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Der Flüsterer im Dunkeln - Das Meisterwerk des Cthulhu-Mythos

H. P. Lovecraft

 

Verlag Festa Verlag, 2018

ISBN 9783865526441 , 224 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

I

Man sollte sich stets im Klaren darüber sein, dass ich bis zum Schluss nichts wirklich Grauenhaftes gesehen habe. Doch bedeutet es, die offenkundigen Tatsachen meines Erlebnisses zu ignorieren, wenn man behauptet, ein seelischer Schock sei die Ursache meiner Schlussfolgerungen gewesen – praktisch der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte, sodass ich nachts aus Akeleys einsamem Gutshaus floh und in einem gestohlenen Wagen durch die wilde Berglandschaft Vermonts raste. Obwohl ich von Henry Akeley viele Informationen erhielt und er mir auch seine Mutmaßungen mitteilte, ich Dinge sah und hörte, die bei mir einen zugegebenermaßen äußerst lebhaften Eindruck hinterließen, so kann ich doch nach wie vor nicht beweisen, ob ich mit meinen Schlussfolgerungen richtigliege oder nicht. Denn im Grunde genommen besagt Akeleys Verschwinden gar nichts. Außer den Einschusslöchern innen und außen fand man in seinem Haus nichts Ungewöhnliches. Alles wirkte so, als wäre er nur zu einer Wanderung in den Bergen aufgebrochen, von der er aber nicht mehr zurückkehrte. Es gab nicht das geringste Anzeichen dafür, dass sich ein Besucher im Haus aufgehalten hatte oder dass jene abscheulichen Zylinder und Apparate im Arbeitszimmer gelagert worden waren. Dass Akeley eine tödliche Angst empfand angesichts der dicht gedrängten bewaldeten Berge und der zahllosen dahinplätschernden Bäche der Gegend, in der er geboren wurde und aufgewachsen war, ist ebenfalls bedeutungslos – schließlich leiden Tausende unter solch krankhaften Ängsten. Außerdem lassen sich seine Befürchtungen und sein sonderbares Verhalten leicht mit einer exzentrischen Veranlagung erklären.

Die ganze Sache begann, jedenfalls soweit es mich betrifft, mit den historischen und beispiellosen Überschwemmungen, die Vermont am 3. November 1927 heimsuchten. Damals war ich, und bin es noch heute, Literaturprofessor an der Miskatonic-Universität in Arkham, Massachusetts, und erforschte nebenbei begeistert die volkstümlichen Überlieferungen Neuenglands. Kurz nach dem Hochwasser fanden sich unter den zahlreichen Zeitungsberichten über Leid, Elend und organisierte Hilfsmaßnahmen so viele merkwürdige Geschichten über Dinge, die man angeblich in den angeschwollenen Flüssen gesehen hatte, dass etliche meiner Freunde eifrig darüber diskutierten und mich darum baten, ein wenig Licht in die Sache zu bringen. Ich fühlte mich geschmeichelt, dass sie meine Volkskundestudien so ernst nahmen, und tat, was ich konnte, um diese unklaren, verworrenen Berichte herunterzuspielen, die mir eindeutig Auswüchse alten bäuerlichen Aberglaubens zu sein schienen. Es amüsierte mich zu sehen, wie mehrere durchaus gebildete Personen auf der Meinung beharrten, dass sich hinter den obskuren Gerüchten ja Tatsachen verbergen könnten.

Die Geschichten, von denen ich auf diese Weise erfuhr, waren größtenteils Zeitungen entnommen; bei einem dieser Märchen handelte es sich jedoch um einen Augenzeugenbericht, der einem meiner Freunde von seiner Mutter aus Hardwick, Vermont, in einem Brief mitgeteilt wurde. Alle Fälle stimmten im Wesentlichen überein, auch wenn es sich um drei voneinander unabhängige Ereignisse handelte – das eine stand mit dem Winooski River in der Nähe von Montpelier in Verbindung, das andere mit dem West River in Windham County jenseits von Newfane, und ein drittes ereignete sich am Passumpsic in Caledonia County nördlich von Lyndonville. Natürlich erwähnten die verstreuten Berichte noch weitere Vorfälle, doch eine genaue Untersuchung ergab, dass sie anscheinend alle auf die genannten drei zurückzuführen waren. In allen Fällen behaupteten Landbewohner, in dem reißenden Wasser, das von den unbesiedelten Bergen herabströmte, überaus bizarre und verstörende Dinge gesehen zu haben. Die Beobachtungen brachte man allgemein mit einem primitiven, halb vergessenen Sagenkreis in Verbindung, der von alten Leuten bei dieser Gelegenheit neu belebt wurde.

Die Leute berichteten von Gebilden offensichtlich organischen Ursprungs, die nichts gleichkamen, was sie je zuvor gesehen hatten. Natürlich wurden in dieser tragischen Zeit viele menschliche Leichen von den Flüssen fortgeschwemmt; diejenigen aber, die diese sonderbaren Dinge beschrieben, waren fest davon überzeugt, es habe sich – trotz einiger oberflächlicher Ähnlichkeiten bezüglich Größe und Gestalt – nicht um Menschen gehandelt. Laut den Zeugen konnten es auch keine Tiere sein, jedenfalls keine, die in Vermont bekannt waren. Es handelte sich ihrer Aussage nach um rosafarbene Wesen von ungefähr anderthalb Metern Länge, die Leiber waren krustentierartig und wiesen je ein gewaltiges Paar Rückenflossen oder Membranschwingen sowie mehrere gelenkige Gliedmaßen auf. Dort, wo sich eigentlich ein Kopf befinden sollte, war ein ellipsenartig zusammengerolltes Gebilde, bedeckt mit unzähligen sehr kurzen Fühlern. Es war wirklich bemerkenswert, wie sehr die Aussagen aus unterschiedlichen Quellen miteinander übereinstimmten. Allerdings wurde diese erstaunliche Tatsache dadurch geschmälert, dass die alten Legenden, die in früheren Zeiten im gesamten Bergland heimisch gewesen waren, mit ihrer morbiden, anschaulichen Bildsprache auf die Vorstellungskraft all dieser Augenzeugen eingewirkt haben mochten. Ich war zu der Schlussfolgerung gelangt, dass die Zeugen – in allen Fällen handelte es sich um naive und einfach gestrickte Hinterwäldler – in den reißenden Fluten zerschundene und aufgequollene Leichen von Menschen oder Vieh gesehen hatten; die fast vergessenen Legenden ließen sie dann den bedauerlichen Opfern ein absurdes Aussehen verleihen.

Die alten Überlieferungen waren unklar, schwer einzuordnen und der jüngeren Generation größtenteils unbekannt. Ihr einzigartiger Charakter war offensichtlich auf den Einfluss wesentlich älterer Erzählungen der Indianer zurückzuführen. Auch wenn ich Vermont nie besucht hatte, war ich mit diesen Sagen vertraut durch die überaus seltene Abhandlung von Eli Davenport, die Material aus der Zeit bis 1839 umfasst, das aus den Erzählungen der ältesten Einwohner des Bundesstaates gewonnen wurde. Es fanden sich tatsächlich große Ähnlichkeiten mit Erzählungen, die ich persönlich von älteren Bauern in den Bergen New Hampshires gehört hatte. Um es kurz zu fassen: Es gab Hinweise auf eine verborgene Rasse monströser Wesen in den entlegenen Bergen – in den tiefen Wäldern, auf den höchsten Gipfeln und in den dunklen Tälern, wo Bäche aus unbekannten Quellen entspringen. Diese Wesen sah man nur selten, doch Männer, die sich weiter als üblich auf gewisse Berge oder in tiefe Steilschluchten, die sogar von Wölfen gemieden wurden, gewagt hatten, berichteten von ihren Spuren. Es handelte sich um sonderbare Fuß- oder Klauenspuren im Schlamm der Bachufer und auf unbewachsenen Stellen und um merkwürdige Steinkreise, die nicht von der Natur so angeordnet zu sein schienen und in deren näherer Umgebung kein Gras wuchs. Es gab zudem einige Höhlen von unbekannter Tiefe in den Berghängen; die Ausgänge waren von Felsblöcken auf eine Art verschlossen, die von keinem Zufall herrühren konnte. Überdurchschnittlich viele der merkwürdigen Spuren führten zu diesen Höhlen oder von ihnen fort – sofern die Richtung der Spuren überhaupt zu bestimmen war. Am schlimmsten aber waren die Dinge, die nur sehr selten von wagemutigen Leuten im Zwielicht der entlegensten Täler und in den dichten Wäldern der Berghöhen, auf die sonst niemand stieg, gesehen wurden.

Das alles wäre weniger beklemmend gewesen, hätten die verstreuten Darstellungen nicht so viele Ähnlichkeiten untereinander aufgewiesen. So gab es zwischen all den Gerüchten mehrere Übereinstimmungen: die Behauptung etwa, bei den Kreaturen handele es sich um eine Art riesiger hellroter Krebse mit zahlreichen Beinpaaren und zwei großen fledermausartigen Schwingen auf dem Rücken. Manchmal gingen sie auf allen Beinen, ein andermal nur auf dem hintersten Beinpaar, während sie die restlichen Gliedmaßen zum Transport großer Gegenstände unbekannter Art benutzten. Einmal hatte man eine erhebliche Anzahl der Wesen beobachtet: Eine Gruppe von ihnen watete durch einen seichten Waldbach, drei der Wesen führten den offensichtlich diszipliniert angeordneten Trupp an. Bei einer Gelegenheit hatte man ein Exemplar fliegen gesehen – es erhob sich nachts vom Gipfel eines kahlen, einsamen Berges und verschwand am Himmel, nachdem sich die großen flatternden Schwingen einen Augenblick lang vor dem Vollmond abgezeichnet hatten.

Im Großen und Ganzen schienen diese Wesen die Menschen in Frieden zu lassen, allerdings schrieb man ihnen das Verschwinden einiger waghalsiger Einzelgänger zu – vor allem Personen, die ihre Häuser zu nahe an gewissen Wäldern oder zu hoch auf gewissen Bergen erbaut hatten. Viele Gegenden betrachtete man bald als ungeeignet für die Besiedlung, und das hielt selbst dann noch vor, wenn der Grund für diese Einschätzung schon seit Langem in Vergessenheit geraten war. Die Menschen erschauderten beim Anblick mancher nahe gelegener Felswände, auch wenn sie gar nicht wussten, wie viele Siedler dort verschwunden und wie viele Bauernhäuser auf den unteren Hängen dieser finsteren grünen Wächter niedergebrannt waren.

Obwohl die frühesten Legenden davon sprachen, dass die Kreaturen wohl nur denen Leid zufügten, die in ihr Gebiet eindrangen, erzählten spätere Berichte von ihrer Neugierde in Bezug auf die Menschen – und von ihren Versuchen, geheime Vorposten in unserer Welt zu errichten. Es gab Geschichten über sonderbare Klauenabdrücke, die man morgens vor den Fenstern der Bauernhäuser entdeckt hatte, und über das gelegentliche Verschwinden von Personen in Gebieten außerhalb der bekanntermaßen heimgesuchten Regionen. Außerdem kursierten Gerüchte...