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Die Optimierungsfalle - Philosophie einer humanen Ökonomie

Julian Nida-Rümelin

 

Verlag Irisiana, 2011

ISBN 9783641061470 , 320 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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8,99 EUR


 

II.1 Verlässlichkeit (S. 89-90)

Verlässlichkeit haben wir schon als eine Bedingung erfolgreicher Kommunikation kennengelernt. Unsere Analyse hatte ergeben, dass Kommunikation Wahrhaftigkeit, Vertrauen und Verlässlichkeit als allgemein befolgte Normen verlangt. Verlässlichkeit war dabei charakterisiert worden als die Übereinstimmung der Meinungen einer Person mit der Realität. Wer in seinen Urteilen verlässlich ist, dem kann man in dem Sinne vertrauen, dass das, was die betreffende Person für richtig hält, auch tatsächlich richtig ist.

Wahrhaftigkeit allein reicht nicht aus: Menschen, die wahrhaftig sind, deren Urteile aber nicht verlässlich sind, sind zwar in dem Sinne vertrauenswürdig, dass man nicht erwarten muss, von ihnen angelogen zu werden, aber sie sind in einem anderen Sinne eben nicht vertrauenswürdig. Man kann sich nicht darauf verlassen, dass das, was sie sagen, auch dem entspricht, was der Fall ist. Da eine funktionierende Kommunikation für den ökonomischen Erfolg unverzichtbar ist, hatten wir das Ergebnis, dass die allgemeine Befolgung der Normen Wahrhaftigkeit, Vertrauen und Verlässlichkeit für den ökonomischen Erfolg unverzichtbar ist.

Eine Gesellschaft optimierender Monaden könnte nicht einmal kommunizieren; sie hätte sicher ökonomisch keinen Erfolg. In diesem Kapitel wollen wir Verlässlichkeit als eine umfassende Tugend in den Blick nehmen. Es geht nicht mehr nur um eine Norm, die für erfolgreiche Kommunikation unverzichtbar ist, sondern um eine Eigenschaft, die das Verhalten mancher Individuen bestimmt, während sie bei anderen Individuen fehlt. Der sprachliche Ausdruck »Tugend« ist – jedenfalls außerhalb der Philosophie – kaum mehr in Gebrauch. In der Tat wurde mit diesem Begriff viel Schindluder getrieben.

So beinhaltete die Ermahnung insbesondere an junge Frauen, tugendhaft zu sein, ja meist nichts anderes, als sich den konventionellen Mustern der Zurückhaltung und Keuschheit anzupassen. Mit diesen antiquierten Rollenmustern verschwand schließlich der Begriff der Tugend insgesamt. Das, was jedoch mit arete in der klassischen griechischen Philosophie bezeichnet wurde, scheint mir für unsere Untersuchung von größter Bedeutung zu sein. Wir haben nur deshalb bis zu diesem Kapitel darauf verzichtet, von Tugenden zu sprechen, um nicht von vornherein eine verständliche Abwehr zu provozieren, die auf einem populären Missverständnis des Tugendbegriffs beruht. Wenn wir uns aber jetzt näher mit dem ethischen Phänomen der Verlässlichkeit auseinandersetzen wollen, kann uns dieser Begriff der Tugend im klassisch-griechischen Sinne wertvolle Dienste leisten. Verlässlichkeit war im Zusammenhang mit Kommunikation als eine Regel des Verhaltens verstanden worden.

Ob die Äußerungen einer Person verlässlich sind oder nicht, entscheidet sich daran, ob diese meist mit der Realität übereinstimmen oder nicht. Verlässlichkeit war gewissermaßen eine objektive Eigenschaft von Äußerungen. Man kann die Verlässlichkeit des Äußerungsverhaltens einer Person letztlich statistisch prüfen, vorausgesetzt, die Kriterien der Übereinstimmung mit der Realität sind unstrittig. Verlässlichkeit als Tugend ist von diesen objektiven Kriterien, nach denen die Verlässlichkeit des Äußerungsverhaltens beurteilt werden kann, keineswegs unabhängig. Doch ist Verlässlichkeit als Tugend zunächst ein Persönlichkeitsmerkmal, man könnte auch sagen eine subjektive Einstellung, die den Charakter einer Person prägt.