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Der Spion des Königs - Historischer Abenteuerroman

Magnus Forster

 

Verlag Verlagsgruppe Lübbe GmbH & Co. KG, 2019

ISBN 9783732571970 , 412 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR

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Richard


Das Schwierigste war, wach zu bleiben. Richard Faversham stand mit dem Rücken zum Fenster im dritten Stock des Palas von Balgonie Castle und ließ seinen Blick durch den Raum schweifen. Ein fahler Mond schien durch das Glas und malte Muster auf den dicken roten Teppich und Eleonores fein geschnittenes Gesicht. Sie schlief tief und fest, kein Wunder, denn Richard hatte ihr in das letzte Glas Wein, das sie getrunken hatte, zwei Tropfen Mohnsaft geträufelt. Ausreichend, um sie einige Stunden im Land der Träume festzuhalten. Sie würde im Laufe des Vormittags aufwachen und alles, was zurückbleiben würde, wären leichte Kopfschmerzen, die sie auf den Wein und die ausschweifende Liebesnacht zurückführen würde.

Richard wandte sich ab und schaute nach draußen. Es musste etwa drei Uhr sein. Vor wenigen Minuten war auch der dritte Mann auf der Burg eingetroffen. Er war nicht zu überhören gewesen. Das Tor war mit Getöse geöffnet und wieder geschlossen worden, der Hausherr, Alexander Leslie, Earl of Leven, hatte ihn lautstark begrüßt. Jetzt waren die Generäle der Covenanters, der schottischen Rebellen gegen Charles, den König von England, Schottland und Irland, vollständig versammelt. Die Lords Leven, Balmerino und Lindsay heckten etwas aus. Und Richard würde sich kein Wort entgehen lassen.

Seit Wochen wartete er auf diesen Moment. Seit Wochen porträtierte er Tag für Tag ein Mitglied aus Leslies Familie. Ende März war er eingetroffen, inzwischen war es Mitte Mai. Eigentlich wäre er längst fertig gewesen, aber das Treffen der Generäle hatte sich ständig verzögert. Also musste Richard sich immer wieder neue Ausreden einfallen lassen, warum er so lange brauchte. Einmal gab er vor, kein Azurit mehr zu haben, um Blau anzumischen, ein andermal schützte er Kopfschmerzen vor, die ihn daran hinderten zu arbeiten. Leslie hatte keinen Verdacht geschöpft, im Gegenteil, der Mann war ein vollendeter Gastgeber und ein kenntnisreicher Kunstliebhaber.

Zurzeit war Richard mit Eleonore, Leslies verwitweter Schwester, beschäftigt. Nicht nur, indem er sie auf Leinwand bannte. Leslie ahnte nicht, dass Richard seine Schwester auch nachts beglückte. Selbstverständlich konnte Richard nicht jede Nacht bei Eleonore verbringen, denn sie mussten äußerst vorsichtig sein. Bei einem gemeinsamen Abendessen hatte Leslie beiläufig darüber gesprochen, was er mit dem Mann anstellen würde, der seiner Schwester zu nahe käme. Leslies Ausführungen hatten Richard den Appetit verdorben.

Der Mann war ein harter Hund, er hatte wie so viele Schotten unter dem Schwedenkönig Gustav Adolph gedient und war in der Schlacht bei Lützen beim Tod des Herrschers zugegen gewesen. Von den Schweden hatte Leslie sein Handwerk gelernt. Vor ihm sollte man sich in Acht nehmen. Das wusste auch König Charles, und deshalb war Richard hier.

Er zog sich Hose, Hemd und Wams an. Auf den Hut verzichtete er, ein stürmischer, ungewöhnlich warmer Frühlingswind fegte um die Mauern. Stattdessen band er sich ein Tuch fest um den Kopf, damit ihm seine langen Haare nicht vor die Augen wehten, allerdings so, dass es die Ohren nicht verdeckte. Er musste jeden Mucks hören können, und er wusste nicht, wie nah er an die Generäle herankommen würde, die sich zwei Stockwerke unter ihm in Leslies Schreibstube versammelt hatten.

Da vor der Stube vier Wachen standen, gab es keine Möglichkeit, an der Tür zu lauschen. Zudem hatte Leslie zusätzlich zur Besatzung der Burg vierzig schottische Kämpfer in den Mauern stationiert. Leslie rechnete mit allem. Nur nicht mit einem Maler, der in den Diensten des Königs stand und nicht nur sehr gut porträtierte, sondern auch sehr geschickt im Fassadenklettern war.

Zum Glück regnete es nicht. Das Prasseln des Regens hätte alle anderen Geräusche übertönt, und die Fassade wäre so glitschig gewesen, dass selbst Richard sie nicht hätte bewältigen können.

Er wickelte das Hörrohr aus, das er von einem Kontaktmann erhalten hatte, und schob es in die rechte Wamstasche. Dann öffnete er vorsichtig das Fenster. Eine Böe fegte ins Zimmer, Eleonore stöhnte und rollte sich auf die andere Seite, aber sie wachte nicht auf. Vielleicht träumte sie von einem Sturm auf hoher See.

Richard setzte einen Fuß auf das Fenstersims. Mit einer Hand hielt er sich an dem Fensterkreuz aus Sandstein fest, dann schwang er sich mit dem ganzen Körper hinaus, ging in die Hocke, hielt inne, lauschte.

Eine Erinnerung streifte ihn. Mit seinem Bruder Gregory hatte er oft solche Ausflüge gemacht, nicht an Hausfassaden, sondern an den steilen Felsen des Deadman’s Cove südlich von Dartmouth Castle, wo Richard aufgewachsen war. Sein Vater hatte dort dem Earl of Dartmouth als Hauptmann der Burgwache gedient, und die Jungen waren auf der Burg aufgewachsen. Hätte ihr Vater jemals Wind davon bekommen, was sie an den Klippen trieben, hätte er ihnen das Fell über die Ohren gezogen. Und selbst Richard, der gerne Risiken einging, hatte passen müssen, wenn Gregory ohne Seil so weit hinabkletterte, dass er von der Gischt nassgespritzt wurde. Wenn Gregory nach einer solchen Klettertour wieder oben auf der Klippe angekommen war, hatte er Richard auf die Schulter geklopft und gesagt: »Du bist nun mal mein kleiner Bruder, und ich werde immer besser sein als du.«

Richard hatte den Kopf gesenkt und sich nichts sehnlicher gewünscht, als seinen Bruder zu beeindrucken, als ihn ein einziges Mal zu übertrumpfen. Wie lange war das her!

Richard konzentrierte sich wieder auf seine Aufgabe. Nur der pfeifende Wind war zu hören. Hoffentlich ließ er bald nach! Sonst würde er nicht verstehen, was die drei Generäle besprachen. Es würde Krieg geben, die Schotten lehnten sich gegen den König auf, hatten den Bischof von St. Giles in Edinburgh mit Stühlen, Steinen und Stöcken beworfen, als er aus dem neuen Messbuch gelesen hatte, das König Charles seinen Untertanen zum Geschenk gemacht hatte. Die Schotten, die Presbyterianer waren und der anglikanischen Kirche misstrauten, lehnten das Buch ab, redeten davon, dass die Katholiken das Land übernehmen wollten und bald danach die Franzosen oder, noch schlimmer, die Spanier. Was für ein Unfug! Richard verstand die ganze Aufregung nicht, und letztlich war es auch egal. Charles war König der Schotten, der Engländer und der Iren. Daran gab es nichts zu deuteln, und wer das infrage stellte, stellte die gottgewollte Ordnung infrage.

Die Mauern des Palas waren nicht verputzt, zwischen den mächtigen Blöcken, aus denen er erbaut war, klafften Ritzen, die es Richard leicht machten, bis zum Erdgeschoss hinabzuklettern. Die Wand ging in die Burgmauer über, die wiederum gut dreißig Fuß unter ihm im Burggraben endete. Stürzte Richard ab, würde er sich schwer verletzen oder, wenn er nicht so viel Glück hatte, sein Leben verlieren.

Er bat Gott um Beistand und hangelte sich vorsichtig Stein für Stein nach unten. Der Wind zerrte an seinen Kleidern, versuchte, ihn von der Wand zu pusten, aber Richard krallte sich mit den Fingern in die Mauer. Im Winter hätte er diese Fassadentour nicht wagen können, seine Hände wären in kürzester Zeit steif gefroren gewesen, und mit Handschuhen konnte er nicht klettern.

Warmes Licht strahlte aus dem Fenster der Schreibstube. Richard musste achtgeben, dass ihn niemand sah. Er suchte sich rechts des Fensters sicheren Halt, prüfte, ob er eine Hand loslassen konnte, ohne zu fallen. Es gelang. Er stand fest genug. Mit der freien Hand fingerte er das Hörrohr aus der Wamstasche, nahm das Endstück in den Mund und bog die bewegliche Mitte mit den Zähnen um 90 Grad, sodass er um die Ecke horchen konnte. Langsam drückte er den Schalltrichter auf die Scheibe, dann schob er sich das andere Ende ins Ohr.

Sofort erkannte er Leslies Stimme, seinen rauen Bass, der klang, als würden dicke Steine in einem Fass umhergerollt. Der Wind heulte noch immer und machte es schwer, die Worte zu hören, aber als Richard den Trichter noch ein wenig fester gegen das Glas drückte, waren sie plötzlich deutlich zu verstehen.

»Das sind verdammt schlechte Nachrichten. Sind das denn alles Memmen? Wie sollen wir mit ein paar Tausend Mann des Königs Heer besiegen? Auch wenn die meisten erprobte Männer sind und in Schweden und im Heiligen Römischen Reich gedient haben, sind es einfach zu wenige. Was ist mit den Noblen des Nordens? Wollen sie an ihren Herdfeuern sitzen und beten? Lindsay, was sagt Ihr dazu?«

Lindsay war der Führer der Rebellen. Den durfte man auch nicht unterschätzen, er konnte Leslie ohne Mühe das Wasser reichen. Und doch hatte Leslie natürlich recht, wie Richard wusste. Der König hatte mehr als fünfzehntausend Mann aufzubieten, darunter fünfzehnhundert erfahrene Reiter und mehrere Dutzend Feldschlangen, vortreffliche Kanonen. Es würde ein Gemetzel werden. Oder, was Richard bevorzugen würde: Die Covenanters würden einsehen, dass sie zu weit gegangen und hoffnungslos in der Unterzahl waren. Sie könnten den König um Verzeihung bitten. Charles würde den Feldzug abblasen und all diejenigen gnädig und ohne Strafe in seine Arme schließen, die ihm erneut Treue schworen. Charles hatte schon oft bewiesen, dass er ein strenger, aber doch gütiger Herrscher war, der nicht auf Rache sann. Außerdem förderte er die Malerei, die Musik und das Theater, und einer seiner beliebtesten Zeitvertreibe war das edle Schachspiel. Im Gegensatz zu seinem Vater James entsagte er ausschweifenden Festen und hatte den Hof von Korruption befreit. Sollte man nicht dankbar für einen solchen Herrscher sein?

»Es werden mehr Männer kommen, Leslie, macht Euch keine Sorgen. Wir werden auch noch mehr Feldartillerie aufbieten können. Wir haben vier Falkonets bestellt, sie...