dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Raven - Odins Wölfe - Roman

Giles Kristian

 

Verlag Heyne, 2019

ISBN 9783641223373 , 560 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

1

Wir waren einundsiebzig Krieger und eine so bunt zusammengewürfelte Rudermannschaft, wie sie nie zuvor das Meer durchpflügt hatte. Nordmänner, Dänen und Engländer – Männer, die sich für gewöhnlich hinter Schildwällen gegenüberstanden. Sie saßen jetzt nebeneinander auf ihren Seekisten, teilten sich unter den Sternen den engen Raum zwischen den Spanten und zogen gemeinsam an den Fichtenriemen, auf dass sie wie die Schwingen eines Adlers schlugen und unser Bug die Wogen durchschnitt. Zu allem Überfluss hatten wir auch einen Mönch und eine Frau dabei, obwohl ein Mönch an Bord eines Langschiffes in etwa so nützlich ist wie ein Loch in einem Schild. Trotzdem, Pater Egfrith war ein guter Mann, auch wenn er der närrischen Hoffnung nachhing, uns die alten Götter austreiben zu können. Und was die Frau anging, ach, sie war Cynethryth, die wunderschöne Cynethryth, und das genügte.

Sieben Wochen hatte sich Jørmungand, die Bugfigur der Seeschlange, den Weg ins Ungewisse gebahnt, entlang der fränkischen Küste. Dann, nach einer langen Fahrt nach Süden, waren wir in westlicher Richtung über das Dunkle Meer gesegelt, entlang des Gestades eines trostlosen steinigen Landes, aus dem zerklüftete baumlose und von Felsbrocken übersäte Berge in den Himmel hinaufragten. Diese verlassene Küste war von steinigen, zumeist von steilen Klippen überragten Buchten durchbrochen, an deren Fuß sich gewaltige Wellen brachen. Wir waren nur selten an Land gegangen, aus Angst, uns den Rumpf aufzuschlagen.

Jetzt durchpflügten wir die See wieder Richtung Süden. Auf der Steuerbordseite erstreckte sich das schwarze Wasser nach Westen, so weit wir sehen konnten. Wer wusste schon, was uns in dieser Richtung erwartete? Wir hielten uns so dicht an der Küste, wie wir es wagen konnten, denn wir waren dem Zorn eines mächtigen Reichs entkommen und konnten von Glück reden, dass wir noch die Haut auf dem Rücken und Blut in den Adern hatten. Drei weitere Schiffe folgten in unserem Kielwasser: Sigurds zweites Schiff, die Fjord-Elch, und die beiden noch seetüchtigen dänischen Schiffe, schlanke, schnelle Schniggen, die Wellen-Hengst und die See-Pfeil. Wir waren den Franken entkommen und dem Tod, dafür jedoch hatten wir unseren Silberschatz verloren. Der hatte so hell gestrahlt und geglitzert, dass vielleicht die Götter in Asgard neidisch geworden waren und beschlossen hatten, auf unseren Ruhm zu pissen. Ich habe wahrlich gelernt, dass dies die Art der Götter ist. Sie sind launisch und grausam, verleiten dich zu Taten, die es wert sind, in einem Skaldenlied besungen zu werden, und dann geben sie dir vor den Augen aller einen Tritt in den Arsch. Vielleicht lieben sie uns ja gar nicht, sondern beobachten nur Kette und Schuss unseres kleinen Lebens und lassen sich ab und zu herab, einen Faden zu zerschneiden oder hinzuzuknüpfen, um sich die Zeit zu vertreiben, von der sie wahrlich mehr als genug haben. Doch selbst wenn die Götter uns nicht lieben, lieben sie doch das Chaos. Und wo es Chaos gibt, gibt es Kriege und Schwerter, Speere und Schilde. Dort gibt es Blut, Schmerz und Tod.

Also segelten wir jetzt nach Miklagard, der Großen Stadt. Denn auch wenn wir unseren Fáfnir-Schatz verloren hatten, waren wir immer noch Krieger, und man sagte, in Miklagard seien selbst die Häuser aus Gold. Außerdem gelüstete uns nach noch größerer Beute. Ich konnte die Gier in den Blicken der Männer sehen. Sie spiegelte sich in dem Glanz ihrer polierten Kriegswaffen, den Helmen, den Schildbuckeln und den Axtköpfen. Diese größere Beute ist der Ruhm. Sie ist das Fleisch in den Liedern der Skalden, an dem sich Männer und Frauen gütlich tun, wenn sie um die Herde sitzen und der Wind an die Tür der Halle hämmert. Ruhm ist die einzige Beute, die einem niemals geraubt werden kann.

Diesen Ruhm würden wir in Miklagard finden.

»Das ist keine Art zu sterben.« Penda schüttelte den Kopf. Das Segel blähte sich im Wind, der von achtern kam. Die meisten von uns hatten sich Pelze um die Schultern geworfen, denn dieser Wind hatte eisige Finger, und wir ruderten nicht. »Es muss schmerzen wie die Feuer des Teufels«, murmelte der Wessexmann und verzog das Gesicht.

»Besteht denn keine Hoffnung für ihn?« Ich stellte die Frage, obwohl ich die Antwort kannte.

»Es hätte vielleicht Hoffnung gegeben«, erwiderte Penda, »wenn sie die Wunde noch einmal aufgemacht und den Eiter ausgewaschen hätten. Aber jetzt?« Er schüttelte noch einmal den Kopf. »Der arme Kerl hat vielleicht noch ein paar Tage, und selbst die werden hart für ihn werden.«

Halldor stand am Bug der Seeschlange und blickte hinaus aufs Meer. Ich vermutete, er tat es aus Scham. Ein fränkischer Speer hatte ihm das halbe Gesicht weggerissen, und obwohl unser Godi Asgot es wieder zusammengenäht hatte, hatte der Wundbrand eingesetzt, und das Gesicht des Nordmanns war aufgeschwollen wie eine Blase voll saurer Milch, sodass man nicht einmal sein rechtes Auge sehen konnte. Stinkender gelber Eiter sickerte aus den Löchern der Stiche heraus, die jeden Moment zu reißen drohten. Ich konnte mir nicht einmal ausmalen, wie schmerzhaft das sein musste. Schon am Tag zuvor hatte ich die grünliche Färbung der geschwollenen Haut bemerkt. Wir alle wussten, dass Halldor ein toter Mann war.

»Ich würde nicht länger warten, wenn ich an seiner Stelle wäre.« Penda zog sein Messer aus der Scheide und prüfte die Schneide mit dem Daumennagel. »Es gibt immer ein Stück Tau und einen Stein«, erklärte er nüchtern und deutete mit dem Messer auf den Ballast der Seeschlange.

»Und dann in Hel frieren bis Ragnarøk?« Ich schüttelte den Kopf. »Kein Nordmann würde sich für den nassen Tod entscheiden«, sagte ich, und es überlief mich kalt bei dem Gedanken. Denn für einen Ertrunkenen gibt es kein Walhall, sondern nur Eis und die steifen schwarzen Leichen all jener, die an Altersschwäche oder Krankheit gestorben sind. Außerdem gibt es dort unten einen riesigen Hund namens Garm, der einem die gefrorenen Knochen zerbeißt, um das Mark auszusaugen. »Der schwarze Floki wird es tun«, sagte ich. »Wenn es so weit ist.« Eine heulende Bö spritzte kalte Gischt über das Deck und traf linksseitig auf das Segel, das wütend knallte.

»Dann lieber früher als später«, knurrte Penda und schob seinen Dolch mit einem zufriedenen Nicken in die Scheide. Auf dem Meer musste man aufpassen, dass man seine Klingen nicht aus Langeweile zu sehr schärfte.

»Ich glaube, er sammelt Erinnerungen, um sie mitzunehmen«, sagte ich und atmete tief die kalte Seeluft ein. Sie duftete nach dem mit Pech getränkten geflochtenen Pferdehaar zwischen den Planken der Seeschlange. »Dort, wohin er geht, will er sich gewiss daran erinnern, wie es sich angefühlt hat, die Wogen des Meeres zu reiten.« Ich beobachtete Halldor, der einen Metschlauch an seine verzerrten Lippen setzte, um den Schmerz zu betäuben.

»Haben deine tiefschürfenden Gedanken zu etwas geführt, Junge?«, brummte Bram der Bär, als er mit schweren Schritten zur Reling der Seeschlange ging, wo er die Hose herunterzog und über die Relingsplanke pisste. »Ich will wissen, wie du mir das, was du mir schuldest, zurückzahlen willst, du Sohn einer räudigen Ziege. Und ich bin nicht der Einzige.«

Ich seufzte, denn ich wusste, dass man mir diese Sache immer wieder vorhalten würde, so unaufhörlich wie Wellen, die an den Strand schlagen. Denn ich hatte unser Silber geopfert, um die Franken abzuschütteln. Sie hatten sich tatsächlich entschieden, lieber den Schatz einzusammeln, als uns zu verfolgen. Das war gut so gewesen, denn sie waren uns fünf zu eins überlegen und wir so erschöpft gewesen wie ein Nordmann in einem Nonnenkloster.

»Im Gegenteil, du schuldest mir etwas, Bär«, gab ich zurück. »Weil ich dir deinen pelzigen Arsch gerettet habe. Wäre ich nicht gewesen, hätte ihn längst ein Franke an seine Haustür genagelt.«

»Pah!« Er wischte meine Worte weg, als wären es Mücken. »Es braucht schon mehr als ein paar furzende Franken, um mich zu erledigen, Junge.« Dann deutete er mit einem Nicken auf Halldor und zupfte sich nachdenklich am Bart, während der Wind seine Pisse verwehte. »Wenn er seinen Schild hochgehalten hätte … oder seinen Kopf unten, müsste er jetzt nicht seine Seekiste für die dunkle Reise packen.« Er schüttelte sich, zog seine Hose hoch und drehte sich um. »Und nein«, er deutete mit einem dicken Finger auf mich. »Du stehst in meiner Schuld, Raven, und es gefällt mir gar nicht, um mein Silber erleichtert worden zu sein.« Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, dass Penda grinste, was bedeutete, dass er allmählich einige Brocken Nordisch verstand. Was es mir ersparte, alles für ihn zu übersetzen.

»Wofür brauchst du überhaupt Silber?«, erkundigte ich mich. »Du kannst Silber nicht trinken. Und ich sehe hier auch nicht allzu viele große Schänken, in denen du es ausgeben könntest.« Ich kratzte mich am Kinn und runzelte die Stirn. »Ich frage mich sogar, ob du es überhaupt bis nach Miklagard schaffst. Schließlich bist du schon älter als die Sterne, und es ist noch ziemlich weit bis zur Großen Stadt.« Einige Nordmänner lachten über meine Worte, aber Bram musterte mich finster wie ein Draugr, der aus seinem Grabhügel gezerrt worden war.

»Roll deine Zunge lieber wieder ein, Welpe«, brummte er, »sonst schneidet Bram sie dir auf deine Größe zurecht.« Er klopfte auf das Messer an seiner Hüfte. »Älter als die Sterne? Du großmäuliger Zwerg! Hej, Svein, hast du das gehört?«

»Raven hat den Nagel auf den Kopf getroffen, Bram.« Svein musterte seinen Freund stirnrunzelnd. »Du siehst wirklich in letzter Zeit ziemlich alt aus.«

»Du Sohn eines...