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»Jüdische Mischlinge« - Rassenpolitik und Verfolgungserfahrung 1933-1945

Beate Meyer, Monika Richarz, Ina Lorenz

 

Verlag Dölling und Galitz, 2011

ISBN 9783862180233 , 494 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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12,99 EUR


 

Erster Teil Die Verfolgung der Mischehen im Nationalsozialismus (S. 29-30)

I. Das Ende des Integrationsprozesses


1. Die quantitative Entwicklung der Mischehen


Das im September 1935 erlassene Gesetz zum Schutze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre zog mit dem Eheverbot zwischen Juden und „Deutschblütigen“ einen Schlußstrich unter eine fast 100 Jahre anhaltende Entwicklung. Die Zahl der Mischehen war Indikator für den Assimilationsprozeß,1 den die deutschen Juden vollzogen hatten. Dieser wird auch als extremer Modernisierungsschub interpretiert, den die jüdische Gesellschaft im Zuge ihrer Verbürgerlichung erfuhr.2 Andere äußerliche Kennzeichen dieses Prozesses waren die angestiegenen Zahlen der Taufen oder die Änderungen jüdischer Familiennamen, um der „stigmatisierenden Kraft des Namens“ (Bering) bei der Integration in die Mehrheitsgesellschaft zu entkommen.3

Im Februar 1849 war den Hamburger Juden erstmals gestattet worden, interkonfessionelle Mischehen einzugehen, wenn der jüdische Mann das Bürgerrecht erworben hatte.4 Zu dieser Zeit lebten in Hamburg ca. 10.000 Juden bei einer Gesamtbevölkerung von 150.000 Personen.5 1861 bzw. 1865 wurden dann die gesetzlichen Grundlagen geschaffen, die uneingeschränkt Zivilehen zuließen.6 Preußen zog 1874 nach. Doch erst im 20. Jahrhundert wuchs die Zahl der Mischehen – gemessen an den Eheschließungen der Juden – im Deutschen Reich so rapide, daß die jüdischen Gemeinden diese Entwicklung als „immer unheilvoller“ empfanden, da sie nicht nur gegenwärtige, sondern – mit dem meist getauften Nachwuchs – auch zukünftige Mitglieder verloren.

Die Zahl der Mischehen stieg in Deutschland zwischen 1901 und 1910 auf 8.225, bis 1924 dann auf 20.266 an. Zu dieser Zeit verzeichnete (Groß)-Berlin mit 3.215 die meisten Mischehen, gefolgt von Hamburg mit 1.407 und Frankfurt a.M. mit 922.8 Prozentual erhöhte sich in Hamburg der Anteil gar bis auf 57,6% der Eheschließungen von Juden und sank 1934 trotz restriktiver Maßnahmen der Standesämter nur auf 32%, während er im Reichsdurchschnitt 1934 15% betrug.

Jüdische Männer heirateten eher nichtjüdische Frauen als Jüdinnen nichtjüdische Männer, alteingesessene Hamburger Juden gingen häufiger Mischehen ein als religiös stärker gebundene Ostjuden.10 Heiratete eine Jüdin einen Nichtjuden, verlor sie bei dieser Eheschließung prinzipiell ihre Gemeindeangehörigkeit, eine Regelung, die für jüdische Männer nicht galt.11 Lediglich die Kultusverbände legten hier zum Teil strenge Maßstäbe an:12 So schloß der orthodoxe Synagogenverband auch den jüdischen Mann wegen einer Mischehe aus, während der gemäßigte Tempelverband sowie die Neue Dammtor-Synagoge eine solche Heirat akzeptierten.

Ein kleinerer Teil nichtjüdischer Ehefrauen trat zum Judentum über.13 In der Regel aber behielten die nichtjüdischen Partner ihre Religionszugehörigkeit. Ina Lorenz weist in diesem Zusammenhang auf die zunehmende Entkonfessionalisierung hin, die eine wichtige Voraussetzung für die großstädtische Mischehe war.14 Trat der jüdische Partner zur christlichen Glaubensgemeinschaft über, wurde er in Hamburg in der Regel Mitglied der evangelischen Kirche.15Der aufkommende Nationalsozialismus verstärkte die Tendenz bei jüdischen Dissidenten, die christliche Taufe in der Hoffnung auf Schutz vollziehen zu lassen. So stieg die Anzahl der „Proselytentaufen“ in den Hauptwohngegenden der Hamburger Juden im Jahr 1933 sprunghaft an.16 Die nach nationalsozialistischer Definition in Mischehe lebenden Juden stuften sich bezogen auf ihren Glauben also selbst höchst unterschiedlich ein.