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Connaisseur - Der zwölfte Fall für Bruno, Chef de police

Connaisseur - Der zwölfte Fall für Bruno, Chef de police

Martin Walker

 

Verlag Diogenes, 2020

ISBN 9783257610154 , 448 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

1


Bruno war nach seinem morgendlichen Ausritt im Gelände um Pamelas Reiterhof immer noch in bester Stimmung, als er in Fauquets Café seinen ersten Kaffee trank und die Schlagzeilen der Sud Ouest überflog. Balzac, sein Basset, hockte in Erwartung seines Anteils am Croissant geduldig zu seinen Füßen und merkte auf, als Brunos Handy zu vibrieren anfing. Missmutig ließ er sich auf den Bauch fallen und legte den Kopf auf die Pfoten. Ihm war klar, dass er auf seinen Leckerbissen noch eine Weile würde warten müssen.

»Bonjour, Florence«, grüßte Bruno, nachdem er sich mit einem Blick auf die Nummer im Display vergewissert hatte, wer ihn da zu erreichen versuchte. »Du rufst aber früh an. Ist mit den Kindern alles in Ordnung?«

»Alles bestens, Bruno, aber ich mache mir um Claudia Sorgen. Gestern Abend während des Vortrags im Schloss von Limeuil ging es ihr plötzlich ziemlich schlecht, und als ich sie soeben anzurufen versucht habe, um mich zu erkundigen, wie es ihr inzwischen geht, hat sie nicht abgenommen. Von ihrer Vermieterin musste ich dann hören, dass sie gestern gar nicht nach Hause zurückgekommen ist.«

Claudia, eine amerikanische Studentin der Universität Yale, arbeitete an ihrer Dissertation über ein kunstgeschichtliches Thema und war vor kurzem nach Frankreich gekommen, um sich von einem bedeutenden Vertreter ihres Fachs betreuen zu lassen. »Vielleicht hat sie bei ihrem petit ami übernachtet«, meinte Bruno, der wie etliche seiner Freunde auf Anhieb Gefallen an Claudia gefunden und sich mit ihr angefreundet hatte.

»Ich glaube nicht, dass sie einen festen Freund hat, jedenfalls nicht hier in Frankreich. Gestern Abend ging es ihr wirklich nicht gut. Sie litt unter Schwindel und war kreidebleich. Ich wollte sie nach Hause bringen, aber sie sagte, sie komme allein zurecht und brauche nur ein bisschen Ruhe.«

»Hast du dich mal bei der Notaufnahme erkundigt?«

»Nein. Dafür habe ich jetzt auch keine Zeit. Ich muss die Kinder zur maternelle bringen.«

»Na schön, ich kümmere mich darum.«

Bruno beendete das Gespräch und hatte schon im Gefühl, dass er seiner üblichen Amtshandlung – er regelte jeden Morgen den Verkehr vor dem Kindergarten – nicht würde nachkommen können. Er rief die örtliche Feuerwehr an, die pompiers, die auch für Krankentransporte zuständig waren, und erfuhr, dass es am Vorabend keinen solchen Einsatz gegeben habe. Daraufhin meldete er sich bei der städtischen Klinik. Aber auch dort konnte man ihm nicht weiterhelfen. Bruno zahlte für den Kaffee und das Croissant, überquerte den Platz und bestieg die Stufen zur mairie, um der Sekretärin des Bürgermeisters mitzuteilen, dass er sich auf den Weg nach Limeuil machen werde. Unten auf dem Platz ließ er Balzac auf den Beifahrersitz seines Transporters springen und fuhr los, vorbei an der Feuerwehrstation und dem städtischen Weinberg und bergan in Richtung eines der schönsten und wohl auch ältesten Dörfer Frankreichs.

Limeuils Geschichte reichte, wie Bruno wusste, bis in die keltische Zeit zurück. Das befestigte Dorf war im Gallischen Krieg von Cäsars Legionen eingenommen und zu einem Oppidum ausgebaut worden, einer stadtartigen Siedlung, die insofern von strategischer Bedeutung war, als von ihr aus der Zusammenfluss von Vézère und Dordogne überblickt werden konnte. Was Florence als Schloss bezeichnet hatte, war ein eher modernes, kaum mehr als hundert Jahre altes Bauwerk, errichtet von einem ehemaligen Arzt am Hof des marokkanischen Sultans, der in sein heimatliches Périgord zurückgekehrt war, um seinen Lebensabend dort zu verbringen. Er hatte die ganze Hügelkuppe aufgekauft, mitsamt all ihren Ruinen sowie der alten Burg aus dem Mittelalter, und einen Neubau in Auf‌trag gegeben, dessen Vorbild, wie Bruno vermutete, eines der Forts der französischen Fremdenlegion in der marokkanischen Wüste gewesen war.

Die einst weißen, stuckverzierten Mauern waren inzwischen grau geworden. Sie umschlossen heute einen Souvenirladen, ein Café und Aufenthaltsräume für die Gärtner, die im Auf‌trag der Stadt die zu einer Touristenattraktion avancierten Grünanlagen pflegten. Die großen Säle innerhalb des Schlosses, die einen prächtigen Ausblick auf die beiden Flüsse boten, waren nunmehr das kulturelle Zentrum des Dorfes. In ihnen wurden Vorträge, Lesungen und gelegentlich auch Kunstausstellungen durchgeführt.

Am Vorabend hatte ein hiesiger Historiker über die Altertumsforschung in und um Limeuil referiert. Bruno hätte sich den Vortrag gern angehört, war aber wegen der wöchentlichen Sitzung des Stadtrates von Saint-Denis verhindert gewesen. Eigentlich nur eine Routineveranstaltung, doch hatte er diesmal teilnehmen müssen, um zum Stand der Vorbereitungen für das Veranstaltungsprogramm der kommenden Touristensaison Rede und Antwort zu stehen, das aus öffentlichen Konzerten, Nachtmärkten und Feuerwerksspektakeln bestehen würde. In dieser Rolle als Impresario fühlte sich Bruno durchaus wohl, ja sie machte ihm sogar Spaß. Im Anschluss an die Ratssitzung, die frühzeitig mit einem kleinen vin d’honneur für ein aus Altersgründen ausscheidendes Mitglied beendet worden war, hatten Bruno und der Bürgermeister ebendieses Mitglied zu einem Abendessen in Ivans Bistro eingeladen. Mit der jüngsten Ausgabe der Fachzeitschrift Archéologie war Bruno dann gegen zehn zu Bett gegangen und eine halbe Stunde später eingeschlafen, in Vorfreude darauf, mit seinem Pferd Hector am nächsten Morgen gegen sieben auszureiten.

Der Parkplatz auf dem Hügel von Limeuil war gut besetzt. Obwohl es erst April war und eigentlich noch zu früh für Touristen, sah man Fahrzeuge mit Kennzeichen aus Holland, England und Deutschland. Bruno stieg vor dem angrenzenden Restaurant aus seinem Transporter und folgte Balzac über den gewundenen Pfad zur Parkanlage, die für die Öffentlichkeit noch nicht geöffnet war. Er fragte nach David, dem bärtigen jungen Mann, der die Anlage betreute, und fand ihn beim Unkrautjäten im sogenannten Apothekergarten vor, wo Heilpflanzen und Kräuter gezogen wurden. Wie immer und bei jedem Wetter trug David seine alte kurze Lederhose und mehrere T-Shirts übereinander. Er und Balzac begrüßten sich wie alte Freunde.

»Mir ist nichts Ungewöhnliches aufgefallen, aber ich kann mich ja mal umhören«, sagte David, nachdem Bruno ihm den Grund seines Besuchs erklärt hatte. »Wollen Sie, dass wir nach ihr suchen?«

Bruno nickte. »Ihr soll schwindlig gewesen sein. Vielleicht ist sie ohnmächtig geworden. Hat sich womöglich der eine oder andere Kollege von Ihnen den Vortrag angehört und sie anschließend gehen sehen?«

»Ich rufe mal meine Leute zusammen«, antwortete David und holte eine Trillerpfeife hervor, wie sie von Schiedsrichtern benutzt wurde. »In vierzig Minuten kommt eine Schulklasse, bis dahin hätten wir noch Zeit zum Suchen.«

Er stieß dreimal kurz in die Pfeife, worauf hinter Hecken und Sträuchern zwei junge Männer und zwei junge Frauen auf‌tauchten und am Wassergarten und dem Riesenmammutbaum vorbei mit Spaten und Gartenscheren in den Händen auf sie zukamen. Statt Bruno die schmutzigen Hände zu reichen, hielten sie ihm zum Gruß die Unterarme hin und gingen in die Hocke, um Balzac zu hätscheln, während David ihnen erklärte, weshalb Bruno gekommen war.

»Ja, ich war bei dem Vortrag«, sagte Félicité, die als Schülerin an Brunos Tennis‌training teilgenommen hatte. »Und ich kenne Claudia. Sie ist irgendwann aufgestanden, hat etwas zu Florence gesagt und dann leise den Raum verlassen, um nicht zu stören. Das war kurz nachdem das Licht runtergedreht worden war und der eigentliche Diavor‌trag begonnen hatte. Florence meinte später, dass es Claudia nicht gutging.«

»Wann genau ist sie gegangen?«, fragte Bruno.

»Wir waren um sieben da, und der Vor‌trag hat, glaube ich, eine Viertelstunde später angefangen. Mit der Dia-Show ging es dann schon nach wenigen Minuten los«, erklärte Félicité. »Vorher hat es für alle ein Glas Bowle gegeben. Vielleicht ist ihr davon schlecht geworden.«

Während die Gruppe um David nach Claudia suchte, ging Bruno, dicht gefolgt von Balzac, den Hügel hinunter zum Haus von Madame Darrail, bei der die amerikanische Studentin ein Zimmer gemietet hatte. Das Haus war am Hang gebaut und schien, wenn man sich ihm von der Straße aus näherte, nur aus einem Geschoss zu bestehen. Es wirkte, von außen betrachtet, winzig klein. Im Eingangsbereich aber zeigte sich ein Treppenschacht, der in ein angebautes Souterrain mit eigenem Dach führte. Madame Darrail war die Witwe eines Mannes, der den Kanuverleih des Ortes betrieben hatte, eine mürrische Frau um die sechzig, gepflegt, mit dunkelbraunen Augen, fahler Haut und stahlgrauem Haar. Im Sommer war sie meist im Kiosk am Fluss anzutreffen, wo sie Buchungen entgegennahm, Gebühren kassierte und Schwimmwesten ausgab, während sich ihr Sohn Dominique um die Kanus kümmerte. Als geborene Limeuilerin war sie es gewohnt, drei- oder viermal am Tag den steilen Weg hinunter zum Fluss und wieder hinauf zu gehen – in einem Tempo, das Bruno außer Atem brachte. Er war froh, sie an diesem Morgen in ihrem Haus anzutreffen.

»Ah, Bruno, Sie haben meine Nachricht also gelesen«, sagte sie, und ihre besorgte Miene ging in ein halbes Lächeln über, als sie Balzac sah, sich bückte und ihn streichelte. »Wegen dieser Amerikanerin.«

»Auf meinem Handy war keine Nachricht«, entgegnete er. »Wenn Sie mich übers Festnetz angerufen haben, werde ich sie abhören können, wenn ich wieder im Büro bin. Nun, aber deswegen bin...