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Die neue Engelreligion - Lichtgestalten - dunkle Mächte

Thomas Ruster

 

Verlag Butzon & Bercker GmbH, 2012

ISBN 9783766641281 , 264 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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9,99 EUR


 

I. Die neue Engelreligion


1. Eine Religion für unsere Zeit

Die alten Religionen, das Christentum voran, ringen um ihren Fortbestand. Ihre Zeit scheint abgelaufen zu sein. Mit ihrer schwierigen Dogmatik, ihrer aus den Jahrhunderten belasteten Geschichte und ihren aus früheren Gesellschaftsphasen stammenden Formen sind sie das Erbe einer Vergangenheit, das es schwer hat, sich in unserer Zeit zu behaupten. Aber keine Zeit kann ohne Religion sein. Und schon hat sich eine neue Religion herausgebildet, weltweit und in den Herzen unzähliger Menschen fest verankert: die Religion der Engel. Die schier unglaubliche Konjunktur der Engelliteratur ist ein Index für ihre Verbreitung.1 Was ist das für eine Religion? Was sind ihre Überzeugungen, in welcher Weise nimmt sie Transzendenz wahr, welche Heilsversprechen und Verheißungen macht sie? Wie stellt sie Erlösung von der Macht des Bösen und des Todes in Aussicht? Ein Durchblick durch einige Veröffentlichungen der Engelliteratur, wie man sie heute in allen Buchläden überreich findet, soll helfen, diese Fragen zu beantworten.2 Es wird sich zeigen: Die Engelreligion entspricht in idealer Weise den Anforderungen an eine moderne, zeitgemäße Religion. Sie gibt den Menschen schlicht und einfach das, was sie als Religion brauchen. Sie ist den Bedingungen angepasst, unter denen Menschen heute religiös sein können und wollen. Doch schauen wir genauer hin.

Das erste Merkmal der Engelreligion ist: Sie braucht keinen Glauben an Gott, sie kann sich allein auf Erfahrung und Wahrnehmung verlassen. „Ich glaube nicht an Gott, nicht an Adam und Eva, nicht an das, was in der Bibel geschrieben steht. Ich glaube an höhere Mächte“, erklärt Giulia Siegel, die grünäugig-blonde Tochter des Schlagerproduzenten Ralph Siegel, die selbst ein wenig wie ein Engel aussieht. „Für mich waren die Engel schlicht immer schon etwas ganz Normales.“ Ihre Ansichten will sie niemandem aufdrängen, will niemanden „vergewaltigen“. Sie weiß: Engel kann man nicht beweisen, man braucht es auch nicht. Es genügt ihr, „einfach zu versuchen, meine Begegnungen mit den Engeln mit meinen Augen zu beschreiben“. Und an die Leser ihres Buches ergeht die Aufforderung: „Frag also nicht, sondern bitte – und du wirst sehen, dass du gehört wirst.“3

Solche Bekundungen finden sich in vielen Engelbüchern. Die Autorinnen und Autoren – ganz überwiegend sind es Autorinnen – berufen sich einfach auf ihre Erfahrung und bieten an, dass andere daran Anteil haben können. Kein Verweis auf ein schwieriges altes Buch wie die Bibel, auf Offenbarung, Glaubenslehre und Dogmen, dafür ausführliche Schilderungen des eigenen Lebens, der eigenen Begegnungen mit den höheren Mächten. Wie erfrischend ist es, das zu lesen, wenn man etwa einen Katechismus zum Vergleich heranzieht. Und es wird deutlich, dass Giulia Siegels Aussage, sie glaube an höhere Mächte, nicht ganz ernst gemeint ist, jedenfalls nicht im dem Sinne, wie in der Kirche bisher vom Glauben gesprochen wurde. Nicht auf den persönlichen Glauben an einen unsichtbaren, der Erfahrung entzogenen Gott kommt es an, sondern auf die Wahrnehmung. Und es wären ja keine höheren Mächte, wenn sie nicht erfahrbar wären. So weiß Giulia eben, dass Engel da sind.4 Und diese Wahrnehmung ist für alle möglich.

Damit kommen wir zu einem zweiten Merkmal der Engelreligion. Sowenig wie sie Schrift und Dogmen braucht, sowenig braucht sie Priester, amtliche Hierarchie oder sonst eine Vermittlung zu höheren Mächten. Jana Haas, das aus Kasachstan stammende „neue Engel-Medium“, hat in ihren Kursen erfahren, „dass es jedem Menschen möglich ist, sich spirituell zu öffnen, dass jeder Mensch geistige Ebenen und höhere Betrachtungsweisen erlangen und verwirklichen kann“.5 Doreen Virtue, neben Diana Cooper eine führende Gestalt der Engelreligion in den USA, berichtet, wie sie nach einem ihrer Vorträge von einem blonden jungen Mann gefragt wird: „,Was Sie heute gesagt haben – dass jeder mit Gott und den Engeln6 reden kann –, meinen Sie das wirklich? Jeder?‘ Und in seinem Gesicht stand die unterschwellige Frage: ,Meinen Sie, das auch ich mit Gott sprechen kann?‘“ Doreens Antwort ist eindeutig: „,Ich konnte feststellen, dass jeder, unabhängig von seiner spirituellen oder religiösen Sozialisierung oder seinem Bildungshintergrund, klare Mitteilungen des Göttlichen, Mitteilungen aus spirituellen Sphären empfängt, […] direkt, ohne dass ein Priester, ein Hellseher oder [sonst] jemand für mich übersetzt‘“.7 Der junge Mann ist begeistert. Direkte Kommunikation mit dem Göttlichen, für jeden möglich! – es braucht nur ein wenig Übung bzw. die Bereitschaft, den Körper „durchlässiger, transparenter für das Licht zu machen“.8 Der größte Teil der Engelliteratur besteht demgemäß auch in Anleitungen und praktischen Übungen zum Erwerb der Fähigkeiten zur Engelskommunikation. Es können Visionen, Bilder, mentale Vorstellungen sein oder auch Geräusche, Stimmen, Worte oder Ahnungen, Gefühle oder Gedanken, Ideen, plötzliche innere Gewissheiten, in denen sich die Engel anmelden.9 Kontakt mit den Engeln ist auf vielen Kanälen möglich. Um den Kontakt herzustellen, braucht es Entspannung, Achtsamkeit, Sensibilität, wie sie uns im hektischen Alltag normalerweise nicht gegeben sind. Eben deshalb braucht es noch die Übungen in den Engelbüchern, verfasst von denen, die zu einer höheren geistigen Ebene bereits durchgedrungen sind. Die Grundregel lautet: „Öffne einfach dein Herz!“10 Es handelt sich also nicht um geheime esoterische Wissenschaft, nicht darum, den Weg einer Meisterin, eines Meisters zu erlernen und nachzugehen. Vielmehr, und auch das ist ein wichtiges Merkmal dieser Religion, ist der Weg zu den höheren Mächten immer ein ganz individueller. Es ist wesentlich, sagt Jana Haas, „dass jeder Mensch auf seine ganz individuelle Art und Weise so genannte unsichtbare Wesen, Engel und Lichthelfer wahrnimmt.“11 Die Engelreligion ist allgemein und für alle offen, zugleich auch individuell und zutiefst persönlich; sie ist undogmatisch und demokratisch; sie ist wirklich eine Religion für unsere Zeit.

In der Engelreligion kommt es nicht auf Bekenntnis und Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft an, „da Gott Botschaften und Engel überallhin schickt“.12 In Doreen Virtues Workshops finden sich denn auch Teilnehmer aus dem „Protestantismus, Katholizismus, sind vom New-Age-Denken geprägt, Mormonen, Juden, Buddhisten, Muslime, Agnostiker und was es nicht noch an Möglichkeiten gibt“.13 Viele Workshop-Besucher haben eine problematische religiöse Sozialisation hinter sich. Sie haben oft einen Widerwillen gegenüber allem, was an Religion erinnert, wollen nicht einmal, dass die Bibel, Gott, der Heilige Geist oder Jesus erwähnt werden. Sie sind bei Doreen Virtue willkommen, und ihnen zuliebe spricht sie dann statt von Gott lieber vom „Universum“, vom „Spirit“ oder einfach von der „Liebe“, nicht ohne zuvor dafür von der göttlichen Führung „grünes Licht“ erhalten zu haben.14 Die Engelreligion ist bereits die universale Religion. Sie hat alle konfessionellen Grenzen und religiösen Abgrenzungen überwunden, für die die Menschen heute ohnehin kaum mehr Verständnis haben, ja unter denen sie leiden. Die Beziehung zum Göttlichen kann nicht mit religiöser Rechthaberei einhergehen. Gerade die Menschen, die unter religiöser Einengung und unter einem drückenden, kleinmachenden Glauben gelitten haben, sind die ersten Anhänger dieser neuen Religion.

Statt konfessioneller Enge gibt es das Gefühl der Verbundenheit von allem und mit allem. Kurt Tepperwein, ehemaliger Unternehmer, dann zur Engelreligion bekehrt und nunmehr als „Lebenslehrer“ tätig, erklärt es ein wenig akademisch: „Ich erfahre die Ebene der Engelwesen in der Einheit des allumfassenden einen Seins als einen mehrdimensionalen Aspekt des schöpferischen Ausdrucks des Universums.“15 Die Engel sind es, die die Botschaft des Universums von außen in den Menschen eintreten lassen, dort auf Bekanntes treffen und Verwandtes berühren, so dass der Mensch sich in Einheit mit dem Ganzen fühlen kann: „Aus dem Ursprung der allumfassenden Quelle sind wir ein Teil des Ganzen und die Energie eines Engels ist ein Wesensanteil deines großartigen Seins.“16 Hinter allen Zerteilungen und Ausgrenzungen, die so sehr das moderne Leben prägen, gibt es also eine große, unzerstörbare Einheit, jeder Mensch ist in dieser Einheit geborgen, und Engel weisen den Weg zu ihr. Das ist eine große Verheißung der Engelreligion. In gründlicher, vorbildlicher Weise hat Jana Haas diese mehrdimensionale Einheit des Seins auseinandergelegt. Angelehnt an die frühere christliche Rede von den Engelordnungen und -hierarchien zeigt sie auf, welche angelischen Kräfte auf den Menschen einwirken und wie sie zu seinem Heilwerden beitragen.17 Der Schutzengel verschafft „Klarheit über dich und deinen Weg“, er hilft auch, sich von „Täuschungen, Selbsttäuschungen und Verhaftungen“ zu lösen. Daneben existiert eine besondere Dimension der Heilkraft, die aus dem „Himmel der Heilung“ kommt. Der Engel der Heilkraft wirkt aber nicht wie ein Medikament, er arbeitet vielmehr mit dem, „was wirklich in dir lebendig ist“, durchaus auch entgegen dem, was der Kopf gerade denkt. Ferner kennt Jana Haas sieben Erzengel, die jeweils für einen Wochentag, ein bestimmtes Organ und einen bestimmten Chakraraum (= Medium für den Kontakt mit der geistigen Welt) zuständig sind. So ist der Erzengel Michael für den Sonntag und damit für die Ruhe und Muße zuständig, die nötig sind, um die Vergangenheit zur Ruhe kommen zu lassen und Furchtlosigkeit zu gewinnen. Er wirkt zugleich auf das Wurzelchakra (eines der sieben Energiezentren im Körper) ein, von wo aus der Lebensmut...