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Die Frau des Kaffeehändlers - Roman

Susanne Rubin

 

Verlag Heyne, 2019

ISBN 9783641238797 , 464 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

2. Kapitel

Hamburg, im November 1896

Die alte Standuhr in der Eingangshalle schlug sechsmal. Paul Friedrich Magnussen schob seine leere Tasse beiseite und seufzte leise. Er erhob sich aus dem Sessel und gesellte sich zu seinem Freund Georg von Meyerhoff, der nun schon seit einigen Minuten vor dem Kamin stand und mit gedankenvoller Miene das große Porträt von Pauls Eltern betrachtete, das dort über dem mächtigen Sims hing.

»Ich mochte deine Eltern sehr«, sagte Georg. »Ich habe mich bei ihnen stets wie der zweite Sohn im Hause gefühlt. Deine Mutter war eine liebenswerte Frau.«

»Ich weiß«, erwiderte Paul und nickte. Auch er sah hinauf, versank für wenige Augenblicke in den tiefblauen Augen seiner Mutter, die beinahe erschreckend lebendig dreinblickten. Das Bild war erst kurz vor ihrem Tod entstanden. Sein Vater hatte es von einem jungen Künstler malen lassen und seiner Frau zum Hochzeitstag geschenkt. Damals wütete bereits die Cholera in der Stadt, und nur wenige Wochen später fielen auch seine Eltern der Seuche zum Opfer. Über achttausend Menschen verloren damals ihr Leben. Hamburg war gezeichnet von Trauer und Elend. Paul selbst war zu dem Zeitpunkt am anderen Ende der Welt gewesen, sodass er von den schrecklichen Vorkommnissen aus einem Brief seiner Tante, der Schwester seiner Mutter, erfuhr. Als die Epidemie ausbrach und die ersten Todesfälle bekannt wurden, hatte seine Mutter ihn zu seinem Patenonkel nach Brasilien geschickt, wo er mehr als zwei Jahre auf dessen Kaffeeplantage gelebt hatte.

In manchen Nächten quälte ihn noch immer das schlechte Gewissen. Er fühlte sich schuldig, weil er nicht hier gewesen war, als seine Eltern an der Seuche gestorben waren. Dennoch war die Zeit in Brasilien einer der wichtigsten Abschnitte seines bisherigen Lebens gewesen. Auf der Plantage hatte er nicht nur jede Menge gelernt, sondern es war auch seine Leidenschaft für Kaffee und alles, was damit zusammenhing, geweckt worden, und er wusste, sie würde ihn zeitlebens nicht mehr loslassen.

»Meine Mutter liebte dich tatsächlich wie einen zweiten Sohn«, sagte er schließlich zu Georg.

»Ich weiß.« Paul hörte, dass sein Freund tief durchatmete. Dann löste Georg seinen Blick von dem Gemälde und sah ihn an. »Wann kommt die Droschke?«, fragte er.

»In einer halben Stunde wird sie hier sein«, antwortete Paul. »Ich danke dir, dass du mich Ferdinand Claasen vorstellen wirst. Er und seine Privatbank dürften wohl meine letzte Chance sein.«

»Du bist ein guter Geschäftsmann, Paul. Im Zweifel wirst du es auch so schaffen.«

»Du überschätzt mich, mein Lieber«, antwortete Paul lächelnd. »Nein, du weißt doch, dass ich inzwischen nahezu jede Bank in Hamburg aufgesucht habe. Nicht eine einzige wollte mir den nötigen Kredit geben. Im Augenblick fehlt mir sogar das Kapital, um die zweite Röstmaschine zu kaufen, die ich so dringend brauche. Die Situation macht mich richtig zornig. Ich könnte noch viel mehr Kaffee verkaufen, kann aber nicht genug rösten. Seit Monaten investiere ich fast jede erwirtschaftete Mark wieder in das Geschäft. Falls Claasen mir nicht helfen sollte, bliebe mir nur noch, dieses Haus zu veräußern, aber der Gedanke gefällt mir so gar nicht. Es ist mein Zuhause, und ich hänge daran. Zudem würde mein Vater sich im Grabe umdrehen.« Er seufzte kurz auf, bevor er fortfuhr: »Es geht mir vor allem ums langfristige Überleben des Geschäfts, Georg. Dafür ist der zusätzliche Trommelröster ebenso wichtig wie größere Geschäftsräume für mein Kaffeekontor. Karl Jensen ist mein stärkster Konkurrent, und er hat bereits vor Monaten expandiert, das hast du sicherlich mitbekommen. Er betreibt unterdessen mehrere Röstmaschinen und hat einige Angestellte mehr als ich. Aber er kommt auch aus einer steinreichen Familie und kann sich das leisten, ohne katzbuckeln zu müssen.«

»Ist das etwa ein Vorwurf?«, fragte Georg. »Du weißt, dass ich dir auf der Stelle helfen würde, wenn es in meiner Macht stünde.«

Sofort legte Paul seine Hand auf den Unterarm seines Freundes. »Um Himmels willen, Georg! So habe ich das überhaupt nicht gemeint. Ich kenne deine Lage. Ich weiß, dass du nichts tun kannst, solange dein Vater auf eurem Vermögen sitzt. Nebenbei bemerkt, hätte ich es sowieso nie von dir erwartet. Nach all den Jahren solltest du mich und meine Einstellung zu unserer Freundschaft wirklich besser kennen.«

»Verzeih, du hast natürlich recht«, erwiderte Georg. »Aber auch für meine Familie ist es im Augenblick nicht ganz leicht. Mein Vater spielt noch immer den Patriarchen und macht uns allen das Leben schwer – auch wenn er nun schon seit Monaten bettlägerig ist.«

Eine kurze Weile schwiegen sie beide. Gedankenvoll strich Paul über die weichen Samtrevers seines schwarzen Gehrocks. Er dachte an Ferdinand Claasen. Neben der Bank betrieb er auch noch eine Textilfabrik und eine Maßschneiderei. Claasen war einer der wohlhabendsten und einflussreichsten Männer der Stadt, und vermutlich kannte ihn jeder Hamburger.

»Wie schon gesagt, ich bin äußerst dankbar, dass du mich mit Ferdinand Claasen bekannt machen wirst«, setzte er schließlich wieder an. »Ich hoffe auf sein Verständnis als Kaufmann. Mir ist klar, dass er zumindest eine vorübergehende Beteiligung am Kaffeekontor verlangen wird, falls er investieren sollte, aber damit muss ich leben. Vielleicht habe ich Glück, weil du als mein Fürsprecher auftrittst.«

»Ich hoffe es«, antwortete Georg. »Wie du weißt, ist Ferdinand Claasen seit vielen Jahren ein Geschäftspartner, ja fast schon ein Freund meines Vaters. Und was Jensen angeht … du hast mir doch erst vor wenigen Tagen erklärt, dass du in jedem Fall den besseren Kaffee einführst. Das sollte langfristig doch ein Vorteil für dich sein, oder?«

»Das steht außer Frage«, antwortete Paul und nickte. »Jensen bezieht seine Bohnen überwiegend aus Kenia und dem Kongo. Er hat keine festen Zulieferer, weil er sich allein nach den Preisen der Farmer richtet und zu einem großen Teil einfache Robusta-Bohnen einkauft. Seine Mischungen sind häufig bitter und weniger gut verträglich. Ich hingegen habe das Glück, dass ich, dank der Plantage meines Onkels, feinste Arabica-Qualität einführen kann. Es zahlt sich noch immer aus, dass mein Vater seinen Bruder anfangs finanziell unterstützt hat, wo er nur konnte. Ja, du hast recht, es ist unterdessen kaum noch ein Geheimnis, dass mein Kaffee um Klassen besser ist als der von Jensen.«

»Meine Rede. Ich habe den Eindruck, die Leute erkennen schon jetzt sehr genau, dass dein Kaffee eine höhere Qualität hat und viel besser verträglich ist.« Georg fuhr sich mit einer Hand durch sein dunkles Haar. »Vielleicht hätte ich meinen Kutscher doch nicht nach Hause schicken sollen«, wechselte er das Thema. »Ich hoffe, die Droschke, die du bestellt hast, ist rechtzeitig hier. Claasen hasst Unpünktlichkeit.«

»Sie wird pünktlich sein, Georg. Mach dir keine Sorgen. Allerdings ist es gut, dass dein Kutscher uns später abholen wird.« Kameradschaftlich schlug er seinem Freund auf die Schulter. »Apropos, es wird Zeit. Ich werde dem Mädchen Bescheid geben, damit sie uns unsere Hüte und Mäntel bringt. Die Droschke müsste jeden Augenblick vorfahren.«

Amalia Claasen hielt sich mit beiden Händen am Türrahmen fest und wartete mit einigem Widerwillen ab, bis Pauline, die junge Kammerzofe, die sie sich mit ihrer Schwester teilte, das Mieder fest genug geschnürt hatte. Sie hörte das Mädchen vor Anstrengung leise ächzen, während ihr selbst schon fast die Luft wegblieb. »Es ist genug, Pauline, sonst kippe ich auf der Gesellschaft noch um, weil ich nicht richtig atmen kann.«

»Sie wollen doch in Ihr hübsches grünes Kleid passen, Fräulein Amalia.«

Pauline zog ein weiteres Mal an den Schnüren. Nun jedoch mit deutlich verminderter Kraft, wie Amalia dankbar bemerkte. »Das werde ich auch, keine Sorge. Die Seide ist weich und nachgiebig.« Sie drehte sich zu ihrer Zofe um, nachdem alles fertig verknotet war. »Hilf mir bitte noch schnell in das Kleid, und steck mir die Haare hoch, dann sind wir auch schon fertig.«

»Du solltest wirklich ein wenig mehr Augenmerk auf dein Äußeres legen«, hörte Amalia ihre jüngere Schwester Helene sagen, die einige Schritte entfernt stand und bei der Prozedur zusah. Helene war bereits fertig angezogen, aufwendig frisiert und wie immer bildschön anzusehen.

Amalia lachte leise in sich hinein. »Diese Mieder sind wahre Folterinstrumente, wenn du mich fragst.«

»Georg hat mir übrigens verraten, dass er uns heute endlich seinen Freund Paul Magnussen vorstellen wird«, fuhr Helene fort, ohne auf Amalias Bemerkung einzugehen. »Er ist Kaufmann, und wie man so hört, soll er erfolgreich, aufstrebend und äußerst attraktiv sein.«

»Ach, Leni. Du kannst es einfach nicht lassen, oder?«

»Ich verstehe nun einmal nicht, warum du kein Interesse an einer Heirat aufbringen kannst. Irgendwann wirst du eine alte Jungfer sein. Gott bewahre.«

»Und wenn schon«, erwiderte Amalia, während Pauline ihr das Kleid über die Hüften nach oben zog. »Freu du dich auf deine Ehe, und lass mich einfach in Ruhe und Frieden weiterleben.« Sie zwinkerte ihrer Schwester fröhlich zu, um keine Missstimmung aufkommen zu lassen.

Amalia stritt sich ungern mit Helene, denn meistens war sie diejenige, die letztlich nachgeben musste, um die Harmonie zwischen ihnen wiederherzustellen. Eigentlich war das schon immer so gewesen. Ihre Schwester verhielt sich häufig wie ein ausgemachter Trotzkopf. Doch inzwischen...