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Enders Spiel - Die Ender-Saga 1 - Roman

Orson Scott Card

 

Verlag Heyne, 2012

ISBN 9783641082505 , 464 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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9,99 EUR


 

1

Dritt

»Ich habe durch seine Augen gesehen, ich habe durch seine Ohren gehört, und ich sage Ihnen, er ist derjenige. Oder wenigstens so dicht dran, dass wir keinen Besseren finden werden.«

»Das haben Sie über den Bruder auch gesagt.«

»Der Bruder erwies sich als ungeeignet. Aus anderen Gründen. Hatte nichts mit seinen Fähigkeiten zu tun.«

»Das Gleiche wie bei der Schwester. Und auch bei ihm bestehen Zweifel. Er ist zu formbar. Zu leicht bereit, sich dem Willen eines anderen zu unterwerfen.«

»Nicht, wenn der andere sein Feind ist.«

»Was sollen wir denn tun? Ihn die ganze Zeit über mit Feinden umgeben?«

»Wenn wir müssen.«

»Ich dachte, Sie hätten gesagt, Sie mögen dieses Kind.«

»Wenn die Krabbler ihn erwischen, werde ich im Vergleich mit ihnen wie sein Lieblingsonkel wirken.«

»Na gut. Schließlich müssen wir die Welt retten. Nehmen Sie ihn.«

Die Monitordame lächelte sehr nett, zauste sein Haar und sagte: »Andrew, ich nehme an, inzwischen hast du es restlos satt, diesen schrecklichen Monitor zu tragen. Nun, ich habe eine gute Nachricht für dich. Der Monitor kommt heute raus. Wir werden ihn einfach herausnehmen, und es wird kein bisschen wehtun.«

Ender nickte. Dass es kein bisschen wehtun würde, war natürlich eine Lüge. Aber weil Erwachsene das immer sagten, wenn es doch wehtat, konnte er sich auf diese Erklärung als exakte Voraussage der Zukunft verlassen. Manchmal waren Lügen verlässlicher als die Wahrheit.

»Komm also bitte hier herüber, Andrew, und setz dich auf den Untersuchungstisch. Der Doktor wird gleich da sein, um nach dir zu sehen.«

Der Monitor entfernt. Ender versuchte sich vorzustellen, wie es wohl war, wenn die kleine Apparatur in seinem Nacken fehlte. Ich werde mich im Bett auf den Rücken rollen, und er wird dort nicht mehr drücken. Ich werde nicht spüren, wie er prickelt und brennt und die Hitze aufnimmt, wenn ich dusche.

Und Peter wird mich nicht mehr länger hassen. Ich werde nach Hause kommen und ihm zeigen, dass der Monitor fort ist, und er wird sehen, dass ich es auch nicht geschafft habe. Dass ich nun auch ein gewöhnliches Kind sein werde, genau wie er. Das wäre sicher gar nicht so schlecht. Er wird mir vergeben, dass ich meinen Monitor ein ganzes Jahr länger getragen habe als er seinen. Wir werden …

Nein, Freunde würden sie wohl nicht sein. Peter war zu gefährlich. Peter wurde immer so wütend. Aber Brüder. Nicht Feinde, nicht Freunde, doch Brüder – fähig, im selben Haus zu leben. Er wird mich nicht hassen, er wird mich einfach in Frieden lassen. Und wenn er Krabbler und Astronauten spielen will, werde ich vielleicht nicht mitspielen müssen, kann vielleicht weiter ein Buch lesen.

Aber Ender wusste schon, als er das dachte, dass Peter ihn nicht in Frieden lassen würde. Da war etwas in Peters Augen, wenn er in seiner verrückten Stimmung war, und immer wenn Ender diesen Blick sah, dieses Glitzern, wusste er, dass das eine, was Peter nicht tun würde, war, ihn in Frieden zu lassen. Ich übe Klavier, Ender. Los, komm und schlag die Seiten für mich um. Ach, ist der Monitorjunge zu beschäftigt, um seinem Bruder zu helfen? Ist er zu gescheit? Musst wohl los und ein paar Krabbler töten, Astronaut? Nein, nein, ich will deine Hilfe nicht. Ich kann’s auch alleine, du kleiner Bastard, du kleiner Dritt.

»Es wird nicht lange dauern, Andrew«, sagte der Doktor.

Ender nickte.

»Er ist dafür konstruiert, wieder entfernt zu werden. Ohne Infektion, ohne Verletzung. Aber es wird ein bisschen brennen, und manche Leute sagen, sie hätten das Gefühl, als fehle etwas. Eine Zeit lang wirst du nach etwas suchen, etwas, wonach du dich immer umgeschaut hast, aber du kannst es nicht finden, und du kannst dich auch nicht daran erinnern, was es war. Darum werde ich es dir sagen. Es ist der Monitor, nach dem du dich umschaust, und er ist nicht da. In ein paar Tagen verschwindet dieses Gefühl.«

Der Doktor verdrehte etwas an der Rückseite von Enders Kopf. Plötzlich durchbohrte ihn ein Schmerz wie eine Nadel vom Genick bis zur Leistengegend. Ender spürte, wie sich sein Rücken verkrampfte, und sein Körper krümmte sich heftig nach hinten; sein Kopf schlug auf das Bett. Er konnte spüren, wie seine Beine ausschlugen, und seine Hände umkrampften einander so fest, dass es schmerzte.

»Deedee«, rief der Doktor. »Ich brauche Sie!« Die Schwester kam hereingestürzt, schnappte nach Luft. »Er muss die Muskeln entspannen. Geben Sie schon her! Worauf warten Sie noch?«

Etwas wurde weitergereicht; Ender konnte nichts sehen. Er drehte sich auf die Seite und fiel vom Untersuchungstisch. »Fangen Sie ihn auf!«, schrie die Schwester.

»Halten Sie ihn nur ruhig …«

»Sie müssen ihn halten, Herr Doktor, er ist zu stark für mich …«

»Nicht die ganze Dosis! Sonst bleibt sein Herz stehen …«

Ender spürte, wie knapp oberhalb seines Hemdkragens eine Nadel in seinen Rücken eindrang. Es brannte, aber wo immer sich das Feuer in ihm ausbreitete, entspannten sich seine Muskeln allmählich. Jetzt konnte er vor Angst und Schmerz weinen.

»Geht’s jetzt wieder, Andrew?«, fragte die Schwester.

Andrew konnte sich nicht erinnern, wie man sprach. Sie hoben ihn auf den Tisch. Sie kontrollierten seinen Puls, taten andere Dinge – er begriff nicht alles davon.

Der Doktor zitterte; seine Stimme bebte, als er sprach. »Sie lassen diese Dinger drei Jahre lang in den Kindern. Was erwarten sie da? Wir hätten ihn abschalten können, begreifen Sie das? Wir hätten sein Gehirn für alle Zeiten ausstöpseln können.«

»Wann lässt die Wirkung des Medikaments nach?«, fragte die Schwester.

»Behalten Sie ihn noch wenigstens eine Stunde hier. Beobachten Sie ihn. Wenn er nicht in fünfzehn Minuten zu sprechen anfängt, rufen Sie mich … Hätten ihn für immer ausgestöpselt haben können. Ich habe nicht den Verstand eines Krabblers.«

Erst eine Viertelstunde vor dem Läuten der Schlussglocke kam er in Miss Pumphreys Klasse zurück. Er war immer noch ein bisschen wackelig auf den Beinen.

»Alles in Ordnung, Andrew?«, fragte Miss Pumphrey.

Er nickte.

»Warst du krank?«

Er schüttelte den Kopf.

»Du siehst aus, als ginge es dir nicht gut.«

»Ich bin okay.«

»Setz dich besser hin, Andrew.«

Er begann auf seinen Platz zuzugehen, hielt dann aber inne. Wonach habe ich bloß gesucht? Ich kann mich nicht erinnern, wonach ich gesucht habe.

»Dein Platz ist dort drüben«, sagte Miss Pumphrey.

Er setzte sich, aber es war etwas anderes, das er brauchte, etwas, das er verloren hatte. Ich werde es später finden.

»Dein Monitor«, flüsterte das Mädchen hinter ihm.

Andrew zuckte mit den Achseln.

»Sein Monitor«, flüsterte sie den anderen zu.

Andrew langte hinauf und betastete seinen Nacken. Nichts, nur ein Verband. Er war fort. Jetzt war er genau wie alle anderen.

»Total hinüber, Andy?«, fragte ein Junge, der hinter ihm auf der anderen Seite des Mittelgangs saß. Sein Name wollte ihm nicht einfallen. Peter. Nein, das war jemand anderes.

»Ruhe, Mr. Stilson«, sagte Miss Pumphrey. Stilson grinste affektiert.

Miss Pumphrey sprach über das Multiplizieren. Ender kritzelte gedankenlos auf seinem Pult, malte Umrisskarten von gebirgigen Inseln und befahl seinem Pult dann, sie dreidimensional aus jeder Perspektive zu zeigen. Die Lehrerin würde natürlich wissen, dass er nicht aufpasste, aber sie würde ihn nicht behelligen. Er wusste immer die Antwort, auch wenn sie dachte, dass er nicht aufpasste.

In der Ecke seines Pultes erschien ein Wort und begann, den Rand des Pultes entlangzuwandern. Zuerst stand es seitenverkehrt auf dem Kopf, aber Ender wusste, lange bevor es den unteren Rand des Pultes erreichte und sich mit der richtigen Seite nach oben drehte, wie es lautete.

DRITT

Ender lächelte. Er war es, der ausgeknobelt hatte, wie man Botschaften schickte und sie wandern ließ – selbst jetzt, da sein geheimer Feind ihn mit Schimpfnamen belegte, bewies die Methode der Übermittlung noch seine Fähigkeiten. Es war nicht sein Fehler, dass er ein Dritt war. Es war die Idee der Regierung, sie waren es, die es genehmigt hatten – wie sonst hätte ein Dritt wie Ender die Schule besuchen können? Und jetzt war der Monitor fort. Das Experiment »Andrew Wiggin« hatte schließlich doch nicht geklappt. Wenn sie könnten, da war er sich sicher, würden sie jetzt bestimmt gerne die Verzichtserklärungen rückgängig machen, die es ihm gestattet hatten, überhaupt geboren zu werden. Hat nicht geklappt, also löscht das Experiment.

Die Glocke läutete. Alle sperrten ihre Pulte oder tippten rasch Gedächtnishilfen für sich ein. Ein paar begannen, Hausaufgaben oder Daten an ihre Computer zu Hause zu schicken. Einige wenige scharten sich um die Drucker, während etwas ausgedruckt wurde, das sie vorzeigen wollten. Ender spreizte seine Hände über der für Kinder ausgelegten Tastatur nahe des Pultrandes und fragte sich, wie es wohl sein würde, Hände so groß wie die eines Erwachsenen zu haben. Sie mussten sich so riesig und sperrig anfühlen, dicke kurze Finger und fleischige Handflächen. Natürlich hatten sie größere Tastaturen – aber wie konnten ihre dicken Finger eine so feine Linie ziehen, wie...