dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Träume süß, mein Mädchen - Roman

Joy Fielding

 

Verlag Goldmann, 2009

ISBN 9783641028114 , 416 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

8,99 EUR


 

1
 

 

Jamie Kellogg hatte einen Plan. Der Plan war relativ einfach. Er bestand darin, in die nächste einigermaßen anständig aussehende Bar zu gehen, sich in eine dunkle Ecke zu setzen, wo keiner sehen konnte, dass sie geweint hatte, und ihren Kummer in ein paar Weißweinschorlen zu ertränken. Nicht so viele, dass sie davon betrunken oder auch nur beschwipst wurde, denn sie hatte schließlich noch die lange Rückfahrt nach Stuart vor sich. Sie musste ihre fünf Sinne beisammen halten und durfte auf keinen Fall riskieren, am nächsten Morgen verkatert zu sein. Nicht, wenn Mrs. Starkey ihr im Nacken saß wie ein Albatross.
Sie blickte die beinahe menschenleere Straße hinunter. In dieser Gegend eine einigermaßen vernünftige Kneipe zu finden, war relativ aussichtslos, obwohl die unmittelbare Nähe zu einem Krankenhaus doch die perfekte Lage gewesen wäre. Sie blickte sich noch einmal zu dem flachen Klinikbau um, dem Samariter-Krankenhaus, und verzog bei dem Gedanken an die Szene, die sich gerade auf der dortigen Intensivstation abgespielt hatte, das Gesicht. Erzähl uns nicht, dass dich das überrascht, konnte sie ihre Schwester und ihre Mutter in ihr Ohr flüstern hören, in perfekter Harmonie miteinander wie immer oder wie sie es gewesen waren, als ihre Mutter noch lebte.
»Natürlich war ich überrascht«, murmelte Jamie, ohne die Lippen zu bewegen. »Woher sollte ich es wissen?« Eine plötzliche Böe trug ihre Frage in die warme Abendluft davon. Wenigstens hatte es endlich aufgehört zu regnen. In den vergangenen zwei Tagen waren an der Ostküste Floridas heftige Gewitter niedergegangen, sodass einige Straßen, darunter die, in der sie wohnte, überflutet worden waren. Ja, ich weiß, das ist der Preis dafür, dass ich unbedingt eine Wohnung mit Blick aufs Wasser haben wollte, aber es ist doch nur ein kleines Bächlein. Ich wohne schließlich nicht in einem überteuerten Apartment an der Strandpromenade wie meine jüngere Schwester. Entschlossen stapfte sie auf den kleinen Parkplatz neben dem Krankenhaus, während sie im Kopf mit ihrer Schwester und ihrer kürzlich verstorbenen Mutter weiterstritt. Wer hätte auch gedacht, dass der verdammte Fluss über die Ufer tritt?
Das ist genau dein Problem, begann ihre Mutter.
Du denkst nicht nach, beendete ihre Schwester den Gedanken.
»Und ihr traut mir zu wenig zu«, flüsterte Jamie und setzte sich hinter das Steuer ihres alten blauen Thunderbird, das Einzige, was ihr nach ihrer Scheidung im vergangenen Jahr geblieben war. Sie fuhr vom Parkplatz herunter und hoffte, vor der Auffahrt zur Autobahn noch ein passendes Lokal zu finden.
Ihre Wohnung lag zum Glück im ersten Stock des dreigeschossigen Hauses, sodass ihr der Wasserschaden erspart geblieben war, der die weniger glücklichen Bewohner des Erdgeschosses getroffen hatte. Apropos Wasser, dachte sie, als sie im Rückspiegel ihre angeblich wasserfeste Wimperntusche überprüfte und dankbar feststellte, dass ihre Tränen keine bleibenden Spuren hinterlassen hatten. Stattdessen blickten ihre großen braunen Augen beinahe heiter gelassen zurück. Sonnengebleichte schulterlange Haare rahmten ein hübsches ovales Gesicht, in dem erstaunlicherweise nichts von ihrem inneren Aufruhr zu lesen war. Wessen tolle Idee war es überhaupt gewesen, ihn zu überraschen? Hatte er nicht mehrfach erklärt, dass er Überraschungen hasste?
Einem Impuls folgend bog sie links auf den Dixie Highway und fuhr Richtung Süden. Dann würde sie hinterher zwar einen längeren Rückweg haben, aber die City von West Palm Beach war nur ein paar Straßen entfernt, und die Lokale entlang der Clematis Street waren bestimmt einladender als die Bars am Palm Beach Lakes Boulevard. Und sie konnte, wenn es ihr in einem Laden nicht gefiel, einfach zum nächsten weitergehen, ohne dafür wieder ins Auto steigen zu müssen.
In der Datura Street fuhr ein hellroter Mercedes aus einer Parklücke, und Jamie setzte ihren alten blauen Thunderbird in den frei gewordenen Platz, sorgfältig darauf bedacht, eng am Randstein zu parken. Sie stieg aus, suchte in ihren Taschen nach Kleingeld und warf mehr Münzen als nötig in die Parkuhr. Sie hatte nicht vor, lange zu bleiben.
Als Jamie in die Clematis Street bog, kam ihr ein eng umschlungenes, an den Hüften scheinbar zusammengeschweißtes junges Paar entgegen. Die goldenen Stöckelschuhe des schlanken Mädchens klapperten laut über den Bürgersteig. Kurz vor der Straßenecke blieben sie stehen, um sich zu küssen, bevor sie bei Rot über die Ampel gingen. Auf dem Weg nach Hause, wo sie glücklich lebten bis ans Ende ihrer Tage, dachte Jamie und sah ihnen nach, bis sie in der Dunkelheit verschwunden waren. Statt Glück bis an ihr Lebensende würde sie sich schon mit einer Nacht voller Lügen zufrieden geben.
Für einen Mittwochabend war es im Watering Hole ziemlich voll. Jamie sah auf die Uhr. Sieben Uhr, Abendessenzeit, Anfang Mai. Warum sollte der Laden nicht voll sein? Es war ein beliebtes Lokal in einer schicken Straße, und auch wenn die so genannte Saison streng genommen vorbei war, gab es immer noch genug überwinternde Pensionäre, die zögerten, ihre Sachen zu packen und für den Sommer heim in den Norden zu fahren. Genau das sollte sie am besten machen, dachte sie. Einfach ihre paar Habseligkeiten zusammenpacken, auf die Rückbank ihres Wagens werfen und dann zusehen, dass sie die Stadt möglichst schnell hinter sich ließ. Wieder einmal.
Wer würde sie schon vermissen? Ihre Familie bestimmt nicht. Ihre Mutter war vor acht Wochen gestorben; ihr Vater lebte mit seiner vierten Frau irgendwo in New Jersey. Er hatte – unglaublich, aber wahr – zwei Joans geheiratet, eine Joanne und jetzt eine ehemalige Stewardess namens Joanna, die mit 36 nur sieben Jahre älter war als Jamie. Und ihre Schwester wäre wahrscheinlich sogar froh, wenn sie sie nicht mehr sehen müsste. (»Du bist schlimmer als meine Kinder«, hatte Cynthia gesagt, als Jamie sie zwei Tage zuvor angerufen hatte, um über den Dauerregen zu klagen.) Jamies Job als Schadensreguliererin bei einer Versicherungsfirma war langweilig und ohne jede Perspektive, ihre Chefin war eine unfreundliche Frau, die ständig wegen irgendwas auf hundertachtzig war. Jamie hätte schon vor Monaten gekündigt, wenn sie die Stelle nicht überhaupt nur auf Empfehlung von Cynthias Mann Todd bekommen hätte. Was ist bloß mit dir los? Kannst du nicht mal bei irgendwas bleiben?, konnte sie ihre Schwester tadeln hören, gefolgt von einem: Ich hätte es wissen müssen. Du und deine Flatterhaftigkeit. Des Weiteren gefolgt von: Wann hörst du endlich auf herumzudaddeln und fängst an, Verantwortung zu übernehmen? Um schließlich in Grund und Boden gerammt zu werden mit: Wer schmeißt schon kurz vor dem Examen das Studium, um irgendeinen Idioten zu heiraten, den sie kaum kennt? Und falls sie dann immer noch atmete: Du weißt, dass ich es nur gut mit dir meine. Es wird höchste Zeit, dass du dich der Realität stellst und dein Leben selbst in die Hand nimmst. Wirst du jemals so weit sein?
Jamie zog einen Hocker an der langen Bar vor und machte dem Barkeeper ein Zeichen, dass sie bestellen wollte. Warte nur, bis Cynthia von dem heutigen Fiasko erfährt, dachte sie und entschied sich kühn, anstatt der üblichen Weißweinschorle ein Glas offenen Burgunder zu bestellen. Sie spähte ins Halbdunkel und nahm den großen Raum mit einem Blick in sich auf. Er war lang und rechteckig mit einer Terrasse zur Straße hin. Eine Reihe gepolsterter Bänke säumte die Backsteinwand gegenüber dem Tresen, in der Mitte und im vorderen Teil standen ein Dutzend Tische. Der geflieste Fußboden verstärkte den Lärm der Gäste, überwiegend junge Frauen wie sie selbst.
Wo waren all die Männer, fragte Jamie sich gedankenverloren. An einem der Tische saßen ein paar Mitvierziger, die über ein neues Firmenlogo debattierten und nicht einmal aufgeblickt hatten, als sie sich in ihrer engen, tief sitzenden Jeans und ihrem noch engeren pinkfarbenen Pulli an ihnen vorbeigedrängt hatte. Und dann war da noch ein trübsinnig aussehender Mann mit einem ungepflegten Tom-Selleck-Schnauzer. Mehr Auswahl gab es nicht. Zumindest noch nicht. Jamie sah erneut auf die Uhr, obwohl seit dem letzten Mal kaum ein paar Minuten vergangen waren. Wahrscheinlich war es für Männer noch zu früh zum Ausgehen, vermutete sie. Um sieben Uhr würde sich ein Mann noch verpflichtet fühlen, eine Frau zum Abendessen einzuladen. Später müsste er ihr lediglich ein paar Drinks spendieren.
Der Barkeeper kam mit ihrer Bestellung. »Zum Wohl.«
Jamie nahm das Glas und trank hastig einen Schluck Wein.
»Harten Tag gehabt?«
»Mein Freund liegt im Krankenhaus«, antwortete Jamie und kam sich sofort ziemlich dämlich vor. Sie schüttete dem Barkeeper ihr Herz aus, Himmel noch mal. Aber wenn sie ihre traurige Leidensgeschichte dem Barkeeper erzählte, käme sie vielleicht nicht in Versuchung, sie ihrer Schwester zu erzählen. Und vielleicht würde der Barkeeper, der groß und niedlich war mit einer interessanten Narbe unter dem rechten Auge, sie später bitten zu warten, bis seine Schicht zu Ende war, und sie würden sich zusammen an den Brunnen am Ende der Straße setzen, und er würde sich als sensibel, witzig, intelligent und alles Mögliche erweisen … »Verzeihung. Haben Sie etwas gesagt?«
»Ich habe Sie gefragt, ob Ihr Freund krank ist.«
»Nein, er hatte auf der Arbeit einen Unfall und musste operiert werden.«
»Wirklich? Was für einen Unfall denn?«
»Er ist auf dem Weg zum Klo über einen Teppich gestolpert und hat sich den Knöchel gebrochen.« Sie...