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Akute Belastungsstörung - Ein Therapiemanual

Christoph Kröger, Carolin Ritter, Richard A. Bryant

 

Verlag Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, 2011

ISBN 9783840924187 , 146 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

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32,99 EUR


 

2.6 Differenzialdiagnosen

Um die ABS in Betracht zu ziehen, müssen die Kriterien für ein traumatisches Ereignis erfüllt sein. Bei kritischen Lebensereignissen, die eine ähnliche Symptomatik, wie bei der ABS beschrieben, hervorrufen können (u. a. sexuelle, außerpartnerschaftliche Beziehung, Entlassung aus einem langjährigen Beschäftigungsverhältnis), wird die Diagnose einer Anpassungsstörung vergeben. Liegen in ausreichender Anzahl posttraumatische Symptome vor, wird aber das Zeitkriterium von einem Monat überschritten, muss eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert werden. Eine ABS sollte nicht vergeben werden, wenn damit nur eine Verschlechterung einer bereits vorher bestehenden psychischen Störung dargestellt werden soll.

Normale Trauerreaktionen können kurzfristig eine ähnliche Reaktion hervorrufen und schließen keine ABS aus. Voraussetzung ist das Versterben einer nahe stehenden Person. Die Stimmung ist weniger ängstlich, sondern eher traurig bzw. niederge schlagen. Der Betroffene beschäftigt sich eher mit der Bedeutung der Person und dessen Verlust als vielmehr mit dem konkreten Ereignis. Nach interpersonellen traumatischen Ereignissen treten häufig Symptome wie Verzweiflung, Niedergeschlagenheit, Schuldgefühle und Suizidalität auf, so dass auch eine Episode der Major Depression (zusätzlich) vorliegen kann.

Ausgeschlossen werden sollten psychische Störungen aufgrund eines medizinischen Krankheitsfaktors (u. a. in Folge von Kopfverletzungen während des traumatischen Ereignisses) und substanzinduzierte Störungen (u. a. nach Alkoholintoxikationen). Einige Betroffene erleben unter extremer Belastung psychotische Symptome. In einem solchen Fall sollte eine Kurze Psychotische Störung diagnostiziert werden.

Wenn finanzielle Wiedergutmachung, versicherungsrechtliche Ansprüche, die Entlastung bzw. berufliche Freistellung durch die Krankenrolle oder forensische Fragestellungen eine Rolle spielen, sollte Simulation ausgeschlossen werden.


Kapitel 3 Störungsmodelle

Da nur ein Teil der Betroffenen mit ABS eine PTBS entwickeln und eine PTBS auch ohne eine vorhergehende ABS auftreten kann, spricht das für zusätzliche moderierende Faktoren. Im Folgenden sollen daher psychophysiologische und kognitive Reaktionen beschrieben werden, die einen Erklärungsbeitrag zur Entwicklung der posttraumatischen Symptomatik leisten können.

3.1 Welchepsychophysiologischen Reaktionen begünstigen die Entwicklung einer anhaltenden posttraumatischen Belastung?

Die Beobachtung psychophysiologischer Prozesse und neuroanatomische Funktionen haben zu Modellen geführt, die inzwischen eine erhebliche Bedeutung gewonnen haben (siehe Bryant, 2003b; Yehuda, 2001, für Übersichtsarbeiten).

3.1.1 Furchtkonditionierung

Basierend auf der Beobachtung einer erhöhten Reaktivität auf traumaassoziierte Reize wird angenommen, dass während des traumatischen Ereignisses die Freisetzung von Stresshormonen (u.a. Norepinephrine, Epinephrine und Kortisol) an zahlreiche neutrale Stimuli konditioniert werden. Anschließend können diese konditionierten Stimuli immer wieder eine sympathisch gesteuerte Erregung (z. B. einen höheren Blutdruck und Hautleitwiderstand) hervorrufen. Die Amygdala sorgt dafür, dass die traumaassoziierten Stimuli mit der Erregung assoziiert werden. Hinweise auf eine erhöhte sympathische Erregung wurden als Merkmal genutzt, um Personen mit einem erhöhten Risiko für PTBS zu identifizieren (vgl. Kasten).

Neuroanatomisch werden meist zwei Verarbeitungswege unterschieden (Brewin, 2001; Phelps & LeDoux, 2005): Erfolgt keine Verarbeitung der eingehenden Informationen über den Hippokampus und (lateralen) präfrontalen Kortex, der wahrgenommene Reize basierend auf deklarativen Gedächtnisinhalten differenziert bewertet und integriert, sondern erreichen die Informationen direkt die Amygdala, werden sie lediglich als Sinneseindrücke gespeichert. In dieser Form abgespeicherte Informationen sind willkürlich abrufbar und werden als Intrusionen erlebt. Abbildung 2 veranschaulicht die Zusammenhänge. In Folge der wiederholten Stimulation durch traumaassoziierte Reize im Alltag und den daraus resultierenden Intrusionen könnten Konditionierungen höherer Ordnung entstehen und zu einer Generalisierung der furchtkonditionierten Reaktion beitragen.

Sympathische Erregung als Screeningmaß in den ersten Stunden nach dem traumatischen Ereignis

Kurz nach traumatischen Ereignissen wiesen einige Personen, die später eine PTBS entwickelten, im Gegensatz zu Traumatisierten, bei denen dies später nicht der Fall war, eine erhöhte Herzrate auf. Allerdings fiel die Sensitivität für die Entwicklung einer PTBS in prospektiven Studien nur moderat aus (z. B. Bryant, Harvey, Guthrie & Moulds, 2003; Zatzick et al., 2005). Auch die Atemfrequenz wurde inzwischen als Prädiktor für die Entwicklung einer PTBS untersucht (Bryant, Creamer, O’Donnell, Silove & McFarlane, 2008): Patienten entwickelten mit höherer Wahrscheinlichkeit drei Monate nach dem Ereignis eine PTBS, wenn die Herzrate ??96 Schläge pro Minute oder die Atemfrequenz bei ??22 Züge pro Minute lag.

3.1.2 Sensibilisierung des hormonellen Stress-Systems

Die Hypothalamus-Hypophysen-NebennierenAchse (HHN-Achse) ist das zentrale Hormonsystem zur Stressregulation. Eine Aktivierung der Amygdala führt zu einer Reihe von Hormonausschüttungen der HHN-Achse, die final zur Ausschüttung von Kortisol führen. Abbildung 3 veranschaulicht diesen Prozess.

Wenige Stunden nach traumatischen Ereignissen zeigte sich ein erhöhter Kortisolspiegel (z. B. Delahanty, Raimonde & Spoonster, 2000; Resnick et al., 1995), der Einfluss auf die Verarbeitung im Hippokampus und der Amygdala nehmen kann. Da Katecholamine (z. B. Adrenalin, Noradrealin) nachweislich den Aufbau von Erinnerungen verbessern, könnte ein erhöhtes Niveau der Katecholamine während und direkt nach dem traumatischen Ereignis eine (Über-)konsolidierung der traumatischen Erinnerungen bewirken, was wiederum deren Wiedererleben fördert.

In Folge der wiederkehrenden Stimulation durch traumaassoziierte Reize kommt es fortlaufend im Alltag kurzfristig zu hohen Kortisolwerten, was aber zu einer Gegenregulation der HHN-Achse, dem Hypokortisolismus, führen könnte. Um den Hypokortisolismus langfristig zu kompensieren, wurde eine Sensibilisierung der HHN-Achse angenommen (siehe Yehuda, 2001). Erhält die Amygdala die Information, dass die Stressbzw. Gefahrensituation vorüber ist, veranlasst sie üblicherweise über eine negative Rückkoppelungsschleife in der HHN-Achse: die Reduzierung der Kortisolausschüttung. Die erwähnte Sensibilisierung könnte aber zu einer anhaltenden amygdaloiden Aktivierung und in Folge zu einer andauernden Übererregung führen. Einschränkend soll auf das Ergebnis einer Metaanalyse (Meewisse et al., 2007) verwiesen werden, die keine Hinweise auf einen Hypobzw. Hyperkortisolismus bei PTBS fand, selbst wenn eine Sensibilisierung angenommen und die Messzeitpunkte berücksichtigt wurden..