dummies
 

Suchen und Finden

Titel

Autor/Verlag

Inhaltsverzeichnis

Nur ebooks mit Firmenlizenz anzeigen:

 

Die Adler von Lübeck - Historischer Roman

Norbert Klugmann

 

Verlag Gmeiner-Verlag, 2009

ISBN 9783839233764 , 384 Seiten

Format PDF, ePUB, OL

Kopierschutz Wasserzeichen

Geräte

9,99 EUR

  • Der Inquisitor - Historischer Roman
    Das Geheimnis des Goldmachers - Historischer Roman
    Stolpersteine in der Mitarbeiterführung - So werden Sie vom Erfolgsbremser zum Erfolgssteigerer
    Die Lichtermagd - Historischer Roman
    Der Kodex des Bösen - Historischer Roman
    Geschichte der Wirtschaft
    Notfallmanagement - Human Factors in der Akutmedizin

     

     

 

 

3

Es war doch noch ein Tag mit Stapellaufwetter geworden. Die Wimpel knatterten im kräftigen Wind, der vom Meer kam. Und als Diederich, die treue Seele, mit einem dieser mächtigen Hiebe, mit denen er in jungen Jahren Walfische erlegt hatte, den letzten Keil wegschlug, fand der Neubau gemächlich seinen Weg über die schiefe Ebene ins Wasser der Trave. Es gab ordentlich Wellengang, von dem sich die Möwen hoch hinauf und tief hinuntertragen ließen, wobei sie die Menschenansammlung am Ufer nicht aus dem Auge ließen, denn früher oder später würden Reste ins Wasser fliegen, dann würden die grauweißen Schreihälse zur Stelle sein.

Der kleine Holk war der letzte einer Reihe von drei Schiffen, die hinauf ins Dänische gehen würden. Der Stapellauf war kein Ereignis, über das man noch in einem Jahr erzählen würde. Aber auch kleine Aufträge machten die Werftbetreiber fett. Der Holk würde im Spanien- und Portugalhandel fahren: Lebensmittel für die Südländer, Salz, Öl und Südfrüchte für die Fischmäuler. Kein Grund für eine ausufernde Feier. So fanden sich an der Tafel im Schatten des Lagerhauses nicht mehr als 20 Gäste ein und ließen es sich gut gehen. Anna Rosländer, Witwe des umstrittenen Reeders und Werftbesitzers, saß auf dem Ehrenplatz an der Stirnseite.

»Sie sieht wieder besser aus«, murmelte Schnabel, seines Zeichens Reeder und Werftbesitzer.

»Wurde ja auch Zeit«, murmelte Ratsherr Gleiwitz, dessen Vorliebe für unbezahlte Rechnungen und Gurken im Fass nur von seiner Abneigung gegen nachvollziehbare Buchführung übertroffen wurde. »Du kannst ja nicht zwei Jahre um deinen Mann trauern – zumal wenn er dir jahrelang Hörner aufgesetzt hat.«

Theodor Horn war nicht zum Lästern aufgelegt. Der hiesige Reeder hatte neben seiner Gattin einen Gast an der Seite, einen Mann in weinrotem Anzug. Er war rundlich, besaß flinke Augen und eine Stirnglatze, dennoch wirkte er keineswegs harmlos, er strahlte eine Zielstrebigkeit aus, der man sich besser nicht in den Weg stellte.

Anna Rosländer kannte den Rundlichen, ließ das aber nicht erkennen. Zweimal wurde ein Platz frei, zweimal rückten die Eheleute Horn und der Gast einen Platz auf die Stirnseite zu, bis der Reeder Annas direkter Nachbar war. Er verlor keine Zeit, als er eine Hand auf ihre Hand legte und mit tiefer Stimme sagte: »An einem Tag wie diesem denken wir alle an den guten Gatten. Ich hoffe, ich reiße keine Wunden auf.«

Anna hielt seinem Blick stand und erwiderte: »Ohne Rosländer säßen wir alle nicht hier.«

»Ich glaube, wenn Theodor stirbt, sterbe ich auch«, quakte Theodors bessere Hälfte dazwischen. Ihr Talent, im richtigen Moment das falsche Wort zu finden, wurde nur von ihrer Angewohnheit übertroffen, in geselligen Runden zu vorgerückter Stunde heikle Anekdoten von bekannten Lübecker Persönlichkeiten zu erzählen, für die sie die Namen um eine Kleinigkeit veränderte, um sodann mit dem guten Gefühl in die Vollen zu gehen, dass die Würde der Bloßgestellten hinreichend gewahrt worden sei. Aus Mannhardt wurde Frauhardt, Düppel führte den Namen Knüppel und Knechtersand hieß Rechterhand.

»Ich sterbe noch nicht«, stellte Horn klar und stellte endlich seinen Gast vor. Stanjek, Andreas Stanjek aus Riga, seines Zeichens Kaufmann mit besten Beziehungen zum russischen Zaren und einer Unmenge lokaler Machthaber, die in Lübeck niemand auch nur dem Namen nach kannte.

Anna lächelte nicht, aber der Blick, den sie Stanjek zuwarf, war offen. Sie dachte: Jetzt geht es los.

Bevor es losging, steckte ihre Nase in einem Blumenstrauß. Erst verdutzt, danach niesend, starrte sie in lachende Gesichter, von denen eins direkt vor ihr stand, das andere zwei Schritte dahinter. Anna Rosländer umarmte ihre Freundin Hedwig Wittmer, die Ehefrau des Brauereibesitzers. Danach begrüßte sie Hedwigs Begleiterin.

»Ich freue mich sehr«, sagte Anna Rosländer. »Es ist nicht so, dass ich von unfreundlichen Gesichtern umgeben wäre. Aber wenn Ihr dabei seid, habe ich das Gefühl, es gehört sich so.«

»Ich musste sie am Strick hinter mir herziehen«, rief Hedwig, die gerade dabei war, die Handkuss-Technik der Lübecker Männer über sich ergehen zu lassen.

Trine Deichmann sagte: »Wenn ich nicht in der Nähe gewesen wäre …« Sie spürte, wie missverständlich sie sich äußerte, und fügte schnell hinzu: »Ihr wisst, wie es mir geht.«

Das wusste Anna Rosländer in der Tat: »Ihr glaubt, Ihr gehört nicht dazu, wenn sich die Pfeffersäcke den Wanst vollschlagen

Im selben Moment wisperte Gleiwitz: »Keine Feier ohne Hexe.«

»Hexen waren es früher«, entgegnete Schnabel, »jetzt heißen die Damen Hebammen und tun so, als könnten sie nicht mehr fliegen.«

Mit beiden Armen simulierte er das Schlagen von Flügeln. Gleiwitz tat so, als habe er seit Langem keinen so guten Witz gehört. Es fiel ihm leichter, wenn es ihm gelang, die Erinnerung an seine Johanna auszublenden. 16 Stunden hatte Trine Deichmann um Johannas Leben gekämpft, 16 Stunden, in denen Gleiwitz um zehn Jahre gealtert war. So viel Blut, so viel Angst, so viel Ungewissheit. Und über allem Gejammer und Geschrei die energische Hebamme, die neben der Gleiwitz-Küche zwei weitere Räume mit Beschlag belegt hatte und am Ende elf Frauen in Trab gehalten hatte, dazu ein Kräuterweib, und als alles nichts mehr half, einen Barbier und zwei Ärzte aus dem Krankenhaus. Während die Mediziner mit Johanna unaussprechliche Dinge anstellten, hatte die Hebamme Gelegenheit gefunden, vor Gleiwitz zu treten, ihn in die Arme zu nehmen und sie hatte zu ihm gesagt: »Wenn Ihr keinen Mut habt, wird Eure Frau keinen Mut haben. Ihr beide müsst jetzt zusammenhalten. Wenn Ihr ein Paar seid, seid Ihr so stark wie wir anderen zusammen. Reißt Euch zusammen, Gleiwitz, ich will sehen, dass Ihr brennt und stark seid.«

Er war stark gewesen, bis Johanna ihren letzten Atemzug getan hatte. Er hatte die Ärzte und den Barbier befragt, in den folgenden Tagen hatte er sie besucht und erneut befragt. Er wollte einfach nicht aufhören mit dem Fragen, aber soviel er auch fragte, keiner von ihnen hatte einen Fehler der Hebamme gefunden. Stattdessen hatte einer gesagt: »Ohne die Deichmann wäre Eure Frau nach zwei Stunden tot gewesen. Hätte Euch das besser gefallen?«

Bis heute war Gleiwitz über die fürchterlichen Tage nicht hinweggekommen. Er wusste, dass die Hebamme keinen Fehler begangen hatte, aber er wusste auch, dass Johanna ohne sie nicht so lange gelitten hätte. Dafür hasste er Trine Deichmann und wartete auf die Gelegenheit, ihr die Quälerei heimzuzahlen. Der Ratsherr Gleiwitz war ein armer Mann, jedes Mal, wenn er seine kleine Tochter ansah, dachte er an Trine Deichmann. Mehr als einmal hatte er gedacht: Wenn sie Ähnlichkeit mit der Hexe bekommt, bringe ich sie um.

»Das ist unsere städtische Hexe«, flüsterte Reeder Horn seinem Gast zu.

»Ihr holt euch solche Frauen in den städtischen Dienst?«, fragte Stanjek staunend. »Bei uns leben sie in den Wäldern und müssen aufpassen, dass sie keinem über den Weg laufen, der Lust verspürt, sie ins Feuer zu werfen.«

»Das ist bei uns im Grunde nicht anders«, entgegnete Horn großspurig, während er zusah, wie die Witwe mit den gerade angekommenen Frauenzimmern palaverte. »Bei uns fällt es nur sofort auf, wenn einer ein Feuerchen anzündet. Deshalb haben wir sie angestellt, das ist der beste Weg, sie unter Kontrolle zu halten.«

Trine Deichmann war die oberste der Hebammen, die von der Stadt Geld bekamen, um arme und reiche Frauen zu betreuen, während der Schwangerschaft, bei der Geburt und 14 Tage nach der Geburt. Die Deichmann besaß »guten Ruf« und »gute Hände«. Nicht alle Hebammen waren im gleichen Maße talentiert, aber die Deichmann war über alle Maßen gewieft und gab ihr Wissen seit vielen Jahren an die Lehrtöchter weiter.

Als Lübecker Mann musste man aufpassen, wer alles in der Nähe war, wenn man anfing, Witzchen über Hebammen zu machen. Mehr als einem Freund und Kollegen von Gleiwitz war der Himmel auf den Kopf gefallen, nachdem seiner besseren Hälfte hinterbracht worden war, zu welch gemeinen Äußerungen sich ihr Gatte in geselliger Männerrunde hatte hinreißen lassen. Gleiwitz wusste von einem Fall, in dem es zur Scheidung gekommen war. Das hatte nicht allein an der Hebamme gelegen, aber ohne die Hebamme wären sie heute noch ein Paar gewesen, das war amtlich.

Die fest angestellten Hebammen unterstanden der Aufsicht und Kontrolle des Rates, der diese Pflicht an ein Gremium übertragen hatte, weil sich kein Mann darum riss, mit Einzelheiten dieses Gewerbes befasst zu werden. Von den Hebammen, die der Deichmann unterstanden, hatte eine in der letzten Zeit unrühmlich von sich reden gemacht. Man war ihr auf die Schliche gekommen, dass sie Abtreibungen durchgeführt hatte. Und wenn darin auch solide Mitbürger verwickelt gewesen waren, so konnte diese Hexe nicht gehalten werden, nicht einmal von der Deichmann. Die wusste, wann sie ein Opfer bringen musste, um nicht ihr gesamtes fliegendes Geschwader zu gefährden.

Gleiwitz konnte der Deichmann seinen Respekt nicht versagen. Wäre sie ein Mann gewesen, wäre er gern mit ihr befreundet gewesen. Aber mit der Deichmann war nicht gut Kirschen essen. Sie besaß einen offenen Blick, hatte nichts Geducktes und...