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Der Klub, in dem wir alle spielen - Über den Zustand der Literatur

Der Klub, in dem wir alle spielen - Über den Zustand der Literatur

Jörg Fauser

 

Verlag Diogenes, 2020

ISBN 9783257611328 , 400 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

20,99 EUR


 

Jörg Fauser, das war doch dieser Suff-Schreiber, nicht wahr? Der Typ, der fast jeden Abend an einem Kneipentresen hing und die Blondine am Zapfhahn abspannte und sich von anderen zerknitterten Typen grummeliges Zeug erzählen ließ und auch selbst gern seinen Weltbetrachtungssenf in den Nikotinnebel greinte und sich alles merkte oder gleich auf einem Thekenzettel notierte, um später am Schreibtisch mindestens ein Gedicht aus all dem Palaver zu stricken.

Fauser, das war also doch der, der aus dem krummen Alltag erzählte, von schmierigen Handelsvertretern, Drogen-Druf‌f‌is, Aushilfskriminellen, vom »täglichen Überleben«1 der sogenannten kleinen Leute. Ein Experte des Sich-Durchschlagens, Fachmann des Geradeso-über-die-Runden-Kommens.

Starb er schließlich nicht sogar selbst einen so lausigen Loser-Tod, wie nur Jörg Fauser ihn hätte erfinden können? Stockbesoffen eierte er im Juli 1987, in der Nacht nach seinem dreiundvierzigsten Geburtstag, nach einer Männerrunde in einem Münchner Vorstadt-Puff, zu Fuß auf die Autobahn und lief einem Lkw in die Spur. Zack – verreckt auf deutschem Asphalt, krepiert am Strand einer großen Stadt2. Was für ein Abgang. Praktisch ja schon wieder eine Story. Fast zu schön, um wahr zu sein.

 

Zeitlebens galt er als Outsider im Literaturbetrieb, und einigermaßen gern hat er damit geprahlt. Kein Ehrenpreis, kein Stipendium, keine Fördergelder, kaum mal eine Erwähnung und schon gar kein Lob in einem der großen Feuilletons: Oft und ausführlich sprach und schrieb Jörg Fauser über die eigene Prekarität und die Ignoranz, die er im sogenannten Kulturestablishment festzustellen glaubte. Er wusste sich zu wehren. Die Schmach des Übersehenwerdens hat er zu einer Tugend umgemünzt, das Außenseitertum hat er zum einzig wahren Nimbus stilisiert. Ja: Das Nicht-richtig-Dazugehören – und der trotzige Versuch, genau daraus etwas zu machen, im Schreiben wie im Leben –, war (und ist) ein fester Bestandteil des von Jörg Fauser selbst mitkreierten Mythos Jörg Fauser.

»Ich glaube nicht, daß die Figuren, an denen ich interessiert bin, reine Asoziale, Außenseiter sind. Alle haben einen Bezug zur Gesellschaft, und zwar einen ganz starken – mal mehr, mal weniger. Es ist nur eine Gesellschaft, die sie einfach nicht reinläßt. […] Die Form von Bestätigung, die man von der Gesellschaft braucht – das prägt diese Leute. Das sind nicht Leute, die von sich aus sagen: Ich will damit nichts zu tun haben«3, sagt er einmal in einem Interview, und beinahe klingt das so, als spräche er nicht über sein Roman-Personal, sondern über sich selbst.

 

Drei Jahre vor seinem Short-Story-artigen Tod scheint er mit dem Gedanken zu flirten, vom ewigen Geheimtipp mit Underground-Aura vielleicht doch noch zu einem anerkannten Autor zu werden.

Gerade ist er vierzig geworden, endlich verdient er nennenswertes Geld mit seinen Büchern. Seine autobiographisch getönte Junkie-Geschichte Rohstoff ist im Ullstein-Verlag erschienen, solides Hardcover, schicker Schutzumschlag, und sein Kriminalroman Der Schneemann wird in mittelgroßem Stil verfilmt. Zur Überraschung vieler Vertrauter und Fans tritt Fauser im Juni 1984 dann bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur an, beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb im österreichischen Klagenfurt – ausgerechnet bei einem Hochamt der »vermuff‌te[n] wie versumpf‌te[n] Haupt- und Staatskultur«4, über die er seit Jahren lästert.

In der Jury sitzen drei Platzhirsche aus jenem Segment: Peter Härtling, Walter Jens, Marcel Reich-Ranicki. Fauser trägt einen Text vor, in dem es um ein Liebespaar im Zypern-Urlaub geht, um den Geschlechterclinch und enttäuschte Romantikhoffnungen, und erwartungsgemäß wird sein Bei‌trag von den Herren Kritikerpäpsten verrissen. Ein mäßig talentierter Unterhaltungsschriftsteller sei Fauser. Einer, der Kunst nicht könne, über das Triviale nicht hinauskomme und auf den Spielplätzen der ernsthaften Literatur nichts verloren habe.

»Herr Fauser, wollen Sie etwas sagen?«, fragt der Moderator den Autor nach dem Gemetzel vor laufenden Kameras.

»Nein«, sagt Fauser, packt sein Lesemanuskript und geht5.

Sowenig die »Kassenwarte und Rentenbearbeiter unseres bundesrepublikanischen Schrifttums«6 mit seinen Geschichten anfangen können, so sehr interessiert sich die Alternativszene (Fauser) für sein Schreiben. Und so bekommt er einige Monate nach dem Klagenfurter Showdown im Ruhrpottmagazin Marabo die Gelegenheit zu erklären, wie er sich den geeigneten Umgang mit »brauchbarer Literatur«7 vorstellt:

»Ich finde, Literatur gehört in den Supermarkt, zwischen das Getränkeregal und die Kasse. Erst soll man Möhren kaufen, die Tiefkühlkost, die Butter, das Brot, und dann einen langen Blick auf das Getränkeregal werfen […] und wenn das geregelt ist und auch noch die Zigaretten und der Pfeifentabak eingepackt sind, dann müßte der Blick auf einen Stand fallen, auf dem einige gute Titel stehen. Das kann alles sein, auch Schopenhauer, es muß ja nicht alles Konsalik sein, was da steht. Es muß den Zugang erleichtern.«8

 

Was soll das überhaupt: das Schreiben? Worüber denn? Wie muss es klingen? Wie kann es funktionieren? Für wen? Und vor allem: Was ist das eigentlich für eine Figur – der Schriftsteller?

Immer wieder hat Jörg Fauser sich und anderen diese Fragen gestellt, und immer wieder hat er sie selbst beantwortet – in Essays, Kolumnen und Rezensionen, oft auch im direkten Gespräch mit anderen Autoren, in Interviews, Hausbesuchen, Reportagen.

Für seinen Junk- und Eckenlieger-Stoff ist er bekannt, wurde er einst belächelt, wird er bis heute verehrt. Sein eigentliches, vielleicht wichtigstes Thema, der Stoff, an dem er sich so leidenschaftlich aufgerieben und abgearbeitet hat wie an kaum einem anderen, geht dabei oft unter. Klänge es nicht so salbungsvoll, so komplett unfauserig, könnte man sagen: Die Literatur als solche war die Recherche seines Lebens. Von ebenjener Spur handelt der vorliegende Band.

Tagebücher hat Jörg Fauser, soweit bekannt, nicht hinterlassen. Solcher Schmus war nicht sein Ding. Statt sich in die »Labyrinthe der deutschen Innerlichkeit«9 zu begeben, belauschte und erforschte er lieber die »gesegnete Wirklichkeit«10, die ihn umgab, draußen, wo es öfters auch mal stank und nervte.

Dennoch haben die Texte, die hier versammelt sind, einen beinahe tagebuchähnlichen Effekt. Achtunddreißig Fauser-Überlegungen zum Schreiben an sich, dem eigenen und dem Schreiben anderer finden sind zwischen diesen Buchdeckeln. Sie sind chronologisch nach ihrem Erscheinen geordnet – den ersten Text verfasste er noch als Schüler, den letzten wenige Monate vor seinem Tod –, und sie erlauben in etwa das, was Fauser selbst bei so vielen Autoren suchte: einen intimen Blick in den Maschinenraum des Schriftstellers, seinen Kopf.

Ob es sich um Beiträge für große Illustrierte wie Playboy und Stern handelt, für kleinere Magazine wie Sounds und Transatlantik oder für längst vergessene Mikro-Blätter wie UFO und Zoom: Neben seinen Romanen, Erzählungen und Gedichten hat Jörg Fauser ein umfassendes zweites Werk hinterlassen – eine eigene kleine Literaturwissenschaft.

Stets aufs Neue ist er dabei zu der Frage zurückgekehrt, was »realistische zu populärer, populäre zu realistischer Literatur machen kann«11. So formuliert er es in Der Klub, in dem wir alle spielen, einer Buchbesprechung, die er 1982 für das Berliner Stadtmagazin tip schrieb und die dem vorliegenden Band den Namen gibt.

Die Texte, in denen Fauser sich mit der Literatur im Allgemeinen und Besonderen auseinandersetzt, zeigen den hochgebildeten und ziemlich ehrgeizigen Menschen, der hinter all den lässig erzählten Loser-Storys steht; den anspruchsvollen, manchmal missgünstigen, meist aber souverän selbstironischen »altmodischen Romantiker« und »verschrobenen Individualisten«12; den Vielleser, Schwärmer und Fan, das Lästermaul und den Studierenden auf Lebenszeit. Sie beleuchten den ideellen und künstlerischen Werdegang eines Mannes, der sich »seine Neugier nicht zuschütten lassen [will] und sein Mitleid«13 – und der doch ständig und vor allem um die eigene Selbstverortung kreist. Fausers Gedanken zu Plot, Stil, Sound, zu Produktionsbedingungen und zum Betrieb sind auch als »biographische Skizzen« zu begreifen, wie der Schriftsteller, Fauser-Kenner und Fauser-Fan Friedrich Ani es einmal formulierte14.

 

»Als ich jung war, wollte ich Schriftsteller werden. Schriftsteller erklärten das Leben, Schriftsteller gaben ihm einen Sinn, Schriftsteller, Dichter waren meine Helden, Helden in einer bedrohlichen, bedrohten Welt. [S]ie führten ein exemplarisches Leben, waren Vorbilder.«15 So intensiv Fauser sich als Erwachsener mit Rand- und Unterschichtsmilieus beschäftigt, immer wieder mit den Groben und...