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Die zwei Päpste - Franziskus und Benedikt und die Entscheidung, die alles veränderte

Anthony McCarten

 

Verlag Diogenes, 2019

ISBN 9783257609332 , 400 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

1 Konklave


»Lasst mich in das Haus des Vaters gehen.«

Diese Worte wurden am 2. April 2005 um 15.30 Uhr auf Polnisch geflüstert. Kaum mehr als sechs Stunden später wurde die katholische Kirche auf einen beispiellosen neuen Kurs gebracht.

Papst Johannes Paul II. war tot. Seit 1991 hatte der Vatikan seine Krankheit geheim gehalten und erst 2003 in einer Erklärung am Vorabend seines dreiundachtzigsten Geburtstags zugegeben, was längst offensichtlich geworden war. Das schleichende, schmerzhafte Siechtum des Papstes durch die Parkinson-Krankheit war für die 1,1 Milliarden Katholiken der Welt schon lange eine Qual.

Bereits seit dem 1. Februar pulsierte Rom vor Spekulationen und Gerüchten, nachdem der Papst mit Kehlkopfentzündung und Atemnot, verursacht durch eine kürzlich aufgetretene Grippe7, eilig in seinen privaten Flügel der Gemelli-Klinik eingeliefert worden war. Die Presse versammelte sich ordnungsgemäß zur Totenwache.

In den folgenden zwei Monaten bewies Johannes Paul II. jedoch einmal mehr jene Widerstandskraft, die bereits die vielen Jahre der Krankheit geprägt hatte. Man darf nicht vergessen, dass dieser Papst während seiner sechsundzwanzigjährigen Amtszeit nicht nur einen, sondern zwei Mordversuche überlebt hatte; er hatte sich 1981 von vier Schussverletzungen und ein Jahr später von einem Bajonettangriff erholt. Nun zeigte er sich trotz wiederholter Einweisungen ins Krankenhaus und einer Tracheotomie weiterhin an den Fenstern und auf den Balkonen des Vatikans, um die Menschenmassen auf dem Petersplatz zu segnen – mit kaum vernehmbarer Stimme. Zum ersten Mal in seiner Amtszeit als Papst war er nicht bei der Palmsonntagsmesse anwesend, wurde aber am Ostersonntag, dem 27. März, im Rollstuhl hinausgeschoben und versuchte, seine traditionelle Ansprache zu halten. Er wurde beschrieben als »[scheinbar] in großer Bedrängnis, den Mund öffnend und schließend, vor Frustration oder Schmerz grimassierend, wobei er mehrmals eine Hand oder beide Hände an den Kopf hob«8. Das war zu viel für die geschätzt achtzigtausend hingebungsvollen Katholiken, die von unten zusahen, und die Tränen flossen in Strömen. Dem Papst gelang ein kurzes Kreuzzeichen, bevor er hinter die Vorhänge seiner Wohnung zurückgerollt wurde.

In den folgenden sechs Tagen hielt der Vatikan die Welt regelmäßig über seinen sich verschlechternden Zustand auf dem Laufenden, und diejenigen, die auf eine vollständige Genesung gehofft hatten, begannen zu akzeptieren, dass das Eintreten seines Todes nur eine Frage der Zeit war. Am Morgen des 1. April wurde in einer öffentlichen Erklärung verkündet, dass »der Gesundheitszustand des Heiligen Vaters sehr ernst« sei und er am Vorabend um 19.17 Uhr »die Krankensalbung« oder »Letzte Ölung«9 erhalten habe. Johannes Pauls engster Vertrauter und Privatsekretär, Erzbischof Stanislaw Dziwisz, führte das uralte Ritual für Sterbende kurz vor ihrem »Aufbruch von dieser Welt«10 durch. Ihnen wird die Beichte abgenommen, und ihre Sünden werden ihnen vergeben, dann wird die Stirn mit heiligem Öl benetzt und die Hände werden damit gesalbt wie sonst nur bei Priestern. Der Vatikan-Experte und Biograph von Papst Benedikt XVI., John Allen jr., war Zeuge der Pressekonferenz und beschrieb, wie »… der aufschlussreichste Hinweis auf den wahren Ernst der Situation am Ende des Briefings kam, als [der Sprecher des Vatikans, Joaquin Navarro-Valls] mit den Tränen kämpfte, während er das Podium verließ, auf dem er mit den Reportern gesprochen hatte«.11

Umgeben von jenen, die ihn so viele Jahre lang geliebt und umsorgt hatten, erlangte Johannes Paul II. während seiner letzten 24 Stunden mehrmals das Bewusstsein wieder und wurde von seinem Leibarzt, Dr. Renato Buzzonetti, als »gelassen und klar«12 beschrieben. Nach polnischer Tradition erhellte »eine kleine Kerze die Dunkelheit des Raumes, in dem der Papst im Sterben lag«.13 Als er auf die Menge aufmerksam wurde, die unten Mahnwache hielt und seinen Namen rief, sprach er einige Worte aus, die die Vertreter des Vatikans folgendermaßen verstanden: »Ich habe dich gesucht. Jetzt bist du zu mir gekommen und ich danke dir.«14

Dr. Buzzonetti führte zwanzig Minuten lang ein Elektrokardiogramm durch, um den Tod von Papst Johannes Paul zu bestätigen. Sobald dies geschehen war, konnten die jahrhundertealten vatikanischen Rituale beginnen, von denen einige Elemente bis ins Jahr 1059 zurückreichen, als Papst Nikolaus II. das Verfahren zur Papstwahl radikal reformierte, um die weitere Ernennung von Marionettenpäpsten in den Händen von gegnerischen kaiserlichen und adeligen Kräften zu verhindern. Per Dekret verfügte er, dass ausschließlich Kardinäle für die Wahl eines Nachfolgers auf dem Stuhl Petri verantwortlich seien.

Kardinal Eduardo Martinez Somalo war vom verstorbenen Papst zum Camerlengo, wörtlich »Kämmerer«, ernannt worden, um die Kirche während des Interregnums zu führen. Nun trat er vor und nannte Johannes Paul II. dreimal bei seinem polnischen Taufnamen Karol. Als keine Antwort kam, schlug er mit einem kleinen silbernen Hammer auf die Stirn von Johannes Paul als sicheres Zeichen seines Todes. Er wurde dann aufgefordert, den Fischerring, »anulus piscatoris« – den päpstlichen Ring, der seit dem dreizehnten Jahrhundert für jeden Papst gegossen wird –, mit einem Hammer zu zerstören, um das Ende seiner Herrschaft zu symbolisieren.

Und so wurde der Tod von Johannes Paul der Welt verkündet. Die öffentliche Trauer war atemberaubend, und schon bald nannten ihn viele, wenn auch inoffiziell, »den Großen«, ein Namenszusatz, der vor ihm nur den heiligen Päpsten Leo I. (440461), Gregor I. (590604) und Nikolaus I. (858867) verliehen worden war. Sein Leichnam wurde in blutrote Gewänder gekleidet und in den Apostolischen Palast gebracht, wo ihm die Mitglieder der päpstlichen Verwaltungsbüros und der Römischen Kurie ihren Respekt erweisen konnten, bevor er am nächsten Tag in die Peterskirche überführt wurde, womit die offiziellen neun Tage der Trauer begannen. Diese sind als Novemdiale bekannt, eine Sitte, die auf das novemdiale sacrum zurückgeht, einen alten römischen Reinigungsritus, der am letzten Tag einer neuntägigen Festivität durchgeführt wurde.15 Schätzungsweise vier Millionen Pilger und drei Millionen Bürger Roms defilierten vorbei, um für diesen geliebten Menschen zu danken und zu beten. Erstaunliche Zahlen, wenn man sie mit dem vorherigen Rekord von 750000 Besuchern vergleicht, die dem Leichnam Papst Pauls VI. im August 1978 die letzte Ehre erwiesen hatten. Johannes Paul hatte Anweisungen hinterlassen, dass seine letzte Rede vom Stellvertreter des Staatssekretariats, Erzbischof Leonardo Sandri, verlesen werden sollte, falls er nicht mehr am Leben wäre, um dies persönlich zu tun. Während der Messe auf dem Petersplatz am Sonntag, dem 3. April, verlas Sandri die letzte Botschaft von Johannes Paul über Frieden, Vergebung und Liebe, in der er den Gläubigen verkündete: »Der Menschheit, die bisweilen verloren und von der Macht des Bösen, des Egoismus und der Angst beherrscht scheint, bietet der auferstandene Herr das Geschenk seiner Liebe an, die vergibt, versöhnt und den Geist der Hoffnung neu eröffnet. Es ist die Liebe, die die Herzen bekehrt und den Frieden schenkt.«16

Das war schwer zu überbieten.

Nun galt es, keine Zeit zu verlieren. Die Tradition des Interregnums verlangt, dass die Beisetzung eines Papstes zwischen dem vierten und sechsten Tag nach dessen Tod erfolgen muss. Daher wurde sie auf Freitag, den 8. April, angesetzt. Ebenso darf das Konklave zur Wahl seines Nachfolgers nicht früher als fünfzehn und nicht später als zwanzig Tage nach seinem Tod stattfinden, und so wurde angekündigt, dass es am 18. April beginnen würde.

Der Vatikan begann, die Bestattung mit militärischer Präzision zu planen. Als Dekan des Kardinalskollegiums, der zwar keine Autorität über seine Kardinalsbrüder besitzt, aber als primus inter pares gilt,17 fiel die Verantwortung für den Ablauf Joseph Ratzinger zu. Zudem war er vierundzwanzig Jahre lang die rechte Hand Johannes Pauls gewesen.

Johannes Paul II., der wegen seiner zahlreichen Besuche von insgesamt 129 Ländern auch den Spitznamen Pilgerpapst trug, war weiter gereist als sämtliche Päpste in der zweitausendjährigen Geschichte der Kirche vor ihm zusammengenommen, um sicherzustellen, dass Staatsoberhäupter, Könige und Würdenträger aus der ganzen Welt an der Seite der katholischen Gläubigen waren. Selten in der Geschichte hatte sich eine heterogenere Gruppe von Menschen versammelt, und viele gegnerische Nationen wurden durch ihren jeweiligen Respekt vor dem verstorbenen Papst geeint. Prinz Charles verschob seine Hochzeit mit Camilla...