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Feuer der Wildnis - Die Leopardenmenschen-Saga 4 - Roman

Christine Feehan

 

Verlag Heyne, 2012

ISBN 9783641070571 , 544 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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11,99 EUR


 

1

Der Sumpf kannte vier verschiedene Jahreszeiten und innerhalb dieser Jahreszeiten wechselte seine Stimmung. In dieser Nacht trug die Natur ein Kleid aus Purpur mit den unterschiedlichsten Schattierungen, die von den dunklen Wirbeln am Himmel bis zum helleren Lavendel der Zypressen reichten. Der Mond beschien die Moosschleier, die auf das Wasser herunterhingen, und verlieh ihnen einen blassen silberblauen Schimmer. Dass die Farbe Purpur sich aus einer Mischung von Blutrot und Blau ergibt, bewiesen auch die dunkelroten Strahlen, die durch die Bäume drangen und auf die mit Entengrütze bedeckte Wasseroberfläche fielen.

Saria Boudreaux lächelte, als sie vorsichtig aus ihrem Propellerboot stieg und auf den Hochsitz kletterte, den sie sich langsam über Tage hinweg aufgebaut hatte, um die wilden Tiere ringsherum nicht zu stören. Sie war am Rande des Sumpfes aufgewachsen und nirgendwo war sie glücklicher. Der Hochsitz stand neben einem Eulennest, von dem ihr hoffentlich Nachtaufnahmen gelängen, denn solche Fotos waren heiß begehrt und brächten ihr womöglich noch mehr Geld ein. Nach und nach verschaffte ihr das Fotografieren eine wachsende Unabhängigkeit vom Familiengeschäft, wie sie das nie für möglich gehalten hatte.

In der Schule hatte sie ziemliche Probleme gehabt für sie eine elende Zeit , bis sie die Welt der Fotografie kennenlernte. Den größten Teil ihrer Kindheit hatte sie damit verbracht, sich unbeaufsichtigt im Sumpf herzumzutreiben, zu fischen, die Krebsreusen zu beobachten, ja sogar mit ihrem Vater Alligatoren zu jagen, wenn ihre Brüder gerade nicht da waren und das war meistens der Fall. Sie war es nicht gewohnt, dass man sie gängelte, und die Schule empfand sie als zu strukturiert, zu reglementiert. Sie konnte nicht atmen, wenn so viele Menschen um sie herum waren. Um den vielen Vorschriften aus dem Wege zu gehen, wäre sie schon beinahe in die Wildnis abgetaucht, da hatte ein wohlmeinender Lehrer ihr eine Kamera in die Hand gedrückt und ihr vorgeschlagen, ein paar Fotos von ihrem geliebten Sumpf zu machen.

Heute Nacht gab es etwas Mondlicht, also würde sie den schwachen Scheinwerfer nicht brauchen, den sie in den letzten Nächten benutzt hatte, um die Aktivitäten im Nest sichtbar zu machen. Die Babys piepsten aufgeregt, als ein Elterntier angeflogen kam, und Saria drückte auf den Auslöser. Sofort zuckte der elektronische Blitz auf. An das gelegentliche grelle Aufleuchten gewöhnt ließen die Vögel sich nicht weiter stören.

Saria hatte genau den Moment erwischt, in dem die Eule auf dem Nest gelandet war und Krallen und Schnabel sich vor dem dunklen Himmel abzeichneten, und ihr Herz hüpfte vor Freude. Die Musik, die der Sumpf bei Nacht mit seinen Klängen dazu erzeugte, war völlig anders als bei Tag. Das Bellen der Alligatoren ließ buchstäblich die Erde erbeben. Um sie herum war alles in Bewegung ob in der Luft, unter den Füßen, im Wasser oder in den Bäumen. Selbst der Rhythmus der Natur veränderte sich, sobald die Sonne unterging. In letzter Zeit dachte sie manchmal, dass sie vielleicht zu viel Zeit in den Sümpfen verbrachte, denn ihre Nachtsicht war so viel besser geworden, dass sie es hin und wieder auch ohne Kamerablitz bemerkte, wenn eins der Elterntiere mit seiner Beute zurückkehrte.

Plötzlich erregte ein flackerndes Licht ihre Aufmerksamkeit. Offensichtlich ein Wilderer, oder jemand, der in Fenton’s Marsh beim Nachtfischen war. Weite Teile des Sumpflands gehörten der Fenton Lumber Company. Sieben der Familien, die in der Gegend lebten, hatten jeweils mehrere Tausend Quadratmeilen gepachtet, auf denen sie jagten, Fallen stellten und fischten, sodass sie fast ausschließlich vom Sumpf leben konnten. Einige der Männer verdienten sich auch etwas Geld am Mississippi, so wie Sarias Brüder, doch im Grunde kreiste das Leben um den Sumpf.

Fenton’s Marsh galt bei den Leuten als Sperrgebiet und als tabu. Saria fiel ihre eigene finstere Miene bei der Vorstellung auf, dass irgendjemand dort wilderte. Jake Fenton, der ursprüngliche Eigentümer, genoss in der Gegend hohes Ansehen. Es war nicht leicht, das Vertrauen und den Respekt der Einheimischen zu gewinnen, doch alle Familien hatten den alten Mann gemocht und ihn oft zu sich eingeladen. So war er in den Sümpfen zu einer festen Größe geworden. Mehr als einmal hatten die Alligatorjäger ihn sogar mit auf die Jagd genommen, ein großes Privileg, denn die Arbeit war gefährlich und ein Laie war dabei nicht gern gesehen. Bei den Pachtverträgen war er sehr großzügig gewesen, deshalb hätte keiner hier seine Lebensgrundlage riskiert, indem er die Hand biss, die ihn fütterte. Fenton war mittlerweile tot, doch jeder wusste, dass es in der Marsch Öl gab und dass sein Urenkel Jake Bannaconni es eines Tages fördern würde. Deshalb hielt man sich aus Respekt vor Jake Fenton von der Marsch fern.

Die erwachsene Eule flog wieder davon, das Rascheln ihrer Flügel lenkte Saria kurz ab, doch von weiteren Fotos ließ sie lieber ab. Die Lichter im Sumpf machten sie nervös, und sie wollte nicht, dass der Kamerablitz sie verriet. Sie veränderte ihre Position, um die verkrampften Muskeln im Oberschenkel zu lockern, und fasste beinahe unbewusst nach ihrer Ausrüstung. Eigentlich hatte sie vorgehabt, die Nacht im Sumpf zu verbringen und erst frühmorgens wieder nach Hause zurückzukehren, aber aus ihrer leichten Nervosität war regelrecht Angst geworden, und es gab nicht viel, wovor sie Angst hatte.

Saria war gerade dabei, vom Hochsitz herunterzuklettern, als sie einen rauen Schrei hörte. Er kam von einem Menschen. Der Schrei eines Mannes, und er hörte sich grässlich an, ganz heiser voller Entsetzen. Sofort wurde der Sumpf lebendig, Vögel zeterten, während Frösche und Insekten verstummten, und in dem rhythmischen Einklang, der normalerweise in dieser Welt herrschte, brach ein Chaos aus. Dann endete der qualvolle Schrei abrupt, wie abgeschnitten.

Kalte Schauer liefen über Sarias Rücken, und sie ließ sich leise in ihr Boot gleiten. Ob es einem Alligator gelungen war, den Mann, der ihn jagte, zu töten? Als sie sich in den Teppich aus Entengrütze hinausschob, dröhnte ein wütendes Gebrüll durch den Sumpf. Das zornige Schnauben und Fauchen hallte im Zypressenhain wider und die Welt um sie herum erstarrte, alle Wesen waren wie gelähmt. Sogar die Alligatoren schwiegen. Sarias Arm- und Nackenhaare richteten sich auf, eine Gänsehaut überlief sie und sie schnappte erschrocken nach Luft.

Ein Leopard. Sie kannte die Legenden und Mythen über Leoparden im Sumpf. Wenn Cajuns davon berichteten, wie sie eine der scheuen Kreaturen gesehen hatten, dann nannten sie sie »Geisterkatzen«. Einige Naturforscher bezweifelten ihre Existenz. Andere glaubten, es handele sich um Florida-Pumas aus den Everglades, die nach neuen Revieren suchten. Doch Saria kannte die Wahrheit und wusste, dass sie alle falschlagen.

Am ganzen Körper zitternd blieb sie einfach im Boot sitzen und fasste nach dem beruhigenden Messer an ihrem Gürtel. Dieses Messer trug sie seit ihrem zehnten Lebensjahr, dem Jahr, in dem sie die Wahrheit entdeckt hatte. Vorsichtig zog sie das Gewehr aus seiner Haltevorrichtung und vergewisserte sich, dass es einsatzbereit war. Mit zehn hatte sie mit dem Schießen begonnen und aus ihr war eine perfekte Schützin geworden was für ihren Vater bei der Jagd unschätzbar wertvoll gewesen war. So war sie in der Lage, jenes kleine, nur centstückgroße Ziel im Nacken eines Alligators jedes Mal mit tödlicher Sicherheit zu treffen.

Saria befeuchtete die plötzlich trocken gewordenen Lippen, wartete mit klopfendem Herzen im Dunkeln und betete, dass die Bäume und Wurzeln sie verbargen. Der leichte Wind trug ihre Witterung weg von Fenton’s Marsh. Das Gebrüll verklang in der Nacht und das Schweigen schien stundenlang anzuhalten. Das große Raubtier musste noch in der Nähe sein die Nacht war viel zu ruhig.

Jahrelang hatte sie versucht, sich einzureden, dass sie lediglich unter Alpträumen litt, und am Ende hätte sie das vielleicht sogar geglaubt, bis sie das hier gehört hatte dieses Brüllen. Es folgte ein heiseres Krächzen, dann ein sägendes Husten. Saria schloss die Augen, presste die Finger an die Schläfen und biss sich fest auf die Unterlippe. Diese Laute waren unverkennbar. Man konnte sich vieles schönreden, aber das nicht. Wenn man sie einmal gehört hatte, konnte man sie nicht mehr vergessen. Und sie hatte diese Laute bereits gehört, als sie noch ein Kind war.

Remy, ihr ältester Bruder, war sechzehn gewesen, als sie zur Welt kam und galt als Mann. Als sie laufen konnte, arbeitete er schon am Fluss, genau wie Mahieu. Die Jungen gingen zur Schule und hinterher zur Arbeit, während ihre Mutter langsam von einer schleichenden Krankheit hinweggerafft wurde und ihr Vater sich immer weiter in die Welt des Alkohols zurückzog. Als sie zehn war, war ihre Mutter längst gestorben und ihr Vater gab kaum mehr ein Wort von sich. Remy, Mahieu und Dash waren mit der Armee in Übersee und auch Gage war gerade Soldat geworden. Lojos mit seinen achtzehn Jahren führte den Laden und die Bar praktisch allein und ihm blieb meist gerade mal Zeit, um sich auf dem Weg zur Arbeit hastig einen Happen Essen zu schnappen.

Für Haus und Angelleinen war sie verantwortlich gewesen und von dieser Zeit an stromerte sie auf eigene Faust im Bayou herum. Die Jungen waren für ein kurzes Wiedersehen nach Hause gekommen und schon wieder unterwegs, zurück zum Dienst. Dabei hatten sie Saria kaum wahrgenommen, sie aßen zwar das Essen, das sie ihnen hinstellte, schenkten der Tatsache, dass sie es gekocht hatte, jedoch keine weitere Beachtung. Sie hatte sich...