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Honolulu - und andere Erzählungen

Honolulu - und andere Erzählungen

W. Somerset Maugham

 

Verlag Diogenes, 2018

ISBN 9783257609356 , 528 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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12,99 EUR


 

{7}Regen


Es war schon fast Zeit zum Schlafengehen, und beim nächsten Erwachen sollte Land in Sicht sein. Dr. Macphail zündete seine Pfeife an, beugte sich über die Reling und suchte am Himmel nach dem Kreuz des Südens. Nach zwei Jahren an der Front und einer Wunde, die länger zum Heilen brauchte, als sie sollte, war er froh, sich für mindestens zwölf Monate ruhig in Apia niederlassen zu können, und fühlte sich schon während der Reise bedeutend besser. Da einige Passagiere am nächsten Morgen in Pago-Pago das Schiff verlassen würden, war an Bord ein kleiner Tanzabend veranstaltet worden, und in seinen Ohren hämmerten immer noch die rauhen Töne des automatischen Klaviers. Aber auf Deck war es jetzt ganz ruhig. Ein Stückchen weiter hinten sah er seine Frau in einem Liegestuhl; sie sprach mit den Davidsons. Er ging hinüber. Als er sich unter das Licht setzte und den Hut abnahm, sah man, daß er, abgesehen von einer kahlen Stelle auf dem Schädel, sehr rote Haare hatte und jene rötliche, sommersprossige Haut, die für Rothaarige typisch ist. Er war ein Vierziger, sehr dünn, mit einem hageren Gesicht, ein umständlicher und recht pedantischer Mensch. Er sprach leise und ruhig und mit deutlich schottischem Akzent.

Zwischen den Macphails und den Davidsons, die Missionare waren, hatte sich an Bord eine gewisse Vertrautheit {8}entwickelt, die mehr der täglichen Nähe als irgendeiner inneren Zusammengehörigkeit zuzuschreiben war. Was sie am meisten verband, war die gemeinsame Mißbilligung, die sie denen entgegenbrachten, die ihre Tage und Nächte im Rauchsalon bei Poker, Bridge und Alkohol verbrachten. Mrs. Macphail fühlte sich nicht wenig geschmeichelt, daß sie und ihr Gatte die einzigen an Bord waren, mit denen die Davidsons sich gerne unterhielten, und selbst der Doktor, der zwar schüchtern, aber kein Dummkopf war, sah das unbewußt als ein Kompliment an. Und nur weil er von polemischer Natur war, erlaubte er sich, nachts in der Kabine darüber zu spotten.

»Mrs. Davidson sagte heute, sie wisse nicht, wie sie diese Reise ohne uns überstanden hätte«, sagte Mrs. Macphail, während sie ihre Perücke sorgfältig ausbürstete. »Sie sagte, wir seien die einzigen Leute auf dem Schiff, deren Bekanntschaft ihnen etwas bedeute.«

»Ich hätte nicht gedacht, daß ein Missionar so ein großes Tier ist, sich solche Extralaunen zu leisten.«

»Das sind keine Launen. Ich verstehe sehr gut, was sie meint. Es wäre für die Davidsons nicht sehr angenehm gewesen, sich unter die recht gewöhnlichen Leute im Rauchsalon mischen zu müssen.«

»Der Gründer ihrer Religion war nicht so exklusiv«, bemerkte Mr. Macphail kichernd.

»Ich muß dich wieder einmal bitten, nicht über religiöse Dinge zu spotten«, antwortete seine Frau. »Ich bin froh, daß ich nicht deinen Charakter habe, Alec. Du suchst nie nach dem Guten im Menschen.«

Er warf ihr aus seinen blaßblauen Augen einen Seitenblick zu, erwiderte aber nichts. Nach so manchen Ehejahren {9}hatte er gelernt, daß es dem Frieden zuträglicher war, seiner Frau das letzte Wort zu lassen. Er hatte sich bereits ausgezogen und kletterte in die obere Koje, um sich dort in den Schlaf zu lesen.

Am nächsten Morgen, als er auf Deck kam, befand man sich wirklich schon nahe an Land. Mit gierigen Augen schaute er hinüber. Ein dünner Streifen silbrigen Strandes ging rasch in Hügel über, die bis zum Kamm mit üppiger Vegetation bewachsen waren. Die dichten grünen Kokospalmen reichten fast bis zum Wasserrand; dazwischen sah man die Strohhäuser der Samoaner und hie und da weiß auf‌leuchtend eine kleine Kirche. Mrs. Davidson näherte sich und blieb neben ihm stehen. Sie war in Schwarz gekleidet und trug um den Hals eine goldene Kette, an der ein kleines Kreuz baumelte. Sie war eine kleine Frau mit braunem, mattem, kunstvoll frisiertem Haar und hervorstehenden blauen Augen hinter einem winzigen Kneifer, hatte ein langes Schafsgesicht, doch wirkte sie keineswegs dumm, sondern außerordentlich wach, und sie bewegte sich rasch wie ein Vogel. Das Bemerkenswerteste an ihr aber war ihre hohe, metallische Stimme ohne jede Modulation. Ihre harte Monotonie stach in die Ohren und reizte die Nerven wie das erbarmungslose Kreischen eines Preßluftbohrers.

»Dies muß Ihnen doch schon ganz heimatlich vorkommen«, sagte Dr. Macphail mit seinem schmalen, sonderbaren Lächeln.

»Unsere Inseln sind flacher, wissen Sie, nicht wie diese hier. Es sind Koralleninseln. Diese hier sind vulkanisch. Noch zehn Tage müssen wir fahren, ehe wir ankommen.«

{10}»Hier bedeutet das soviel wie ein Sprung in die Nachbarstraße zu Hause«, meinte Dr. Macphail scherzend.

»Nun, das ist etwas übertrieben ausgedrückt, aber man denkt in der Südsee anders über Entfernungen. Insofern haben Sie recht.«

Dr. Macphail seufzte leicht.

»Ich bin froh, daß wir nicht hier stationiert sind«, fuhr sie fort. »Wir hörten, es sei sehr schwierig, hier zu arbeiten. Der Dampferverkehr macht die Leute unruhig; und dann ist hier auch eine Flottenbasis, das ist immer schlecht für die Eingeborenen. In unserem Distrikt haben wir nicht mit solchen Schwierigkeiten zu kämpfen. Natürlich gibt es ein oder zwei Händler, aber wir sorgen dafür, daß sie sich anständig benehmen, und wenn sie das nicht tun, machen wir ihnen den Boden so heiß, daß sie freiwillig wegziehen.«

Sie rückte den Kneifer auf der Nase zurecht und starrte mit unbarmherzigem Blick auf die grüne Insel.

»Es ist eine fast hoffnungslose Aufgabe für einen Missionar hier. Wir können gar nicht dankbar genug sein, daß uns wenigstens das erspart geblieben ist.«

Davidsons Distrikt bestand aus einer Gruppe von Inseln im Norden von Samoa; sie lagen so weit auseinander, daß er oft große Strecken im Kanu zurückzulegen hatte. Dann blieb seine Frau allein auf dem Hauptsitz und leitete die Mission. Dr. Macphails Herz sank, wenn er daran dachte, mit welcher Tüchtigkeit sie das gewiß tat. Sie sprach von der Gottlosigkeit der Eingeborenen mit einer Stimme, die sich durch nichts dämpfen ließ, aber von salbungsvollem Entsetzen troff. Ihr Taktgefühl war von besonderer Art. Am Anfang ihrer Bekanntschaft hatte sie zu ihm gesagt:

{11}»Wissen Sie, als wir auf die Inseln kamen, waren die Heiratsbräuche dort derart abstoßend, daß ich sie Ihnen unmöglich beschreiben kann. Aber ich werde sie Mrs. Macphail erzählen, und sie kann sie Ihnen schildern.«

Dann hatte er seine Frau und Mrs. Davidson, auf nahe zusammengerückten Deckstühlen liegend, in ernster, über zwei Stunden dauernder Unterhaltung gesehen. Er war hinter ihnen, um sich Bewegung zu machen, auf und ab gegangen und hatte Mrs. Davidsons erregtes Geflüster wie das ferne Rauschen eines Wildbachs vernommen und beobachtet, wie seine Frau sich offenen Mundes und bleichen Gesichts an den erschreckenden Mitteilungen delektierte. Nachts in ihrer Kabine wiederholte sie ihm mit flatterndem Atem alles, was sie erfahren hatte.

»Nun, was habe ich Ihnen gesagt?« rief Mrs. Davidson am nächsten Morgen frohlockend. »Haben Sie jemals etwas so Schreckliches gehört? Jetzt wundern Sie sich nicht mehr, warum ich es Ihnen nicht selbst erzählen konnte, obgleich Sie Arzt sind.«

Mrs. Davidson schaute ihm prüfend und mit dramatischem Eifer ins Gesicht, um zu sehen, ob sie die erwünschte Wirkung erzielt habe.

»Kann es Sie wundern, daß uns anfangs fast der Mut verließ? Sie werden mir wohl kaum glauben, wenn ich Ihnen sage, daß es völlig unmöglich war, auch nur ein einziges gutes Mädchen in einem der Dörfer zu finden.«

Sie benutzte das Wort ›gut‹ als festen technischen Ausdruck.

»Mr. Davidson und ich haben uns lange darüber beraten und uns schließlich geeinigt, als erstes das Tanzen zu {12}unterdrücken. Die Eingeborenen waren geradezu versessen aufs Tanzen.«

»Ich war selbst nicht dagegen, als ich noch zu den Jüngeren zählte«, sagte Dr. Macphail.

»Das habe ich mir gedacht, als ich Sie gestern Mrs. Macphail fragen hörte, ob sie nicht eine Runde drehen wolle. Ich finde im Grunde auch nicht viel dabei, wenn ein Mann mit seiner Frau tanzt, aber ich war doch erleichtert, als sie ablehnte. Unter diesen Umständen hier fand ich es doch besser, daß wir ganz für uns blieben.«

»Unter welchen Umständen?«

Mrs. Davidson warf ihm einen raschen Blick durch den Kneifer zu, beantwortete jedoch seine Frage nicht.

»Aber unter Weißen ist es nicht das gleiche«, fuhr sie fort. »Trotzdem stimme ich mit Mr. Davidson überein, der sagt, er begreife die Männer nicht, die dastehen und zusehen können, wie andere Männer ihre Frauen in den Arm nehmen. Was mich betrifft, ich habe nie mehr auch nur einen Schritt getanzt, seit ich verheiratet bin. Doch die Tänze der Eingeborenen sind etwas ganz anderes. Sie sind nicht nur selbst unmoralisch, sondern führen auch deutlich zur Unmoral. Nun, jedenfalls danken wir Gott, daß wir sie ausgerottet haben, und ich glaube mich nicht zu irren, wenn ich sage, daß in unserem Distrikt seit acht Jahren niemand mehr getanzt hat.«

Jetzt gelangte man zur Hafeneinfahrt, und Mrs. Macphail trat zu ihnen. Das Schiff drehte scharf bei und glitt langsam hinein. Es war ein großer, geschützter Hafen, breit genug, eine Flotte von Kriegsschiffen aufzunehmen. Und ringsum erhoben sich hoch und steil die grünen Berge. Nahe der {13}Einfahrt, dem vollen Wind der See ausgesetzt, stand das Haus des Gouverneurs, von einem Garten umgeben. Das Sternenbanner baumelte schlaff an der Fahnenstange. An drei, vier schmucken Bungalows fuhr man...