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Der Satyr - Thriller

Brian Keene

 

Verlag Festa Verlag, 2018

ISBN 9783865526281 , 100 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

1

Am ersten Tag des Frühlings wurden Big Steve und ich Zeuge, wie Shelly Carpenter dem haarigen Mann einen blies.

Es war ein anstrengender Winter gewesen. Ich hatte zwei Bücher in fünf Monaten schreiben müssen. Das möchte ich niemandem unbedingt weiterempfehlen, der auch anders über die Runden kommt. Eine Menge Druck war daran schuld gewesen. Die Verkaufszahlen meines ersten Romans, Heart of the Matter, hatten meine Kritiker, meinen Verleger und sogar mich kalt erwischt. Es verkaufte sich nämlich ziemlich gut – was für ein Buch dieser Art eigentlich gar nicht normal ist, jedenfalls für ein Krimi-Taschenbuch aus der Midlist, dem mittleren Verkaufssegment, dazu noch ohne dass irgendeine Werbekampagne dafür gelaufen war, abgesehen von einer einzigen viertelseitigen Anzeige in einem Branchenmagazin. Verlage schalten nicht viele Anzeigen für Midlist-Autoren.

Sagen wir einfach, dass ich entgegen allen Wahrscheinlichkeiten den Durchbruch schaffte. Voller Erfolgszuversicht kündigte ich meinen festen Job – nur um herauszufinden, dass der Verlag die ersten Tantiemen frühestens in einem Jahr auszahlen würde.

Den Vorschuss hatten wir bereits verprasst; Abschläge auf die Hypothek, Kreditkarten, Ratenzahlungen für das Auto und den Truck, neue Wohnzimmermöbel für meine Frau Tara und ein neuer Laptop für mich. Außerdem hatte ich eine ganze Stange meines eigenen Geldes für die Anfahrt zu Signierstunden ausgegeben. Auch zu einer Lesetour für ein Midlist-Buch gibt es keine Zuschüsse vom Verlag.

Hätte ich einen Agenten besessen, dann hätten sie mir vielleicht ihren Zahlungsplan erläutert. Vielleicht aber auch nicht. Ich persönlich bin froh, keinen Agenten zu haben. Agenten bekommen 15 Prozent der Einkünfte und ich war pleite. 15 Prozent von Scheiße ist immer noch Scheiße.

Ich hätte wieder als Teilzeitkraft bei der Papierfabrik in Spring Grove anfangen können, aber ich hatte mir ausgerechnet, dass ich aufs Jahr bezogen ungefähr genauso viel verdienen würde wie in der Fabrik, wenn ich mich aufs Schreiben konzentrierte, also beschloss ich, von der Arbeit zu leben, die ich gerne machte.

Tara ging immer noch arbeiten und bestand darauf, unsere Rechnungen zu bezahlen, während ich daheimblieb und schrieb. Wir waren auf die Krankenversicherung angewiesen, die mit ihrem Job einherging, aber von einem einzigen Gehalt konnten wir nicht leben. Also – zwei weitere Bücher für zwei verschiedene Verlage innerhalb von fünf Monaten, einzig und allein für den Vorschuss geschrieben, der uns durch den Winter bringen würde. Bitte verstehen Sie mich jetzt nicht falsch. Das Schreiben in Vollzeit war eine nette Abwechslung, aber wenn man die Stunden aufrechnete, die ich damit verbrachte, belief sich der Vorschuss auf etwa 1,80 die Stunde. Und um das Ganze noch schlimmer zu machen, das war nicht wirklich die Art Geschichten, die ich schreiben wollte. Sie sprachen mich nicht an. Ich empfand keine Leidenschaft für sie und während ich sie schrieb, ging mir völlig der Sinn für das Wundersame ab.

Aber wir brauchten das Geld. Einige Leute nennen so jemanden einen Lohnschreiber. Ich nenne es Notwendigkeit.

Der Druck ging mir ziemlich an die Nieren. Ich begann wieder zu rauchen – zwei Schachteln am Tag – und trank pausenlos Kaffee. Ich stand um fünf Uhr auf, unternahm meine tägliche Pendlertour vom Bett zur Kaffeekanne zum Computer und begann zu schreiben. Ich arbeitete bis zum Mittag an dem einen Roman, legte eine Essenspause ein und saß dann am zweiten Roman bis spät am Abend. Nach einem so weit schon ausgefüllten Arbeitstag kümmerte ich mich um das übrige Geschäft: Verträge durchlesen, Fanpost beantworten, mein Forum abchecken, Interviews geben – all das andere Drumherum, das zum Schreiben gehört, ohne dass man im eigentlichen Sinn Worte zu Papier bringt – und endlich gegen Mitternacht ging’s ab ins Bett. Dann stand ich am nächsten Morgen auf und das Ganze fing wieder von vorn an. Sieben Tage die Woche. Das glamouröse Leben eines Schriftstellers.

Während dieser heftigen Monate wäre ich ohne Big Steve irrsinnig geworden. Tara brachte ihn aus dem Tierheim mit nach Hause, damit ich tagsüber Gesellschaft hatte. Big Steve war eine echte Mischlingstöle – teils Beagle, teils Rottweiler, teils schwarzer Labrador und dazu 100 Prozent Pussy. Trotz seiner beeindruckenden Größe und Stimme fürchtete sich Big Steve vor seinem eigenen Schatten. Er lief vor Schmetterlingen und Eichhörnchen davon, flüchtete vor Vögeln und Blättern im Wind und duckte sich in die Ecke, wenn der Briefträger an die Tür kam. Als Tara ihn zu uns brachte, versteckte er sich erst einmal einen halben Tag in einer Ecke der Küche, zitternd und mit eingezogenem Schwanz. An uns gewöhnte er sich recht schnell, aber alles andere versetzte ihn trotzdem in Angst und Schrecken. Nicht dass er es sich anmerken ließ. Wenn irgendetwas – egal was, ein Murmeltier oder Seth Ferguson, der Junge von gegenüber – unser Grundstück betrat, brach der Rottweiler in ihm durch. Er hatte eine große Klappe und nichts dahinter, ein Einbrecher jedoch würde das nur schwerlich glauben.

Big Steve wurde mein bester Freund. Er hörte zu, während ich ihm meine Manuskripte laut vorlas. Er lag auf dem Sofa und schaute mit mir Fernsehen, wenn ich eine Pause vom Schreiben einlegte. Wir mochten dasselbe Bier und dasselbe Essen (weil Hundefutter einfach nichts für Big Steve war; er zog ein schön saftiges Steak oder eine Pizza vor, die vor Käse nur so troff). Am wichtigsten war, dass Big Steve wusste, wann es Zeit wurde, meinen Hintern vom Computer fortzuzerren. Auf diese Weise begannen wir unsere täglichen Spaziergänge und nun waren sie eine feste Routine geworden. Zwei pro Tag – einer bei Tagesanbruch, kurz nachdem Tara sich auf den Weg zur Arbeit gemacht hatte, und den zweiten bei Sonnenuntergang, bevor ich anfing, das Abendessen vorzubereiten, wenn sie auf ihrem Heimweg war. Tara pendelte jeden Tag nach Baltimore, und es waren diese Zeiten – wenn sie losfuhr und kurz bevor sie wieder heimkam –, in denen das Haus besonders verlassen schien. Big Steve besaß ein unfehlbares Timing. Er kümmerte sich darum, dass ich vor die Tür kam, und damit munterte er mich immer wieder auf.

Was uns zurück zu Shelly Carpenter und dem haarigen Mann bringt.

Als Tara an jenem Montag zur Arbeit aufbrach, diesem ersten Tag des Frühlings, stand Big Steve an der Tür und bellte; einmal – kurz und auf den Punkt.

Sehet, ich stehe an der Tür und belle; folglich muss ich pinkeln.

»Bist du bereit, Gassi zu gehen?«, fragte ich.

Er klopfte einmal bestätigend mit dem Schwanz und seine Ohren richteten sich auf. Seine großen, braunen Augen glänzten vor Erregung. Es war nicht viel nötig, um Big Steve glücklich zu machen.

Ich klemmte die Leine an sein Halsband (trotz seiner Furcht vor allem, was sich bewegt, steckt genug Beagle in Big Steve, um in ihm eine Lust darauf zu entfachen, mit der Nase am Boden in den Wald zu flitzen und bis zum Einbruch der Nacht nicht mehr nach Hause zu kommen). Wir traten vor die Tür. Die Sonne schien und es fühlte sich herrlich auf meinem Gesicht an. Es war für die Jahreszeit unverhältnismäßig warm, beinahe wie Sommer. Tara und ich hatten im Jahr zuvor einen Fliederbusch gepflanzt und seine Blüten hatten sich geöffnet, ihr Duft angenehm und süß. Vögel zwitscherten und sangen einander auf der großen Eiche hinter dem Haus etwas vor. Ein Eichhörnchen lief über das Dach meiner Garage und keckerte Big Steve an. Erschrocken wich der Hund vor ihm zurück.

Der lange, kalte Winter war gekommen und wieder verschwunden und irgendwie hatte ich es durchgestanden und beide Manuskripte fertiggestellt, Kalt wie Eis und Wenn der Regen kommt. Nun konnte ich mich endlich auf den Roman konzentrieren, den ich schreiben wollte, etwas anderes als einen Midlist-Krimi. Etwas Großes, mit genügend grenzüberschreitendem Potenzial, um wirklich Aufmerksamkeit zu erregen, vielleicht ein Roman über den Bürgerkrieg. Ich fühlte mich gut. So gut wie seit Monaten nicht mehr. Das Wetter hatte damit vermutlich etwas zu tun. Es war jetzt Frühling, die Jahreszeit von Wiedergeburt und Erneuerung und all dem Zeugs. Die Zeit, wenn die Natur das Reich der Tiere wissen lässt, dass es Zeit wird, jede Menge Babys zu zeugen. Frühling, die Jahreszeit von Sex und Glückseligkeit.

Big Steve feierte den ersten Frühlingstag, indem er an den Fliederbusch, gegen die Garage, auf den Bürgersteig und zweimal an die große Eiche pisste – womit er das Eichhörnchen noch mehr erzürnte. Die Äste des Baumes erzitterten, während es sein Missvergnügen zum Ausdruck brachte. Big Steve bellte den Aggressor an, aber erst nachdem er sich hinter mir in Sicherheit gebracht hatte.

Unser Haus wird eingefasst von der Main Street und einer schmalen Gasse, die uns von der Feuerwache der Gemeinde trennt. Die Feuerwache grenzt an ein unbebautes Wiesengrundstück und eine Grünanlage unseres Viertels, ausgestattet mit Schaukeln und Kletterstangen und tiefen Gruben voller Mulch, damit die Kinder sich beim Rutschen nicht die Knie aufschürfen. Jenseits der Parkanlage kommt der Wald – knapp 80 Quadratkilometer geschützter pennsylvanischer Forst, vom Bebauungsplan als solcher ausgewiesen, um zu verhindern, dass er von Farmern und Grundstücksmaklern abgeholzt und stattdessen als Ackerland genutzt oder in Baugrundstücke aufgeteilt wird. Der Wald ist an allen Seiten von unserer Stadt sowie den Ortschaften Seven Valleys, New Freedom, Spring Grove und New Salem umgeben. In jeder von ihnen gibt es Videotheken, Gemüsehändler und Pizzabuden (unsere Stadt...