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Hell Divers - Buch 1 - Thriller

Nicholas Sansbury Smith

 

Verlag Festa Verlag, 2019

ISBN 9783865527790 , 512 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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5,99 EUR


 

1

Die durchschnittliche Lebenserwartung für einen Hell Diver betrug 15 Sprünge. Für Xavier Rodriguez war es der 96., und er würde ihn verkatert bewältigen.

Schweigend, mit geneigtem Kopf wartete er vor den Türen der Startbucht, die Handflächen auf dem kalten Stahl. Die über den Gang verteilten, bewaffneten Wachen dachten vielleicht, er würde beten. Dabei bemühte er sich bloß, nicht zu kotzen.

Die Stimmung in der Nacht vor einem Sprung war immer sehr angespannt, was manchmal zu schlechten Entscheidungen an Bord der Hive führte. Normalerweise schaute Captain Ash bei den Ausschweifungen der Springerteams weg. Immerhin ließ sie diese Leute in die Apokalypse abspringen, um die verseuchte Oberfläche der alten Welt nach brauchbaren Teilen abzugrasen. Nur selten kamen alle Springer zurück. Ein wenig Fusel und Sex in der Nacht davor ließen sich praktisch nicht vermeiden.

»Viel Glück, X«, sagte einer der Wachleute.

X atmete tief ein, band sich das rote Bandana mit dem weißen Pfeilsymbol um den Kopf und schob anschließend die Doppeltür auf. Das rostige Metall kratzte über den Boden und lenkte die Blicke der drei anderen Mitglieder von Team Raptor auf ihn. Aaron, Rodney und Will legten in der Nähe der Spinde bereits ihre Anzüge an.

Am gegenüberliegenden Ende des Raums, jenseits der Kunststoffkuppeln der Startröhren, standen ein paar Springer von Team Angel. Sie stachen deutlich aus der Schar von Technikern und Ergänzungspersonal heraus, die sich entlang der Wand versammelt hatte. Ingenieure, Soldaten, Diebe: Springer besaßen breit gefächerte Fähigkeiten und hoben sich auch ohne ihre roten Overalls von anderen Menschen ab.

Flüchtig ließ X den Blick durch den Raum wandern. Team Apollo war diesmal nicht aufgekreuzt. X hatte nichts dagegen – er mochte es ohnehin nicht, beobachtet zu werden.

»Schön, dass du’s auch geschafft hast, X!«, rief Will. Das neueste Mitglied von Team Raptor zog seine verbeulte Körperpanzerung an und musterte X von oben bis unten, als er zu den Spinden hinüberging.

»Du siehst beschissen aus, Alter«, meinte Will und schmunzelte.

»Das lässt sich mit ein paar Aufputschmitteln leicht beheben«, gab X zurück.

Er brauchte in keinen Spiegel zu blicken, um zu wissen, dass Will recht hatte. X sah wesentlich älter aus als die 38 Jahre, die er auf dem Buckel hatte. Um seine Augen hatten sich Krähenfüße gebildet, weil er sie zu oft zusammenkniff, und seine übliche finstere Miene hatte sich in seine Wangen und Stirn gebrannt. Wenigstens hatte er noch den Großteil seiner Zähne. Ohne sein ungewöhnlich weißes Lächeln hätte er wesentlich schlimmer ausgesehen.

X hielt an seinem Spind für ein weiteres Ritual. Er fuhr mit einem Finger über sein Namensschild und nahm sich einen Moment Zeit, um seiner Vorgänger zu gedenken. Was jeden Tag schwieriger wurde. An manchen Tagen konnte er sich an einige Gesichter überhaupt nicht mehr erinnern. An diesem Tag jedoch lag das teilweise auch an seinen pulsierenden Kopfschmerzen.

Er öffnete die Spindtür und durchsuchte das oberste Fach nach einer Flasche mit Aufputschmitteln, die er bei einem Sprung vor einigen Monaten entdeckt hatte. Die kostbaren Tabletten – auch etwas, das man unmöglich an Bord der Hive herstellen konnte – waren ihr Gewicht in Gold wert.

X spürte durchdringende Blicke auf sich, als er ein paar der Pillen schluckte. Aus dem Augenwinkel nahm er die große, schlanke Gestalt seines besten Freundes Aaron Everhart wahr.

»Sag’s einfach«, forderte ihn X auf.

»Ich dachte, du wolltest das Zeug zurückschrauben.«

Zu lügen hatte keinen Sinn, das würde Aaron auf Anhieb durchschauen.

»Bin noch nicht dazu gekommen«, erwiderte X stattdessen.

Aaron sah ihm direkt in die Augen und legte die Stirn in Falten. »Bist du sicher, dass du in der Lage …«

X hob die Hand, als wollte er einen Anfänger zurechtstutzen. »Es geht mir gut, Mann.«

Nach einem angespannten Moment ging X los, um nach Rodney zu sehen, der gerade einen dunkelbraunen Fuß in seinen schwarzen Overall steckte. Als er aufschaute, schien sein leerer, emotionsloser Blick geradewegs durch X hindurchzustarren, anstatt ihn zu sehen. Rodney war der dritterfahrenste Springer an Bord des Schiffes. Die Arbeit hatte ihn über die Jahre abgestumpft, und manchmal hatte X den flüchtigen Eindruck, dass Rodney sterben wollte. Bei der letzten Gesundheitsuntersuchung hatte einer der Ärzte X dieselbe Frage gestellt. Aber wer konnte das schon mit Sicherheit sagen? Tief in ihrem Innersten mussten wohl alle Hell Divers zumindest ansatzweise Todessehnsucht verspüren.

»Alle mal herhören«, ergriff X das Wort. »Ich komme gerade vom Oberkommando. Captain Ash sagt, der Himmel sieht gut aus. Keine Anzeichen von Gewitterstürmen über dem Absprunggebiet.«

»Was steht diesmal auf der Liste?«, fragte Rodney.

»Nukleare Brennstoffzellen. Das ist alles. Captain Ash hat sich sehr deutlich ausgedrückt.«

»Mann, was ist daraus geworden, nach anderem Scheiß zu suchen?«, meldete sich Will zu Wort. »Ich vermiss die Tage, als wir noch nach echten Schätzen gesucht haben.«

X warf ihm einen finsteren Blick zu. »Du solltest froh sein, dass wir heute über einer grünen Zone abspringen – weniger Strahlungsgefahr an der Erdoberfläche.«

»Ich schätze, an die Absprünge über grünen Zonen könnt ich mich gewöhnen«, meinte Will. »Vielleicht lebe ich ja lang genug, um irgendwann eine Legende wie du zu werden.« Er ließ ein Grinsen aufblitzen, das unter X’ finsterem Blick gleich wieder verpuffte.

Will war ungefähr so jung wie X damals, als er sich den Hell Divers angeschlossen hatte, und ungefähr genauso naiv.

Kaum zu glauben, dass das vor 20 Jahren war. X war beileibe keine Legende, allerdings hatte er tatsächlich mehr erfolgreiche Sprünge hinter sich gebracht als jeder andere Hell Diver der Geschichte. Der Einzige, der nah an seinen Rekord herankam, war ein Mann namens Rick Weaver an Bord ihres Schwesternschiffes Ares. Soweit X gehört hatte, war Weaver nach wie vor als Springer aktiv.

X legte den Kopf in den Nacken und schluckte zwei weitere Pillen. Er spülte sie mit einem Schluck aus seiner Wasserflasche hinunter, verzog das Gesicht und wandte sich dann an Aaron.

»Wie geht’s dem Kleinen?«, erkundigte er sich. »Ich hab Stan schon länger nicht mehr gesehen.«

»Michael wächst viel zu schnell«, erwiderte Aaron. »Erst vor ein paar Wochen ist er an der Ingenieursschule aufgenommen worden. Zwei Jahre früher als normal.« X nahm einen Anflug von Traurigkeit in Aarons stechenden blauen Augen wahr, wusste jedoch nicht, was er bedeuten mochte. Lag es daran, dass X in letzter Zeit keinen Versuch unternommen hatte, Stan zu sehen? Oder daran, dass Stan entschieden hatte, Ingenieur statt Hell Diver zu werden?

»Du hast doch nicht etwa gedacht, er würde in deine Fußstapfen treten wollen, oder?«, fragte X.

»O Scheiße, nein!«, antwortete Aaron. Seine blonden Augenbrauen zogen sich zusammen. »Dieses Leben würde ich für meinen Jungen nie wollen.«

»Daraus kann ich dir keinen Vorwurf machen.«

Aaron zögerte. Seine Lippen bildeten eine schmale Linie. »Ich wollt’s ja nicht erwähnen, aber du hast seinen Geburtstag verpasst.«

»Scheiße«, murmelte X. »Wann ist er neun geworden?«

Wieder zogen sich Aarons Brauen zusammen. »Er ist zehn

X schaute zu Boden. »Tut mir leid. Ich mach’s wieder gut, wenn wir zurück sind.«

Aaron schloss seinen Spind. »Da mach ich mir mal keine allzu großen Hoffnungen.«

Sonst gab es eigentlich nichts mehr zu sagen. X musste sich mit Taten beweisen, nicht bloß ein weiteres leeres Versprechen abgeben. Er griff sich seinen abgetragenen Overall aus dem Spind und schlüpfte mit den Beinen hinein. Die Innenpolsterung passte sich seiner Muskulatur an, als er den Reißverschluss vorne zuzog. Aaron reichte ihm die mattschwarze Körperpanzerung, die seine lebensnotwendigen Organe schützte. Das Teil fühlte sich leicht in den Händen an, aber die Außenhülle aus Titan hielt einem Schuss mit einer Schrotflinte stand. Die Brustplatte hatte ihn schon bei unzähligen Sprüngen vor Knochenbrüchen oder Schlimmerem bewahrt.

Er stülpte sich die Panzerung über den Kopf, zog den Bauch ein und befestigte die Schnallen an beiden Seiten. Sie saß ziemlich eng, war für den Körper eines wesentlich jüngeren Mannes geformt worden, lange bevor sich sein Metabolismus verlangsamt und seine schlechten Angewohnheiten bemerkbar gemacht hatten.

Die Arm- und Beinschützer aus Titan passten auch nicht viel besser. Er brachte sie über alten Muskeln an, mittlerweile bedeckt von einer Fettschicht, die er nicht loszuwerden schien, ganz gleich, wie viele Liegestütze er machte oder wie viele Runden er durch das Schiff joggte. Nach dem Befestigen der Schutzvorrichtungen setzte er den Helm auf. Zum Abschluss der Routine fügte er seine Batterieeinheit in die Fassung seines Brustpanzers ein. Flackernd erwachte ein kühles blaues Licht zum Leben und leuchtete über die mattschwarze Panzerung. Die Ausrüstung mochte alt sein wie alles an Bord des Schiffes, aber die Teile passten perfekt zusammen und schützten ihn vor den feindseligen Bedingungen bei einem Sprung.

»Die Röhren sind bereit!«, rief eine Stimme aus X’ Startröhre. Ty, der Techniker des Teams, kletterte heraus und bekam dabei Schmiere auf...