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Das Leuchten eines Sommers - Roman

Das Leuchten eines Sommers - Roman

Karen Swan

 

Verlag Goldmann, 2020

ISBN 9783641255282 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

1. Kapitel


Canary Wharf, London, 9. Juli 2018


Gentlemen. Ms Fairfax. Wir haben ein Problem.«

Der Bankpräsident ging mit lautlosen Schritten über den dicken Teppich zu seinem Platz am Kopf der langen polierten Tischplatte aus schwerem Walnussholz. Er ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen, und Charlotte hatte das Gefühl, er müsse sich vorkommen wie in einer Art Spiegelkabinett: zwei identische Reihen dunkelblauer Maßanzüge, zwei identische Reihen sauberer männlicher Haarschnitte – kurz im Nacken und an den Seiten –, gespreizte Oberschenkel und kräftige Hände, säuberlich auf den Tisch gelegt. Sie allein fiel aus dem Rahmen: langes schwarzes, mit einer Chanel-Schleife im Nacken zusammengebundenes Haar, diskret manikürte Fingernägel, schmale Schultern, beigefarbenes Kleid.

»Carlos Mendoza.«

Sogar sie kannte den Namen. Man brauchte nicht zur Bank zu gehören, um zu wissen, dass es sich hier um den größten Fisch des diskreten Geldhauses handelte, das nur die Reichsten der Reichen zu seinen Kunden zählte. Die Familie gehörte zum spanischen Hochadel, mit mehreren Herzogtümern, und besaß in Andalusien weite Landstriche. Die Mendozas hatten den Grundstock für ihr Vermögen ursprünglich mit der Zucht von Kampfstieren für die Arena gelegt, doch hatte man die Geschäfte über die Jahre ausgeweitet, stark in den Obstanbau investiert und seit Neuestem auch in die Medizintechnik. Charlotte hatte erst vor Kurzem ein Profil der Familie in einer Wirtschaftszeitung gelesen, und soweit sie sich erinnern konnte, betrug ihr Nettovermögen um die 750 Millionen Pfund.

»Ich habe vorhin einen Anruf von seinem Sohn Mateo erhalten. Der alte Knabe hat leider Gottes nicht mehr lange zu leben: Bauchspeicheldrüsenkrebs im Endstadium.« Er schnalzte mitfühlend, aber Charlotte hörte noch etwas anderes heraus: dass sein Tod äußerst ungelegen kam.

Hugh Farrer ließ sich auf seinen Platz am Kopfende des Tisches sinken und blickte in die Runde. Mit vierundfünfzig Jahren war er der bisher jüngste Präsident der Bank – und der bei Weitem rücksichtsloseste. Die Profite waren in den letzten achtundzwanzig Monaten, seit er im Amt war, um ein Drittel gestiegen, aber das hatte seinen Preis: Einundzwanzig Prozent der Belegschaft waren entlassen worden, und während der Hauptsitz des Unternehmens in London ausgebaut worden war, hatte er zugleich vier der auf ganz Europa verteilten Zweigstellen schließen lassen.

»Die Ärzte geben ihm noch einen Monat, vielleicht auch sechs Wochen. Uns bleibt also nicht mehr viel Zeit.«

Uns? Charlotte bemerkte, wie sich Schultern strafften, Rücken aufrichteten. Sie dagegen neigte abwartend den Kopf zur Seite.

Farrer holte gereizt Luft. »Carlos hat am Freitagabend einen kleinen Herzinfarkt erlitten. Er wird derzeit im Krankenhaus behandelt und ist, soweit ich weiß, noch nicht wieder zu Bewusstsein gekommen. Die Ärzte sind vorsichtig optimistisch. Sie meinen, er würde sich aller Voraussicht nach wieder erholen. Mateo hat in der Zwischenzeit, wie in solchen Fällen üblich, Handlungsvollmacht. Doch bei der Durchsicht der Geschäfte seines Vaters stieß er unglücklicherweise auf den Entwurf eines Dokuments, in dem der alte Mann sein gesamtes Vermögen einer gewissen Marina Quincy überträgt.«

Farrer ließ das bei allen erst einmal einsickern. Sein scharfer Blick streifte jeden Einzelnen, wie ein Pianist, der seine Hände über die Tasten zieht. Marina Quincy. Marina Quincy. Dieser Name sagte keinem etwas. Es war kein berühmter Name, nicht wie Rockefeller, Rothschild, Spencer oder Goldsmith. Kein Name, den man automatisch kennen musste. Daher waren die Gründe für die Übertragung auch nicht unmittelbar klar.

»Selbst Mateo hat noch nie von ihr gehört. Ein vollständiger Bericht steht noch aus. Alles, was wir bisher wissen, ist, dass sie fünfundvierzig ist und als Kellnerin in einem Café in Madrid arbeitet«, erklärte Farrer.

Fünfundvierzig? Charlotte runzelte die Stirn. Carlos Mendoza war sehr alt, Ende neunzig, wenn sie sich recht erinnerte.

»Könnte sie eine uneheliche Tochter sein?«, schlug jemand vor.

Farrer schüttelte knapp den Kopf. »Mateo sagt, sein Vater habe mit Ende dreißig eine Vasektomie vornehmen lassen, die, soweit er weiß, erfolgreich war.«

»Dann also eine Mätresse«, bemerkte Dan Milton, der neben ihr saß, mit seiner typischen Unverblümtheit. Tatsächlich war das eine naheliegende Schlussfolgerung, und Milton liebte Naheliegendes. Mit seinen einunddreißig Jahren unterstand ihm bereits die Private-Banking-Abteilung für Festlandeuropa. Euphemismen waren ihm ebenso fremd wie Embolismen. Geboren in Chicago, besaß er einen Harvard-Wirtschaftsabschluss und einen MBA von INSEAD. Er war vor acht Monaten zum Londoner Team gestoßen, und man litt noch immer unter den Nachbeben seiner drakonischen Maßnahmen.

Farrers unangenehm durchdringender Blick haftete nun auf seinem Protegé. Der Präsident war blond wie ein Albino und besaß nahezu farblose Wimpern und Augenbrauen, was insgesamt einen fischähnlichen Eindruck hinterließ. Als würde man von einem Karpfen ins Visier genommen, hatte Milton einmal zu ihr gesagt, als sie gemeinsam im Lift standen. »Mateo Mendoza hat mir versichert, er wisse über alle Mätressen seines Vaters Bescheid. Er hat sofort Nachforschungen in Auftrag gegeben. Informationen werden gesammelt, aber dennoch: Es muss mehr an dieser Sache sein. Alte Männer, die im Sterben liegen, schenken doch nicht ihr ganzes Vermögen irgendeiner Frau, selbst wenn sie noch so heiß ist.«

»Falls sie tatsächlich eine Mätresse sein sollte, braucht sich die Familie keine allzu großen Sorgen zu machen.« Milton, der wieder einmal Stärke demonstrieren wollte, verwob zuversichtlich seine Finger. Er hatte Erfahrung mit dem Madrider Team, das er vor seiner Berufung in die Hauptzentrale kurz geleitet hatte. »Das spanische Erbgesetz stärkt die Rechte von direkten Angehörigen. Seiner gesetzlichen Frau stehen automatisch fünfzig Prozent zu. Der Rest wird in vorbestimmte Anteile oder legítimas aufgeteilt«, sagte er mit makelloser spanischer Aussprache, »und geht in gleichen Teilen an alle unmittelbaren Verwandten. Er kann nicht einfach hergehen und seinen Angehörigen das Geburtsrecht rauben und alles einer Geliebten in den Schoß werfen.«

Farrer hob eine bleiche Augenbraue. »Da haben Sie ganz recht, Dan, das kann er nicht – wenn es sich um ein Vermächtnis handeln würde.«

Milton riss verblüfft den Mund auf. Zu spät erkannte er, dass er in die Falle getappt, dass er, angestachelt von seinem Ego, zu schnell vorgeprescht war.

»Aber, wie gesagt, handelt es sich hier um eine Schenkung. Auch donación de bienes genannt«, sagte er mit einer ebenso makellosen spanischen Aussprache.

Verächtlich wandte er sich von ihm ab und wartete auf weitere Vorschläge, aber nun traute sich keiner mehr. Zu viele Fußangeln, zu viele Fallstricke. Farrer hatte ein Faible dafür, seine Mitarbeiter vorzuführen.

Sein Blick verhärtete sich. »Was das für uns bedeutet, versteht sich von selbst. Mendoza gehört zu unseren größten Investoren. Erschwerend kommt die Aktionärsversammlung im September hinzu sowie die Schwäche des Pfunds gegenüber dem Euro. Das Timing könnte nicht unvorteilhafter für uns sein! Unglücklicherweise hat Mendoza das Recht, so viel er will an wen er will zu verschenken – zu Lebzeiten«, betonte er und schwieg kurz und bedeutungsvoll. »Und wenn seiner Familie das Geld entgeht – dann wahrscheinlich auch uns.«

Die Anspannung nahm zu.

»Wie auch immer, Carlos bleibt nur noch wenig Zeit. Und das könnte sich zu einem Vorteil für uns auswirken. Möglicherweise müssen wir den Transfer einfach nur hinauszögern, und das Problem erledigt sich von selbst.«

Charlottes Lider zuckten angewidert. Deutete er im Ernst an, Carlos Mendoza würde ihnen den Gefallen tun und einfach sterben, während die Bank seinem letzten Wunsch so viele Hindernisse in den Weg stellte wie möglich und dann einfach abwartete? Nur ein gewöhnlicher Montagvormittag in der Bank, alles wie gehabt. Kein Wunder, dass sie sich hinterher jedes Mal beschmutzt fühlte. Charlotte rückte unbehaglich auf ihrem Sitz hin und her. Zum Glück wurde sie nicht oft herbestellt.

Farrers Blick richtete sich auf den Mann zu Charlottes Rechten, den Chef der juristischen Abteilung. »Paul, Sie holen sofort Ihr Team zusammen und gehen das Kleingedruckte durch. Suchen Sie nach Schlupflöchern, lassen Sie sich was einfallen. Wir müssen das aufhalten. Wenn er stirbt, bevor er die Schenkungsurkunde unterzeichnen kann, bleibt alles beim Alten.«

»Verstanden«, antwortete Paul brüsk, aber entschlossen.

Farrer blickte nun wieder Milton an. »Milton, stellen Sie alles zusammen, was wir über das Mendoza-Vermögen haben. Was lässt sich festnageln, was einfrieren? Was vergraben? Nur für den Fall, dass wir die Schenkung nicht verhindern können.«

Dan nickte. »Wird gemacht.«

»Ms Fairfax.«

Sie hob den Kopf und fand Farrers Blick auf sich gerichtet.

»Danke, dass Sie so kurzfristig kommen konnten.«

»Keine Ursache«, antwortete sie.

»Mateo Mendoza will uns bis heute Abend Bescheid geben, was man bis jetzt über diese Frau herausgefunden hat – ich brauche Sie daher in Madrid.«

Shit. »Okay.« Sie ließ sich nichts anmerken. Ihre Mutter würde ausflippen.

»Knüpfen Sie Kontakt mit ihr, forschen Sie sie...