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Drei Grazien - Ein Fall für Kostas Charitos

Drei Grazien - Ein Fall für Kostas Charitos

Petros Markaris

 

Verlag Diogenes, 2018

ISBN 9783257609202 , 368 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

10,99 EUR


 

{14}2


Der Seat müht sich über die holprige Straße. Bei jeder Unebenheit stößt eine der Damen auf dem Rücksitz einen kleinen Schrei aus. Ich aber habe ganz andere Sorgen. Ich fürchte, dass unsere Rückfahrt nach Athen problematisch werden könnte und der Seat zuvor in die Werkstatt muss.

»Sollen wir den Wagen nicht besser stehen lassen?«, frage ich. »Das ist die reinste Via Dolorosa für ihn.«

Unter allgemeiner Zustimmung stelle ich den Seat unter einem Baum ab. Aber auch der Fußweg ist nicht leicht zu bewältigen, da uns der steinige Wanderpfad zu schaffen macht. Die Zeiten sind vorbei, als wir barfuß über schroffe Felsen liefen, sage ich mir. Am besten hat es wohl der Seat getroffen.

»Meine armen Beine«, stöhnt Argyro. »Ich werde ins Hotel zurückhumpeln und morgen nicht aus dem Bett kommen.«

»Ich habe euch doch gesagt, wir sollten in die Zagori-Dörfer fahren, aber ihr wolltet ja den Fliegenden Holländer sehen«, bemerkt Kalliopi.

»Was für einen Holländer? Es sind doch Deutsche! Hast du nicht gehört, was Maria gesagt hat?«, hält ihr Adriani entgegen.

{15}Kalliopi lacht auf, während ihr die anderen drei irritierte Blicke zuwerfen.

Wir erreichen die Ausläufer des Astraka-Gebirges genau in dem Moment, als der Flugkörper deutscher Provenienz zur Landung ansetzt. Nur, dass er nicht wie ein Vogel oder Flugzeug im sanften Anflug landet, sondern quasi senkrecht vom Himmel fällt. Zwei Leute, die in der Schlucht warteten, heißen ihn mit Applaus willkommen. Als er die Brille ablegt, stellen wir fest, dass Graf Zeppelin weiblichen Geschlechts ist. Es handelt sich um eine vierzigjährige Frau, die sich lächelnd vor ihrem Publikum verbeugt.

»He, das ist ja eine Frau!«, wundert sich Tassia.

»Das fehlte noch!«, meint Argyro.

»Warum sollen Frauen nicht fliegen?«, fragt Kalliopi. »Soviel ich weiß, gibt es nicht nur Männchen unter den Vögeln.«

Damit bringt sie uns alle zum Lachen.

Die Deutschen drehen sich um und blicken uns überrascht an. Die beiden Männer bleiben ernst, aber die Fliegerin lächelt uns zu.

»Kommt, wir gratulieren ihnen zu ihrer Leistung«, bemerkt Tassia. »Auch wenn sie uns Faulpelze und Schmarotzer nennen, so sind wir doch noch immer gute Gastgeber.«

Wir gehen lächelnd auf die Deutschen zu, die unsere Freundlichkeit erwidern.

»Bravo!«, sagt Kalliopi bewundernd zur Fliegerin.

»Danke«, antwortet die zuerst auf Deutsch und fügt dann auf Englisch hinzu: »Thank you.«

Plötzlich spricht Argyro die Leute auf Deutsch an, was die drei sichtlich freut.

{16}»Kann sie denn Deutsch?«, will Adriani von Kalliopi wissen.

»Ja, sie hat es im Goethe-Institut gelernt. Wie gut sie wirklich spricht, kann ich nicht beurteilen. Wenn es so gut ist wie mein Französisch, das ich am Französischen Kulturinstitut gelernt habe, ist es wohl mehr ein Radebrechen.«

Ich verschweige lieber, wie traurig es um meine eigenen Englisch-Kenntnisse steht. Aber ich finde Trost beim Gedanken, dass ich die Sprache an keinem ausländischen Kulturinstitut, sondern an der Polizeischule gelernt habe und mich danach im Präsidium mit Hilfe von Migranten weiterbildete.

Argyro unterbricht kurz das Gespräch, um uns ihre Konversation mit den Deutschen zu übersetzen. »Sie haben mir erzählt, dass sie jedes Jahr herkommen«, weiß sie zu berichten. »Sie reisen immer in einer Gruppe an. Die anderen sind vom Gamila-Gebirge aus gestartet. Es gefällt ihnen hier, weil die Leute freundlich sind und ihren Flugkünsten Beachtung schenken. In Deutschland kräht kein Hahn nach ihnen.«

»Hast du gefragt, was sie beruf‌lich machen?«, fragt Tassia.

»Alle drei arbeiten an der Uni. Die Frau unterrichtet Soziologie, der Bärtige ist Germanist, und der Dritte mit dem Strohhut ist Jurist.«

»Den Winter verbringen sie als Bücherwürmer in den Bibliotheken, den Sommer frei wie die Vögel in der Luft. Eine schöne Kombination«, bemerkt Kalliopi.

Wir nähern uns, um uns zu verabschieden. Die beiden Männer strecken uns sofort die Hand entgegen, was mich {17}an Uli erinnert, der mir stets zum Gruß die Hand drückt. Die Frau beschränkt sich auf ein Nicken und ein Lächeln. Aber wohl nur deswegen, weil ihre Hände noch an die Flügel fixiert sind.

Zurück beim Seat, ruhen wir uns zehn Minuten aus, um wieder zu Atem zu kommen. Die Frauen auf den Rücksitzen massieren sich unter leisen Seufzern Beine und Knie. Nur Adriani sitzt stoisch da.

»Offenbar hast du nicht vergessen, wie man über Felsen klettert«, necke ich sie.

»Doch doch, ich hab’s verlernt. Aber ich habe die Ziegenpfade meines Heimatdorfes vermisst. Deshalb genieße ich es jetzt«, antwortet sie und wendet sich an ihre Freundinnen: »Begreift ihr jetzt, warum wir uns mit den Deutschen nicht verständigen können?«, fragt sie.

Alle blicken sie gespannt an. »Na sag schon!«, meint Argyro.

»Weil sie hoch oben fliegen wie die Vögel, während wir unten gründeln wie die Fische. Wie soll man da zusammenkommen!«

Die drei Grazien lachen auf, für sie sind Adrianis Sentenzen noch etwas ganz Neues.

»Adriani, wie toll, dass wir dich getroffen haben!«, sagt Tassia.

»Hat sie immer gleich den passenden Spruch parat?«, will Argyro von mir wissen.

»Ja, und jetzt ist sie auch noch in heimischen Gefilden, und da ist sie besonders inspiriert«, erwidere ich.

Die anderen merken nicht, dass mir Adriani einen erzürnten Blick zuwirft.

{18}»Jedenfalls seid ihr die ideale Ferienbekanntschaft! Wenn ich jemals noch ein böses Wort über Polizisten höre, werde ich sauer«, fügt Kalliopi hinzu.

Zufrieden starte ich den Seat, nachdem ich meinen Anteil an den Komplimenten eingeheimst habe. Diesmal fahre ich im Schritttempo, um die Fahrgäste und nicht zuletzt auch den Seat vor allzu heftigen Stößen zu bewahren.

Als wir im Hotel ankommen, eilen wir auf unsere Zimmer, um uns ein wenig frisch zu machen.

»Was sollte die Bemerkung über die heimischen Gefilde?«, sagt Adriani, sobald die Tür des Hotelzimmers ins Schloss fällt.

»Ich kann es nicht fassen«, sage ich. »Nach so einem anstrengenden Marsch bist du immer noch streitlustig?«

»Ehrlich gesagt bin ich aus der Übung«, gesteht sie. »Ich habe zwar nicht ständig gejammert, aber die Zähne musste ich schon zusammenbeißen. Allzu angenehm war die Wanderung nicht. Ich gehe jetzt zur Entspannung unter die Dusche.«

Ich warte, bis ich an der Reihe bin, und schlüpfe im Anschluss zu Adriani ins Bett. Schlagartig versinken wir beide im Tiefschlaf.

 

Erst als es an der Tür klopft, schlage ich die Augen wieder auf. »Herr Kommissar, störe ich?«, höre ich eine Stimme flüstern.

Ich fahre aus dem Bett hoch und gehe zur Tür. »Nein, wir sind schon wach«, wispere ich, damit Adriani nicht aufwacht.

»Bleiben Sie im Hotel?«

{19}»Nein, geben Sie uns eine halbe Stunde.«

»Gut, wir warten unten.«

»Wer war das?«, ertönt Adrianis Stimme hinter mir.

»Eine unserer Ferienbekanntschaften. Sie fragt, ob wir heute Abend im Hotel bleiben.«

»Natürlich nicht! Wir sind doch nicht hergekommen, um im Hotel zu hocken.«

Zwanzig Minuten später begeben wir uns in die kleine Lobby hinunter, die am Morgen als Frühstücksraum dient. Obwohl uns die anderen geweckt haben, sind wir die Ersten. Kurz darauf erscheint Argyro, und ein paar Minuten später folgen Kalliopi und Tassia.

Wir beschließen, essen zu gehen, und Kalliopi schlägt vor, in ein anderes Dorf zu fahren. »Wir wollten doch schon am Morgen einen Ausflug machen, aber die geflügelten Deutschen haben uns ganz aus dem Konzept gebracht.«

»Schön, und wohin soll es gehen?«, fragt Tassia. »Es gibt an die vierzig Zagori-Dörfer.«

»Adriani weiß bestimmt Rat«, meint Argyro.

»Dann fahren wir nach Kato Pedina, in mein Heimatdorf«, sagt Adriani. »Dort liegt eine alte Steinbrücke in der Vikos-Schlucht, die einen Besuch wert ist.«

»Ich würde ja gern mit meinem Auto hinfahren, aber leider kenne ich den Weg nicht und habe Angst, mich zu verfahren«, meint Tassia. »Vielleicht wollten Sie, Herr Kommissar, sich ans Steuer setzen? Sie kennen sich hier doch gut aus!«

Sie besitzt einen funkelnagelneuen Toyota, und ich habe keine Lust, mich von der ständigen Angst, einen Kratzer zu verursachen, stressen zu lassen.

{20}»Nein, wir fahren besser mit meinem Wagen, um unliebsame Überraschungen zu vermeiden.«

Da niemand etwas dagegen hat, steigen wir alle wieder in den Seat. Ich hoffe inständig, dass er anspringt, und zum Glück enttäuscht er mich nicht.

»Wie fahren wir am besten?«, frage ich Adriani, die sich hier besser auskennt als ich.

»Über die Landstraße nach Ano Pedina«, antwortet sie. »Das ist der kürzeste Weg.«

Ich fahre zunächst auf die Landstraße und biege dann nach links nach Ano Pedina ab. Die Fahrzeit wäre nicht lang, käme man auf der schmalen, einspurigen Straße etwas schneller voran. Aber sie ist nur andeutungsweise asphaltiert, und alle fünfzig Meter muss man ausweichen, wenn es Gegenverkehr gibt.

Schließlich gelangen wir unter Adrianis Führung zum zentralen Dorfplatz von Messochori.

»Was ist das für eine Kirche?«, fragt Kalliopi und deutet auf einen Bau, der ein Stück entfernt am Straßenrand steht.

»Die Sankt-Athanassios-Kirche«, klärt Adriani sie auf.

»Wollen wir sie besichtigen?«

»Ja, aber später. Die Brücke in der Vikos-Schlucht sehen wir uns am besten noch vor der Dämmerung an.«

Wir lassen den Seat stehen und marschieren los. Adriani...