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Red War - Die Invasion - Ein Mitch Rapp Thriller

Vince Flynn, Kyle Mills

 

Verlag Festa Verlag, 2019

ISBN 9783865528056 , 448 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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4,99 EUR


 

1

Östlich von Manassas, Virginia

Mitch Rapp lief etwas langsamer und ließ Scott Colemans Vorsprung auf knapp drei Meter anwachsen.

Sie rannten über einen kaum erkennbaren Feldweg, der sich einen Berg hochschlängelte – westlich von dem Hügel, auf dem er sein Haus errichtet hatte. Sie hatten die Aktion mit voller Absicht auf den Spätnachmittag verlegt, in die pralle Sonne. Die Temperaturen kratzten an der 30-Grad-Marke, die Luftfeuchtigkeit war am Anschlag. Ein dünner Schweißfilm bedeckte Rapps Körper. Erste Schweißflecken zeichneten sich auf dem Shirt ab.

Coleman schien dagegen frisch aus einem Swimmingpool geklettert zu sein. Er schwitzte so stark, dass man die nasse Spur, die er durch den Schlamm zog, selbst vom Weltraum aus gesehen hätte. Sein Atem ging stoßweiße. Das pfeifende Keuchen prädestinierte ihn für die Rolle des nächsten Opfers in einem Slasherfilm. Positiv ließ sich anmerken, dass seine Schritte relativ gleichmäßig ausfielen und er nicht über die Wurzeln und losen Steine auf dem Boden stolperte.

Auf dem restlichen Viertel zum Gipfel schlug er sich so wacker, wie man es unter diesen Bedingungen erwarten konnte. Doch Rapp erwartete mehr. Er wollte die letzten Reserven aus dem früheren Navy SEAL herauskitzeln.

Er duckte sich unter niedrig hängenden Zweigen links von Coleman und übernahm die Führung. Nachdem er den alten Freund knapp eine Minute in dessen Tempo hatte gewähren lassen, beschleunigte er langsam. Der Rhythmus der Schritte hinter ihm klang nach Kapitulation. So wie immer.

Coleman hatte mehr als ein Jahr darauf verwendet, sich komplett von der Konfrontation mit Grischa Asarow zu erholen, dem Schergen des russischen Präsidenten, der über schier übermenschliche Kräfte zu verfügen schien. Inzwischen hatte Asarow Vaterland und Arbeitgeber den Rücken gekehrt – leider erst, nachdem er Coleman eine zertrümmerte Schulter, eine zwischen den Rippen abgebrochene Messerklinge und mehrere Schussverletzungen verpasst hatte. Der Blutverlust allein hätte manchem halb so alten Soldaten den Rest gegeben, aber der Ex-SEAL stand die Sache durch und hielt sich über Wasser.

Der schwierige Teil kam danach. Als er es endlich schaffte, sich aus dem Bett zu hieven, dauerte es fast einen Monat, das Laufen neu zu lernen. Hinzu kam die mentale Belastung. Wenn man mal stärker, taffer und schneller als jeder andere gewesen war und plötzlich auf einen Elektroroller zurückgreifen musste, um einkaufen zu gehen, hinterließ das Spuren. Zudem fiel es ihm schwer zu akzeptieren, mit welcher Leichtigkeit Asarow ihm den Schneid abgekauft hatte. Coleman kämpfte nach wie vor, sein angeknackstes Ego zu reparieren, das früher unerschütterlich gewesen war.

Rapp hatte es als Überraschung – eine der seltenen guten Sorte – empfunden, als Scott vor seiner Tür auftauchte und ihn zu einem Berglauf einlud. Ein gutes Indiz dafür, dass der alte Draufgänger langsam zurückkehrte. Rapp hatte sich daran gewöhnt, dass der Freund ihm den Rücken freihielt. Das Jahr ohne ihn war nicht besonders gut gelaufen. In seinem Geschäft hinkte man schnell hinterher, wenn die Leute hinter einem hinkten.

Rapp schielte auf den Pulsmesser am Handgelenk. 165 Schläge pro Minute. Dieses straffe, aber erträgliche Tempo hielt er gut drei Stunden durch, bevor sein Kreislauf protestierte. Hinter ihm klang Colemans Atem zunehmend verzweifelt. Seine Schritte ließen den gewohnten Schwung vermissen. Er stolperte immer häufiger, fing gerade so einen Sturz ab. Die Oberschenkel machten dicht. Immerhin fiel er nicht hin. Noch nicht.

Sie brachen zwischen den Baumreihen hervor. Rapp legte noch einen Zahn zu, als der Gipfel in Sichtweite kam. Coleman geriet ins Straucheln und musste sich mit einer Hand am Boden abstützen, kämpfte sich jedoch verbissen voran, ohne an Schwung zu verlieren. Allein Wille und Stolz hielten ihn im Rennen. Kein Problem, denn von beidem besaß er mehr als genug.

170 Schläge pro Minute, verriet die Anzeige.

Coleman keuchte lauter, ein verstörendes Pfeifen tief aus dem Brustkorb. Er verschluckte sich und fing an zu husten. Rapp zögerte kurz, dann verfiel er in einen Sprint. Falls sein alter Freund zusammenklappte, dann lieber jetzt als in Afghanistan oder Syrien, wo sich andere auf ihn verließen.

Rapp wechselte in einen lockeren Trab, sobald er den Berggipfel erreichte. Mit zusammengekniffenen Augen inspizierte er den grünen Teppich, der sich im Tal ausbreitete. Er erkannte sein Haus als reflektierenden Punkt im Osten, umgeben von einigen weiteren Wohngebäuden auf ähnlich großzügig dimensionierten Grundstücken. Sein unverschämt reicher Bruder hatte die komplette Gegend gekauft und die einzelnen Parzellen für einen symbolischen Dollar an Rapps Kollegen veräußert, damit sein älteres Sippenmitglied nur loyale und schussfreudige Nachbarn bekam.

Etwas südlich von der Zufahrt zu Rapps Anwesen war ein modernes Haus aus Holz und kugelsicherem Glas so gut wie fertiggestellt. Ob sein Besitzer die letzten 50 Meter ihres Laufs überlebte, um dort einzuziehen, blieb abzuwarten.

Zum Glück ließ die Antwort nicht allzu lange auf sich warten. Coleman überwand den letzten Anstieg, quälte sich in Rapps Richtung und brach auf dem felsigen Untergrund neben ihm zusammen. Er schaffte es, sich auf alle viere aufzurichten, stand jedoch nicht auf, sondern behielt den Kopf unten und versuchte, sich nicht die Seele aus dem Leib zu kotzen. Nach etwa einer Minute bekam er genug Luft, um ein Wort auszustoßen: »Zeit?«

Rapp schaute auf die Uhr. »Eine Stunde, 16 Minuten und 33 Sekunden. Bald bist du fit genug, um dich für die Olympischen Seniorenspiele zu bewerben.«

In Wirklichkeit hätte ihr Tempo ein Drittel der SEALs im aktiven Dienst überfordert. Gar nicht so übel für einen alten Seebären, der laut Ärzten für den Rest seines Lebens auf einen Gehstock angewiesen war.

Coleman schaffte es, eine Hand vom Boden zu lösen und ihm den Mittelfinger hinzustrecken. »Was ist deine Bestzeit?«

Rapp überlegte, ob er ehrlich antworten sollte, entschied sich jedoch sofort dagegen. Coleman hatte so viel Arbeit in seine Reha gesteckt und machte unglaubliche Fortschritte, da wollte er ihn nicht unnötig demoralisieren.

»1:11:40.«

»Wie würde sich Asarow schlagen?«

»Woher zum Henker soll ich das wissen?«

»Verarsch mich nicht, Mitch. Du hast mit ihm zusammengearbeitet.«

Rapp hatte Asarow für eine Mission eingespannt, die er Colemans Jungs nicht zumuten wollte. Der frühere SEAL konnte die Entscheidung nachvollziehen, ausgerechnet auf den Mann zurückzugreifen, der ihn fast umgebracht hätte. Es war eine vollkommen illegale Operation gewesen. Die Männer, die ihm seit Jahren so treue Dienste erwiesen, hätten es nicht verdient, dass sie ihnen um die Ohren flog. An Scotts Konkurrenzdenken änderte diese Tatsache nichts.

»Im Moment verbringt er seine Tage damit, Bier am Pool zu schlürfen und mit seiner Freundin zu surfen.«

Coleman kämpfte sich auf die Beine. »Okay, Mitch. Wenn du es mir nicht sagen willst, verrat mir wenigstens deine echte persönliche Bestleistung.«

»Na schön. Eine Stunde, vier Minuten. Glatt.«

»Scheiße.« Coleman setzte sich auf einen Felsbrocken und beäugte die Landschaft. »Ich werd nie so flott sein wie früher. Zu klapprig und zu viele Meilen auf dem Tacho.«

»Beim Kämpfen geht’s nicht nur drum, die Hügel raufzufliegen, Scott. Und das weißt du. Ich mach mir eher Sorgen um deinen Kopf.«

Coleman nickte und starrte stur auf den Horizont. »Im letzten Jahr hatte ich viel Zeit zum Nachdenken. Vielleicht zu viel.«

»Und?«

»Ich hab keine Angst, falls du das meinst. Wenn deine Nummer aufgerufen wird, kannst du es eh nicht ändern. Was Asarow mit mir angestellt hat, hab ich weggesteckt. Immerhin ist er ein junger, mit Dopingmitteln aufgepumpter Bursche. Ein Leistungssportler, der mich schlicht auf dem falschen Fuß erwischt hat.«

Ein kaum erkennbares Lächeln kroch in seine Mundwinkel. »Und dich hätte er auch fast erledigt.«

Das stimmte. Rapp hatte seinen Kampf gegen den Russen zwar gewonnen, wäre am Ende aber beinahe mit angesengten Haaren von einer Ölplattform geschleudert worden. Allzu viele solcher Siege überlebte man nicht.

»Es wird dunkel, Scott. Und ich will’s auf dem Weg nach unten etwas langsamer angehen. Mein Knie zwickt.«

Colemans Lächeln wurde bei der offenkundigen Lüge ein gutes Stück breiter.

Das war noch so etwas, das sich unmöglich ersetzen ließ, falls er entschied, nicht in den aktiven Dienst zurückzukehren. Sie wussten gegenseitig, was der andere gerade dachte, und konnten dessen nächste Aktion vorausahnen. Immerhin waren sie gemeinsam in diesem Geschäft groß geworden. Rapp bezweifelte, dass sich jemand finden ließ, mit dem er ein ebenso blindes Einverständnis entwickelte.

»Ich bin damit zufrieden, wo ich jetzt stehe«, meinte Coleman. »Die Frage ist, ob du’s auch bist. Es wäre fatal, wenn du dir da draußen ständig Sorgen machst, dass ich dich im Stich lasse.«

Rapps Handy klingelte. Er zog es aus einer der eingenähten Taschen an der Rückseite seines Laufshirts. Claudia.

»Was gibt’s?«, fragte er nach dem Abnehmen.

»Wie geht’s Scott? Du hast ihm doch nicht etwa wehgetan?«

Claudia Gould war nicht länger nur die Frau, mit der er zusammenlebte. Sie arbeitete inzwischen auch als logistische Koordinatorin für Colemans Firma. Ihr verstorbener Ehemann war einer der...