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Katholiken

Katholiken

Brian Moore

 

Verlag Diogenes, 2018

ISBN 9783257608946 , 112 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

{5}I


{7}Der Nebel hob sich. Dort lag die Insel! Der Fremde ging bis ans Ende des unbenutzt daliegenden Piers und sah sie, jenseits eines drei Meilen breiten Streifens Ozean, wo sie wie ein umgekipptes Fischerboot über den Wellen schwebte. Die Morgensonne glitt über einen Bug, der aufragte wie ein Kiel, und über Täler so schwarz wie geteerte Bootswände.

Er dachte an Rom. Erstaunlicherweise besaß der Orden nicht viel an Information. Im Lungotevere Vaticano war ihm ein nicht mehr erhältliches Buch ausgehändigt worden: Weir’s Guide to Religious Monuments.

Muck Abbey, Kerry, Irland. Auf einer kleinen Insel vor dem Felsenpanorama der Küste des Atlantischen Ozeans, die als Ring of Kerry bekannt ist. Das Kloster (Orden des heiligen Alban), gegründet 1216, neu errichtet 14001470, unterhält auf dem Festland – auf Mount Coom, in der Nähe des Dorfes Cahirciveen – eine Außenstation oder Zelle, die Priorei des Heiligen Kreuzes. In dieser von Cromwells Truppen geplünderten Priorei wurde zur Zeit der Katholikenverfolgung unter freiem Himmel heimlich die Messe gefeiert, wobei ein »Messefelsen« als Altar diente. Die Abtei selbst (auf der Insel Muck) entging den cromwellschen Plünderern. Sie liegt auf dem westlichen Abhang der Insel, {8}mit einem herrlichen Ausblick auf das weite Meer. Vom Turm der Abtei sieht man auf graue Wellen hinab, die sich an dem kahlen Felsgestein brechen. Die Mönche leben von Fischfang und sammeln Seetang.

 

Vor dem Frühstück hatte er noch einmal telefoniert. Das hübsche Mädchen am Empfang seines Hotels hatte an einem unglaublich altmodischen Apparat gekurbelt und das Amt angerufen. »Bitte, gib mir Muck! Doch, Sheilagh, ist schon recht, es ist für den Priester, der gestern abend mit der Insel gesprochen hat.«

»Da ist es, Vater!« Er nahm den Hörer. Eine Glocke läutete – endlos lange.

»Insel Muck, Nummer eins«, sagte eine knarrende Stimme draußen im Atlantik.

Der Fremde nannte seinen Namen. Er sagte, er sei aufgefordert worden, anzurufen und wegen des Wetters zu fragen.

»Wie war doch gleich Ihr Name?«

»Kinsella. Vater James Kinsella.« Er hatte schon etwas dazugelernt.

»Ach so, Vater Kinsella! Wir schicken Ihnen ein Boot, natürlich! Gehen Sie nur an den Pier. Padraig kommt Sie bald abholen.«

Möwen, nach Fischresten suchend, flogen über ihn hinweg und tauchten in das brackige Wasser hinunter. Hinter ihm, am Ende der Straße, die zum Pier führte, erhoben sich drei Bootsschuppen aus Beton – ohne Dächer, der Boden voller Unkraut, das nach Urin und Schafsmist stank. In einem der Schuppen stand ein sehr alter Wagen, den er unbenutzt geglaubt hatte. Als er gestern das erstemal {9}hierhergefahren war, um den Nebel nach einem Ausblick auf die Insel abzusuchen, hatte er in den Wagen hineingespäht. Eine Stola aus violetter Seide hatte auf dem Vordersitz gelegen. Im Hotel hatte er sich nach dem Abendessen erkundigt, wer den Pier gebaut habe. Nein, die Mönche hätten ihn nicht gebaut, das sei die irische Regierung gewesen, schon vor Jahren, ehe die Fischgründe verunreinigt waren. Damals hatten etwa zwanzig Familien auf der Insel gewohnt. »Sind seitdem fast alle fortgezogen. In alle vier Winde zerstreut.«

»Verunreinigt? Bedeutet das, daß die Mönche nicht mehr fischen?«

»O doch, mit dem Fischfang geht’s wieder fein! Vor einer Weile ist das Wasser gesäubert worden. Schlimm war’s nur, daß es für die Leute auf Muck zu spät geschehen ist. Jetzt sind bloß noch vier Familien auf der Insel übriggeblieben. Und die Mönche.«

Der alte Wagen, den er im Bootsschuppen gesehen hatte – war das der Wagen vom Kloster?

»Ja, sicher. Den brauchen die Mönche, wenn sie sonntags nach Cahirciveen fahren. Das sind zwanzig Meilen, Vater.«

»Aber was machen sie bei rauher See oder bei Nebel, wenn das Boot nicht von der Insel herüberkommen kann?«

»Dann wird in Cahirciveen keine Messe gefeiert.«

»Keine Messe?« Er hatte wieder das Bild vor Augen, das er gestern gesehen hatte: die Straßen des Kerry-Dorfs mit seinen grauen Häuserfronten aus dem neunzehnten Jahrhundert, den Marktplatz, die graue gotische Kirche und Straßen, die für den modernen Verkehr weder gebaut noch geeignet waren, der sich jetzt in dem ständigen Chaos von {10}Wagen, Autobussen, Lastwagen, Campern und Lieferwagen in ewigen Stauungen die engen Straßen hinein- und herausdrängte, während am Dorfrand weitere Fahrzeuge in dem verschlammten Durcheinander improvisierter Parkplätze und Zeltdörfer steckengeblieben waren. Und überall in Cahirciveen die Pilger: eingekeilt in Läden und Kneipen und auf dem Dorfplatz zusammengepfercht wie das Vieh an einem Markttag. Niemand wußte, wie viele Pilger es an einem Wochenende waren, doch seit Monaten war auf fünfzig Meilen im Umkreis kein Zimmer oder Bett zu haben gewesen. Da waren natürlich die Iren; aber Engländer und Schotten schienen fast ebenso zahlreich gekommen zu sein. Mit der Autofähre oder in Charterflugzeugen kamen andere, hauptsächlich Franzosen, jedoch auch viele Deutsche und sogar einige Pilger aus Rom, vom Kontinent herüber. Die Amerikaner hatten zwei Chartergruppen eingeflogen: viele von ihnen alte Leutchen, die nie zuvor den Atlantik überquert hatten. Sie kamen, wie es schien, nur her, um wenigstens eine Messe zu hören und den Rosenkranz zu beten – dann gingen sie wieder. Die unbequemen örtlichen Unterkünfte ermutigten nicht zu längerem Aufenthalt. Es war ein Phänomen – sogar in der Geschichte der Pilgerfahrten. Es gab keine Wunder und keine Hysterie, es gab nicht einmal eine besondere Inbrunst. Die Stimmung war sehnsüchtig. Sonntag morgens standen die Pilger früh auf und fuhren in Autobussen und Wagen zum Fuß des fünf Meilen vom Dorf entfernten Mount Coom. Von dort stiegen sie auf den Berg, um auf verschlammten, grasbewachsenen Hängen oder auf Felsbändern zu knien, oft im unerbittlichen irischen Regen. Die meisten konnten den Messefelsen und den {11}Priester nur aus der Ferne erblicken, doch sie alle vernahmen das Latein, das aus den von Dorfleuten aufgestellten Lautsprechern dröhnte. Latein. Die Kommunions-Schellen. Mönche als Altardiener, die lateinischen Antworten sprechend. Weihrauch. Alles wie früher.

»Keine Messe?« sagte er zu dem Hotelbesitzer. »Aber sie sind doch von so weit her gekommen – was tun sie denn, wenn keine Messe ist?«

»Ach, Vater, das ist jedesmal ein großartiger Anblick! Die Pilger bleiben einfach da, knien und beten den Rosenkranz. Sie bleiben den ganzen Tag, warten und beten.«

»Aber versuchen nicht einige, auf die Insel hinüberzugehen?«

Der Hotelbesitzer lachte, daß man seine Zahnlücken sah. »Keine Angst! Auf Muck kann niemand landen, der nicht die Tricks kennt! Und die Inselboote nehmen niemanden mit, der keine Erlaubnis vom Abt hat. Außerdem«, fuhr der Hotelbesitzer nun wieder ernst fort, »sind die Pilger anständige Leute. Als der Abt hier in der Kirche von Cahirciveen ein Schild aufstellen ließ: Beichte nur für Pfarrkinder, da gaben es die meisten Pilger auf, die Mönche zu belästigen. Trotzdem bilden sich immer noch lange Schlangen. Sonntags nach der Messe haben drei Mönche dauernd in der Kirche zu tun, bis es für sie Zeit wird, mit dem Boot zurückzufahren.«

»Aber warum dauert die Beichte so lange?«

»Wir haben noch Ohrenbeichte. Immer nur einer allein im Beichtstuhl!«

Ohrenbeichte. Davon wußte man in Rom nichts. »Und wie steht es mit der öffentlichen Beichte?«

{12}»Mit der öffentlichen Beichte, Vater?«

»Wenn die ganze Gemeinde sich vor der Messe erhebt und gemeinsam das Sündenbekenntnis spricht?«

»Ah, das hat hier nicht Fuß gefaßt!«

Ein jäher, kalter Zorn ließ Kinsella hervorstoßen: »Es hat überall Fuß gefaßt.« Mit Beschämung sah er den Hotelbesitzer nach der Zurechtweisung gehorsam, jedoch ohne Überzeugung mit dem Kopf nicken.

 

Gestern, als er mit dem Wagen vom Shannon-Flughafen eingetroffen war, hatte Kinsella eine Art militärische Kuriertasche und einen Umhängebeutel bei sich gehabt und einen Drillichanzug getragen. Das Mädchen am Empfang in Herns Hotel war kurz angebunden gewesen. Das Hotel sei besetzt, sie hätten eine Warteliste von zwei Monaten, seit Tagen sei keine Reservierung vorgenommen worden. »Aber meine Reservierung haben Sie angenommen«, sagte er. »Sie haben sie bestätigt, und die Bestätigung wurde mit Telex von Dublin aus an die Ökumenische Zentrale in Amsterdam geschickt. Das hier ist doch Herns Hotel, nicht wahr?«

»Wie war der Name, Sir?«

»James Kinsella. Katholischer Priester«, sagte er nach ökumenischem Brauch.

»Oh, Vater Kinsella! Oh, verzeihen Sie bitte, Vater! Natürlich haben wir ein Zimmer für Sie!«

Vater. In der überfüllten Hotelhalle war jeder vorhandene Platz besetzt. Die Leute zirkulierten mutlos um Ständer mit Ansichtskarten vom Meer und um Regale mit Taschenbüchern. Vater. Sonnengerötete Gesichter wandten sich um und starrten ihn verächtlich an, wegen seines {13}amerikanischen Akzents und seiner ökumenischen Kleidung. Die meisten dieser Pilger waren älter als er, alt genug, um sich an die lateinische Messe zu erinnern. Aber auch junge Leute waren darunter, ehemalige Anhänger der katholischen Pfingstbewegung, die jetzt versessen waren, sich als penitentes zu erleben. Die ihm entgegengebrachte Verachtung, seine eigene Verachtung erwidernd, traf ihn, als er, der Bevorzugte, zur Treppe und zu seinem Zimmer ging. Sein Freund Visher, ein...