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Auf der Spur der Sklavenjäger - Karl Mays Magischer Orient, Band 6

Alexander Röder, Thomas Le Blanc

 

Verlag Karl-May-Verlag, 2018

ISBN 9783780214065 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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13,99 EUR


 

Alexander Röder

Erstes Kapitel


Durch die Wüste


Die Meharis liefen schnell, sie flogen förmlich über den Sand. Wer je von Dromedaren oder allgemein von Kamelen als den Schiffen der Wüste gesprochen und sich nickend das sanfte Schaukeln auf Wellen oder Dünen vorgestellt hat – der hätte sich nun verwundert über jenen Anblick gezeigt, den unsere eilige Gruppe bot: Dies war keine Karawane von Reisenden, es war eine Kavalkade von Rächern. Selbst wenn wir den Tieren in regelmäßigen Abständen einen gemächlicheren Schritt vergönnten, so war auch dies kein erbaulicher Anblick, trotz der Schönheit der edlen Geschöpfe. Denn ihre Reiter hatten von Grimm und Sorge gefurchte Gesichter, und ihre Haltung war aufs Äußerste angespannt, Nacken und Schultern von der Bürde der Ungewissheit beladen.

Wir sprachen kaum. Auch wagten wir es nur selten, einen Blick untereinander zu wechseln, aus Furcht vor dem, was wir im Antlitz des Freundes würden lesen können – oder davor, dass wir uns in ihm wiedererkannten.

Ich habe in meinen Tagen nun oft genug den raschen Ritt nach Vergeltung vollführt, auf der Jagd nach Schurken, in Verfolgung von Bösewichten – doch damals wusste ich zumeist, wem ich da auf der Spur war und was dieser aus welchem Grund getan hatte. Hier strebte ich mit meinen Freunden dem Ungewissen entgegen, getrieben von einer vagen Vorausschau, die uns Haschims magischer Spiegelstein geschenkt hatte. Ein vergiftetes Geschenk, dessen Bitterkeit uns an den Seelen fraß.

Unser Anblick musste furchteinflößend sein für die wenigen Menschen, die uns begegneten. Wir schlugen wenig bekannte Routen ein, um rasch und ungestört voranzukommen, aber die eine oder andere friedliche Karawane kreuzte doch unseren Weg, und denen mussten wir wie die vier Reiter der Apokalypse erscheinen – wenn denn die braven orientalischen Kaufleute je von diesen gehört hatten. Die weniger braven Reiter, die uns erblickten, weil jene abseitigen Wege auch von Verbrechern und finsteren Gesellen genutzt wurden, mochten zurückgescheut sein, denn unser wilder Ritt dürfte sie mit Zweifel erfüllt und ihnen geraten haben, uns besser zu meiden.

Einem Scharmützel mit Banditen hätten wir uns wahrscheinlich kaum freiwillig gestellt, wir hatten keine Augen, keine Sinne für jene, auch nicht für alles andere.

Heller, heißer Tag und finstere, kalte Nacht wechselten in natürlich vorgegebenem Takt, mir schien es jedoch wie ein scheußliches Wechselbad, wie es den Leibern der bedauernswerten Seelenerkrankten in gewissen Instituten zugemutet wird, zu zweifelhaftem Nutzen. Der gütige und weise Pfarrer Kneipp, der solcherlei Wassergüsse als heilsame Anwendung der unteren Extremitäten ersann, mochte sich darob bitter empört zeigen.

Wer nun glaubte, ich hätte mich bei jenem harten Wüstenritt, voller Staub und Hitze, nach einem erfrischenden Wassertreten gesehnt, verkennt leider meine Lage: An solcherlei Erquickung dachte ich nicht, was kümmerte mich mein körperliches Wohlergehen in jener quälenden Aufwühlung des Gemüts, angesichts des Leids meines Freundes!

Und wer nun eine farbenfrohe und eindringliche Beschreibung der Äußerlichkeiten jener so schmerzvoll erlebten Reise erwartet, den werde ich ebenfalls enttäuschen müssen: Ich scherte mich kaum um die Oasen und Siedlungen und Städte, die wir passierten. Gewiss schienen mir die Erinnerungen an frühere Reisen in diesen Gegenden auf, doch weniger im geografischen oder kulturellen Sinne, sondern wegen der Begegnungen und Erlebnisse, die ich dort gehabt hatte.

Als wir durch den Hedschas nach Norden ritten, konnte ich nicht umhin, an die beiden Städte zu denken, die linker Hand von uns im Westen lagen, nahe der Küsten des Roten Meeres, namentlich Dschidda und Mekka. In Dschidda war ich vor fünf Jahren an Land gegangen, kaum dass ich glücklich aus den Fängen des Piraten Abu Seif hatte fliehen können. Meinen Freund Halef, an dessen Seite ich nun in jenen schweren Stunden ritt, hatte ich damals noch nicht lange gekannt, ja, ihn noch nicht ganz einen Freund nennen können. Doch in jener Zeit wurde die Saat für unsere Verbundenheit gesät – und für die Verbindungen, die sich später ergaben. Denn Abu Seif hatte einst Amscha entführt und ihr jene beiden Kinder Hanneh und Djamila – nein, nicht geschenkt, sondern mit Gewalt gezeugt. Und doch wurden die beiden Mädchen zu Geschenken für Amscha, später auch für Halef, als er Hanneh ehelichte, und für uns alle, als wir Djamila in Basra begegneten. Und diese beiden jungen Frauen hatten nun ein uns unbekanntes Schicksal erlitten – es musste so sein, denn nur so war erklärlich, dass der Spiegelstein sie uns nicht gezeigt hatte! Nur Amscha, die auf ihrem Lager lag, verwundet, verletzt – in unbekanntem Zustand der Gesundheit.

Auch Amscha hatte ich damals kennengelernt – als mutige, resolute Tochter des Scheiks Malek, die es sich nicht hatte nehmen lassen, mich auf meiner gefährlichen Mission nach Mekka zu begleiten, oder doch zumindest bis kurz vor den Eintritt in die heilige Stadt, die mir als Ungläubigem verboten war. Ich entsinne mich noch ihres klugen Ratschlags, meine prächtigen westlichen Waffen, Henrystutzen und Bärentöter, in ihre Obhut zu geben und stattdessen ihre alte Araberflinte zu führen – denn die modernen Gewehre hätten mich schlicht verraten. Halef hatte zu jener Zeit eine eigene Tarnung für seinen Aufenthalt in Mekka gewählt, nämlich die eines Ehemanns, und seine vorgebliche Braut war Hanneh gewesen, die Enkelin des Scheiks und Tochter von Amscha. Die beiden Frauen hatten uns also jede auf ihre Weise geholfen, dass wir Abu Seif hatten stellen können und dass ihn schließlich sein Schicksal ereilte. Er starb für das, was er uns allen angetan hatte – auch wenn in einer seltsamen Fügung daraus Freundschaft unter uns erwuchs und gar eine wirkliche Ehe zwischen Halef und Hanneh.

Halef dachte in diesen Stunden wohl an die gleichen Dinge wie ich. Zumindest an jene, die in der Vergangenheit lagen. Was er sich für die Zukunft ausmalte, wollte ich mir besser nicht vorstellen – weder, was das Schicksal seiner Familie betraf, noch das Schicksal jener, die wohl die Haddedihn überfallen hatten. Halef zürnte still, und ich muss gestehen, dass ich nicht in der Lage war, zu ermessen, welche Qual und welche Wut in ihm tobten, denn ich habe nun einmal keine Gattin und keine Kinder oder Anverwandte. Ob dies in diesen Stunden meinem Seelenzustand zuträglich oder abträglich war, vermochte ich nicht zu sagen.

Ich ahnte aber, wie sehr ein weiterer Schmerz in ihm aufzusteigen begann, denn mein Halef ist klug – aus sich selbst heraus und weil er von seinem Sidhi das klare Denken gelernt hat, selbst wenn Zorn und Sorge das Gemüt verdüstern. In kühlen Gedanken, so mir die Hitze der Wüste und die Anstrengung des Ritts und die brennende Sorge und Ungewissheit diese zuließen, überlegte ich, was wohl geschehen sein mochte. Wer konnte die Haddedihn überfallen haben? Gewiss, es gab stets Zwist unter den Beduinenstämmen der arabischen Länder, doch seit dem Frieden zwischen den Ateibeh und Haddedihn – und ihrer herzlichen Allianz – wagten es andere kaum, sich jenen außergewöhnlich stolzen und mutigen Kämpfern entgegenzustellen. Es mussten besonders ruchlose Menschen gewesen sein, die die Weidegründe und den Duar, die Heimstatt, genauer das Zeltdorf, welches man auch Madrib heißt, heimgesucht und verheert hatten, um Herden und Habseligkeiten zu rauben.

Mich beschlich ein Gefühl, dass es hier nicht um Vieh oder Güter ging, wie etwa die herrliche Kamelwolle, mit welchen die Haddedihn handelten, indem sie diese mit Kellek-Flößen zu den Städten verbrachten. Eine Ahnung kam in mir auf, und meine Ahnungen hatten mich selten getäuscht. Bei diesem Schlag des Schicksals gegen den Stamm und die Familie meines Freundes, so war ich sicher, musste die schreckliche Vorsehung ihr Ziel ganz bewusst gewählt haben. Nicht allein, weil die gütige Vorbestimmung uns mit Haschims Spiegelstein versehen hatte, auf dass wir rascher – wenngleich auch harscher – von den niederschmetternden Ereignissen weit im Norden, im Zweistromland, erfuhren, als wenn diese Kunde durch Boten zu uns gekommen wäre, wann und wenn überhaupt! So konnten wir nun zur Hilfe und Rache eilen.

Aber ich bin auch davon überzeugt, dass alles seinen Grund und seine Zwangsläufigkeit besitzt. Warum also traf der Überfall die Haddedihn – und warum zu dieser Zeit?

Was war jüngst geschehen? Wir hatten ein gutes Werk getan und in Dauha einige Sklavinnen befreit und somit einer Gruppe schurkischer Sklavenhändler empfindlich geschadet, ihnen gar den Tod als Strafe für ihre schändlichen Taten gebracht. Doch das Schicksal und die Vorsehung wägen nicht ab und balancieren nicht die Waagschalen nach menschlichem Ermessen und kaufmännischer Aufrechnung. Nur weil wir Gutes getan hatten, waren wir nicht von Bösem verschont. Stattdessen gebiert jede Tat eine...