dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Die Bienenhüterin - Roman

Sue Monk Kidd

 

Verlag btb, 2009

ISBN 9783641024734 , 480 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR


 

Die Königin verkörpert die einigende Kraft der Gemeinschaft. Entfernt man sie aus dem Bienenkorb, spüren die Arbeitsdrohnen ihre Abwesenheit sehr rasch. Schon nach einigen wenigen Stunden zeigt ihr Verhalten eindeutige Anzeichen dafür, dass die Königin fehlt.
KAPITEL 1
Nachts lag ich im Bett und schaute zu, wie die Bienen durch die Spalten in der Wand meines Schlafzimmers schlüpften und in Kreisen durch mein Zimmer flogen, sie machten ein Geräusch wie Propeller, ein ganz hohes Sssssssss, das dicht um mich herum summte. Ich sah ihre Flügel im Dunkeln wie kleine Chromteilchen schimmern und spürte in mir eine unbestimmte Sehnsucht aufsteigen. Dass die Bienen einfach so herumflogen, ohne nach einer einzigen Blume zu suchen, allein, um den Wind unter ihren Flügeln zu spüren, das hat mich bis in die Tiefe meines Herzens berührt.
Tagsüber hörte ich zu, wie sie sich Gänge durch die Wände meines Zimmers bohrten, es klang, als würde im Nebenzimmer ein Radio rauschen, und ich stellte mir vor, wie sie die Wände von innen in Honigwaben verwandelten, aus denen satter Honig tropft, von dem ich dann kosten dürfte.
Die Bienen kamen im Sommer 1964, es war der Sommer, in dem ich vierzehn Jahre alt wurde und von dem an mein Leben eine neue Wendung nahm, und damit meine ich eine völlig neue Wendung. Aus heutiger Sicht kommt es mir vor, als wären mir die Bienen gesandt worden. Ich will damit sagen, sie erschienen mir, so wie der Erzengel Gabriel die Jungfrau Maria heimsuchte. Die Bienen setzten eine Kette von Ereignissen in Gang, von denen ich niemals zu träumen gewagt hätte. Ich weiß, es ist vermessen, mein kleines unbedeutendes Leben mit dem ihren zu vergleichen, aber ich habe guten Grund zu glauben, dass sie nichts dagegen hätten – aber dazu komme ich später. Im Moment will ich nur so viel sagen: Trotz allem, was in diesem Sommer geschehen ist, hege ich für die Bienen nur gute Gefühle.
 
1. Juli 1964, ich liege im Bett und warte darauf, dass die Bienen kommen, und denke an das, was Rosaleen gesagt hatte, als ich ihr von den nächtlichen Besuchen erzählt hatte.
»Bienen schwärmen, bevor jemand stirbt«, hatte sie gesagt.
Rosaleen arbeitete für uns, seit meine Mutter gestorben war. Mein Daddy – den ich T. Ray nannte, weil »Daddy« einfach nicht zu ihm passte – hatte sie aus der Pfirsichplantage geholt, in der sie als Pflückerin gearbeitet hatte. Sie hatte ein großes, rundes Gesicht, und ihr Körper sah aus wie ein Zelt, das sackartig von ihrem Hals herabhing, und sie war schwarz wie die Nacht. Sie lebte ganz alleine in einem kleinen Haus, das tief im Wald kauerte, gar nicht so weit weg von uns. Sie kam jeden Tag, um zu kochen, zu waschen und um meine Ersatzmutter zu sein. Rosaleen hatte nie ein eigenes Kind gehabt, und so war ich in den letzten zehn Jahren ihr Versuchskaninchen gewesen.
Bienen schwärmen, bevor jemand stirbt. Sie hatte immer jede Menge verrückter Ideen im Kopf, denen ich sonst nicht groß Beachtung schenkte, aber jetzt lag ich doch wach und dachte über diesen Satz nach und fragte mich, ob die Bienen gekommen waren, um mich zu töten. Dieser Gedanke machte mir gar nichts aus, ehrlich nicht. Die Bienen hätten sich alle auf mir nieder lassen können, jede dabei so sanft wie ein Engel, und mich totstechen können, und es wäre nicht einmal das Schlimmste gewesen. Die Leute, die glauben, dass der Tod das Schrecklichste ist, haben keine Ahnung vom Leben.
Meine Mutter starb, als ich vier Jahre alt war. Das war nun mal so, aber immer, wenn ich auf das Thema kam, interessierten sich die Leute plötzlich für ihre eingewachsenen Nägel oder ihre Nagelhaut, oder aber sie starrten einfach in die Luft. Mich schienen sie überhaupt nicht zu hören. Nur dann und wann sagte eine mitfühlende Seele: »Denk nicht weiter darüber nach, Lily. Es war doch ein Unfall. Du hast es ja nicht mit Absicht getan.«
In jener Nacht lag ich also im Bett und dachte über das Sterben nach und dass ich zu meiner Mutter ins Paradies kommen würde. Ich würde zu ihr gehen und sagen: »Mutter, verzeih mir. Bitte verzeih mir.« Und sie würde meine Haut so lange küssen, bis sie unter ihren Küssen ganz rau würde, und sie würde mir sagen, dass mich keine Schuld trifft. Das würde sie mir während der ersten zehntausend Jahre immer wieder sagen.
In den nächsten zehntausend Jahren würde sie mir dann mein Haar zurechtmachen. Sie würde es bürsten, und es würde so schön sein, dass alle Leute im Himmel ihre Harfen weglegen würden, nur um mein Haar zu bewundern. An den Haaren eines Mädchens kann man sehen, ob es noch eine Mutter hat. Mein Haar stand immer vom Kopf ab, in alle Himmelsrichtungen, und natürlich weigerte sich T. Ray, mir Lockenwickler zu kaufen. Ein ganzes Jahr lang musste ich mir leere Saftdosen ins Haar wickeln, weshalb ich unter ständiger Schlaflosigkeit litt. Ich hatte immer nur die Wahl zwischen einer halbwegs akzeptablen Frisur bei Tage oder ungestörtem Nachtschlaf.
Ich beschloss, dass ich mir vier oder fünf Jahrhunderte lang Zeit nehmen würde, um ihr zu erzählen, wie entsetzlich es wirklich war, bei T. Ray zu leben. Missmutig war er ja das ganze Jahr über, aber im Sommer, wenn er von morgens bis abends in der Pfirsichplantage arbeitete, wurde es besonders schlimm. Ich ging ihm meistens aus dem Weg. Nett war er nur zu Snout, seinem Spürhund, der in seinem Bett schlafen durfte und dem er immer den Bauch kraulte, sobald sich der Hund auf seinen drahtigen Rücken rollte. Einmal habe ich sogar gesehen, wie Snout auf T. Rays Stiefel pinkelte, und er hat noch nicht einmal mit der Wimper gezuckt!
Ich habe Gott immer wieder gebeten, etwas wegen T. Ray zu unternehmen. Vierzig Jahre lang ist er zur Kirche gegangen, aber er wurde nur noch schlimmer. Ich finde, das sollte Gott doch eigentlich zu denken geben.
Ich schlug die Laken zurück. Im Zimmer war es vollkommen ruhig, nicht eine einzige Biene, nirgendwo. Jede Minute sah ich auf die Uhr an meinem Nachttisch und fragte mich, wo sie wohl blieben.
Endlich, kurz vor Mitternacht, als mir vor lauter Anstrengung die Augenlider beinahe zugefallen wären, setzte drüben in der Ecke ein schnurrendes Geräusch ein, dunkel und vibrierend, es klang fast, als käme es von einer Katze. Wenige Momente später huschten Schatten über die Wand. Wenn sie am Fenster vorbeikamen, fiel Licht auf sie, und ich konnte die Umrisse ihrer Flügel sehen. Das Geräusch schwoll im Dunkel an, bis das ganze Zimmer pulsierte, bis die Luft bebte und vibrierte, schwer und voll von Bienen. Sie flogen um mich herum, mein Körper lag mitten in dieser wirbelnden Wolke. Ich konnte nicht einmal mehr klar denken, so laut summten die Bienen.
Ich presste die Fingernägel gegen die Handflächen, bis sich auf meiner Haut tiefe Rillen abzeichneten. In einem Raum voller Bienen kann ein Mensch so gut wie zu Tode gestochen werden.
Und dennoch, das war ein unglaublicher Anblick. Auf einmal konnte ich es nicht mehr aushalten, ich musste das jemandem zeigen, selbst wenn der einzige Mensch in meiner Nähe T. Ray war. Und sollte er von Hunderten von Bienen gestochen werden, na ja, das täte mir dann wohl Leid.
Ich schlüpfte aus dem Bett und stürzte zur Tür, mitten durch die Bienen hindurch. Ich weckte ihn auf, indem ich seinen Arm mit einem Finger berührte, erst ganz sachte, dann immer fester, bis ich schließlich meinen Finger in seinen Arm stieß und staunte, wie hart er sich anfühlte.
T. Ray sprang aus dem Bett, er hatte nur seine Unterwäsche an. Ich zerrte ihn zu meinem Zimmer, während er brüllte, wehe, wenn sich das nicht lohnt, wehe, wenn nicht wenigstens das verdammte Haus in Flammen steht, und Snout bellte, als ob wir beim Taubenschießen wären.
»Bienen!«, rief ich, »in meinem Zimmer ist ein Bienenschwarm!«
Aber als wir in mein Zimmer kamen, hatten sie sich wieder in der Wand verkrochen, als ob sie gewusst hätten, dass er kommt, als ob sie ihre Flugkünste nicht an ihn verschwenden wollten.
»Verdammt noch mal, Lily, das find ich nich’ komisch.«
Ich sah an den Wänden auf und ab. Ich kroch unter mein Bett und betete, dass aus dem Staub und den Sprungfedern auch nur eine Biene hervorkäme.
»Sie waren hier, sie sind hier überall herumgeflogen«, sagte ich.
»Ja klar, und so’ne dämliche Büffelherde is’ hier auch noch durchgetrampelt.«
»Hör doch«, sagte ich, »du kannst sie summen hören.«
Er hielt sein Ohr an die Wand. »Ich hör überhaupt nichts summen«, sagte er und zeigte mir dabei einen Vogel. »Die sind wohl aus der Kuckucksuhr da oben rausgeflogen, die du dein Hirn nennst. Wenn du mich noch einmal weckst, Lily, hole ich die Grießflocken raus, ist das klar?«
Das mit den Grießflocken war eine Strafe, die sich nur jemand wie T. Ray ausdenken konnte. Ich machte sofort den Mund zu.
Trotzdem, das konnte ich nicht auf mir sitzen lassen – T. Ray meinte doch...