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Huckleberry Finns Abenteuer

Mark Twain

 

Verlag Diogenes, 2019

ISBN 9783257609684 , 368 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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7,99 EUR


 

ZWEITES KAPITEL Der blutige Eid unserer Bande


Auf den Zehenspitzen schlichen wir einen Pfad entlang, der hinten in der Witwe ihrem Garten zwischen den Bäumen durch führte, und bückten uns, damit uns die Zweige nicht den Kopf zerkratzten. Als wir an der Küche vorbeikamen, stolperte ich über ’ne Wurzel, und das machte ein Geräusch. Wir duckten uns hin und waren ganz still. Miss Watson ihr großer Nigger Jim saß in der Küchentür; wir konnten ihn ziemlich deutlich sehen, weil hinter ihm ’n Licht brannte. Er stand auf und streckte ungefähr ’ne Minute lang den Hals, um zu horchen. Dann sagte er: »Wer ’s da?«

Er horchte noch ’ne Weile, dann kam er auf Zehenspitzen raus und stand genau zwischen uns still; wir hätten ihn beinah anfassen können. Na, ’s kam uns wie viele Minuten vor, daß nicht ein Laut zu hören war und wir alle dort so dicht beisammen waren. An meinem Knöchel fing ’ne Stelle an zu jucken, aber ich wagt’s nicht, mich zu kratzen; dann fing mein Ohr an zu jucken, und dann kam mein Rücken dran, genau zwischen den Schultern. Mir war’s, als müßt’ ich sterben, wenn ich mich nicht kratzen könnte. Das habe ich seitdem oft bemerkt. Wenn man mit feinen Leuten zusammen ist oder bei ’nem Begräbnis oder wenn man versucht einzuschlafen und gar nicht müde ist – wenn man irgendwo ist, wo man sich nicht kratzen darf, dann juckt’s einen bestimmt überall an mindestens tausend Stellen.

Nun sagte Jim: »Sag, wer bist ’n du? Wo bist ’n du? Ich will auf der Stelle umfalln, wenn ich nicht was gehört hab. Na, ich weiß, was ich mache. Ich setz mich hier hin und warte, bis ich wieder was höre.«

So setzte er sich also zwischen Tom und mich auf die Erde. Mit dem Rücken lehnte er sich gegen einen Baum, und die Beine streckte er so weit von sich, daß eins davon beinah meins berührte. Jetzt fing meine Nase an zu jucken. Sie juckte so, daß mir die Tränen kamen. Zu kratzen traute ich mich aber nicht. Dann fing sie an, innen zu jucken. Danach juckte mich’s unten. Ich wußte nicht, wie ich stillhalten sollte. Dieses Elend dauerte sechs oder sieben Minuten, mir kam’s aber viel länger vor. Jetzt juckte’s mich an elf verschiedenen Stellen. Ich schätzte, ich könnte es nicht länger als bloß noch ’ne Minute aushalten, aber ich biß die Zähne zusammen und machte mich bereit, es zu versuchen. Grad da fing Jim an, schwer zu atmen; dann schnarchte er – und da fühlte ich mich ziemlich schnell wieder ganz wohl in meiner Haut.

Tom machte mir ’n Zeichen – ’n kleines Geräusch mit dem Mund – und wir krochen auf Händen und Knien davon. Als wir zehn Fuß weit fort waren, flüsterte Tom mit mir und wollte Jim aus Ulk an den Baum binden; aber ich sagte, nein, er könnte dabei aufwachen und Krach schlagen, und dann würden sie merken, daß ich nicht im Hause war. Dann sagte Tom, er hätte nicht genug Kerzen und würde in die Küche schleichen, um noch welche zu holen. Ich wollte nicht gern, daß er’s versuchte. Ich meinte, Jim könnte aufwachen und reinkommen. Aber Tom wollte’s riskieren, und so schlüpften wir rein und holten drei Kerzen, und Tom legte zur Bezahlung fünf Cent auf den Tisch. Dann gingen wir raus, und ich brannte drauf fortzukommen, aber Tom wollte absolut nicht anders, als noch mal auf Händen und Knien dahin kriechen, wo Jim war, und ihm irgend’nen Streich spielen. Ich wartete, und die Zeit kam mir recht lang vor; es war alles so still und einsam.

Sowie Tom zurück war, machten wir uns davon, den Weg runter und um den Gartenzaun rum; schließlich kamen wir auf die steile Spitze vom Hügel, der auf der anderen Seite vom Haus lag. Tom sagte, er hätte Jim den Hut abgesetzt und ihn auf ’nen Ast gehängt, der genau über ihm war, und Jim hätte sich ’n bißchen bewegt, wäre aber nicht aufgewacht. Nachher erzählte Jim, die Hexen hätten ihn verhext und in einen schlafähnlichen Zustand versetzt und wären mit ihm über den ganzen Staat geritten, und dann hätten sie ihn unter den Bäumen wieder abgesetzt und seinen Hut auf ’nen Ast gehängt, um zu zeigen, wer’s gewesen ist. Und als Jim die Sache das nächste Mal erzählte, sagte er, sie hätten ihn bis nach New Orleans runter geritten, und danach dehnte er’s, jedesmal wenn er’s erzählte, weiter und immer weiter aus, bis er schließlich sagte, sie hätten ihn um die ganze Welt geritten und fast zu Tode erschöpft, und sein Rücken wäre von oben bis unten voller Druckstellen vom Sattel gewesen. Jim war grauslich stolz darauf, und er wurde so eingebildet, daß er von den anderen Niggern kaum noch Notiz nehmen wollte. Die Nigger kamen von meilenweit her, um Jim davon erzählen zu hören, und er war geachteter als sonst irgendein Nigger in der Gegend. Fremde Nigger standen mit offenem Mund da und begafften ihn von oben bis unten, grad als ob er ’n Wunder wäre. Nigger sprechen im Dunkeln, wenn sie am Herdfeuer sitzen, immer über Hexen, aber jedesmal, wenn einer davon redete und zu verstehen gab, er wüßte alles über solche Sachen, dann kam zufällig Jim dazu und sagte: »Hm! Was verstehst ’n du von Hexen?«, und dann war dem Nigger das Maul gestopft, und er mußte sich in den Hintergrund verziehen. Das Fünfcentstück trug Jim immer an ’ner Schnur um den Hals und sagte, das wär ’n Amulett, das der Teufel ihm eigenhändig gegeben hätte, und der hätte ihm gesagt, er könnte damit jeden heilen und immer, wenn er wollte, Hexen herbeiholen, er brauchte bloß was zu dem Amulett zu sagen; er hat aber nie erzählt, was er denn zu ihm sagte. Die Nigger aus der ganzen Umgebung kamen und gaben Jim alles, was sie hatten, bloß um das Fünfcentstück mal zu sehen, aber anfassen wollten sie’s nicht, weil der Teufel die Hände drauf gehabt hatte. Als Diener war Jim fast gar nicht mehr zu gebrauchen, so hochnäsig wurde er, weil er den Teufel gesehen hatte und von den Hexen geritten worden war.

Also, wie Tom und ich an den Rand von der Hügelspitze kamen, guckten wir auf das Dorf runter und sahen zwei oder drei Lichter blinken, vielleicht bei Kranken, und die Sterne über uns funkelten wunderschön; unten beim Dorf lag der Fluß; er war ’ne ganze Meile breit und furchtbar still und großartig. Wir gingen den Hügel runter und fanden Jo Harper, Ben Rogers und noch zwei oder drei Jungs, die sich in der alten Gerberei versteckt hatten. Wir machten ein Boot los und ruderten zweieinhalb Meilen weit den Fluß runter, bis zu der großen Erdrutschstelle auf dem Abhang; da gingen wir an Land.

Wir gingen zu ’nem Gebüsch, und Tom ließ alle schwören, das Geheimnis zu wahren; dann zeigte er ihnen ein Loch im Hügel, grad wo das Gebüsch am dichtesten war. Dann zündeten wir die Kerzen an und krochen auf Händen und Knien rein. Etwa zweihundert Yard weit krochen wir, und dann wurde die Höhle breiter. Tom suchte in den Gängen rum und verschwand bald unter ’ner Wand, wo man gar nicht merkte, daß da ’n Loch war. Wir gingen einen engen Gang entlang und kamen dann in ’ne Art Raum, wo’s feucht und klamm und kalt war, und da hielten wir an.

Tom sagte: »Jetzt gründen wir die Räuberbande und nennen sie Tom Sawyers Bande. Jeder, der mitmachen will, muß ’nen Eid ablegen und seinen Namen mit Blut unterschreiben.«

Alle wollten mitmachen. Tom holte also ’n Blatt Papier raus, wo er den Eid daraufgeschrieben hatte, und las ihn vor. Er verpflichtete jeden von den Jungs, zur Bande zu halten und keins von ihren Geheimnissen je zu verraten, und wenn irgendwer irgendeinem von der Bande was tat, dann mußte jeder Junge, dem’s befohlen wurde, diesen Menschen und seine Familie umbringen, und er durfte nicht essen und nicht schlafen, bis er sie getötet und ihnen ein Kreuz in die Brust gehackt hatte, was der Bande ihr Zeichen war. Und keiner, der nicht zur Bande gehörte, durfte das Zeichen benutzen, und wenn er’s doch tat, mußte er belangt werden, und wenn er’s noch mal tat, dann mußte er getötet werden. Und wenn jemand, der zur Bande gehörte, die Geheimnisse verriet, dann mußte er sich die Kehle durchschneiden lassen und seine Leiche verbrennen und die Asche in alle Winde verstreuen lassen, und sein Name mußte mit Blut von der Liste gelöscht werden und durfte von der Bande nie mehr genannt werden, sondern ein Fluch mußte über ihn gesprochen werden, und er sollte für ewig vergessen sein.

Alle sagten, das wäre ein wirklich wunderschöner Eid, und fragten Tom, ob er sich ihn allein ausgedacht hätte. Er sagte, zum Teil, aber der Rest wäre aus Piratenbüchern und Räuberromanen, und jede vornehme Bande hätte so einen.

Einige meinten, es wäre gut, die Familien von den Jungs zu töten, die die Geheimnisse verrieten. Tom sagte, das wäre ’n feiner Gedanke, und so nahm er einen Bleistift und schrieb’s rein.

Dann sagte Ben Rogers: »Huck Finn hier hat ja keine Familie – was machst du denn mit dem?«

»Na, hat er vielleicht nicht ’nen Vater?« sagte Tom Sawyer.

»Ja, einen Vater hat er, aber den kann man doch jetzt nie finden. Früher lag er immer besoffen bei den Schweinen in der Gerberei, aber jetzt ist er schon über ’n Jahr nicht mehr hier in der Gegend gesehen worden.«

Sie berieten darüber und wollten mich schon ausschließen, denn sie sagten, jeder Junge müßte ’ne Familie oder jemand haben, den man töten könnte, sonst wäre die Sache für die anderen nicht recht und billig. Na, keinem fiel was ein, was da zu tun war, keiner wußte mehr weiter, und alle saßen stumm da. Ich wollte schon anfangen zu heulen, da fiel mir aber plötzlich ’n Ausweg ein, und so bot ich ihnen Miss Watson an – die konnten sie töten.

Alle sagten: »Ach, die reicht, die reicht. Geht in Ordnung. Huck kann...