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Die Geschichte unserer Welt

H.G. Wells

 

Verlag Diogenes, 2018

ISBN 9783257609240 , 336 Seiten

Format ePUB

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9,99 EUR


 

{64}18. Ägypten, Babylonien und Assyrien


Die Ägypter hatten sich nie sehr willig der Herrschaft ihrer semitischen Hirtenkönige unterworfen, und um 1600 v. Chr. vertrieb eine kräftige Volkserhebung die Fremden. Es folgte eine neue Blütezeit in Ägypten, eine Periode, die die Ägyptologen mit dem Namen ›das Neue Reich‹ bezeichnen. Ägypten, das vor dem Eindringen der Hyksos nicht sehr gefestigt gewesen, war nun ein geeinigtes Land; die Zeit der Unterwerfung und der Empörung hatte es mit kriegerischem Geist erfüllt. Die Pharaonen wurden nun angriffslustige Eroberer. Die Hyksos hatten sie den Gebrauch des Pferdes und Streitwagens gelehrt. Unter Thothmes III. und Amenophis III. dehnte Ägypten seine Herrschaft in Asien bis zum Euphrat aus.

Wir kommen nun zu einer tausend Jahre währenden Epoche des Krieges zwischen den einst völlig voneinander getrennten Kulturen Mesopotamiens und des Niltales. Anfänglich behielt Ägypten die Oberhand. Die großen Dynastien des Landes, die siebzehnte, der Thothmes III., Amenophis III. und IV. und eine große Königin, namens Hatasu, angehörten, und die neunzehnte mit Ramses II., der siebenundsechzig Jahre regierte – der Pharao des Moses, wie man glaubt –, brachten Ägypten zu hoher Blüte. Zwischendurch gab es auch Phasen des Tiefstandes: die Syrer eroberten das Land, später die Äthiopier im Süden. In Mesopotamien herrschten Babylon, dann die Hethiter, und auch die Syrer aus Damaskus hatten vorübergehend die Macht inne. Das Schicksal des assyrischen Ninive schwankte hin und her: manchmal war die Stadt unter einer fremden Herrschaft, manchmal geboten die Assyrer über Babylon und griffen Ägypten an. Die Heere dieser Völker waren nunmehr mit großen Mengen von Kriegswagen ausgestattet; die alten Kulturen hatten nämlich damals bereits das Pferd aus Mittelasien übernommen, verwendeten es aber vorläufig nur zu Kriegs- und Prunkzwecken.

Im trüben Licht jener fernen Zeit tauchen große Eroberer auf und verschwinden wieder: Tuschratta, König von Mitanni, der Ninive einnahm, und Tiglat Pileser I. aus Assyrien, der Babylon besiegte. Zuletzt waren die Assyrer die bedeutendste Kriegsmacht jener Zeit. Tiglat Pileser III. eroberte Babylon im {65}Jahre 745 v. Chr. und gründete das sogenannte Neu-Assyrische Reich. Damals wurde von Norden her der Gebrauch des Eisens eingeführt; die Hethiter, die Vorläufer der Armenier, kannten es als erste. Sie vermittelten seinen Gebrauch den Assyrern, und ein assyrischer Usurpator, Sargon II., verwendete es zur Herstellung von Waffen. Assyrien war die erste Macht, die dem Prinzip von Blut und Eisen huldigte. Sarons Sohn, Sennacherib, führte ein Heer bis an die Grenzen Ägyptens; er wurde nicht durch militärische Kraft, sondern durch die Pest besiegt. Sennacheribs Enkel Assurbanipal – in der Geschichte auch unter seinem griechischen Namen Sardanapal bekannt – eroberte Ägypten tatsächlich im Jahre 670 v. Chr. Doch war es damals schon ein besiegtes Land unter einer äthiopischen Dynastie. Sardanapal verdrängte bloß einen früheren Eroberer.

Wenn man diese lange Periode der Geschichte, diesen Zeitraum eines Jahrtausends auf einer Reihe politischer Landkarten darstellen wollte, so könnte man Ägypten gleich einer Amöbe unter dem Mikroskop sich ausdehnen und wieder zusammenziehen sehen; man könnte beobachten, wie die verschiedenen semitischen Staaten der Babylonier, Assyrer, Hethiter und Syrer auftauchen und wieder verschwinden, es hätte sozusagen den Anschein, als ob sie einander auffräßen und wieder von sich spien. Im Westen Kleinasiens gab es noch kleine ägäische Staaten wie Lydien mit der Hauptstadt Sardis und Karien. Nach 1200 v. Chr. etwa, vielleicht auch schon früher, taucht eine Reihe neuer Namen auf der Landkarte der Alten Welt auf. Es sind die Namen gewisser barbarischer Stämme, die, mit Eisenwaffen und Kriegswagen versehen, aus dem Nordosten und Nordwesten gezogen kamen und die nördlichen Grenzen der Ägäer und Semiten arg bedrängten. Alle diese Barbaren sprachen Abarten einer offenbar ursprünglich einheitlichen Sprache, des Indogermanischen.

Im Nordosten rings um das Schwarze und das Kaspische Meer erschienen die Meder und die Perser. In den Aufzeichnungen aus jener Zeit tauchen mit ihnen auch die Skythen und Sarmaten auf. Aus dem Nordosten oder Nordwesten kamen die Armenier, über die Balkanhalbinsel die Kimmerer, Phrygier und die hellenischen Stämme, die wir jetzt Griechen nennen. Im Osten wie im Westen waren diese Indogermanen Eroberer, Räuber und Städteplünderer. Sie waren alle {66}miteinander verwandt, einander ähnlich, rauhe Hirten, die sich aufs Plündern verlegt hatten. Im Osten blieben sie vorläufig bloße Grenzräuber, im Westen aber nahmen sie Städte ein und vertrieben die zivilisierte ägäische Bevölkerung. Diese ägäischen Völker wurden so hart bedrängt, daß sie weit weg von der indogermanischen Bedrohung neue Heimstätten zu suchen begannen. Einige ließen sich im Nildelta nieder, wurden aber von den Ägyptern wieder vertrieben; andere, die Etrusker, scheinen aus Kleinasien übers Meer gesegelt zu sein, um in der Waldwildnis Mittelitaliens einen Staat zu gründen; wieder andere erbauten Städte an der Südostküste des Mittelmeeres: sie sind später in der Geschichte als das Volk der Philister bekannt.

In Mesopotamien und Ägypten verursachte das Erscheinen der Indogermanen erst nach 600 v. Chr. umwälzende Veränderungen. Die Flucht der Ägäer vor den Griechen, ja selbst die Zerstörung von Knossos muß den Bürgern Ägyptens wie denen Babylons eine sehr fernliegende Begebenheit gewesen sein. Dynastien stiegen auf und versanken in diesen Mutterländern alter Kultur, das menschliche Leben aber ging gleichmäßig weiter und nahm langsam, Zeitalter um Zeitalter, an Verfeinerung und Reichhaltigkeit zu. In Ägypten entstanden neben den zahlreichen Baudenkmälern aus älterer Zeit – die Pyramiden waren damals schon dreitausend Jahre alt und wie heute eine Sehenswürdigkeit für Besucher – neue prächtige Gebäude, besonders unter der siebzehnten und der neunzehnten Dynastie. Die großen Tempel in Karnak und Luxor stammen aus jener Zeit. Alle die bedeutenden Denkmäler Ninives, die großen Tempel, die geflügelten Stiere mit Menschenköpfen, die Reliefs von Königen, Kriegswagen und Löwenjagden entstanden in den Jahrhunderten zwischen 1600 und 600 v. Chr., und auch die meisten der Prachtwerke Babylons gehören diesem Zeitraum an.

Sowohl aus Ägypten als auch aus Mesopotamien besitzen wir jetzt zahlreiche öffentliche Urkunden, Geschäftsrechnungen, Erzählungen, Dichtungen und Privatbriefe. Wir wissen, daß das Leben der Wohlhabenden und Einflußreichen in Städten wie Babylon oder dem ägyptischen Theben beinahe ebenso verfeinert und luxuriös war wie das wohlhabender Leute heutzutage. Solche Menschen führten ein geordnetes und zeremonielles Leben in schönen, wohlausgestatteten Häusern, trugen {67}reich verzierte Kleider und reizvollen Schmuck; sie feierten Feste, bewirteten einander bei Musik und Tanz, wurden von wohlausgebildeten Sklaven bedient und von Ärzten und Zahntechnikern behandelt. Sie reisten zwar weder viel noch weit, doch waren Bootsfahrten zur Sommerzeit auf dem Nil und dem Euphrat ganz üblich. Ihr Lasttier war der Esel; das Pferd wurde nur im Kriege und bei Feierlichkeiten benutzt. Das Maultier war damals noch selten; das Kamel kannte man in Mesopotamien, in Ägypten jedoch noch nicht. Es gab nur wenige Eisenwerkzeuge; Kupfer und Bronze waren noch immer die am meisten benutzten Metalle. Man kannte Leinwand-, Baumwoll- und Schafwollstoffe, aber noch keine Seide. Glas war schon bekannt und wurde schön gefärbt, die daraus verfertigten Gegenstände waren jedoch gewöhnlich klein. Es gab kein durchsichtiges Glas und keine Verwendung des Glases zu optischen Zwecken. Die Menschen hatten Goldplompen in den Zähnen, aber keine Brillen auf der Nase.

Ein erstaunlicher Unterschied zwischen dem Leben im alten Theben oder Babylon und dem heutigen: man hatte kein geprägtes Geld. Der größte Teil des Handels vollzog sich auf dem Wege des Tausches. Babylon war Ägypten im Finanzwesen weit voraus. Gold- und Silberbarren wurden als Zahlungsmittel verwendet, und noch ehe man richtige Münzen kannte, gab es Bankiers: sie prägten ihren Namen und das Gewicht auf diese Metallbarren. Kaufleute oder Reisende führten Edelsteine mit sich, um damit zu bezahlen, was sie brauchten. Die meisten Diener und Arbeiter waren Sklaven, die nicht mit Geld, sondern in Ware bezahlt wurden. Mit dem Aufkommen des Geldes nahm die Sklaverei ab.

Ein Mensch von heute hätte in jenen höchstentwickelten Städten der Alten Welt zwei sehr wichtige Bestandteile unserer Kost vermißt: es gab weder Geflügel noch Eier. Erst zur Zeit des letzten assyrischen Reiches kam das Geflügel aus dem Osten.

Wie alles andere hatte sich auch die Religion sehr verfeinert. Das Menschenopfer zum Beispiel war seit langem verschwunden; man opferte Tiere oder Figuren aus Brot. (Von den Phöniziern jedoch, besonders von den Bürgern Karthagos, der größten phönizischen Niederlassung in Afrika, heißt es, sie hätten noch in viel späterer Zeit Menschenopfer dargebracht.) {68}Wenn in uralter Zeit ein großer Häuptling gestorben war, gebot der Brauch, daß seine Weiber und Sklaven geopfert und sein Speer und Bogen zerbrochen am Grabe niedergelegt wurden, auf daß er nicht ungeleitet und unbewaffnet in die Welt...