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Französisches Roulette - Der dreizehnte Fall für Bruno, Chef de police

Französisches Roulette - Der dreizehnte Fall für Bruno, Chef de police

Martin Walker

 

Verlag Diogenes, 2021

ISBN 9783257611762 , 400 Seiten

2. Auflage

Format ePUB

Kopierschutz Wasserzeichen

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10,99 EUR


 

Zwei Tage nach der Beisetzung seines Vaters kam Gaston Driant in das Bürgermeisteramt von Saint-Denis, um mit Bruno Courrèges zu sprechen, dem ersten und einzigen Polizisten der Stadt. Gaston, ein langjähriger Bekannter aus dem Tennisclub, wirkte verstört, was sich Bruno damit erklärte, dass er noch unter Schock stand. Der alte verwitwete Driant hatte einen plötzlichen Herztod erlitten und war erst Tage später in seinem entlegenen Haus aufgefunden worden, von Patrice, dem Brief‌träger, der alten Kunden ab und zu einen Besuch abstattete, um nach dem Rechten zu sehen. Driant hatte ihn immer gern zu einem Gläschen von seiner selbst gemachten gnôle eingeladen, einem berühmt-berüchtigten Schnaps, vor dem Bruno großen Respekt hatte. Nach vergeblichem Anklopfen hatte sich Patrice Einlass durch die Küchentür verschafft. Zwei Katzen sprangen an ihm vorbei in den Garten, worauf ihm ein Gestank entgegenschlug, der ihn zurückfahren ließ. Als er dann sah, was die hungrigen Katzen in ihrer Verzweif‌lung mit dem toten Bauern angestellt hatten, drehte sich ihm der Magen um. Es dauerte eine Weile, bis er sich erholt hatte und Dr. Gelletreau alarmierte, von dem er wusste, dass er Driants Hausarzt war. Unter freiem Himmel und in frischer Luft wartete er auf dessen Ankunft.

Kaum eine Stunde später war Gelletreau vorgefahren, begleitet von einem Krankenwagen. Nachdem er den Toten untersucht hatte, gab er dessem Sohn ein Rezept für Schlaftabletten und schrieb ihn für drei Tage krank. An der vom Arzt bescheinigten Todesursache – Herzversagen – konnte kein Zweifel bestehen. Wie Gelletreau Bruno später mitteilte, hatte er Driant erst vor einem Monat dringend empfohlen, sich einen Herzschrittmacher einsetzen zu lassen, und einen entsprechenden Eingriff im Krankenhaus in die Wege geleitet.

Als Gaston nun vor Bruno stand, überraschte er ihn mit der entschiedenen Weigerung, sich auf einen Kaffee im Café Cauet einladen zu lassen. »Ich komme in einer dienstlichen Angelegenheit, Bruno; wir sollten also besser hier in deinem Büro bleiben. Eben erst war ich bei dem neuen notaire in Périgueux. Er hatte meiner Schwester und mir einen Brief geschrieben und diesen beim Bestatter für uns hinterlegt. Claudette, meine Schwester, ist extra von Paris angereist. Wir dachten, er wollte uns den Letzten Willen unseres Vaters vorlesen. Aber was er uns dann tatsächlich mitgeteilt hat, hat uns vom Stuhl gehauen. Wie dem auch sei, auf dem Weg zurück hierher haben wir, meine Schwester und ich, beschlossen, dass ich dich als alten Freund aufsuche und deinen Rat einhole. Ich meine, du kennst dich mit den Gesetzen aus, wir haben keine Ahnung.«

Es sei vom Eigentum seines Vaters nichts übriggeblieben, erklärte Gaston. Hinter dem Rücken seiner Kinder hatte Driant Haus und Hof verkauft und alles Geld in eine Versicherung gesteckt, von der er sich erhoffte, für den Rest seiner Tage in einem teuren Seniorenheim unterkommen zu können. Nach Auskunft des notaire wollte er im September dorthin umziehen, einen letzten Sommer aber noch auf der von seinem Vater geerbten ferme verbringen.

»Claudette und ich sind fassungslos, dass Papa uns von alldem nichts gesagt hat«, fuhr Gaston fort. »Völlig unverständlich ist für uns auch, dass er diesen Schickimicki-Notar in Périgueux aufgesucht hat, wo wir, die Familie, doch mit Brosseil immer zufrieden waren. Ich wollte zu ihm, gleich nach der Totenwache im Bestattungsinstitut, doch da wurde mir dann dieser Brief von dem notaire aus Périgueux vorgelegt.«

Bruno nickte verständnisvoll. Brosseil führte schon in dritter Generation das Notariat in Saint-Denis. Er kannte alle Bewohner der näheren Umgebung, die samt und sonders ihre letzten Verfügungen, Eigentumsübertragungen und sonstigen amtlichen Angelegenheiten von ihm beglaubigen ließen. Brosseil war ein verschrobener Typ, sehr etepetete, sowohl was seine Aufmachung als auch seine Manieren anging, und von einer Eitelkeit, die ans Lächerliche grenzte. Aber gerade deshalb fand man ihn liebenswert. Die ganze Stadt machte sich auf wohlmeinende Weise über ihn lustig. Bruno wusste aber auch, dass er seine Aufgaben äußerst gewissenhaft erledigte und so ehrlich war wie der Tag lang.

»Außerdem hätte dieses Seniorenheim überhaupt nicht zu Papa gepasst«, führte Gaston weiter aus. »Meine Schwester hat es gegoogelt. Es handelt sich um ein altes Château, das in ein Hotel umgebaut wurde, um jetzt als extravagante Altersresidenz genutzt zu werden. Die Kosten für einen Heimplatz liegen bei viertausend Euro im Monat und darüber. Ich verdiene nicht halb so viel. Und obwohl Papa tot ist, kassiert dieses Haus das ganze Geld aus der Versicherung. Das kann doch nicht mit rechten Dingen zugehen, oder? Was rätst du uns, Bruno?«

Bruno notierte sich die Namen und Anschriften des Notars, der Versicherungsgesellschaft sowie des Seniorenheims und kopierte den Brief des Notars an Gaston.

»Ich werfe da mal einen Blick drauf«, sagte er. »Wie alt war dein Vater?«

»Im November wäre er vierundsiebzig geworden. Bis auf das, was Gelletreau über sein Herz sagt, war er kerngesund, als ich ihn das letzte Mal gesehen habe. Das war im März, als ich ihm geholfen habe, die Lämmer zur Welt zu bringen. Apropos, was wird jetzt aus den Schafen, den Enten und Hühnern?«

Mit der Auf‌lösung des hiesigen Sägewerks war Gaston arbeitslos geworden und hatte danach einen Job als Krankenwagenfahrer in Bordeaux angenommen. Bruno hatte ihm ein polizeiliches Führungszeugnis ausgestellt und eine Empfehlung formuliert, in der aufgeführt war, dass Gaston mehrere Jahre bei der Freiwilligen Feuerwehr mitgewirkt und erste Erfahrungen als Notretter erworben hatte. Gaston musste für zwei Töchter sorgen, die noch zur Schule gingen. Nicht zuletzt für sie hatte er nach dem Tod seines Vaters mit einer anständigen Erbschaft gerechnet.

»Hat er dir oder Claudette gegenüber nie etwas von seinen Plänen gesagt?«, fragte Bruno.

Gaston schüttelte den Kopf. »Als wir das letzte Mal zusammen am Tisch saßen und gegessen haben, sprach er davon, dass er so lange wie möglich auf dem Hof bleiben und erst dann ins Altersheim von Saint-Denis gehen wollte, wenn es unumgänglich wäre. Da würde er immerhin unter Freunden und Bekannten sein. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist.«

»Überlass die Sache mir«, sagte Bruno. »Ich werde mich erkundigen und gebe dir Bescheid, wenn ich etwas herausgefunden habe. Aber so viel kann ich dir schon vorweg sagen: Wenn alte Leute ihren Letzten Willen ändern wollen, müssen ein Arzt und ein Anwalt attestieren, dass sie im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sind und aus freien Stücken handeln. Wenn eine solche Bescheinigung in eurem Fall nicht vorliegt, könntet ihr Einspruch erheben. Nur, darüber müsst ihr euch im Klaren sein: Gegen einen notaire und eine Versicherungsgesellschaft zu klagen wird einen langwierigen Prozess nach sich ziehen und am Ende womöglich sehr teuer werden.«

»Merde«, knurrte Gaston. »Immer dasselbe. Die Reichen bekommen recht, und unsereins guckt in die Röhre.«

»Wenn es kein Testat gibt, habt ihr das Recht auf eurer Seite. Und du weißt, der Bürgermeister und ich werden euch unterstützen. Mein herzliches Beileid noch mal. Ich habe deinen Papa gemocht. Er saß bei fast allen Rugbyspielen auf der Tribüne und hat an den dîners des Jagdclubs teilgenommen. Und diese gnôle war zwar schwarz gebrannt, aber das beste eau de vie weit und breit. Ich hoffe, du hast noch ein paar Flaschen davon.«

»Eine oder zwei. Den Großteil seines Raketentreibstoffs hat er selbst getrunken, was man ihm nicht verdenken kann«, sagte Gaston und stand auf, um Bruno die Hand zu schütteln.

Brunos erster Weg führte ihn ins Büro des Katasteramts am Ende des Flurs. Dort suchte er die Karte heraus, auf der jede Liegenschaft, deren Eigentümer sowie Details zu den Grundsteuern verzeichnet waren. Für Driants Hof war noch kein neuer Besitzer registriert. Die dazugehörigen Ländereien beliefen sich auf zweiundsechzig Hektar, zum größten Teil Wald, und dazu ein paar karge Weiden oben auf dem Plateau – zum Weinanbau ungeeignet und für eine Schafherde zu klein. Es überraschte Bruno zu erfahren, dass Driant einen Bauantrag für vier neue Häuser auf seinem Land gestellt hatte, gedacht als Unterkünfte für Saisonarbeiter, wie es in dem Antrag hieß. Eine solche Zweckbestimmung wurde häufig vorgetäuscht, wenn in Wirklichkeit der Verkauf von Ferienhäusern beabsichtigt war.

Von Monsieur Sarrail, dem notaire aus Périgueux, hatte Bruno noch nie gehört. Dem Briefkopf aber war zu entnehmen, dass seine Kanzlei an der vornehmen Rue du Président Wilson mitten in der Innenstadt lag. Im selben Gebäude hatte, wie Bruno herausfand, der Agent der Versicherungsgesellschaft sein Büro. Interessant, dachte er. Er besuchte die Website der Seniorenresidenz und staunte, als er ein schönes Château in der Nähe von Sarlat zu Gesicht bekam, eines, das er kannte. Vor fünf oder sechs Jahren hatte ihn der Baron dorthin zum Abendessen eingeladen. Es war gerade zu einem Viersternehotel umgebaut worden und hatte ein Restaurant, das sich um einen Michelin-Stern bemühte. Nach Brunos Geschmack war das Menü eine Spur zu sehr nouvelle cuisine gewesen, die Portionen zu klein und überdekoriert, um kunstvoll und einfallsreich zu wirken. Auf Bruno und den Baron hatten sie einen eher prätentiösen Eindruck gemacht. Es blieb ihr einziger Besuch dort.

Auf der Website der Seniorenresidenz war von medizinischer Vollversorgung die Rede, von einer Betreuung durch ausgebildete Krankenschwestern, Physiotherapeuten und Masseuren sowie...