dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Nacht des Donners

Stephen Hunter

 

Verlag Festa Verlag, 2019

ISBN 9783865527707 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

Geräte

4,99 EUR


 

2

Es war so schnell geschehen, innerhalb von zwei Wochen. Sein Haar ging direkt vom Sommer in den Winter über, ohne einen Herbst dazwischen. Es wurde nicht dünner, es fiel nicht aus, es nahm einfach ein mattes Grau an. Er sah jetzt uralt aus, zumindest seiner Meinung nach.

Eine Erinnerung hatte das bewerkstelligt. Vor Kurzem hatte er einen Schwertkampf auf Leben und Tod ausgefochten – im 21. Jahrhundert, in einer der modernsten Städte der Welt. Sein Gegner war ein japanischer Gentleman gewesen, der ihm in Talent und Fertigkeiten unendlich überlegen gewesen war. Und doch hatte er gesiegt. Er hatte den anderen getötet, ihn in zwei Hälften geteilt in einem matschigen Pulverschneefeld zurückgelassen, das sich durch das Blut des Mannes magenta gefärbt hatte.

Bob dachte oft: Warum habe ich gewonnen? Ich hatte nicht das Recht dazu. Ich hatte … so ein Glück. So ein gottverdammtes Glück. Dieser Gedanke war wie ein Wurm, der an seinem Herzen fraß. Du verfluchter Glückspilz. Warum bin ich davongekommen und dieser Kerl hat seine Eingeweide im Schnee verteilt?

Nicht dass Swagger die Sache unverletzt überstanden hatte. Der andere hatte seinen stählernen Hüftknochen freigelegt, und er hatte zu viel Zeit verstreichen lassen, bevor man die Wunde genäht und ihm damit das Leben gerettet hatte. Sie war nie richtig verheilt, und dass er sich so standhaft weigerte, sich das Problem einzugestehen, war dabei ebenfalls keine Hilfe. Irgendwie war sein Bein steif geworden, als ob das Blut, das die Naht wie ein Damm zurückhielt, immer noch da wäre, geronnen wäre und nur darauf wartete, wie ein roter Ozean hervorzubrechen und ihn leer zurückzulassen. Die Rache des Killers. Aber ein anderer Teil dieser Rache war, dass der Killer ihn in eine Witzfigur verwandelt hatte durch diese leicht hüpfende Gangart, die ihm nun zu eigen war. Er konnte immer noch reiten und gehen, aber nicht mehr allzu gut rennen. An Klettern brauchte er gar nicht mehr zu denken. Ein Motorrad hatte ihm das Leben gerettet, indem es ihm die Illusion der Freiheit vermittelte, die einmal seine stärkste Eigenschaft gewesen war.

»Ich seh aus, als wär ich 150«, hatte er an diesem Morgen gesagt.

»Du siehst keinen Tag älter aus als 145«, hatte seine Frau entgegnet. »Schätzchen, schau dir mal Daddy an, er ist ganz weiß geworden.«

»Daddy ist’n Schneemann«, rief das kleine Mädchen Miko, das jetzt sieben Jahre alt war. Sie war entzückt, einen Fehler zu finden an einem Helden, der so großartig war wie ihr seltsamer, weißhaariger Vater. »Schneemann, Schneemann, Schneemann!«

»Grau ist es, grau«, protestierte Bob. Dann fügte er hinzu: »Eine gewisse Person kommt gleich in große Schwierigkeiten, wenn sie nicht aufhört, Daddy einen Schneemann zu nennen.« Aber sein Ton verriet, dass die Drohung nicht ernst gemeint war. Bob hatte Freude daran, seine Töchter zu verwöhnen und dann mit Stolz zu beobachten, wie sie sich trotzdem zu anständigen Menschen entwickelten.

Er war ein reicher Mann. Reich an Grundbesitz – ihm gehörten jetzt sechs Pferdefarmen in drei Staaten im Westen: zwei in Arizona, zwei hier in Idaho und jeweils eine in Colorado und Montana; außerdem hatte er vor, Land in Kansas und Oregon zu erwerben. Und auch reich durch die Rente, die er vom United States Marine Corps erhielt. Sein Heim war ebenfalls ein wertvoller Besitz – er besaß ein schönes, vor Kurzem fertiggestelltes Haus 60 Meilen außerhalb von Boise, auf Land, das er selbst gerodet hatte und das einen Ausblick über die leere, grüne Prärie bot bis zum bläulichen Narbengewebe des Gebirges unter den wattebauschartigen Kumuluswolken vor dem diamantblauen Himmel. Auch mit seiner Frau war er reich beschenkt. Julie sah gut aus, wie eine Figur aus einem Howard-Hawks-Film, eine dieser goldhaarigen, katzenhaften Frauen, die nie die Fassung verloren, eine tiefe Stimme hatten und dennoch verflucht sexy waren. Aber sein größter Schatz waren seine Töchter.

Er hatte zwei. Nikki hatte ihren Abschluss an der Columbia School of Journalism gemacht und arbeitete nun in ihrem ersten Job bei einer Zeitung in Bristol, Virginia – einem Ort, der ihrem Vater deutlich besser gefiel als New York, wo sie das vorige Jahr verbracht hatte. Seiner Meinung nach war sie in einer kleinen Stadt direkt an der Grenze zwischen Virginia und Tennessee viel sicherer. Unterdessen hatte seine Adoptivtochter Miko sich problemlos in ihrer neuen Heimat im Westen eingelebt. Schnell gewöhnte sie sich an die Pferde, an die Schweinereien, die diese hinterließen, die Gerüche, die sie verströmten. Sie liebte sie, entwickelte ganz automatisch eine Zuneigung zu ihnen. Für ihren Vater war es ein Hochgenuss, zu sehen, wie so ein winziges Wesen so entspannt auf einem so riesigen Wesen sitzen und es mit so viel Selbstvertrauen führen konnte, wie sie es dazu brachte, sie zu mögen und ihr zu gehorchen. Die Kleine gewann bereits blaue Bänder beim Eventing und würde darin vielleicht sogar ihre große Schwester übertreffen, die als Teenagerin zwei Jahre lang Landesmeisterin in diesem Sport gewesen war.

Es war Vormittag, und im August musste Miko nicht zur Schule, also taten sie, was sie am liebsten taten: Das Mädchen saß auf seinem Pferd Sam und ihr Vater schaute zu, wie sie ruhig durch den Round-Pen kanterte. Aber er kommandierte sie nicht herum. So etwas hatte er eine Zeit lang als Offizier bei den Marines getan, aber das war nicht seine Art, mit seiner Tochter umzugehen. Jeder, der gesehen hätte, wie er dort am Zaun lehnte, hätte gedacht: Der Kerl sieht wie ein cooler Cowboy aus. Seine Jeans lag eng an seinen schlaksigen Beinen an; er hatte eine etwas krumme Haltung wie viele Reiter, und er kaute auf einem Grashalm. Von Kopf bis Fuß war er wie ein Cowboy gekleidet: schlammige, aber robuste Tony-Lama-Stiefel, ein blaues Jeanshemd, ein rotes Tuch um den Hals, weil der August in Idaho heiß war, und ein Stetson aus Stroh, der sein Gesicht vor der Sonne schützte.

Das alles hätte nicht perfekter sein können – und das ist stets ein Zeichen dafür, dass die nächste Störung nicht weit ist.

»Vorsichtig, Süße«, rief er. »Zwing ihn besser nicht. Du musst ein Gefühl für ihn kriegen, und wenn er so weit ist, zeigt er’s dir schon.«

»Ich weiß, Daddy«, rief sie zurück. Sie ritt englisch auf diesem hochnäsig wirkenden, dünn wie eine britische Briefmarke gehaltenen Sattel. Ihre Haltung war aufrecht, sie hatte eine Gerte in der Hand, hohe Stiefel mit flachen Absätzen an den Füßen und natürlich einen Helm auf dem Kopf. Sie war ebenso geübt im Umgang mit den großen Westernsätteln, die wie Boote auf dem Rücken der Pferde lagen, aber Bob und Julie waren sich einig gewesen, dass sie irgendwann eine Schule im Osten besuchen würde und daher den Reitstil beherrschen musste, der in diesem Landesteil üblich war. Außerdem wollten sie sie von den Rodeos fernhalten, zu denen es zu viele junge Mädchen zog, weil ihnen die spindeldürren Jungen gefielen, die dort ritten wie die Teufel und mit einem Grinsen wieder aufstanden, wenn sie in die Luft geschleudert wurden und im Dreck landeten. Aber Miko würde vielleicht etwas anderes tun. Sie würde vielleicht irgendeine verrückte Rodeo-Sache anstellen – zum Beispiel ein völlig annehmbares Pony ignorieren, um sich stattdessen lieber von einem Bullen auf die Hörner nehmen zu lassen.

»Wahrscheinlich wird sie am Ende doch die Stierkampfmeisterin von Idaho, aber versuchen muss man’s trotzdem«, sagte er zu seiner Frau.

»Wenn’s dazu kommt, wird sie sich jeden Tag das Geschrei und Genörgel ihrer alten Mutter anhören müssen«, gab Julie zurück.

So weit, so gut – Miko hatte einen Rhythmus und eine Geduld, die selbst ein für gewöhnlich eher gleichmütiges Tier wie ein Pferd anstecken konnten. Sie konnte regelrecht zaubern, jedenfalls glaubte Bob das, und er hätte bereitwillig seinen gesunden Hüftknochen für Miko hergegeben – oder auch alles andere.

Sie machte einen eleganten Sprung, ohne dass ihre Haltung auch nur im Geringsten darunter litt, mit schnurgerader Wirbelsäule und einer leichten Drehung bei der Landung.

»Der war gut, Süße«, rief er ihr zu.

»Ich weiß, Daddy.« Er lächelte und wischte sich über die Stirn. Dann nahm er eine Bewegung wahr, die zu schnell war, um Gutes zu bedeuten, und als er aufblickte, sah er Julie aus dem Haus kommen. Er spürte sofort, dass etwas nicht stimmte. Julie ließ sich sonst nie aus der Ruhe bringen. Zehn Jahre lang hatte sie eine Klinik in einem Reservat geleitet, hatte Indianerjungen mit Schnittwunden behandelt und inmitten von Blut, Schmerz, emotionalem Aufruhr und gelegentlichen Todesfällen immer einen klaren Kopf bewahrt. Wenn sie aufgewühlt war, wusste Bob sofort, dass es nur um eines gehen konnte: seine andere Tochter Nikki.

»Süße«, rief er, noch bevor Julie bei ihm eintraf, weil er Miko zurückholen wollte, bevor die schlechte Nachricht ihn erreichte und er den Kontakt zur Realität verlor. »Steig bitte mal ab, nur für einen Moment.«

»Ach, Daddy, ich …«

Er wandte sich Julie zu.

»Ich hab gerade einen Anruf von Jim Gustofson bekommen, dem Chefredakteur von Nikkis Zeitung …«

Bobs Brust schnürte sich um Herz und Lunge zusammen, als wäre in seinem Atmungssystem gerade ein Ventil gebrochen und würde Flüssigkeit verlieren. Er bekam weiche Knie; er hatte viele Menschen einen gewaltsamen Tod sterben sehen, vor allem junge und unschuldige, in beiden Hemisphären. Nun hatte er das trostlose, entsetzliche Bild einer Katastrophe vor Augen: vom Tod seiner Tochter, von seiner endlosen,...