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Hetzjagd

Hetzjagd

Brian Moore

 

Verlag Diogenes, 2018

ISBN 9783257608915 , 304 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

{36}2


Sicherheitsvorkehrungen nannten die das. So was war T. noch nie vorgekommen. Er schaute über die Place de l’Alma auf den in Nebel gehüllten Eiffelturm und betrachtete die Leute auf der anderen Straßenseite, die auf den 63er-Bus warteten. Warum hier? Warum gerade in diesem Touristencafé voller Salat essender, Bier trinkender Ausländer? Vielleicht gerade deshalb. In einem solchen Café gab es keine Stammgäste. Er war zum zweitenmal hier. Gestern, beim ersten Treffen, hatte man ihm mitgeteilt, daß sein Kontaktmann eine englische Zeitung in der Hand halten würde, The Times.

Ein 63er-Bus fuhr die Avenue du Président Wilson hinunter und hielt gegenüber. Und plötzlich richtete er sich auf, denn der Kontaktmann stieg aus dem Bus, unverkennbar derselbe Mann, die Zeitung in der Hand. Sicherheitsvorkehrungen nannten die das. Die hatten zu viele Krimis gelesen. ›Warum darf ich nicht wissen, wie dieser Typ heißt? Warum kann ich ihn nicht ohne diese blödsinnigen Spielchen treffen? Wir stehen doch auf derselben Seite, oder nicht?‹

Der Kontaktmann mit der Zeitung betrat das Café, ging an Sitzecken und Tischen vorbei und blieb wie zufällig stehen. »Darf ich?«

{37}T. nickte. »Natürlich.«

Der Kontaktmann war um die Fünfzig; er mochte Arzt oder Anwalt sein, ein angesehener Bürger, mit einem versnobten Akzent, der T. auf die Nerven ging.

»Haben Sie sie bekommen?«

T. zog die kleine Zellophanhülle aus seinem Anorak. Der Kontaktmann schüttelte die drei Bilder aus dem Umschlag und besah sie sich aufmerksam. »Haben Sie das Format überprüft?«

»Natürlich«, sagte T.

»Wie alt sind Sie?«

»Was hat das damit zu tun?« T. haßte diese Fragen nach seinem Alter. Na gut, sah er eben wie ein Kind aus. Aber er war keins.

Der Kontaktmann seufzte. »Für den Paß«, sagte er.

»Tut mir leid. Fünfundzwanzig.«

«Gut«, sagte der Kontaktmann. Er ließ die Fotos in seiner Tasche verschwinden. Ein Kellner kam, und der Kontaktmann bestellte einen Espresso.

»Und für Sie, Monsieur?« fragte der Kellner.

»Dasselbe«, sagte T.

Der Kellner ging, und der Kontaktmann blickte sich um. T. sah ihm an, daß er sich unwohl fühlte. Wahrscheinlich war er tatsächlich Arzt oder Anwalt. Irgend jemandes Onkel.

»Man hat mich gebeten, Ihnen eine Adresse zu nennen«, sagte der Kontaktmann. »Merken Sie sich, was ich sage, und vergessen Sie es nach dem heutigen Abend wieder. Wir gehen ein Risiko ein, ein Sicherheitsrisiko, wenn wir Sie mit dieser Person in Verbindung bringen, aber er will Sie sehen. {38}Was er Ihnen zu sagen hat, könnte von Nutzen sein. Die Adresse lautet: 6, Rue Saint-Thomas-d’Aquin im siebten Arrondissement. Hinter der Kirche. Die Métrostation ist die Rue du Bac …«

»Ich werde schon hinfinden!« sagte T.

»Appartement 5, im dritten Stock. Wenn Sie um sieben kommen – um Punkt sieben – und klingeln, können Sie direkt hinaufgehen. Ich habe übrigens gehört, daß Sie sofort abreisen. Schon heute abend?«

»Eins noch«, sagte T. »Ich will keine Fragen stellen, das versteht sich. Aber diese Fotos. Heißt das, daß ich Frankreich verlassen muß?«

»Sie werden Ihre Anweisungen heute abend erhalten. Bis dahin ist der Paß fertig. Wir arbeiten am Nachmittag daran. Haben Sie die Adresse?«

»Natürlich.«

»Gut. Ich gehe jetzt. Bezahlen Sie bitte meinen Kaffee? Viel Glück.«

Was hatte das mit Glück zu tun? Man mußte wissen, was man tat. Am besten, man ließ sich Augen im Hinterkopf wachsen, wie Pochon immer gesagt hatte. Pochon war nicht so wie dieser Kontaktmann, der hätte nie »Viel Glück« gesagt. Pochon hätte höchstens gesagt: »Hören Sie, ich bin derjenige, der mit den Leuten von der Organisation zusammenarbeitet, nicht Sie. Je weniger Sie wissen, umso besser. Die sind nicht aus dem Milieu. Das sind Politische. Ich habe denen gesagt, daß Sie diesen Job erledigen können, mehr brauchen die nicht zu wissen. Ich bin Ihr Kontaktmann. Wenn Sie verhaftet werden, bin ich der einzige, den Sie in Schwierigkeiten bringen können.« Pochon war um die {39}Sechzig, ein ehemaliger flic. Im Rang eines Inspektors pensioniert. Er würde einem den Hals umdrehen, wenn man ihn in Schwierigkeiten brachte. »Ich halte zu Ihnen«, sagte er. »Bis zum Schluß. Aber denken Sie dran: Tun Sie, was ich Ihnen sage. Gehorsam rettet Leben.«

Als T. die Place de l’Alma verließ, fuhr er zu Janines Wohnung in der Rue Saint-Joseph. Janine arbeitete bei Le Printemps in der Handschuhabteilung. Er fand das blöd. Sie brauchte keinen langweiligen Job zu machen, das hatte sie nicht nötig. Ihre Eltern waren im Modegeschäft, ihnen gehörte eine Firma, die ausgefallene Knöpfe für so große Namen wie Lacroix und Saint Laurent herstellte. Denen würde es nicht schwerfallen, für sie aufzukommen. Aber sie vertrug sich nicht mit ihrer Mutter. Sagte sie jedenfalls. T. wollte von diesem ganzen Mist nichts wissen. Das war ihre Sache, nicht seine. Als er heute in ihre Wohnung ging, dachte er, daß es schön sein mußte, wenn man mit Frauen so umspringen konnte wie Pochon. Keine Vertraulichkeiten, keine Familiengeschichte, keine Fragen. Dabei hatte er Janine natürlich nicht erzählt, was er so trieb. Er sei ein abgehalfterter Medizinstudent, hatte er ihr gesagt. Er hatte ihr auch gesagt, daß er bei seinen Eltern wohne. Er sei nicht stolz, nicht so wie sie. Er bekäme monatlich Geld und gebe es aus. »Was du nicht sagst«, erwiderte Janine. »Deine Eltern müssen ziemlich reich sein.«

 

In den letzten Wochen hatte er bei Janine gewohnt. Als er jetzt von der Place de l’Alma zu ihrer Wohnung fuhr, schrieb er auf einen Zettel, daß er sie irgendwann nach neun anrufen würde. Dann fuhr er weiter zu dem kleinen {40}Zimmer, das er sich im Hotel Terminus gemietet hatte, und packte eine Tasche mit dem Nötigsten. Und um die Zeit bis zum nächsten Treffen totzuschlagen, sah er sich einen Film in einem Kino an den Champs-Elysées an. Es war ein amerikanischer Film, Waffen, Waffen und nochmals Waffen, völliger Blödsinn. Aber er mochte amerikanische Filme. Jede Menge Ballerei. Autos, die ineinanderkrachten, Schauspieler, die wie Akrobaten herumsprangen. Hatte nichts mit dem wirklichen Leben zu tun.

 

Die Dunkelheit brach an, als er die Rue Saint-Thomas-d’Aquin erreichte. Ein wirklich altes Haus mit großem, dunklem Vorhof. Er überquerte den Hof und blickte hinauf. In den oberen Wohnungen brannten nur wenige Lichter. Für Appartement Nummer 5 war kein Name angegeben. Er klingelte, und sofort ertönte der Summer und ließ ihn ein. Kein Fahrstuhl, aber auf der breiten Treppe lag ein prächtiger Läufer. Die Namen an den Türen zu den Appartements im ersten und zweiten Stock waren französische Namen. Keine Ausländer. Keine Büros. Im dritten Stock gab es zwei Wohnungen, beide mit mächtigen Mahagonitüren. Eine dieser Türen stand offen, und ein alter Mann erwartete ihn. Er trug eine braune Strickjacke zu dunklen Hosen und ein Frackhemd mit schwarzem Schlips. Sein Haar war grau, und er hatte einen grauen Schnurrbart. Er sah nicht jüdisch aus, aber eine Menge Juden, dachte T., sahen nicht jüdisch aus, vor allem die nicht, die so wie dieser bon chic, bon genre waren.

Der alte Mann stellte sich nicht vor. Er sagte einfach: »Kommen Sie herein.«

{41}Die Wohnung war riesig. T. sah vor sich einen Salon mit zwei Wandnischen, in denen römische Büsten standen, außerdem waren da überkreuzte Schwerter an einer Wand, antike Lampen, herrliche, schwere alte Möbel, Perserteppiche und Läufer, Ölgemälde mit klassischen Motiven und eine Reihe von Fotografien in silbernen Rahmen auf einem Flurtisch. Das größte Foto war ein Bild von einer vornehmen Hochzeit. Braut und Brautjungfern trugen kurze Kleider im Stil der Dreißiger. Und neben dem Hochzeitsfoto stand das Bild eines Offiziers in Galauniform. Es zeigte seinen Gastgeber.

»Hier entlang«, sagte der alte Mann. Er führte T. durch den Salon. In einem angrenzenden Eßzimmer sah T. einen großen, für sechs Personen gedeckten Mahagonitisch mit einem kunstvoll gearbeiteten, mit Blumenmustern bedeckten Tafelaufsatz, Kristallgläser für vier verschiedene Sorten Wein, schwere Silbertabletts. Wo ein derartiger Aufwand getrieben wurde, mußte es Dienstboten geben. Doch es waren keine Dienstboten zu sehen.

»Bitte.«

Der alte Mann öffnete die Tür zu einem Zimmer mit Ledersesseln und einem Sofa, büchergesäumten Wänden, einer Regalleiter, die bis zur Decke reichte, einem mächtigen, mit Papieren übersäten Teakholztisch. ›Alter Geldadel‹, entschied T. ›Wenn er ein Jude ist, dann ist er so jüdisch wie die Rothschilds.‹

»Setzen Sie sich.«

Der alte Mann trat an den mächtigen Tisch und griff nach einem großen Manilaumschlag. Er ging damit zu T., entnahm dem Umschlag einen Paß, einige Flugtickets und {42}einen französischen Führerschein. Auf dem dunkelblauen Paß stand CANADA in goldenen Buchstaben. Er schlug den Paß auf der Seite auf, die T.s Foto zeigte und einen Namen angab: Michael Leavy.

»Unterschreiben Sie auf der gegenüberliegenden Seite. Die Unterschrift des Paßinhabers. Michael Leavy. Auf diesen Namen sind auch der Führerschein und Ihre Tickets ausgestellt. Sie wissen Bescheid?«

»Ja.«

Der alte Mann lehnte sich in seinem Sessel zurück. Seine braune Strickjacke gab den Blick auf einen schwarzen Kummerbund über seiner Frackhose frei.

»Sie sind sehr jung. Ich hatte angenommen, daß Sie etwas älter sein würden.«

»Ich bin fünfundzwanzig.«

Der...