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Ruhe sanft - Kulturgeschichte des Friedhofs

Reiner Sörries

 

Verlag Butzon & Bercker GmbH, 2012

ISBN 9783766641182 , 336 Seiten

Format ePUB

Kopierschutz frei

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11,99 EUR


 

I. Von der Antike zum Mittelalter


Die „Erfindung“ des Friedhofs im Frühen Christentum


Es wäre übertrieben zu sagen, die Friedhöfe seien eine Erfindung des Christentums, denn bestattet wurde schon immer, und dementsprechend gab es auch immer Gräber. Es ist allerdings nicht verkehrt, die Bestattungsplätze der Antike als Nekropolen (Totenstädte) zu bezeichnen und die christlichen Begräbnisstätten im Unterschied zu ihnen Friedhöfe zu nennen, denn es gibt signifikante Unterschiede. So waren in den antiken Gesellschaften Begräbnis und Grabvorsorge eine Angelegenheit der Familie, und dementsprechend gab es nur private Grabstätten und keine öffentlichen Friedhöfe. Zwar fanden sich auch die privaten Gräber oft vergemeinschaftet in eben jenen Totenstädten, die wir Nekropolen nennen, aber es blieben Stätten des privaten Totenkultes. Diejenigen Menschen, die keiner Familie angehörten und selbst das Vermögen nicht aufbrachten, eine eigene Grabstätte zu erwerben, mussten mit dem Gedanken leben, dereinst keine Grabstätte zu finden. Und dies war für den antiken Menschen eine Furcht einflößende Vorstellung. Betroffen waren Angehörige gesellschaftlicher Randgruppen, die in den Slums spätantiker Großstädte immer häufiger zu finden waren. Gewiss wurden auch ihre Leichen beseitigt, doch blieben für sie nur aufgelassene Sandgruben, ausgetrocknete Brunnenschächte oder jene schon in der Antike verächtlich Puticuli genannten Massengräber. Das Christentum schuf einen neuen Begriff von Familie, denn die biologische Familie wurde durch die kirchliche Gemeinde ersetzt, und diese sorgte sich nun um das Leben wie um das Sterben. Es entstanden gemeindeeigene Friedhöfe, die wir in den römischen Katakomben erstmals am Ende des zweiten Jahrhunderts greifen können. Der erste namentlich bekannte Friedhofsverwalter hieß Callist, war ein bekehrter Spekulant und später sogar Papst. Der älteste christliche Gemeindefriedhof trägt seinen Namen: Callist-Katakombe.

Auf diesen gemeindeeigenen Friedhöfen fanden auch die Märtyrer ihre letzte Ruhestätte, und immer stärker drängten die christlichen Bestattungen an ihre Gräber heran, um an den Segnungen der Blutzeugen dereinst Anteil zu haben. Es entwickelte sich jene Konzentration um die Heiligen und ihre Reliquien, die für den späteren Kirchhof so typisch sein sollte. Karl der Große ordnete dies an: Die Christenmenschen sollten nicht mehr bei den „Gräbern der Heiden“, sondern bei den Kirchen bestattet werden. Und der Herrscher über das fränkische und römische Reich verbot nun definitiv die Feuerbestattung. Für mehr als tausend Jahre war nun das Friedhofswesen geprägt: Erdbestattungen auf einem gemeindlichen Friedhof. Im Hinblick auf die Bestattungskultur blieb der christliche Friedhof in seiner Konzeption wegweisend bis in unsere Tage. Die späteren Ereignisse und Wandlungen im Friedhofswesen, die Reformation oder die Einführung der Feuerbestattung im 19. Jahrhundert waren lediglich Nadelstiche in einem funktionierenden System, und erst in unseren Tagen scheint das Erfolgs- zu einem Auslaufmodell zu werden. Die im Wesentlichen christlich geprägte Idee vom solidarisch getragenen Friedhof für alle kann den Säkularisierungs- und Individualisierungsbestrebungen in der Gegenwart nicht mehr standhalten.

A. Das Prinzip der familiären Totenfürsorge in der Antike

Die abendländischen antiken Kulturen kannten keine öffentlichen Friedhöfe in unserem Sinn, sondern das Bestattungswesen und die Grabvorsorge waren Privatangelegenheit. An den großen Ausfallstraßen entlang lagen die Gräber, oder die familiären Grabstätten verdichteten sich zu Totenstädten, also Nekropolen. Soweit die Römer südlich der Donau und entlang dem Rhein nach Germanien vorgedrungen waren, brachten sie auch ihre Bestattungs- und Friedhofskultur in das ferne Land. Was man in Rom, Pompeji oder Aquileia sehen konnte und teilweise noch sehen kann, gab es auch in Mainz, Trier oder Köln. Es gab Grabgärten für die Bestattung und die Totenfeiern, aber auch bescheidene Gräber am Straßenrand, hochaufragende Monumente und schlichte Urnen.

1. Rechtliche und organisatorische Grundlagen

Als man im aufgeklärten Europa seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts begann, nach neuen gestalterischen und philosophischen Grundlagen für die Bestattungs- und Friedhofskultur zu suchen, fanden die gebildeten Schichten des Bürgertums ihr Heil in der Antike. So „Wie die Alten den Tod gebildet“6, sollte auch der moderne Umgang mit Tod und Trauer gestaltet sein. Man idealisierte lodernde Scheiterhaufen als Inbegriff der Reinigung der Materie und etablierte ein neues Todesbild, das dem drohenden Sensenmann des Mittelalters den sanfteren antiken Thanatos als des Schlafes Bruder entgegensetzte. Hatte der antikisierende Klassizismus die Formensprache der Architektur erobert, so galt dies auch für die Grabmalgestaltung. Man kannte inzwischen längst die Gräberstraßen im alten Rom, Pompeji mit seinen Grabhäuschen und Grabgärten war entdeckt, und das antike Grab galt als vorbildlich. Dass diese idealisierte Sichtweise der Antike nicht der Wirklichkeit entsprach, konnte man damals nicht wissen. Die Kenntnisse über das antike Bestattungs- und Friedhofswesen waren lediglich fragmentarisch, und erst die jüngere Forschung begann, ein realistischeres Bild zu zeichnen.7

Ein Vorbild für unsere Friedhofskultur konnten die römischen Friedhöfe nicht sein, weil es sie nicht gab. Es gab stattdessen sehr unterschiedliche Möglichkeiten, zu einer Grabstätte zu gelangen. Aus den agrarisch-patriarchalischen Strukturen stammt die Form der „familia“; damit sind jene Grabstätten gemeint, die der Familienvorstand für sich und seine Angehörigen samt der abhängigen Klientel auf eigenem Grund und Boden errichten ließ. Wer als Familienmitglied oder auch als Bediensteter einer solchen Familie angehörte, musste sich um seinen Grabplatz keine Sorgen machen. In urbanen Gemeinschaften war diese Voraussetzung nicht selbstverständlich, und es galt der Grundsatz, für sein Grab eigenverantwortlich vorzusorgen. In den antiken Großstädten hatte sich dazu ein freier Markt herausgebildet, auf dem das Grab als „Immobilie“ verkauft, gehandelt, vermittelt und vermietet wurde. Dieser Markt wurde von Grundbesitzern, Investoren, Kapitalgesellschaften und Maklern bedient, und je nach Vermögen konnte man sich hier einkaufen. Man erwarb entweder eine Einzelgrabstelle, auf der man sogar ein Grabmal oder ein Mausoleum errichten konnte, kaufte sich in ein kommerzielles Kollektivgrab ein – oder hatte bei mangelnder Finanzkraft das Nachsehen. Deshalb spielten die Begräbnisvereine mit eigener Totenfürsorge und vereinseigenen Grabplätzen eine wichtige Rolle. Deswegen gab es neben den repräsentativen Grabstätten mit Grabgarten entlang der Ausfallstraßen die für den Normalbürger typischen Gräber im Kolumbarium. Hier reihte sich Nische an Nische, und für die Identität des Verstorbenen blieb allenfalls ein kleines Täfelchen mit seinem Namen. In ähnlicher Weise sorgten berufsständische Zünfte für die Bestattung ihrer Mitglieder.

In Großstädten wie Rom, Antiochia oder Alexandria wurden allerdings bereits während der Kaiserzeit die „herrenlosen“, unbestatteten Leichen zu einem Entsorgungsproblem, dessen sich die Städte annehmen mussten. Zumindest für Rom ist man recht genau über die öffentlichen Abfallgruben informiert, die neben Unrat und Tierkadavern auch menschliche Leichname aufnehmen mussten. Man nannte sie schon in der Antike verächtlich „puticuli“8, was man vielleicht mit Verwesungsgruben übersetzen kann. Bei Nacht waren die Träger unterwegs, um die Leichen aufzusammeln und zu entsorgen. In die Gruben geworfen, bedeckte man die Leichen mit ungelöschtem Kalk, um die Seuchengefahr zu mindern. Schon Ende des 19. Jahrhunderts wurden etwa 75 solcher Gruben entdeckt, von denen manche bis zu 800 Leichen, vermengt mit Kadavern und Hausmüll, enthielten.9 Seit dem 1. Jahrhundert n. Chr. waren auch Massenverbrennungen üblich geworden, wohl um weiterhin für eine Minimierung der hygienischen Probleme zu sorgen.10

Die altrömische Pietas verdient ihren Namen kaum, wenn es um die Totenfürsorge geht, eher wird man dem antiken Bestattungswesen gerecht, wenn man es unter rein ökonomischen Gesichtspunkten betrachtet11, was im Übrigen auch für das kommerzielle Bestattungswesen gilt, dessen gut organisierte und differenzierte Dienstleister im Ruf standen, geldgierig und raffiniert zu sein.

Die Verhältnisse in den antiken Großstädten dürfen zwar nicht ohne Weiteres auf die germanischen Provinzen des Römischen Reiches übertragen werden, aber die sozialen Unterschiede, die sich in monumentalen Grabanlagen der Reichen, Super- und Neureichen einerseits und in Armengräbern am Rande der Nekropolen andererseits ausdrücken, galten auch hier. Leichenbrände in billigen Amphoren im Straßengraben haben sich auch in Germanien gefunden, seit man der Erforschung der Nekropolen mehr Aufmerksamkeit schenkt und nicht allein nach der Sicherung und Erforschung der monumentalen Sarkophage, Grabbauten und Monumente trachtet.

2. Römische Nekropolen und Familiengrabstätten in Germanien

Das römische Bestattungs- und Friedhofswesen galt auch in den germanischen Provinzen des Reiches, und antike Nekropolen und Familiengrabstätten finden sich von Passau, dem alten Batavis, bis nach Xanten am Niederrhein. Ihre Monumente können teilweise noch an originalen Stätten besucht werden, wie die sog. Igeler Säule bei Trier12, oder in den Museen. Zu den herausragenden Objekten zählt das annähernd 15 Meter hohe Grabmal des Legionsveteranen Lucius Poblicius13 im Römisch-Germanischen Museum in Köln, das in seiner Dimension nur Staunen hervorruft. Poblicius hatte in...