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Musik in der Geschichte – zwischen Funktion und Autonomie

Inga Mai Groote (Hrsg.)

 

Verlag Herbert Utz Verlag , 2010

ISBN 9783831640164 , 172 Seiten

Format PDF, OL

Kopierschutz DRM

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Amerika, hast Du es besser? Überlegungen zur Identitätsfrage der nordamerikanischen Musik (S. 101-102)

Wolfgang Rathert

I


In seinem Amerika-Gedicht von 18271 preist Goethe die Jugend der amerikanischen Nation als ihren größten Vorteil gegenüber dem »alten Europa«: Kein historischer Ballast, keine Ruinen, kein aus Besitzständen und Privilegien herrührender Streit, der zu gesellschaftlichem Dissens führen könne. Auch wenn diese Äußerung eher an die europäischen Verhältnisse der Metternich-Zeit adressiert ist, kann sie doch als Ausgangspunkt für Überlegungen am Beispiel der Musik dienen, ob das Verhältnis der Nordamerikaner zu ihrer Geschichte tatsächlich so unbelastet, geradezu naturhaft ist, wie Goethe es hier als Utopie entwirft. (Immerhin aber war die Attraktion der USA so groß, dass nach der gescheiterten Revolution 1848/49 hunderttausende Deutsche in die neue Welt auswanderten, unter ihnen auch eine große Zahl von Musikern, die für die musikalische Ausbildung in der USA eine wichtige Rolle spielen sollten.

Und noch Richard Wagner überlegte nach der Reichsgründung 1870/71 und der von ihm scharf kritisierten Situation des öffentlichen Musiklebens, ob er nicht in das »freie« Amerika auswandern solle.) Tatsächlich nimmt die nordamerikanische Musik unter den nationalen musikalischen Stilen des 19. und 20. Jahrhunderts eine Sonderrolle ein: Ihre Physiognomie und Eigenart lässt sich kaum oder nur unzureichend mit den Kriterien erklären oder analysieren, die für die von geschichtlicher Kontinuität und Traditionslastigkeit, von mächtigen formalen und ästhetischen Paradigmen gekennzeichneten Entwicklungslinien der europäischen Musik gelten.

Die Erklärungsversuche, die unternommen wurden, spiegeln zumeist eine europäische Sichtweise wider. Auf europäischer Seite dominierte lange das Bemühen, die amerikanische Musik in einen universalgeschichtlichen Zusammenhang – der nur ein Fortschritts- oder Verfallsmodell sein könne – zu stellen, wenn man ihren künstlerischen Eigenwert nicht von vorneherein bestritt. Von amerikanischer Seite entgegnete man dem seltsamerweise oft genug mit dem wie Selbstverleugnung anmutenden Bemühen, dass man sehr wohl den europäischen Stilforderungen und -idealen Genüge tue.

Die Frage nach der Identität der amerikanischen Musik berührt somit – bis in die Gegenwart hinein – das Kernproblem, wie denn der Beitrag der amerikanischen Komponisten zur Musik des 19. und 20. Jahrhunderts zu definieren sei. Dieses Problem wird durch zwei Faktoren wesentlich bestimmt, nämlich zum einen durch die relative Kürze der Entwicklung der Kunstmusik im Vergleich zur Literatur und zur bildenden Kunst Nordamerikas (vor allem der Ostküste), zum anderen durch den niemals unterbrochenen Austausch zwischen europäischen und amerikanischen Komponisten.

Es besteht also eine Interferenz, die zunächst mit den ›Pilgerfahrten‹ amerikanischer Komponisten zu den europäischen, mit Vorliebe deutschen, Konservatorien einsetzte, und später umgekehrt durch den direkten Einfluss der Europäer – beginnend mit Einzelgängern wie Edgard Varèse, dann durch die Emigranten der 30er Jahre – in den USA in Gang gehalten wurde."