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Myntha, die Fährmannstochter Band 1 und 2: Die Fährmannstochter / Die silberne Nadel - Zwei historische Romane in einem Band

Andrea Schacht

 

Verlag Blanvalet, 2019

ISBN 9783641256821

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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14,99 EUR


 

1. Kapitel

Mai 1420

Es hatte seine Vorteile, die Tochter des Fährmanns von Mülheim zu sein. Wann immer Myntha Lust hatte, die Annehmlichkeiten der großen Stadt zu genießen, begleitete sie ihre Brüder am Morgen auf der ersten Fahrt über den Rhein. So auch an diesem lieblichen Maitag, an dem die Vögel lauthals ihre Lieder zwitscherten und die leichte Brise, die durch das Tal wehte, an ihrem Gewand zupfte. Junge Federknäulchen folgten behäbigen Entenmüttern. Ihnen warf sie einige Krumen altbackenen Brotes zu und wurde mit einem vergnügten Schnattern belohnt.

Myntha zog den Schleier über ihren Kopf und betrat den Nachen. Mit ihr auf der Fähre fuhren einige Handwerker, die sie mit einem Nicken grüßte. Die Männer mit ihren Kiepen auf dem Rücken erwiderten ihren Gruß nicht, sondern schauten unangenehm berührt in die andere Richtung. Nur Rixa, das Weib des Honigsammlers Jorgen, lächelte sie an und erkundigte sich nach ihrer Großmutter Enna.

»Sie hat das Reißen in den Knochen, aber jetzt, wo es wärmer wird, geht es ihr wieder besser«, erzählte Myntha der krummrückigen Frau. Die schlug ihr vor: »Kannst ja mal die aal Sybilla aufsuchen, drüben in Merheim. Die hat Salben, die die Knochen wärmen.« Und dann senkte sie die Stimme zu einem geheimnisvollen Flüstern: »Aber frag nicht zu genau nach, woher sie das Fett hat.«

»Von Schweinen, Rixa. Ich kenne die Sybilla. Aber ich habe auch eine gute Tinktur aus der Apotheke am Neuen Markt bekommen. Die hat der Großmutter einige Erleichterung verschafft. Wie läuft das Geschäft? Honig hast du in den Fässchen da nicht drin.«

Myntha wollte nicht weiter über die Leiden ihrer Großmutter und irgendwelche quacksalberischen Vorschläge reden, und Rixa war leicht abzulenken.

»Nein, die Bienen fliegen noch nicht. Wir haben Harz gesammelt, gutes, feines Wacholderharz. Verkaufen wir an den Turm. Die Wachen verwenden es für ihre Waffen, gibt gutes Geld dafür.«

»Und du bekommst einen neuen Kittel?«

Rixa lachte und entblößte eine Zahnlücke.

»Der hier tut’s noch. Die Wolle hab ich selbst gesponnen und gewebt. Aber ein gutes Essen im Adler, das wird’s geben. Und, was treibt dich in die Gassen?«

Es waren natürlich nicht nur die städtischen Vergnügen, die Myntha suchte. Sie hatte auch einige ernsthafte Aufträge zu erledigen. Heute beispielsweise ging es darum, einige Fässer Wein zu ordern. Das erzählte sie Rixa auch, und darüber kamen sie an der Landestelle am Niehler Ufer an.

Rixa schulterte die Kiepe wieder, und sie und Myntha warteten, bis alle Fährgäste an Land waren. Dann stellten sie sich neben Mynthas Bruder Haro. Er überragte sie um mehr als Kopfeslänge, und in seinem dichten Vollbart schien ein Lächeln auf. Er zupfte ihr den Schleier vom Gesicht und meinte: »Bleibt beide auf dem Nachen. Wir treideln ein Stück stromaufwärts, das schont eure Füße.«

Myntha hatte damit gerechnet, denn damit die Fähre auf dem Rückweg von der Strömung flussabwärts nach Mülheim getragen wurde, musste eines der starken Zugpferde sie ein Stück am Ufer entlangziehen. Heute machte ihr Bruder Witold den Treideldienst. Rixa nickte, dankbar dafür, dass auch sie auf dem Nachen bleiben durfte. Während sie langsam dahinglitten, meinte Haro zu seiner Schwester: »Schau, ob Frau Alyss wieder ein hübsches Maidchen beherbergt, Myntha. Es wird Zeit, dass Witold sich ein Weib nimmt.«

»Ach, der Witold? Und du?«

»Na, wenn’s zweie sind, nehm ich auch eins.«

»Wenn ich nicht dem Jorgen sein Weib wär, tät ich dich nehmen«, kicherte Rixa.

»Dann werd ich mal sehen, ob der Jorgen nicht das nächste Mal mitten auf dem Rhein von einer Nixe ins Wasser gezogen wird«, unkte Haro.

Rixa, ein schlichtes Gemüt, lachte schallend und hieb ihm auf den Rücken. Haro musste sich an der Ruderpinne festhalten, um nicht selbst ins Wasser zu fallen.

Sie erreichten nach kurzer Zeit die zweite Anlegestelle, und Haro verabschiedete sich von ihnen.

»Dann macht euch mal auf den Weg. Myntha, zieh die Fahne hoch, wenn du wieder rüberwillst!«

»Am Nachmittag. Das Essen in Frau Alyss’ Haus­wesen werde ich mir nicht entgehen lassen.«

Rixa und sie gingen an Land und machten sich am Ufer entlang auf den Weg in die Stadt.

»Ich wünschte, meine Brüder würden sich wirklich bald dazu entschließen, zu heiraten«, murrte Myntha.

»Sind zwei stramme Burschen. Um die müssten die Weibchen sich doch reißen.«

»Pah. Sowie eine junge Frau ihren Blick auf sie wirft, werden sie rot, beginnen zu stammeln, treteln mit den Füßen und suchen schnellstmöglich das Weite. Das sind Kerle wie Baumstämme, aber so was von schüchtern.«

»Was für ein Jammer. Hilft wohl nur beten.«

»Oder ein Holzhammer.«

Eine Weile schwatzten sie gemächlich über dieses und jenes, dann erreichten sie die Stadtmauer, und am Kunibertstor verabschiedete Rixa sich, um dem Turmmeister ihre Ware anzubieten. Myntha wanderte weiter durch die Gassen.

Auf dem Weg zu Frau Alyss, der Weinhändlerin in der Witschgasse, lag die Dombaustelle, an der sie mit immerwährendem Staunen einen Augenblick stehen blieb, um zuzusehen, wie der gewaltige Tretkran einen riesigen, sorgfältig behauenen Stein nach oben schweben ließ.

Dann musste sie aber zwei Männern aus dem Weg gehen, die zwischen sich einen Bottich mit Gips trugen, und wandte sich Richtung Alter Markt. Später würde sie hier an den Ständen noch einige Einkäufe tätigen, jetzt aber galt es zunächst, andere Dinge zu erledigen. Diszipliniertes Vorgehen hatte sie schon vor Jahren im Hauswesen von Frau Alyss und Master John gelernt. Dort hatte sie als junges Mädchen ihre Lehrzeit verbracht und großen Nutzen aus diesem Aufenthalt gezogen. Die Führung eines sehr lebendigen Haushalts hatte sie gelernt, die Buchführung eines schwunghaften Weinhandels, hartes Feilschen, kühles Beurteilen von Qualitäten und – nicht zu unterschätzen – die lateinische Sprache, in der sie der staubtrockene Magister Jakob unterrichtet hatte. Diese Kenntnisse wussten ihr Vater und ihre Brüder sehr zu schätzen, denn oftmals kamen Menschen aus fernen Ländern an die Fährstelle, die der heimischen Zunge kaum mächtig waren. Einige Brocken Latein jedoch konnte ein jeder, und Myntha half gerne, der Fremden Begehr zu übersetzen.

Doch bei Frau Alyss hatte sie nicht nur Arbeit kennengelernt, sondern auch überschäumenden Frohsinn. Manche wilden Scherze hatte sie mit den anderen Jungfern und jungen Männern getrieben, trauliche Gespräche beim Spinnen geführt und ernsthaftes Disputieren mit dem Hausherrn und den Gästen erprobt, die häufig das Hauswesen mit ihrer Anwesenheit beehrten. Besonders in ihr Herz geschlossen hatte Myntha aber Frau Alyss’ Eltern, den wohledlen Herrn Ivo vom Spiegel und die scharfzüngige Frau Almut. Anfangs hatte sie Angst vor dem brummigen Herrn gehabt, dessen Augen unter den buschigen Brauen vor geistiger Schärfe funkelten. Seine Donnerwetter, so munkelte man, waren furchterregend gewesen. Bis sie eines Tages entdeckte, dass sich hinter der Wortgewalt des großen Mannes ein tiefsinniger Humor und ein gütiges Herz verbargen und er auf eine treffende Erwiderung mit grollender Erheiterung reagierte. Sein Weib, eine ehemalige Begine, stand ihm an Witz in nichts nach, und die Beobachtung des Geplänkels der beiden hatte Myntha gezeigt, was es hieß, wenn sich zwei Menschen in grenzenloser Liebe zugetan waren.

Im vergangenen Jahr nun war Herr Ivo im gesegneten Alter von vierundachtzig Jahren sanft entschlafen, und sie betrauerte noch immer den Verlust.

Darum hielt sie auf ihrem Weg durch die Stadt an dem trutzigen Kloster von Groß Sankt Martin an, in dem Herr Ivo einst als Benediktinerpater gelebt hatte. Hier ruhte er nun auf dem Friedhof von Sankt Brigiden, der kleinen Kirche neben dem Kloster. An seinem Grab wollte sie eine Fürbitte für den gütigen Mann halten.

Dicht an der Kirchmauer hatte man ihn begraben, und zwei dunkelgrüne Eiben flankierten den Grabstein. Doch während Myntha den Lichhof überquerte, erkannte sie, dass sie nicht die Einzige war, die am Grab des wohledlen Herrn beten wollte. Es kniete eine Gestalt in einem dunkelgoldenen Gewand dort auf dem Grün, und ein Distelfink landete flatternd auf dem Grabstein des Herrn. Er begann, aus voller Kehle zu singen.

Myntha hielt in ihren Schritten inne. Frau Almut pflegte oft hierherzukommen, um Zwiesprache mit ihrem Gatten zu halten. Wie unsagbar musste sie ihn vermissen, denn sie hatte viele Jahrzehnte an seiner Seite verbracht.

Myntha sprach ihre Gebete still in schicklicher Entfernung, doch dann sah sie plötzlich, wie Frau Almut die Trauer derart übermannte, dass sie niedersank und lang ausgestreckt auf dem Boden zu liegen kam.

Leise näherte sich Myntha und räusperte sich vorsichtig. Das Gras war noch taufeucht und sicher nicht bekömmlich für eine alte Dame.

Frau Almut bewegte sich nicht.

Myntha trat noch näher, beugte sich nieder und berührte sanft die samtbekleidete Schulter. Ein leises Stöhnen kam über Frau Almuts Lippen, dann flatterten ihre Lider.

»Habt Ihr Schmerzen, Frau Almut? Geht es Euch nicht gut?«

»Atmen so schwer«, keuchte die alte Dame leise. Dann drehte sie langsam den Kopf. »Myntha, Kind. Hilf mir auf.«

Ganz vorsichtig hob Myntha Frau Almut an, sodass sie sitzen konnte. Etwas leichter ging ihr Atem, und ihre Augen blickten wieder klar.

»Ich hole die Mönche, sie werden Euch ins Hospiz tragen.«

»Nein, nein. Es geht schon. Stütz mich, Liebes, und bring mich...