dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Monster in his eyes - In seinen Augen

J.M. Darhower

 

Verlag Sieben Verlag, 2020

ISBN 9783864438868 , 348 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

6,99 EUR


 

Kapitel 1


„So, das war’s.“ Mir gegenüber wird ein Buch so hart zugeschlagen, dass der ganze Tisch wackelt. „Ich kann es nicht mehr ertragen. Ich höre auf.“

Ich sehe nicht auf. Mein Blick gleitet über einen Textabschnitt, wobei ich den Sinn der Worte nur vage erfasse. Ich habe es schon ein dutzend Mal durchgelesen. Während der letzten Tage klebte das Buch praktisch an mir, so als ob die Informationen vielleicht durch Osmose einsänken.

„Das ist einfach viel zu kompliziert“, fährt die Stimme fort. Sie stört das bisschen Konzentration, das ich aufrechterhalten konnte. „Die Hälfte davon ergibt nicht einmal einen Sinn.“

Ich blättere eine Seite meines Buchs um und murmele: „Manchmal sind die Fragen kompliziert und die Antworten einfach.“

„Wer hat das gesagt? Pluto? Ich sage dir, Karissa, dieser Kram steht nicht mal in meinem Buch!“

Diese Bemerkung lenkt meine Aufmerksamkeit von meiner Arbeit ab. Ich schaue meine Freundin über den kleinen, runden Tisch hinweg an. Melody Carmichael schaukelt frustriert auf den Hinterbeinen ihres Holzstuhls. „Das ist Platon, nicht Pluto.“

Sie wedelt mit der Hand und ihre Mimik sagt: Oh, wen kümmert das schon. „Was ist der Unterschied?“

„Der eine ist ein Philosoph, der andere ein Zeichentrickhund.“ Wenn sie das nicht auseinanderhalten kann, ist sie geliefert, wenn wir den Test schreiben – was in dreißig Minuten soweit ist.

„Na ja, ich glaube, dass der verdammte Hund mehr Sinn ergibt als der alte Typ von einem anderen Planeten“, sagt sie und blättert in ihrem dicken Stapel Notizen. Philosophie ist heute unser letzter Kurs, unsere letzte Zwischenprüfung als Erstsemester an der NYU, und sie hat ihre Belastungsgrenze erreicht. Typisch. „Ich meine, hör dir mal diesen Kram an“, sagt sie und liest aus ihren Notizen vor: „Viele Menschen werden von ihren Feinden geliebt und von ihren Freunden gehasst und sind Freunde für ihre Feinde und Feinde für ihre Freunde. Was soll das bedeuten?“

Ich zucke mit den Schultern. „Ich denke, es heißt, dass Menschen eben Menschen sind.“

Mein Blick wandert zurück zu meinem Buch, ich lese den Text ein weiteres Mal. „Und es war übrigens nicht Platon“, sage ich und beantworte damit ihre Frage. „Es war Dr. Seuss.“

„Ernsthaft?“, fragt sie. „Du zitierst jetzt Dr. Seuss?“

„Er war auch eine Art Philosoph“, sage ich. „Der Großteil seiner Arbeit setzt sich mit Logik und Vernunft, mit der Gesellschaft und der menschlichen Natur auseinander. Man kann viel von seinen Büchern lernen.“

„Mag sein, aber ich bevorzuge einen anderen Doktor der Philosophie“, kontert sie und lässt ihren Stuhl auf die Vorderbeine zurückfallen. Der laute Knall hallt in dem kleinen Café wider. „Ich denke, Dre hat es am besten ausgedrückt, als er sagte: ‚Nicht Miststücke sind scheiße, sondern Nutten und ihre Freier.“

Ihr todernster Ton bringt mich zum Lachen. „Und ich dachte, du wärst ein riesen Fan von Tupac Shakur.“

„Der Mann steckt Pluto in die Tasche“, sagt sie.

Dieses Mal korrigiere ich sie nicht, denn ich bin nicht sicher, ob sie sich wirklich nicht erinnern kann, wer wer ist, oder ob sie gerade einen Witz macht.

„Ein Feigling stirbt tausend Tode, ein Soldat stirbt nur einmal. Das ist tiefsinnig.“

„Das ist Shakespeare“, betone ich. „Es stammt aus Julius Caesar.“

„Auf keinen Fall.“

„Doch, sicher.“

Melodys Blick erdolcht mich, als sie das Buch schwungvoll wieder öffnet. Obwohl sie erklärt hat, dass sie aufgibt, macht sie sich erneut an die Arbeit und nutzt die letzten Minuten zum Büffeln.

Sie steht kurz davor, in Philosophie durchzufallen und muss sich im zweiten Semester ranhalten, um ihre Note zu verbessern. Wenn sie nicht mindestens ein C bekommt, besteht sie ihre Probezeit nicht und riskiert eine Exmatrikulation.

Und ich? Auch wenn keine Gefahr besteht, dass ich durchfalle, hat es mit meinem Stipendium eine andere Bewandtnis. Wir stammen nicht alle von wohlhabenden Wall Street Bankern ab, so wie Melody, und können uns daher nicht leisten zu faulenzen. Meine Mutter ist nicht in der Lage, mir zu helfen. Ich weiß nicht einmal, wie sie es schafft, sich selbst über Wasser zu halten. Und mein Vater … na ja, nicht jeder hat einen.

Wenn mein Notendurchschnitt noch schlechter wird, bin ich auf mich allein gestellt. Und wenn das passiert, bin ich total aufgeschmissen. Irgendetwas sagt mir, dass die Uni von New York keinen Schuldschein als Schulgeld akzeptiert.

„Wer hatte eigentlich die tolle Idee, diesen Kurs zu belegen?“, murmelt Melody und blättert dramatisch durch die Seiten.

„Du“, antworte ich. „Du hast gemeint, er würde leicht sein.“

„Er sollte leicht sein“, findet sie. „Es ist Philosophie. Das ist wie Meinungen. Es gibt keine falschen Antworten, wenn es die Meinung von jemandem ist, oder? Ich meine, es sollte vernünftig und logisch sein. Sachen, die Sinn ergeben. Nicht dieser existenzielle, wissenschaftliche Mist.“

„Ach komm, so schlimm ist es nicht.“ Tatsächlich mag ich Philosophie, ganz ehrlich. Wenn wir einen anderen Professor hätten, würde ich es vielleicht sogar lieben.

„Nicht so schlimm? Man muss viel zu viel nachdenken.“

Ich verdrehe die Augen, schließe das Lehrbuch und lehne mich auf dem Stuhl zurück. Die Worte verschwimmen in einem Ozean des Nichts, verstopfen meine Gedanken und verdrängen den Stoff, an den ich mich erinnere. Ich sehe mich in dem Café um und versuche, den Kopf klar zu bekommen, während ich einen Schluck von meinem Schokopfefferminztee trinke. Er ist immer noch warm, obwohl er über eine Stunde unbeachtet herumstand.

„Du bist ein Unikat, Karissa“, sagt Melody kopfschüttelnd. „Es sind jetzt im März über zwanzig Grad, und du bestellst trotzdem heiße Schokolade und trägst einen verdammten Schal.“

Ich zucke mit den Schultern, trinke noch einen Schluck und genieße den sahnigen Schokoladengeschmack. Normalerweise falle ich mit meinen engen Jeans, den Sweatern und hohen Stiefeln nicht auf. Es ist nicht meine Schuld, dass sich wegen eines einzigen warmen Tages alle anderen benehmen, als wäre es Hochsommer in der Karibik.

Melodys persönlicher Plan ist offensichtlich auszuprobieren, wie wenig sie tragen kann, ohne wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses festgenommen zu werden. Im Moment versucht sie es mit winzigen Shorts und einem bauchfreien Top. Ich fühle mich obszön, wenn ich sie nur ansehe.

„Was stört dich an meinem Schal?“, frage ich und streiche über das weiche Material. Es ist mein Lieblingsschal.

„Er ist so pink und gestreift und schalig.“ Sie macht eine abschätzige Geste und verzieht das Gesicht. „Ich bin ziemlich sicher, das hat Aristoteles gemeint, als er sagte, wie schrecklich die Wahrheit ist, wenn man nichts gegen sie tun kann. Denn gegen diesen Schal kann man definitiv nichts tun.“

Ich pruste los vor Lachen, so laut, dass es die Leute aufschreckt, die in unserer Nähe lernen wollen. Ich werfe ihnen entschuldigende Blicke zu und korrigiere Melody: „Das hat Sophokles gesagt.“ Oder zumindest etwas in der Richtung. Wie schrecklich kann die Kenntnis der Wahrheit sein, wenn es in dieser Wahrheit keine Hilfe gibt.

„Bist du sicher?“

„Ja.“

Melody stöhnt, schlägt ihr Buch zum zweiten Mal zu und wirft die Arme in die Luft. „Ich werde durch diesen verdammten Test fallen.“

Sechzehn Multiple-Choice-Fragen, fünf kurze Antworten auf Fragen und ein Aufsatz von zwei Seiten. Und das alles innerhalb von einer Stunde.

Ich bin in der Hölle.

Natürlich im übertragenen Sinn, obwohl es sich jedes Mal ziemlich real anfühlt, wenn ich von meinem Testbogen aufsehe und zum vorderen Teil des Raumes schaue. Mein Blick wandert zu dem Schild, das über der alten Schultafel hängt.

Ihr, die ihr hier eintretet, lasset alle Hoffnung fahren.

Es ist ein Zitat von Dante Alighieri, die Inschrift über der Pforte zur Hölle in der Göttlichen Komödie. Professor Santino hält das mit Sicherheit für lustig, aber es bestätigt meinen Verdacht.

Der Mann ist Satan.

Ich quäle mich durch den Aufsatz und bin ein paar Minuten vor Ablauf der Zeit fertig. Ich drehe meinen Testbogen um und lasse ihn auf dem Tisch liegen. Dann lümmle ich auf meinem Stuhl herum, denn Santinos Regel lautet: Lasst eure Hintern auf den...