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Mangans Vermächtnis - Eine irische Familiengeschichte

Mangans Vermächtnis - Eine irische Familiengeschichte

Brian Moore

 

Verlag Diogenes, 2018

ISBN 9783257608939 , 448 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

{5}Erster Teil


{7}1


Es klingelte. Mangan ging zur Tür, blickte durch den Spion und schloß auf. Der Hausmeister trat ein, gefolgt von einem seiner puertoricanischen Arbeiter.

»Hi. Sie haben Ärger mit dem Bad?«

Er zeigte ihnen den tropfenden Wasserhahn. Der Hausmeister drehte ihn auf, dann wieder zu. »Die Dichtung. Sonst noch was?«

»Nein, sonst ist alles in Ordnung.«

»Wie geht’s Ihrer Frau? Ich sehe sie gar nicht mehr übers Dach joggen.« Der Hausmeister lachte bei dem Gedanken an diese liebenswürdige Marotte. Mangan starrte ihn an. Wußte er nicht Bescheid?

»Sie wohnt nicht mehr hier. Wir haben uns getrennt.«

»Oh, das tut mir leid.«

Was sollte er auch sonst antworten? Mangan nahm sein Mitgefühl mit einem Kopfnicken zur Kenntnis.

»Dann gehe ich jetzt. Mein Arbeiter wird die Sache mit der Dichtung erledigen, okay?«

Auf dem Weg zur Tür warf der Hausmeister einen Blick ins Wohnzimmer. An den weißen Wänden waren helle Rechtecke wie Nachbilder an jenen Stellen, wo ihre Gemälde gehangen hatten. Die Teppiche und ein Großteil des Mobiliars waren bereits abgeholt worden. Wie war es {8}möglich, daß der Hausmeister nicht Bescheid wußte? Hatte er etwa ihre Inneneinrichtung auf dem Bürgersteig übersehen, als der Umzugslaster auf sich warten ließ?

»Frohes neues Jahr«, rief Mangan dem hinausgehenden Hausmeister nach, doch die Tür fiel zu, ohne daß er eine Antwort hörte. Lag es an seinem Weihnachtskuvert? Letztes Jahr waren allein hier im Haus zweihundertfünfzig Dollar Trinkgeld zusammengekommen, doch ohne Beatrice glaubte Mangan haushalten zu müssen. Allerdings hatte der Hausmeister nicht gewußt, daß Beatrice fort war.

Kaum war er wieder allein im Wohnzimmer, ging Mangan ans Panoramafenster. Draußen schneite es. Weiß ist im Orient die Farbe der Trauer. Schnee, diese Stimme der Stille, ließ die Tonspur der Stadt verstummen. Heute werden die Belegschaften vieler Büros früh nach Hause gehen. In anderen Büros werden sie auf Schreibtischen sitzen, Wein aus Pappbechern trinken und Leckereien essen, die ihnen der Delikatessenladen nebenan geliefert hatte. Bürowitze, Scherze, verschmierte Lippenstiftküsse. Ein frohes neues Jahr.

Was soll ich heute abend anziehen? – »Wissen Sie, was er manchmal macht, wenn er allein in der Wohnung ist«, hatte Beatrice ihren Freund Dr. Hopgood gefragt. »Er geht ins Schlafzimmer und verbringt Stunden damit, Sachen anzuprobieren. Er zieht sich um und betrachtet sich im Spiegel. Narzißtisch, finden Sie nicht?« – »Vielleicht«, sagte Dr. H., »deutet es aber auch auf ein tief sitzendes Identitätsproblem hin.« – Wenn es ihr in den Kram paßte, wußte Beatrice Analytiker zu zitieren. Sie war nicht der Typ, der endlos zaudert und in sich geht.

{9}Der Puertoricaner kam aus dem Bad. »Fertig.«

»Danke schön.«

Der Arbeiter, unangreifbar in seiner einsilbigen Art, nickte und ging hinaus. Mangan fiel ein, daß er frühmorgens anrufen sollte. Sie gab irgendeinen Kurs um neun Uhr dreißig ihrer Zeit. Er ging in die Küche, um sich zur Stärkung einen Kaffee zu holen.

»Ridgewood Genesungsheim, guten Morgen.«

»Könnte ich bitte mit Mrs. Mangan sprechen?«

»Einen Augenblick, ich sehe nach.«

»Kunsttherapie. Joan Mangan am Apparat.«

»Hallo Mutter.«

»Jamie!« rief seine Mutter. »Wo bist du? Wie geht es dir?«

»Ich bin in New York. Ich rufe nur an, um dir ein frohes neues Jahr zu wünschen.«

»Das neue Jahr beginnt doch erst morgen«, sagte seine Mutter, die es wie immer sehr genau nahm.

»Na ja, ich dachte nur, ich rufe an, bevor die Leitungen völlig überlastet sind.«

»Stimmt, gute Idee. Was machst du? Gehst du heute abend auf eine Party?«

»Vielleicht, kann sein.«

»Mach das«, sagte seine Mutter. »Während der Festtage sollte man nicht allein sein. Rufst du morgen deinen Vater an?«

»Nein, das hatte ich eigentlich nicht vor. Ich habe ihn doch erst Weihnachten angerufen.«

»Ach, richtig, das hast du. Ich sollte auch mal wieder von mir hören lassen, aber ich habe einfach zuviel zu tun. {10}Wirklich, du müßtest das hier mal erleben. Das reinste Irrenhaus.«

Aber es ist ein Irrenhaus. Trotzdem, schön, daß sie nicht so darüber denkt. – »Sie nehmen dich also hart ran?« fragte er.

»Das kann man wohl sagen. Dr. Edie ist in Urlaub, und Dr. Hollins muß alles allein machen, der arme Mann. Übrigens habe ich im Augenblick draußen ein Zimmer voller Patienten. Aber es tut gut, deine Stimme zu hören, Liebling. Schön, daß du mich angerufen hast. Und ich hätte mich auch ganz bestimmt gemeldet, weißt du.«

»Ich weiß. Frohes neues Jahr, Mutter. Und alles Gute.«

»Ach, Jamie? Wenn du morgen mit deinem Vater sprichst, könntest du ihn dann von mir grüßen? Ehrlich gesagt, ich habe ihn nicht mehr angerufen, weil sie immer an den Apparat geht.«

»Na schön«, sagte er. Sie hatte vergessen, daß er nicht anrufen wollte. ›Sie vergißt ziemlich viel‹, sagte Dr. Edie. »Auf Wiederhören, Mutter.«

»Auf Wiederhören. Gutes neues Jahr. Und Jamie? Im nächsten Jahr geht es dir bestimmt besser, du wirst sehen. Dann hast du all das hinter dir.«

Er legte auf und trat wieder ans Panoramafenster. Große Schneeflocken trieben vorbei und verwischten den Blick auf den East River und den Verkehr auf dem Drive unter ihm. Mutter in ihrem Zimmerchen im kalifornischen Santa Monica, wie sie sich in ihrem braunen Kunstledersessel umdreht, den Rücken zum Pazifik, den Hörer zwischen Schulter und Ohr geklemmt. Und dann der große Aufenthaltsraum, Menschen in Freizeitkleidung, die auf Tabletten {11}und auf Rat von Dr. Hollins warten, einem alten, hochgewachsenen Mann mit Nickelbrille. ›Ihre Mutter ist uns hier eine große Hilfe, und ihr Kunstunterricht ist sehr beliebt. Kunst ist eine hervorragende Therapie für unsere Patienten und zudem eine gute Therapie für sie selbst, wissen Sie.‹ – Die Weihnachtskarte von diesem Jahr zeigte ein kalifornisches Motiv, zwei Pelikane, die im Sturzflug über eine Welle fliegen, eine feine und anmutige Zeichnung, doch mit einem Anflug von Kitsch, wie er sich in all ihren Werken zeigte.

 

Weihnachtskarten. »Willst du etwa behaupten, du hast sie schon abgeschickt?« hatte Beatrice gefragt. Es tat ihm sofort leid, daß er das Thema angeschnitten hatte. Er sagte, er hätte die Umschläge noch nicht zugeklebt.

»Schön, ich habe da eine Idee. Ich laß einen kleinen Zettel drucken, auf dem steht, daß wir uns getrennt haben und daß meine Adresse von jetzt an das Strandhaus sein wird, du aber in der Wohnung bleibst. Du könntest den Zettel zu den Karten in die Umschläge stecken. Dann wissen alle, was passiert ist und wie sie uns erreichen können.«

Er fand den Vorschlag gräßlich, sagte aber nichts. Zehn Tage später traf ein Päckchen mit bedruckten Zetteln ein. Die Adresse in Amagansett hatte sie nicht erwähnt. Auf den Zetteln stand:

 

Wir haben beschlossen, uns zu trennen. Von heute an ist Beatrice in der 77 East 71st Street zu erreichen, Jamie bleibt in der 455 East 51st Street.

 

{12}Turnbull wohnte in der einundsiebzigsten Straße. Damit war es endgültig. Mangan steckte die Zettel in die Umschläge mit den Weihnachtspostkarten und zählte nach, ehe er sie abschickte. Insgesamt waren es neunundsiebzig Karten. Bis zum Morgen des ersten Weihnachtstages hatte er nur sechsundvierzig Antwortkarten erhalten, der weitaus größte Teil davon war Geschäftskorrespondenz, Schreiben von Presseagenten und Theaterleuten, mit denen Beatrice zu tun gehabt hatte, und Karten, die an sie beide oder an Beatrice gerichtet waren, als wären die Zettel nicht zur Kenntnis genommen worden. Sieben Karten kamen von Freunden, die ihre Post bereits vorher abgeschickt hatten. Sie wünschten ihnen beiden eine frohe Weihnacht und ein glückliches neues Jahr. Also blieben drei Karten, die allein an ihn gerichtet waren. Eine kam von seiner Mutter. Dann war da noch eine Karte von seinen Freunden, den Connells, mit einer hingekritzelten Einladung zu ihrer alljährlichen Silvesterfeier sowie eine Karte und ein langer einfühlsamer Brief zu ihrer Trennung von seinen Freunden Jack und Rosa Hutter. Die Hutters waren inzwischen endgültig nach London gezogen.

Drei Karten. Eine von einer Verwandten, zwei von Freunden. Er drehte sich um, ging durch das Wohnzimmer, dann ins Schlafzimmer, von wo aus er auf die Straße schauen konnte. Dort unten kamen zwei professionelle Hundeausführer vom Beekman Place, kleine drahtige Männer, die ihre geballten Hände wie Wagenlenker an die Brust preßten, während sie die zahlreichen Leinen der reinrassigen Schoßhunde umklammerten. Die beiden Männer gingen Seite an Seite, hielten die Hunde zu raschem Trab an {13}und beschrieben einen Kreis nach dem anderen in der kleinen Sackgasse der East Fifty-first Street, die vor einer zum East River Drive hinabführenden Treppe endete.

»Warum nicht am Beekman Place?« hatte Beatrice gefragt. »Natürlich können wir uns das leisten. Außerdem ist es nicht direkt am Beekman Place, sondern in der East Fifty-first Street. Wo kann man sonst schon beim Aufwachen am Morgen Schiffe vorbeifahren sehen? Und so eine Lage ist eine gute Investition. Wenn wir hier eine Wohnung kaufen, verliert sie nie an Wert.«

Natürlich wollte sie damit sagen, daß es ihr Geld war. Er konnte es ausgeben, aber es blieb ihr Geld, von ihr verdient. Ein Auftritt...