danz

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2018

ISBN 9783839257401 , 352 Seiten

3. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

18. September –
Con onor muore …


Eine zarte Brise wehte über die Dünen, sachte neigte sich der Strandhafer zur Landseite. Von Osten kam die Brise, streichelte, was sie berührte, und versprach eine stabile Schönwetterlage. Das milde Licht des ausgehenden Sommers lag über der Lübecker Bucht und brachte die Ostsee zum Glitzern. Glücklich, wer jetzt hier seine Urlaubstage verleben konnte.

Nur ein paar vereinzelte Jogger und Hundefreunde folgten dem Saum des Wassers, sonst war der Strand um diese morgendliche Stunde noch leer. An der Landseite eines Holzhauses zwischen den Dünen baumelte ein Schild, verbeult, die Schrift ausgeblichen wie auf einem Stück Strandgut. »Café & Restaurant Alte Strandbude« stand darauf. Wer um die so bezeichnete Bude herumging, wurde empfangen von einer großzügigen Terrasse. Aus der geöffneten Tür des Gastraumes, viel größer, schicker und vor allem neuer als erwartet, gebaut aus viel Glas und Holz, drang leises Geschirrklappern und das Zischen einer Kaffeemaschine. Das verwaschene Himmelmeeresblau des Horizonts setzte sich auf Kissen, Gardinen und Deckchen fort, die Tische und Bänke nahmen das helle Sandgrau des Strandes auf. Spätestens jetzt wurde dem Betrachter klar, dass auch dem abgenutzten Schild seine Patina in kunstvoller Absicht beigebracht worden war. Vielleicht hatte hier früher einmal eine kleine Bude gestanden, wo man Limo und Bier, Pommes, Fischbrötchen und Eis kaufen konnte, aber das war mit Sicherheit vorbei.

Die »Strandbude« und schräg gegenüber das »La Gola Incantata« waren die letzten Gebäude hinter dem Campingplatz. Der unbefestigte Strandweg, der hierherführte, verlief 20 Meter weiter im Nichts. Trotzdem war bei Badewetter im Sommer tagsüber kein Parkplatz zu finden, und ganz Mutige fuhren immer wieder verbotenerweise auf den Strand, wo sie dann Hilfe brauchten, wenn sie sich eingegraben hatten und neben dem Ärger meist ein fettes Knöllchen kassierten wegen Verkehrsvergehens und der Missachtung des Dünenschutzes. Aber jetzt war ein Montag Mitte September, Leere und eine diesige Trägheit hatten sich über alles gebreitet.

Das Reetdachhaus, welches das Restaurant »La Gola Incantata« beherbergte, beeindruckte durch seine schiere Größe, mindestens dreimal so groß wie sein Gegenüber. Es verfügte über eine geräumige Terrasse zum Strandweg hin, die von einem Glaszaun gegen den Seewind geschützt wurde. Der Kiesweg zur Eingangstür war durch einen dicken Tampen versperrt, an dem ein Schild befestigt war, das »Montag Ruhetag« verkündete. Trotzdem stand die Tür zum Restaurant offen, und hin und wieder drangen Klangfetzen italienischer Opernarien heraus.

Auf der Terrasse der »Strandbude« hatte es sich mittlerweile ein Paar bequem gemacht, dessen tiefe Bräune von einem langen, sonnendurchglühten Sommer zeugte. Die konzentrierte Langsamkeit, mit der sie zeitgleich an ihren Zigaretten zogen, hatte schon fast etwas Meditatives. Sie saßen in der ersten Reihe, vor sich ihren Cappuccino, schwiegen und schauten aufs Meer. Hin und wieder wandten sie die Köpfe zu dem großen Mann in Jeans und weißem Hemd, der mit ruhigen Bewegungen den Sand von den Planken fegte, die Tische abwischte und anschließend die Stühle aufstellte.

»Na, das is doch auch ma schön, wenn man das n’büschen ruhiger angehen lassen kann, oder? Hast dich denn schon hier eingewöhnt, mien Jong?«

Die Stimme, rau und tief, gehörte der Dame am Tisch, und an ihrer Sprache war leicht die Hamburger Herkunft zu erkennen.

»Kann man sagen, bin ja schon über zwei Wochen hier. Und jetzt fängt eh die Nachsaison an, da helfe ich nur gelegentlich aus.«

»Schade, bist ein wirklich netter Kellner. Aber ich mag die Nachsaison, vor allem bei so einem feinen Wetter. Überall kriegst einen Platz, die meisten nervigen Urlauber sind weg, und wir sind wieder unter uns. Nur, dass ihr ab Oktober nur noch am Wochenende aufhabt, das is’n büschen schade.«

»Wie lange wollen Sie denn auf dem Campingplatz aushalten?«

»Ach, kommt drauf an. Wir haben hier auch schon Weihnachten gefeiert!«

Sie lachte ihr heiseres Raucherlachen.

»Unser Anhänger ist gut isoliert, hat Heizung, TV, Kühlschrank, Herd, Dusche und was noch alles – sehr komfortabel und richtig gemütlich. Musst uns mal besuchen kommen! Nur, dass bei Schnee und Eis die Entsorgung etwas beschwerlich ist. Und inzwischen ist es im Winter ziemlich langweilig. Viele unserer Freunde sind krank, manche verstorben und die Jüngeren, die bleiben ab Oktober lieber in der Stadt. Mal sehen, wann wir unsere Zelte abbrechen, was, Karl-Heinz?«

Der Mann sagte nichts, nickte nur bedächtig. Gleich in den ersten Tagen hatte Erika dem neuen Kellner im Vertrauen erzählt, dass sie beide in diesem Jahr 83 wurden, was dieser höchst beeindruckend fand.

»Die Chefin nicht da?«, schallte es plötzlich laut und ungehalten aus dem Gastraum.

»Die freundliche Stimme kenn ich doch«, kommentierte Erika und schnitt eine Grimasse, »na, wenn das man nich der olle Kröger is …«

»Sie entschuldigen mich!«

Der Kellner beeilte sich, nach drinnen zu kommen.

»Deine Chefin nicht da?«, blaffte der Mann in Blaumann und Gummistiefeln schon wieder, als er des Kellners ansichtig wurde. Neben ihm schnaufte ein übergewichtiger, alter Hund.

»Guten Morgen erst mal, Herr Kröger. Und meines Wissens duzen wir uns immer noch nicht. Nein, Frau Martinsen ist nicht im Haus. Kann ich Ihnen helfen?«

»Frau Martinsen ist nicht im Haus«, äffte der Campingplatzbesitzer die Ausdrucksweise des Kellners nach. »Nee, du kannst mir nich helfen. Aber du kannst deiner Chefin ausrichten, dass ich mir das nicht länger bieten lasse. Wenn sie nicht innerhalb von drei Tagen das Parkplatzschild mit ihrer Werbung von meinem Grund und Boden entfernt, dann gibt das ganz großen Ärger, das sach ihr man!«

»Ich werde es ausrichten, doch soweit ich weiß, steht das Schild auf öffentlichem Land und …«

»Öffentliches Land! Dass ich nich lache! Das is ganz allein mein Land!«, schnaubte der Mann. »Aber wenn sie Ärger will, den kann sie haben, genau wie der Pizzabäcker nebenan! Die haben doch alle einen Knall! Richte das deiner Chefin aus!«

Damit wandte er sich in Richtung des Personaleingangs, durch den er auch hereingekommen war. Sein Hund, der sich auf allen vieren niedergelassen hatte, erhob sich mühsam.

»Im Übrigen möchte ich Sie bitten, zukünftig nicht unbefugterweise den Eingang durch die Küche zu nutzen, schon gar nicht mit Ihrem vom Durchfall geplagten Hund, sondern …«

»Du hast sie ja wohl nich alle!«, antwortete Kröger grob auf das höfliche Ansinnen. »Ich nehm die Tür, die mir passt, verstanden!?«

Er zeigte dem Kellner einen Vogel und war dann verschwunden. Resigniert hob der Zurückgebliebene die Schultern, ging zurück auf die Terrasse, verteilte Tischdecken, Speisekarten und Sitzkissen und spannte einige der blau-grau gestreiften Sonnenschirme auf.

»Sonst ist morgens doch immer die Chefin da? Ist sie krank? Oder verspätet sie sich nur?«, wollte Erika wissen, die den Blick des Mannes auf seine Armbanduhr regis­triert hatte – der alten Dame entging nichts.

»Sie wird wohl bald da sein«, meinte der Kellner, »sie ist mit Polette in Lübeck neue Lieferanten besuchen und ein paar Sachen besorgen. Es soll demnächst eine neue Speisekarte geben.«

Die Speisekarte interessierte Erika und Karl-Heinz weniger. Sie waren keine Genießer, kochten möglichst sparsam mit ihren beim Discounter gekauften Vorräten, Hauptsache sie wurden satt. Ihr morgendlicher Cappu und gegen Abend mal ein Bierchen oder ein Sprizz in der »Strandbude« waren der einzige Luxus, den sie sich gönnten.

Der entspannte Blick der Stammgäste folgte dem Kellner, der vor die Terrasse trat, wo im Sand sechs Strandkörbe auf Gäste warteten. Er rückte die Öffnungen der Sitzmöbel der Sonne entgegen, entfernte Sand von den meerwasserblau gestreiften Sitzkissen und klappte alle Tabletts ordentlich zur Seite. Dann war er zufrieden.

»So, ich muss drinnen noch was tun. Sie melden sich, wenn Sie was brauchen.«

»So mok wi dat! Danke!«

Der Mann verschwand im Gastraum. Die beiden Camper zündeten sich neue Zigaretten an und gaben sich schweigend der Harmonie des trägen Montagvormittags hin, während drinnen der Kellner sein beschauliches Tagwerk fortsetzte, die Brotkörbe mit neuen Papierservietten auslegte, Besteck sortierte und frische Wassergläser auf den Tischen verteilte. Das Restauranttelefon meldete sich mit seiner unaufdringlichen Melodie.

»Frau Martinsen – Entschuldigung, Tante Ille – guten Morgen! Ja, vertretungsweise mache ich Frühdienst. Niki hat sich krank gemeldet und Wiebke ist mit Polette unterwegs, Sachen fürs Restaurant besorgen.«

Alle nannten die alte Dame nur Tante Ille. Auch ihn hatte sie gleich bei ihrer ersten Begegnung dazu angehalten. Doch die vertraute Anrede ging dem Kellner noch nicht so locker von der Zunge.

»Gut, ich sage Ihrer Nichte, sie soll sich bei Ihnen melden, wenn sie kommt. Danke, Ihnen auch einen schönen Tag!«

Er legte auf und sah sich um. Die Morgenroutine war erledigt, und eigentlich konnten jetzt die Gäste kommen. Wieder draußen auf der Terrasse, blickte er suchend den Strand entlang. Trotz des makellosen Tages niemand in Sicht, der die »Alte Strandbude« ansteuerte. Langsam schlenderte er ums Haus herum, als ein durchdringender Schrei die friedliche Vormittagsstille zerriss. Er kam eindeutig...