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Die Freigabe der selbständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO aus arbeitsrechtlicher Perspektive

Die Freigabe der selbständigen Tätigkeit nach § 35 Abs. 2 InsO aus arbeitsrechtlicher Perspektive

Joosten Wilhelm Meye

 

Verlag RWS Verlag, 2020

ISBN 9783814555683 , 232 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz DRM

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64,00 EUR

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B.
Die Grundlagen zur Erklärung nach § 35 Abs. 2 InsO
13  Mit der Einführung der Absätze 2 und 3 in § 35 InsO durch das Gesetz zur Vereinfachung des Insolvenzverfahrens im Jahr 20074) hat der Gesetzgeber die Voraussetzungen für eine Trennung der selbständigen Tätigkeit des Schuldners von der Insolvenzmasse durch die Möglichkeit einer Unternehmensfreigabe geschaffen.

I.  Historischer Regelungsbedarf bei der Insolvenz des selbständig tätigen Schuldners


14  Die selbständige Tätigkeit des Schuldners in der Insolvenz stellte die Praxis bereits vor Einführung des § 35 Abs. 2 und Abs. 3 InsO vor erhebliche Probleme.5) Das grundrechtlich garantierte Recht des Schuldners auf die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit ging mit der Gefahr der Begründung von unerwünschten Masseverbindlichkeiten durch den Schuldner einher.

1.  Verfassungsrechtliche Garantie der selbständigen Tätigkeit


15  Die Entscheidung, ob der Schuldner überhaupt einer Erwerbstätigkeit nachgeht und welche Erwerbstätigkeit das ist, steht alleine ihm zu. Der Insolvenzverwalter kann den Schuldner aufgrund von Art. 12 Abs. 1 GG weder zu einer Tätigkeit zwingen, noch kann er ihm eine Tätigkeit untersagen.6) Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG verbürgt das Recht der freien Berufswahl und Berufsausübung.7) Der Grundrechtsträger kann jede Arbeit als Beruf ergreifen, für die er sich geeignet hält, damit seine eigene Persönlichkeit ausleben und seinen Beruf zur Grundlage seiner Lebensführung machen.8) Der Insolvenzschuldner verliert dieses Recht auch nicht durch seine Insolvenz. Ihm ist vielmehr verfassungsrechtlich garantiert, seine berufliche Tätigkeit, egal ob selbständig oder unselbständig, weiter auszuüben oder eine neue Tätigkeit aufzunehmen.9) Würde man ihm dies versagen, läge darin eine subjektive Berufswahlschranke, an deren Rechtfertigung erhöhte Anforderungen zu stellen wären. Sie ist einzig zulässig, wenn der Schutz besonders wichtiger Gemeinschaftsgüter den Eingriff zwingend erfordert.10) Daraus ergibt sich, dass die Arbeitskraft des Schuldners nicht in den Insolvenzbeschlag fällt und der Insolvenzverwalter dementsprechend nicht über selbige verfügen kann.11) Einzig dem Insolvenzschuldner steht die Entscheidung zu, ob er einer Arbeit nachgeht und ob diese selbständiger oder unselbständiger Natur ist.
16  Die bloße Insolvenz führt nicht dazu, dass dem Insolvenzschuldner eine erneute selbständige Tätigkeit versagt werden könnte. Aus dem Vorliegen eines Insolvenztatbestandes lässt sich nicht auf die Fähigkeit des Schuldners schließen, eine selbständige Tätigkeit auszuüben. Selbst wenn man eine mangelnde Eignung annehmen würde, wäre die Versagung der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit per se jedenfalls unverhältnismäßig, da eventuell geschädigte Gläubiger sich den Schuldner im Rahmen ihrer Privatautonomie selbst ausgesucht haben und durch das geltende Insolvenzrecht geschützt sind.
17  Hinzu kommt, dass dem Schuldner das verfassungsrechtlich aus Art. 1 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip gebotene Ziel der Restschuldbefreiung ermöglicht werden soll.12) Auf welche Weise er wieder zu einem Einkommen kommt, das zur Restschuldbefreiung beiträgt, liegt nach Art. 12 Abs. 1 GG in seinem Ermessen.13)

2.  Notwendigkeit einer Neuregelung durch den Gesetzgeber


18  Aus dem verfassungsmäßig garantierten Recht des Schuldners selbständig tätig zu sein, ergeben sich Probleme für das Insolvenzverfahren. So kommt es vor, dass der Schuldner mit oder ohne Wissen des Insolvenzverwalters seine ursprünglich ausgeübte selbständige Tätigkeit weiter fortführen oder eine selbständige Tätigkeit neu aufnehmen möchte. Vor Einführung des § 35 Abs. 2 InsO ergaben sich hieraus weitreichende Probleme, wie zum Beispiel: Was geschieht mit dem neu erwirtschafteten Vermögen? Auf welche Haftungsmasse können die durch die erneut ausgeübte selbständige Tätigkeit entstandenen Neugläubiger zugreifen?14) In seiner „Psychologinnen“-Entscheidung15) schuf der BGH Klarheit. Er entschied darin, dass die vom Schuldner im Rahmen seiner selbständigen Tätigkeit neu erwirtschafteten Überschüsse der Insolvenzmasse zustünden.16) Dabei gilt nach Ansicht des BGH das sogenannte „Bruttobeschlagsprinzip“, wonach der gesamte Neuerwerb in die Insolvenzmasse fällt.17) Eventuelle Aufwendungen, die der Schuldner getätigt hat, um den Neuerwerb zu erlangen, werden hiervon nicht abgezogen, sodass kein beschlagfreies Vermögen verbleibt.18)
19  Wurde sämtlicher Neuerwerb zur Masse gezogen, verblieb nur noch der nach § 36 InsO unpfändbare Teil beim Insolvenzschuldner. Hierdurch wurde die Frage aufgeworfen, welche Haftungsmasse den Neugläubigern zur Deckung ihrer Ansprüche zur Verfügung stand. Da die Forderung bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht bestand, schied eine Einordnung als Insolvenzforderung aus.19) In der Literatur wurden verschiedene Lösungsansätze diskutiert. Nach einer weit verbreiteten Ansicht wurden die Neugläubiger auf das insolvenzfreie Schuldnervermögen verwiesen.20) Mit der „Psychologinnen“-Entscheidung des BGH verblieb jedoch beim Insolvenzschuldner in der Regel nur das pfändungsfreie Vermögen nach § 36 InsO, da der gesamte Neuerwerb zur Insolvenzmasse gezogen wurde. Den Neugläubigern stand demnach nur das pfändungsfreie Vermögen und damit keine ausreichende Haftungsmasse zur Verfügung.21) Für den Insolvenzschuldner beutete dies, dass sein verfassungsmäßig gewährtes Recht auf Ausübung einer selbständigen Tätigkeit faktisch leerlief, da sich kein Vertragspartner finden lassen würde, der sich auf eine entsprechend schlechte Haftungsgrundlage einlässt.22)
20  Die Gegenansicht ging davon aus, dass nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO Masseverbindlichkeiten entstünden, da der Insolvenzverwalter die selbständige Tätigkeit dulde.23) Nach dieser Ansicht sollte der Neuerwerb zur Insolvenzmasse gezogen werden, während gleichzeitig die Insolvenzmasse durch die neu begründeten Verbindlichkeiten belastet wurde. Der Insolvenzschuldner könne durch seine selbständige Tätigkeit weitere Ansprüche gegen die Insolvenzmasse begründen, ohne dass dem Insolvenzverwalter hiergegen ein Abwehrmittel zur Verfügung gestanden hätte. Betätigte der Schuldner sich defizitär, wurde die Insolvenzmasse hierdurch verpflichtet, ohne durch den Neuerwerb eine adäquate Gegenleistung zu erlangen.24)
21  In der Literatur wurde, um die selbständige Tätigkeit des Schuldners zu fördern und um Haftungsrisiken zu vermeiden, bereits vor Einführung des § 35 Abs. 2 InsO eine Freigabe des Gewerbebetriebs diskutiert.25) Auf dieser Grundlage sah der Gesetzgeber die Notwendigkeit zur Regelung der nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübten selbständigen Tätigkeit des Schuldners.26)
4)  BGBl. I, S. 509 ff.; BT-Drucks. 16/3227.
5)  Im Überblick Voigt/Gerke, ZInsO 2002, 1054, 1054 ff.
6)  Andres, NZI 2006, 198, 198; Holzer, ZVI 2007, 289, 289; Ahrens, KSzW 2012, 303, 303; Häsemeyer, Insolvenzrecht, Rn. 9.25; Kübler/Prütting/Bork-Holzer, § 35 Rn. 105; Grote, FS Wimmer, 219, 226.
7)  Maunz/Dürig-Scholz, Art. 12 Rn. 1.
8)  Schmidt-Bleibtreu/Klein-Hofmann, Art. 12 Rn. 4.
9)  Uhlenbruck-Hirte, § 35 Rn. 90.
10)  Schmidt-Bleibtreu/Klein-Hofmann, Art. 12 Rn. 52.
11)  BAG, Urt. v. 20.6.2013 – 6 AZR 789/11, NZA, 1147, 1149, m. w. N.; Gleichenstein, ZVI 2013, 409, 409.
12)  Smid, DZWIR 2008, 133, 139.
13)  Ries, ZInsO 2009, 2030, 2034; Ahrens, KSzW 2012, 303, 303; Gleichenstein, ZVI 2013, 409, 409; Gehrlein, ZInsO 2016, 825, 825; MüKoInsO-Peters, § 35 Rn. 47b.
14)  Siehe dazu Voigt/Gerke, ZInsO 2002, 1054, 1054 ff.
15)  BGH, Beschl. v. 20.3.2003 – IX ZB 388/02, NJW 2003, 2167, 2167 ff.
16)  BGH, Beschl. v. 20.3.2003 – IX ZB 388/02, NJW 2003, 2167, 2167 ff.; siehe dazu ebenfalls Smid, DZWIR 2008, 133, 136.
17)  BGH, Beschl. v. 20.3.2003 – IX ZB 388/02, NJW 2003, 2167, 2170.
18)  BGH, Beschl. v. 20.3.2003 – IX ZB 388/02, NJW 2003, 2167, 2170; Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 394; Andres, NZI 2006, 198, 198; Undritz, FS Runkel, 449, 454 f.; Smid, DZWIR 2008, 133, 136; Hergenröder, DZWIR 2013, 251, 257.
19)  Andres, NZI 2006, 198, 198.
20)  Andres/Pape, NZI 2005, 141, 142; Tetzlaff, ZInsO 2005, 393, 396 f.; Sternal, NZI 2006, 185, 189; Andres, NZI 2006, 198, 198 f.; Sternal, NJW 2007, 1909, 1911 f.
21)  Andres, NZI 2006, 198, 198 f.; Berger, ZInsO...