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Strömung des Lebens - Roman

Nora Roberts

 

Verlag Diana Verlag, 2019

ISBN 9783641250812 , 544 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

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Von außen betrachtet war das Haus in Lakeview Terrace einfach perfekt. Die prächtigen drei Stockwerke des hellbraunen Ziegelbaus verfügten über große Fenster mit einem herrlichen Blick auf den Reflection Lake und die Blue Ridge Mountains. Die beiden Erkertürmchen mit Kupferdach verliehen ihm europäisches Flair und zeugten von Wohlstand, ohne zu protzen.

Sattgrüner Rasen stieg sanft bis zu einer dreigliedrigen Treppe empor, gefolgt von einer breiten weißen Veranda, die im Frühling von rubinrot blühenden Azaleen gesäumt wurde. Auf der Rückseite des Hauses lag ein großzügig überdachter Außenbereich mit Sommerküche, von dem aus man das fantastische Seepanorama genießen konnte. Der sorgfältig gepflegte Rosengarten sorgte für eine romantisch-elegante Atmosphäre. War Saison, lag eine Segeljacht am privaten Anlegesteg. Kletterrosen rankten sich am Grundstückzaun empor. Im Garagenanbau gab es einen Luxus-SUV und einen Kombi derselben Marke, zwei Mountainbikes und Skiausrüstung. Gerümpel war nirgendwo zu sehen.

Die Innenräume hatten hohe Decken. Sowohl Salon als auch Wohnzimmer verfügten über Kamine, die mit den gleichen goldbraunen Ziegeln verkleidet waren wie die Fassade. Die stilvolle Einrichtung entsprach ganz dem Geschmack des hier wohnenden Paares, auch wenn sie vielleicht ein wenig zu gewollt war. Ruhige Farben und aufeinander abgestimmte Stoffe. Zeitgemäß, ohne zu modern zu sein.

Dr. Graham Bigelow hatte das Grundstück in der Siedlung Lakeview Terrace gekauft, als sein Sohn fünf und seine Tochter drei Jahre alt gewesen waren. Er war es auch, der damals den zu ihm und seiner Familie passenden Grundriss aussuchte, die notwendigen Um- und Anbauten ausführen ließ, Details wie Bodenbeläge, Fliesen und Gartenplatten auswählte und am Ende eine Innenarchitektin beauftragte.

Seine Frau Eliza überließ ihm die meisten Entscheidungen liebend gern, weil sie fand, dass er einen makellosen Geschmack besaß. Hatte sie selbst einen Vorschlag oder eine Idee, hörte er ihr geduldig zu, um ihr dann häufig zu erklären, warum das alles nicht passte. Es kam jedoch durchaus vor, dass er auf die eine oder andere Anregung einging.

Genau wie Graham legte Eliza Wert darauf, dass die kleine exklusive Siedlung am See im High Country North Carolinas brandneu war und ihren Wohlstand offen zur Schau stellte. Sie war bereits in einen solchen Lebensstil hineingeboren worden, wenn auch in einen von der langweilig-altmodischen Sorte, den sie für spießig hielt. So wie das Haus auf der anderen Seeseite, in dem sie aufgewachsen war. Deshalb hatte sie ihren Anteil nur zu gern an ihre Schwester verkauft und das Geld in die brandneue Einrichtung des Hauses in Lakeview Terrace gesteckt. Sie hatte Graham den Bankscheck vertrauensvoll übergeben und es nie bereut.

Seit fast neun Jahren lebten sie jetzt glücklich und zufrieden hier, zogen zwei intelligente, wunderschöne Kinder groß und gaben Dinner-, Cocktail- und Gartenpartys. Als Ehefrau des Chefchirurgen am Mercy Hospital im nahe gelegenen Asheville bestand ihre Rolle vornehmlich darin, elegant und gepflegt auszusehen, die Kinder gut zu erziehen, das Haus in Ordnung zu halten, Einladungen zu geben und verschiedene Wohltätigkeitsorganisationen zu leiten. Dreimal die Woche kam eine Putzfrau und Köchin sowie wöchentlich der Gärtner. Ihre Schwester nahm nur allzu gern die Kinder, wenn Graham und sie einen freien Abend haben oder einen Wochenendtrip machen wollten. So blieb ihr genug Zeit, sich um ihr Aussehen und ihre Garderobe zu kümmern.

Eliza versäumte keine Schulveranstaltung und war sogar zwei Jahre lang Elternbeiratsvorsitzende gewesen. Wenn Grahams Beruf ihm Zeit dazu ließ, ging sie mit ihm gemeinsam zu den Theateraufführungen. Sie kümmerte sich darum, Spenden für die Schule sowie fürs Krankenhaus zu sammeln. Seit Britts viertem Geburtstag saß sie bei jeder Ballettvorstellung in der Mitte der ersten Reihe. Auch fast allen Baseballspielen von Zane wohnte sie bei. Sollte sie doch mal eines verpassen, hatte sie stets eine gute Ausrede parat. Jeder weiß, wie langweilig solche Spiele in der Jugendliga sein können.

Auch wenn sie das niemals zugegeben hätte, zog Eliza ihre Tochter bei Weitem vor. Britt war ein so hübsches, liebenswertes, gehorsames kleines Mädchen! Nie musste man sie dazu drängen, Hausaufgaben zu machen oder ihr Zimmer aufzuräumen, außerdem war sie unglaublich höflich.

Zane dagegen erinnerte Eliza an ihre Schwester Emily. Er neigte dazu, Streit zu suchen, beleidigt zu sein und sich abzusondern. Dafür schrieb er gute Noten. Wenn der Junge Baseball spielen wollte, musste er zu den besten Schülern gehören – so ihre Vereinbarung. Sein Traum, Profispieler zu werden, war natürlich nur eine Teenagerfantasie. Er würde selbstverständlich Medizin studieren, genau wie sein Vater.

Im Moment war Baseball jedenfalls das Zuckerbrot, sodass sie die Peitsche im Schrank lassen konnten. Sollte Graham sie zu Bestrafungszwecken hervorholen, dann nur zum Besten des Jungen. So etwas bildete den Charakter, zeigte Grenzen auf und sorgte für Respekt. Wie sagte Graham so schön? Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr. Besser, man bekam von klein auf beigebracht, sich an die Regeln zu halten.

Zwei Tage vor Weihnachten fuhr Eliza durch die vom Schneepflug geräumten Straßen nach Hause. Sie hatte ein schönes Mittagessen mit Freundinnen hinter sich und höchstes ein paar Schluck Champagner zu viel getrunken. Anschließend hatten sie sich mit etwas Shoppen belohnt. Am zweiten Weihnachtsfeiertag wollte die Familie in den jährlichen Skiurlaub aufbrechen. Skifahren würden nur Graham und die Kinder, während sie sich im Spa verwöhnen ließ. Heute hatte sie ein fantastisches Paar Stiefel gekauft, das sie mitnehmen würde. Ebenso einige Dessous, die dazu angetan waren, Graham nach Stunden auf der Piste wieder aufzuwärmen.

Sie warf einen Blick auf die anderen Häuser und deren Weihnachtsschmuck. Wirklich hübsch! In Lakeview Terrace waren diese aufblasbaren Kitschweihnachtsmänner nicht erlaubt, dafür hatte die Eigentümergemeinschaft gesorgt. Trotzdem konnte sie ohne falsche Bescheidenheit sagen, dass ihr Haus alle anderen überstrahlte. Graham ließ ihr bei der Weihnachtsdeko freie Hand, und sie machte klug davon Gebrauch. Sobald die Dämmerung hereinbrach, setzten weiß glitzernde Lichter die Silhouette des Hauses perfekt in Szene, um sich dann um die eingetopften Fichten auf der vorderen Veranda zu winden.

Im Haus dagegen funkelten die beiden Adventskränze mit den roten und silbernen Bändern an der Doppeltür mit dem Baum im Salon um die Wette. Stolze dreieinhalb Meter hoch, verziert mit weißen Kerzen sowie silbernen und roten Sternen. Der Baum im Wohnzimmer folgte demselben Farbschema, war aber mit Engeln geschmückt. Kaminsimse und Esstisch waren natürlich ebenfalls höchst stilvoll dekoriert, und das jedes Jahr wieder anders. Wozu alles abhängen und verstauen, wenn eine Mietfirma kam, die die gesamte Deko nach den Feiertagen abholte? Sie hatte nie verstanden, was ihre Eltern und Emily so toll daran fanden, uralte Glaskugeln und kitschige Holzfiguren auszupacken. Wenn die alten Herrschaften Emily in ihrem ehemaligen Zuhause besuchten, würden sie das dort sowieso alles vorfinden. Das Weihnachtsessen sollte jedoch in Lakeview Terrace stattfinden. Danach würden die Eltern zum Glück wieder nach Savannah in ihre Seniorenresidenz zurückkehren.

Emily war die Lieblingstochter, keine Frage. Eliza ließ das automatische Garagentor hochfahren. Und zuckte zusammen, als sie Grahams Auto bereits auf seinem Platz stehen sah. Sie schaute auf die Uhr und seufzte erleichtert auf. Sie war nicht spät dran, er war nur früher als erwartet nach Hause gekommen. Da heute eine andere Mutter die Kinder abholen musste, parkte sie neben dem Wagen ihres Mannes und griff nach ihren Einkaufstüten. Sie ging in den Flur, hängte ihren Mantel auf, faltete ihren Schal zusammen und zog ihre Stiefel aus, bevor sie in die flachen schwarzen Prada-Slipper schlüpfte, die sie im Haus trug. Als sie in die Küche kam, stand Graham in Anzug und Krawatte vor der Kochinsel.

»Du bist aber früh da.« Nachdem sie ihre Tüten auf dem Küchentresen abgestellt hatte, ging sie sofort auf ihn zu und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. So leicht wie der Kuss war auch der Hauch von Eau Sauvage, ihr Lieblingsaftershave, das sie an ihm wahrnahm.

»Wo hast du gesteckt?«

»Ach, ich war mit Miranda und Jody beim Mittagessen.« Sie zeigte auf den Familienkalender in der Ecke. »Anschließend sind wir ein wenig shoppen gegangen.« Sie holte eine Flasche Perrier aus dem Kühlschrank. »Unfassbar, wie viele Leute Weihnachtseinkäufe machen. Auch Jody.« Sie gab ein paar Eiswürfel aus dem Eiswürfelautomaten ins Glas, bevor sie Mineralwasser darüberschüttete. »Wirklich, Graham, organisatorisch ist sie wirklich nicht gerade die …«

»Glaubst du, Jody interessiert mich einen feuchten Dreck?«

Seine ruhige, geschmeidige, fast freundliche Stimme ließ sämtliche Alarmglocken bei ihr klingeln. »Natürlich nicht, mein Schatz, ich rede einfach nur dummes Zeug.« Sie lächelte weiter, musterte ihn jedoch misstrauisch. »Warum setzen wir uns nicht und ruhen uns etwas aus? Ich mach dir einen Drink.«

Er hob das Glas und warf es ihr vor die Füße. Eine Scherbe ritzte ihr den Knöchel auf, der brannte, nachdem Whiskey darübergeschwappt war. Ausgerechnet das Baccarat-Glas! Ihr wurde ganz heiß.

»Mach mir einen neuen!« Jetzt klang die Stimme weder ruhig noch geschmeidig und schon gar nicht freundlich, sondern wie eine Ohrfeige. »Ich soll den ganzen Tag in fremden Menschen herumwühlen und...