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Hello World - Was Algorithmen können und wie sie unser Leben verändern

Hannah Fry

 

Verlag Verlag C.H.Beck, 2019

ISBN 9783406732201 , 272 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,49 EUR

Für Firmen: Nutzung über Internet freigegeben

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Daten


Im Jahr 2004, kurz nachdem der Collegestudent Mark Zuckerberg Facebook erfunden hatte, unterhielt er sich per Instant Messenger mit einem Freund:

Zuck: Ja, also wenn du je Infos über irgendjemanden in Harvard brauchst

Zuck: Frag mich einfach.

Zuck: Ich habe mehr als 4000 E-Mail-Adressen, Bilder, Anschriften, SNS

[Geschwärzter Name des Freundes]: Was? Wie hast du das denn hingekriegt?

Zuck: Die Leute haben sie einfach geschickt.

Zuck: Keine Ahnung, warum.

Zuck: Sie «vertrauen mir»

Zuck: Blöde Trottel[1]

Nach dem Facebook-Skandal 2018 wurden diese Worte immer wieder von Journalisten abgedruckt, die damit auf die machiavellistische Einstellung zum Datenschutz in dem Unternehmen hinweisen wollten. Ich persönlich finde, wir könnten diese Angebereien eines Neunzehnjährigen etwas großzügiger interpretieren. Aber ich glaube auch, dass Zuckerberg unrecht hat. Die Leute gaben ihm nicht einfach ihre Daten. Sie schickten sie ihm als ihren Beitrag zu einem Tauschgeschäft. Im Gegenzug bekamen sie Zugriff auf einen Algorithmus, der es ihnen erlaubte, sich mit Freunden und Verwandten zu verbinden, und Zugang zu einem Ort, an dem sie ihr Leben mit anderen teilen konnten. Ihr eigenes privates Netzwerk in der endlosen Weite des World Wide Web. Damals hielt ich das für einen fairen Tausch. Doch die Sache hat einen Haken: Die langfristigen Folgen dieses Tauschhandels sind uns nicht immer bewusst. Oft ist nicht offensichtlich, was unsere Daten anrichten oder wie wertvoll sie sein können, wenn ein guter Algorithmus mit ihnen gefüttert wird. Genauso wenig erkannten wir, wie billig wir uns verkauften.

Jedes bisschen hilft


Supermärkte erkannten mit als Erste den Wert der Daten ihrer Kunden. In einer Branche, in der die Unternehmen ununterbrochen um die Aufmerksamkeit der Kunden buhlen – um winzige Präferenzspannen, die helfen, beim Kunden beständige Kauftreue gegenüber einem Produkt zu erzeugen –, kann jede noch so kleine Verbesserung sich zu einem riesigen Vorteil aufsummieren. Das veranlasste die britische Supermarktkette Tesco 1993 zu einem bahnbrechenden Versuch.

Unter der Leitung des Ehepaars Edwina Dunn und Clive Humby veröffentlichte Tesco in ausgewählten Filialen eine brandneue Clubcard – eine Plastikkarte, in Form und Größe einer Scheckkarte ähnlich, die Kunden an der Kasse vorlegen konnten, wenn sie ihre Einkäufe bezahlten. Der Vorgang war denkbar einfach. Für jede Transaktion, bei der eine Clubcard eingesetzt wurde, bekam der Kunde Punkte gutgeschrieben, die bei zukünftigen Einkäufen im Laden eingelöst werden konnten, während Tesco den Einkauf aufzeichnete und mit dem Namen des Kunden verknüpfte.[2]

Bei diesem ersten Clubcard-Versuchslauf wurden nur sehr begrenzte Daten gesammelt. Neben Namen und Anschrift des Kunden wurde nur aufgezeichnet, wie viel die Kunden bezahlten und wann, nicht aber, welche Artikel sich in ihrem Einkaufskorb befanden. Dennoch gewannen Dunn und Humby aus dieser bescheidenen Datenernte einige phänomenal wertvolle Erkenntnisse.

Sie fanden heraus, dass einige wenige treue Kunden einen enormen Teil der Verkäufe ausmachten. Sie sahen anhand der Postleitzahlen, wie weit die Leute bereit waren, zu ihren Läden zu fahren. Sie stellten fest, in welchen Gegenden die Konkurrenz gewann und wo Tesco die Nase vorn hatte. Die Daten enthüllten, welche Kunden jeden Tag zum Einkaufen kamen und welche sich den Einkauf für das Wochenende aufsparten. Mit diesem Wissen gewappnet, konnten sie sich daranmachen, das Kaufverhalten der Kunden zu beeinflussen, indem sie den Clubcard-Nutzern per Post Coupons schickten. Kunden, die viel Geld ausgaben, bekamen Gutscheine im Wert von 3 bis 30 britischen Pfund. Kunden, die weniger ausgaben, bekamen kleine Anreize zwischen einem und 10 Pfund. Die Ergebnisse waren verblüffend. Fast 70 Prozent der Coupons wurden eingelöst, und wenn sie schon einmal im Laden waren, füllten die Kunden ihre Einkaufswagen: Personen mit einer Clubcard gaben insgesamt vier Prozent mehr aus als Kunden ohne Karte.

Am 22. November 1994 präsentierte Clive Humby die Ergebnisse des Experiments dem Vorstand von Tesco. Er legte ihnen die Daten vor, die Rücklaufquote, die Beweise für die Zufriedenheit der Kunden, die gestiegenen Verkaufszahlen. Die Vorstandsmitglieder hörten ihm schweigend zu. Am Ende der Präsentation sprach zunächst der Vorstandsvorsitzende: «Mich erschreckt bei dieser Sache nur, dass Sie nach drei Monaten mehr über meine Kunden wissen als ich nach 30 Jahren.»[3]

Danach bekamen alle Tesco-Kunden Clubcards, und allgemein glaubt man, die Karte sei der Grund, warum Tesco sich gegen seinen Hauptrivalen Sainsbury’s durchsetzte und zur größten Supermarktkette im Vereinigten Königreich wurde. Mit der Zeit wurden immer detailliertere Daten gesammelt, sodass die Kaufgewohnheiten der Kunden gezielter beeinflusst werden konnten.

In den Anfangstagen des Online-Shoppings führte das Team die ‹Favoritenseite› ein, auf der alle Artikel, die mit einer Kundenkarte gekauft worden waren, angezeigt wurden, wenn sich der Kunde bei der Firmenwebsite einloggte. Auch dieses Angebot war, wie die Clubcard selbst, ein durchschlagender Erfolg. Die Kunden fanden schnell, was sie wollten, ohne sich durch die verschiedenen Seiten navigieren zu müssen. Die Verkaufszahlen stiegen, und die Kunden waren glücklich.

Aber nicht alle Kunden. Kurz nach dem Start der Favoritenseite beschwerte sich eine Kundin bei Tesco, ihre Daten seien fehlerhaft. Sie hatte online eingekauft und dabei Kondome auf ihrer Favoritenliste entdeckt. Sie erklärte, ihr Mann könne sie nicht gekauft haben, weil er keine benutze. Daraufhin überprüften die Tesco-Analysten die Daten und stellten fest, dass die Liste korrekt war. Doch sie wollten keine Ehe zerstören und trafen daher die diplomatische Entscheidung, sich für «korrumpierte Daten» zu entschuldigen und die fraglichen Produkte aus der Favoritenliste der Kundin zu löschen.

Laut Clive Humbys Buch über Tesco ist dies inzwischen inoffizielle Firmenpolitik. Immer wenn etwas auftaucht, das ein bisschen zu aufschlussreich ist, entschuldigt sich das Unternehmen und löscht die Daten. Diese Haltung ähnelt derjenigen von Eric Schmidt, der während seiner Zeit als Geschäftsführer von Google sagte, er richte sich nach einer imaginären Gruselgrenze: «Google geht bis an diese Gruselgrenze heran, überschreitet sie aber nicht.»[4]

Aber wenn man viele Daten sammelt, dann weiß man nie, was man dabei entdeckt. Lebensmittel konsumiert man nicht nur. Sie sind persönlich. Wenn man sich sorgfältig mit den Einkaufsgewohnheiten einer Person beschäftigt, dann erfährt man dabei alle möglichen Einzelheiten über diesen Menschen. Manchmal – wie bei dem Fall mit den Kondomen – sind das Dinge, die man lieber nicht wissen will. Aber in den meisten Fällen lauern in der Tiefe der Daten jene verborgenen Erkenntnisse, die ein Unternehmen zu seinem Vorteil verwenden kann.

Zielmarkt


Im Jahr 2002 begab sich die riesige amerikanische Discount-Kette Target auf die Suche nach ungewöhnlichen Mustern in ihren Daten.[5] Target verkauft alles, von Milch und Bananen bis zu Kuscheltieren und Gartenmöbeln, und verknüpft – wie fast jeder Einzelhändler seit der Jahrtausendwende – Kunden über Kreditkartennummern und Antworten auf Umfragen mit so ziemlich allem, was diese Kunden je im Laden gekauft haben. So kann das Unternehmen die Einkäufe analysieren.

Eine Geschichte brachte es in den USA zu landesweiter Bekanntheit. Damals stellte Target fest, dass eine Kundin, die plötzlich mehr unparfümierte Bodylotion kaufte als vorher, kurz darauf im Laden eine Geschenkliste für eine Babyparty anlegte. Das Unternehmen hatte in den Daten ein Signal erkannt. Wenn werdende Mütter ins zweite Drittel der Schwangerschaft kamen, fürchteten sie sich zunehmend vor Dehnungsstreifen. Daher deutete ihr Konsum von Pflegeprodukten, die ihre Haut geschmeidig machen sollten, auf das Kommende hin. Wenn man zeitlich ein wenig zurückschaute, dann kauften dieselben Frauen einen Vorrat an Vitaminen und Nahrungsergänzungsmitteln, etwa Kalzium oder Zink. Etwas später wiesen die Daten sogar auf den Geburtstermin hin – denn dann kauften die Frauen extra große Beutel mit Watte im Laden.[6]

Werdende Mütter sind der Traum aller Einzelhändler. Wenn man es schafft, sie in der Schwangerschaft als Kunden zu gewinnen, dann ist die Chance groß, dass sie auch noch lange nach der Geburt des Kindes bei dem...